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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Brandenburg
Beschluss verkündet am 07.10.2003
Aktenzeichen: 2 B 332/02
Rechtsgebiete: VwGO, VwVfGBbg, BbgVGG, GKGBbg


Vorschriften:

VwGO § 58
VwGO § 60
VwGO § 70
VwGO § 78 Abs. 1 Nr. 2
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 80 Abs. 5
VwVfGBbg § 1 Abs. 2
BbgVGG § 8 Abs. 2
GKGBbg § 16 Abs. 6
Den gesetzlichen Anforderungen gemäß § 58 Abs. 1 VwGO an die Bezeichnung der Verwaltungsbehörde kann im Einzelfall auch die alleinige Bezeichnung der Körperschaft genügen, deren Verwaltungsorgan den Bescheid erlassen hat, wenn damit eindeutig und unzweifelhaft die Stelle bezeichnet ist, bei welcher der Rechtsbehelf eingelegt werden muss (hier: "Zweckverband" statt "Verbandsvorsteher des Zweckverbandes").
OBERVERWALTUNGSGERICHT FÜR DAS LAND BRANDENBURG BESCHLUSS

2 B 332/02

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

wegen Erhebung eines Abwasserbeitrags (Verbesserungsbeitrag);

hier: Beschwerde gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung

hat der 2. Senat am 7. Oktober 2003 durch

den Richter am ..., die Richterin am ... und den Richter am ...

beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. Oktober 2002 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.

Die Antragsstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 227,13 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Beschwerde ist begründet.

Die Beschwerde beanstandet mit Recht, dass das Verwaltungsgericht über den vorliegenden Antrag sachlich entschieden und ihm entsprochen hat, statt ihn wegen der Bestandskraft des angefochtenen Bescheides als unzulässig abzulehnen. Die insoweit angegriffene Argumentation des Verwaltungsgerichts, die Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen Beitragsbescheides vom 6. November 2001 sei unvollständig, weil darin nicht der Verbandsvorsteher als Behörde des Zweckverbandes, sondern nur der Verband selbst unter Angabe seines Sitzes bezeichnet worden sei, mit der Folge, dass die Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 gemäß § 58 Abs. 1 VwGO nicht in Lauf gesetzt worden sei und der erst frühestens mit Schreiben vom 31. Januar 2002 erhobene Widerspruch als rechtzeitig angesehen werden müsse, hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Allerdings geht die Beschwerde fehl in der Annahme, dass offene Fragen der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs, dessen aufschiebende Wirkung mit dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO begehrt wird, stets zu Lasten des Antragstellers gehen und zur Ablehnung von dessen Begehren führen müssten. Vielmehr ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung überwiegend anerkannt, dass Widerspruch und Klage nur dann den Suspensiveffekt nicht auszulösen vermögen bzw. in Fällen nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO - wie hier - keine Grundlage für seine gerichtliche Anordnung darstellen, wenn die Unzulässigkeit des in der Hauptsache erhobenen Rechtsbehelfs bereits im summarischen Verfahren offensichtlich ist (vgl. statt vieler Jörg Schmidt in Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 80 Rn. 13 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Der abweichenden Auffassung, die stets eine abschließende Entscheidung über die Zulässigkeit des in der Hauptsache erhobenen Rechtsbehelfs im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO verlangt (vgl. etwa Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Bd. 1, Stand Jan. 2003, § 80 Rn. 71), ist entgegenzuhalten, dass das Postulat abschließender Klärung nur unter Aufgabe des summarischen Prüfungsmaßstabs und mit Anwendung aller im Hauptsacheverfahren zur Verfügung stehenden Sachaufklärungsmittel einschließlich der Durchführung einer Beweisaufnahme erfüllbar sein dürfte. Es bedarf hier jedoch keiner abschließenden Klärung des anzuwendenden Prüfungsmaßstabs, weil die Vollständigkeit der vorliegenden Rechtsbehelfsbelehrung schon nach Aktenlage abschließend beurteilt werden kann und hiervon abhängt, ob der angegriffene Beitragsbescheid bestandskräftig geworden und ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mithin nicht mehr statthaft ist oder aber der Widerspruch der Antragstellerin - gleich, ob man ihn mit dem Verwaltungsgericht bereits in dem Schreiben vom 31. Januar 2002 oder erst in demjenigen vom 18. März 2002 sehen kann - nicht verfristet und der vorliegende Antrag mithin zulässig ist.

Nach § 58 Abs. 1 VwGO, der gemäß § 70 Abs. 2 VwGO auch auf die Widerspruchsfrist anzuwenden ist, muss der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde, bei der der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist belehrt werden, anderenfalls wird die Frist nicht in Lauf gesetzt. Die danach erforderliche Belehrung ist hier entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts erfolgt. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Beitragsbescheides des Verbandsvorstehers des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserentsorgung Fürstenwalde und Umland vom 6. November 2001, dessen Erhalt die Antragstellerin weder im gerichtlichen noch im vorgerichtlichen Verfahren in Abrede gestellt hat, enthielt folgenden Inhalt: "Gegen diesen Bescheid können Sie innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe Widerspruch erheben. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift beim Zweckverband Wasserversorgung und Abwasserentsorgung Fürstenwalde und Umland, Uferstr. 5, 15517 Fürstenwalde, einzulegen." Mit diesem Inhalt ist auch die Verwaltungsbehörde zutreffend bezeichnet. Die am Behördenbegriff nach § 1 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Brandenburg (VwVfG Bbg) orientierte materielle Betrachtung des Verwaltungsgerichts, nach der Behörde jede Stelle ist, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, und die die Benennung des Verbandsvorstehers als dem nach § 16 Abs. 6 Satz 1 des Gesetzes über die kommunale Gemeinschaftsarbeit zur Führung der laufenden Verwaltungsgeschäfte sowie zur gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung des Zweckverbandes berufenen Organ zur Bezeichnung der Verwaltungsbehörde vermisst, verfehlt Sinn und Zweck des § 58 Abs. 1 VwGO. Mit dieser Vorschrift soll verhindert werden, dass ein statthaftes Rechtsmittel nur deshalb nicht oder nicht fristgerecht ergriffen wird, weil der Betroffene die Möglichkeit des Rechtsmittels oder die Modalitäten seiner Einlegung nicht kennt. Die Rechtsfolge, dass die Frist nicht in Lauf gesetzt wird, soll nur eintreten, wenn die Belehrung fehlt oder ihr Inhalt den gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht; mit diesem Anknüpfen an die objektiv festzustellenden Umstände des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung wird gewährleistet, dass mit der für den Rechtsverkehr erforderlichen Sicherheit angenommen werden kann, dass das Unterbleiben eines fristgerechten Rechtsmittels auf der freien Entschließung des Betroffenen beruht (vgl. zum Normzweck ausführlich: Meissner, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner a.a.O., § 58, Rn. 6). Was zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen erforderlich ist, ist hiernach nicht ausschließlich anhand einer materiellen Betrachtung nach dem verwaltungsverfahrensrechtlichen oder dem verwaltungsprozessualen Behördenbegriff, wie er etwa § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO und § 8 Abs. 2 Satz 1 des Brandenburgischen Verwaltungsgerichtsgesetzes zugrunde liegt (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 14. Februar 2001 - 2 B 391/OO.Z - LKV 2001, 560), zu beurteilen, auch wenn die Orientierung an diesen Begriffen wie auch die Berücksichtigung organisationsrechtlicher Gesichtspunkte für die exakte Bezeichnung der Verwaltungsbehörde in der Rechtsbehelfsbelehrung hilfreich und mitunter unerlässlich sein mag. Anknüpfungspunkt ist vielmehr zunächst die verfahrensrechtliche Norm, aus der sich ergibt, wo der Rechtsbehelf einzulegen ist, also im Falle des Widerspruchs gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Insoweit kommt es für die Frage, ob mit der in der Belehrung gewählten Bezeichnung die Stelle, bei der der Rechtsbehelf einzulegen ist (vgl. Meissner a.a.O., Rn. 25), richtig bezeichnet ist, nicht in jedem Fall auf die formal richtige Bezeichnung an, sondern darauf, ob die Bezeichnung gewährleistet, dass der Rechtsbehelf dort eingelegt wird, wo er einzulegen ist (zu eng daher Urteil des 3. Senats des erkennenden Gerichts vom 14. Oktober 1999 - 3 D 64/97.AK - NVwZ-RR 2000, 499). Auch bei Berücksichtigung der Formstrenge des Verfahrensrechts kann den gesetzlichen Anforderungen an die Bezeichnung der Behörde als solcher deshalb im Einzelfall auch die alleinige Bezeichnung der Körperschaft genügen, deren Verwaltungsorgan den Bescheid erlassen hat, wenn damit eindeutig und unzweifelhaft die Stelle bezeichnet ist, bei welcher der Rechtsbehelf eingelegt werden muss. So liegt der Fall hier. Denn ein Zweckverband kann gegenüber dem Bürger nach außen nur durch den Verbandsvorsteher handeln; der Verbandsvorsteher erlässt nach § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO auch den Widerspruchsbescheid. Ist deshalb der Zweckverband in der Rechtsbehelfsbelehrung mit seinem Sitz korrekt bezeichnet, ist hiernach zugleich gewährleistet, dass ein Widerspruch ausschließlich zu der Verwaltungsbehörde gelangen kann, die im Falle der Erhebung zur Niederschrift der Behörde die Niederschrift aufzunehmen hat und die für die Bearbeitung des Widerspruchs zuständig ist. Damit ist die Belehrung ausreichend, um den Beteiligten die erforderliche Kenntnis über den Lauf und die Wahrung der Frist zu vermitteln.

Soweit das Verwaltungsgericht unter Berufung auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März 1978 - 4 B 7.78 - (Buchholz 310 Nr. 36 zu § 58 VwGO) die Auffassung vertritt, dass die Belehrung nur bei organisationsrechtlich zutreffender Bezeichnung der Verwaltungsbehörde korrekt sei, so übersieht es, dass diese Entscheidung nur die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde zum Gegenstand hat, mit der die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die gesetzlichen Anforderungen an die Bezeichnung des Sitzes der Behörde in der Rechtsbehelfsbelehrung geltend gemacht worden war. Nur insoweit ist die grundsätzliche Bedeutung unter Hinweis darauf verneint worden, dass diese Anforderungen schon durch das Gesetz hinreichend geklärt seien, weil es die Essentialien der Belehrung bezeichne und für den Fall ihres Fehlens vorsehe, dass die Frist nicht in Lauf gesetzt werde. Zu der hier maßgeblichen Frage, welche Anforderungen an die Bezeichnung der Verwaltungsbehörde, bei der der Rechtsbehelf einzulegen ist, zu stellen sind, verhält sich jene Entscheidung nicht. Diese Problematik wird auch nicht durch das Urteil vom 23. August 1990 - 8 C 30.88 - (BVerwGE 85, 298) behandelt, dessen tragende Ausführungen ebenfalls nur die Angabe des Behördensitzes betreffen, das allerdings entgegen der vorgenannten Entscheidung den Rückgriff auf außerhalb der eigentlichen Belehrung liegende Umstände, hier den Briefkopf des Bescheides für die Bezeichnung der Verwaltungsbehörde, unter bestimmten Umständen zulassen möchte (so auch OVG NW, Urteil vom 21. August 1985 - 1 A 1931/83 - RiA 1986, 283), was hier bereits - allerdings jene Umstände unterstellt - dazu führen würde, dass der vom Verwaltungsgericht angenommene Mangel nicht vorliegt, da der Kopf des Bescheides den Verbandsvorsteher als Erlassbehörde ausweist.

Der Antragstellerin ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Widerspruchsfrist zu gewähren. Ihr diesbezüglicher Vortrag, sie habe einen Widerspruch gegen den hier streitgegenständlichen Beitragsbescheid nicht für erforderlich gehalten, solange der von ihrem Ehemann gegen einen an ihn adressierten, dasselbe Grundstück betreffenden Verbesserungsbeitragsbescheid vom 14. August 2001 eingelegte Widerspruch noch nicht beschieden war, weil sie davon ausgehen durfte, dass erst dessen Bescheidung erfolgen müsse, lässt nicht erkennen, dass die Antragstellerin im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO unverschuldet verhindert war, die Widerspruchsfrist einzuhalten. Die Antragstellerin durfte als juristischer Laie nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 6. November 2001 vor einer Bescheidung des von ihrem Ehemann erhobenen Widerspruchs gegen den Bescheid vom 14. August 2001 entbehrlich war; sie hätte sich vielmehr vor einer solchen Schlussfolgerung in geeigneter und zuverlässiger Weise informieren müssen. Dass sie eine solche Rechtsberatung während des Laufs der Widerspruchsfrist nicht gesucht hat, gereicht ihr zum Verschulden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i. V. m. §§ 13 Abs. 1 und 2,20 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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