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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Brandenburg
Beschluss verkündet am 13.04.2004
Aktenzeichen: 2 B 62/04
Rechtsgebiete: GG, AO


Vorschriften:

GG Art. 20 Abs. 3
AO § 162 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT FÜR DAS LAND BRANDENBURG BESCHLUSS

2 B 62/04

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

wegen Benutzungsgebührenrecht;

hier: Beschwerde

hat der 2. Senat durch

den Vorsitzenden Richter am ..., die Richterin am ... und den Richter am ...

am 13. April 2004

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. Januar 2004 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 173,90 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde (vgl. § 146 Abs. 1 und 4 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO) hat keinen Erfolg.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Soweit es um die Frage geht, ob die Begründung des Verwaltungsgerichts geeignet ist, das Beschlussergebnis zu tragen, ist die Prüfung des Oberverwaltungsgerichtes nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe beschränkt. Die Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO erfordern eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes und damit eine sachliche Auseinandersetzung des Beschwerdeführers mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses. Der Beschwerdeführer muss in der Beschwerdebegründung darlegen, warum er in bestimmten Punkten die angefochtene Entscheidung für unrichtig hält und aus welchen Gründen eine andere Entscheidung als die des Verwaltungsgerichts geboten ist, d. h. aus welchen Gründen eine Änderung des Beschlusses ernsthaft in Betracht zu ziehen ist (vgl. u. a. Beschlüsse des Senates vom 17. März 2004 - 2 B 49/04 - und vom 23. Oktober 2003 - 2 B 265/03 -, veröffentlicht in Juris m. w. N.).

Die Beschwerdebegründung genügt nicht diesen Darlegungsanforderungen.

Soweit der Antragsgegner sinngemäß vorträgt, dass der angefochtene Beschluss auf eine "veraltete" Satzungslage abstelle, weil § 15 Abs. 4 Satz 2 und 3 der Satzung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserentsorgung ... über die dezentrale öffentliche Entsorgung von Schmutzwasser aus abflusslosen Sammelgruben und des nicht separierten Schlammes aus Kläranlagen vom 16. Juli 2002 - SDESAS 7/2002 - (Amtsblatt für den Landkreis Oder-Spree vom 29. Juli 2002, Nr. 7, S. 22) durch die 2. Änderung zur SDESAS vom 22. Oktober 2003 - SDESAS 10/2003 - (Amtsblatt für den Landkreis Oder-Spree vom 28. November 2003, Nr. 10, S. 14) geändert worden sei und die Durchführung der Schätzung sich nunmehr allein nach der gesetzlichen Regelung des § 162 Abs. 1 AO richte, ist nicht hinreichend dargetan, dass diese rückwirkende Änderung des Satzungsrechts nach materiellem Recht für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Antragsgegners vom 16. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2003 maßgeblich ist. Auf Grund der Darlegung des Antragsgegners ist bei summarischer Prüfung nämlich nicht hinreichend sicher, dass es sich bei der Änderung von § 15 Abs. 4 SDESAS 10/2003, soweit sie rückwirkend zum 1. Januar 2001 und damit auch mit Wirkung für die angefochtenen Bescheide erfolgt (vgl. Art. 3 Nr. 1 der 2. Änderungssatzung), um gültiges Satzungsrecht handelt.

Nach dem Verbot rückwirkend belastender Rechtsnormen, das auf dem rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes beruht, ist die rückwirkende Inkraftsetzung von Satzungen, welche die Rechtslage nachträglich zu Lasten der Abgabenschuldner verändern, grundsätzlich verboten. Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und der dadurch gewährleistete Vertrauensschutz schützen nämlich das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung. Belastende Satzungsregelungen, welche die Rechtsposition der Bürgerinnen und Bürger mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtern, sind nur ausnahmsweise zulässig und vor dem Rechtsstaatsprinzip stets besonders rechtfertigungsbedürftig (vgl. dazu näher u. a. BVerfG, Beschluss vom 10. März 1971 - 2 BvL 3/68 -, BVerfGE 30, 367 [385 f.]; BVerfG, Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 -, BVerfGE 101, 239 [262 f.]; Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl., Rn. 67 ff.).

Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber der Vollprüfung im Hauptsacheverfahren eingeschränkten summarischen Prüfung spricht mehr dafür als dagegen, dass es sich bei der geänderten Fassung des § 15 Abs. 4 SDESAS 10/2003 um eine belastende Satzungsregelung handelt, welche die verfahrenrechtliche Rechtsposition der Gebührenschuldner mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtert. In der geänderten Fassung von § 15 Abs. 4 SDESAS 10/2003 werden in dem verbliebenen Satz 1 nämlich nur Schätzungsanlässe geregelt. Mangels satzungsrechtlicher Regelung über die Schätzungsmethode ist auf die allgemeine gesetzliche Regelung des § 162 Abs. 1 Satz 2 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 Nr. 4 b) KAG abzustellen, wonach alle Umstände zu berücksichtigen sind, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Eine bestimmte Schätzungsmethode wird hierdurch nicht vorgegeben. Die Auswahl der Schätzungsmethoden steht vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen der Körperschaft. Demgegenüber gab § 15 Abs. 4 Satz 2 und 3 SDESAS 7/2002 grundsätzlich die Schätzungsmethode vor. Danach ist bei der Schätzung der Wasserverbrauch der letzten zwei Jahre zugrunde zu legen und sind die begründeten Angaben der Gebührenpflichtigen zu berücksichtigen. Die normativen Bindungen des Antragsgegners hinsichtlich der Auswahl der Schätzungsmethode werden also durch die rückwirkende Änderung der Satzung deutlich gelockert. Bei einem Vergleich der geänderten Fassung von § 15 Abs. 4 SDESAS 10/2003 gegenüber der alten Fassung ist es daher im Hinblick auf die anwendbare Schätzungsmethode durchaus denkbar, dass es für Gebührenschuldner im Allgemeinen und für die Antragstellerin im Besonderen zu Verschlechterungen kommt, insbesondere dann, wenn man für die Schätzung - wie es der Antragsgegner offenbar tun will - auf die "zeitnächste" Verbrauchsbetrachtung abstellt.

Demnach bedarf die rückwirkende Änderung von § 15 Abs. 4 SDESAS 10/2003 als die Rechtslage der Gebührenschuldner verschlechternde Norm einer besonderen Rechtfertigung. Einen hinreichenden rechtfertigenden Grund für die rückwirkende Änderung der Schätzungsregelung in der Satzung hat der Antragsgegner in der Beschwerdebegründung indessen nicht dargelegt und er ist bei summarischer Prüfung auch sonst nicht erkennbar. Der Antragsgegner trägt lediglich vor, dass der "Passus" im Hinblick auf die "judikativen Vorgaben der Rechtsprechung des (erkennenden) Senates" geändert worden sei. Ein plausibler besonderer Rechtfertigungsgrund, nach dem das Vertrauen auf die bisherige Satzungslage hier nicht schutzwürdig ist, wird hingegen nicht vorgetragen. Ein Rechtfertigungsgrund lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass die rückwirkende Änderung der Satzung dazu dienen könnte, eine unwirksame Satzungsbestimmung durch eine neue Satzungsbestimmung zu ersetzen, womit ein Gebührenschuldner regelmäßig rechnen muss. Ein solcher Fall ist hier nämlich nicht gegeben. Die bisherige Satzungsbestimmung des § 15 Abs. 4 SDESAS 7/2002 ist nach summarischer Prüfung wirksam (vgl. näher dazu Beschluss des Senates vom 1. April 2004 - 2 B 239/03 -, EA S. 3; vgl. bereits Beschlüsse vom 23. Juli 2003 - 2 B 333/02 - und vom 24. Juli 2003 - 2 B 110/03 -). Sonstige Gründe, aus denen das Vertrauen der Gebührenschuldner auf die Rechtslage nach § 15 Abs. 4 Satz 2 und 3 SDESAS 7/2002 nicht gerechtfertigt ist, sind auf Grundlage des Beschwerdevorbringens nicht ersichtlich.

Soweit der Antragsgegner rügt, der angefochtene Beschluss sei auch bei der Anwendung der "alten" Satzungsregelung des § 15 Abs. 4 SDESAS 7/2002 "rechtsfehlerhaft", weil das Verwaltungsgericht den "Tatbestand" fehlerhaft gewürdigt habe und dabei § 15 Abs. 4 Satz 2 SDESAS 7/2002 hinsichtlich des für die Schätzung maßgeblichen Wasserverbrauchszeitraums "falsch" ausgelegt habe, vermag dies die Begründung des angefochtenen Beschlusses ebenfalls nicht entscheidungserheblich zu erschüttern.

Das Verwaltungsgericht begründet in dem angefochtenen Beschluss die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides im Kern damit, dass die dort vorgenommene Schätzung nicht in Einklang mit den satzungsrechtlichen Vorgaben des § 15 Abs. 4 Satz 2 und 3 SDESAS 7/2002 steht, weil der Antragsgegner - auch nicht mit Schreiben vom 8. September 2003 - keine Angaben von der Antragstellerin zum Wasserverbrauch der letzten zwei Jahre vor dem Veranlagungszeitraum eingeholt habe, was nach der Satzung aber erforderlich gewesen sei.

Dieser - das Entscheidungsergebnis tragende - Grund ist nicht zu beanstanden. § 15 Abs. 4 Satz 2 SDESAS 7/2002 regelt als Schätzungsmethode einen Vergleich auch auf Grundlage von Vorjahres verbrauchen. Wie schon ausgeführt ist danach der Wasserverbrauch der letzten zwei Jahre zugrunde zu legen. Zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senates (vgl. zuletzt Beschluss des Senates vom 1. April 2004 - 2 B 239/03 -, EA S. 7) knüpft das Verwaltungsgericht dabei an den Zeitraum der letzten zwei Jahre vor dem Veranlagungsjahr an und ist nicht - wie der Antragsgegner meint - auf den "unmittelbar anliegenden Zeitraum" vor der Veranlagung selbst abzustellen. Das Anknüpfen an den Wasserverbrauch in dem der Veranlagung zeitlich am nächsten vorangehenden Zeitraum oder sogar im Veranlagungszeitraum selbst mag zwar wünschenswert und wirklichkeitsnäher sein, entspricht aber nicht der satzungsrechtlichen Regelung des § 15 Abs. 4 Satz 2 SDESAS 7/2002, auf die abzustellen ist. Auf Grund dessen würdigt das Verwaltungsgericht zutreffend, dass der Antragsgegner auch mit seinem Schreiben vom 8. September 2003 keine Angaben der Gebührenpflichtigen zum Wasserverbrauch der letzten zwei Jahre vor dem Veranlagungsjahr eingeholt hat. Der Bescheid des Antragsgegners vom 16. April 2003 betrifft nämlich die Veranlagungsjahre 2001 und 2002, weshalb der Antragsgegner Angaben zum Wasserverbrauch der Jahre 1999 und 2000 bzw. 2000 und 2001 hätte einholen müssen. Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 8. September 2003 aber nur die "Gelegenheit" gegeben, zum tatsächlichen Wasserverbrauch "für den Zeitraum vom 1. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2002" Angaben beizubringen. Er hat damit den maßgeblichen Zeitraum nicht (vollständig) abgefragt.

Soweit der Antragsgegner der Sache nach vorträgt, dass die mit Schriftsatz vom 23. September 2003 erbrachten Angaben der Antragstellerin, wonach im Jahre 2002 eine "Grubenabfuhr" von 6 m³ erfolgt sei und auch für das Jahr 2001 von einer Schätzungsgrundlage von 6 m³/Jahr auszugehen sei, keine sachgemäße Schätzung auf Grundlage des § 15 Abs. 4 Satz 2 und 3 SDESAS 7/2002 ermögliche und deshalb auf die Regelung § 162 Abs. 1 AO zugegriffen werden könne, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Der grundsätzliche Anwendungsvorrang der satzungsrechtlichen Schätzungsmethode des § 15 Abs. 4 Satz 2 und 3 SDESAS 7/2002 ist nach der Rechtsprechung des Senates (vgl. u. a. Beschluss vom 1. April 2004 - 2 B 239/03 -, EA S. 7 m. w. N.) nur dann ausgeschlossen, wenn der Gebührenpflichtige im Rahmen einer ihn treffenden Darlegungsobliegenheit keine nachvollziehbaren Angaben zum tatsächlichen Wasserverbrauch der letzten zwei Jahre macht. Diese Obliegenheit sieht das Verwaltungsgericht nur als gegeben an, wenn der Antragsgegner konkret nach dem Wasserverbrauch der letzten zwei Jahre vor dem Veranlagungsjahr nachgefragt hat. Diesen Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts hat der Antragsgegner indessen nicht erschüttert, da er nichts Schlüssiges dazu vorgetragen hat, weshalb er hier auf eine Anfrage zum Wasserverbrauch in den beiden Vorjahren des jeweiligen Veranlagungszeitraumes hätte verzichten können. Dementsprechend kann er auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass die von der Antragstellerin auf seine Anfrage gemachten Angaben zum Wasserverbrauch in den Jahren 2001 bis 2003 nicht nachvollziehbar seien, da sich dieser Zeitraum nicht mit dem deckt, nach dem entsprechend den Überlegungen des Verwaltungsgerichts hätte gefragt werden müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 13 Abs. 1 und 2, 14 Abs. 1 Satz 1 und 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in Anlehnung an I Nr. 7 Satz 1 des Streitwertkataloges (NVwZ 1996, 563).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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