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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Brandenburg
Beschluss verkündet am 02.10.2003
Aktenzeichen: 2 B 75/03
Rechtsgebiete: BauGB, GG, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 242 Abs. 9 Satz 1
BauGB § 242 Abs. 9 Satz 2
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 100 Abs. 1
War eine Erschließungsanlage im Beitrittsgebiet vor dem 3. Oktober 1990 bereits hergestellt worden, kann nach § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB ein Erschließungsbeitrag auch dann nicht erhoben werden, wenn dieser Anlage später weitere Teile hinzugefügt werden; Aufgabe der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 23. März 2000 - 2 A 226/98 -, Mitt. StGB Bbg 5-6/2000, S. 213 im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 18. November 2002 - 9 C 2/02 -, BVerwGE 117, 200.
OBERVERWALTUNGSGERICHT FÜR DAS LAND BRANDENBURG BESCHLUSS

2 B 75/03

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

wegen Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen;

hier: Beschwerde

hat der 2. Senat

am 2. Oktober 2003

durch

den Vorsitzenden Richter am ..., den Richter am ... und den Richter am ...

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 6. März 2003 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 322, 22 EURO festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß § 146 Abs. 1 und 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO prüft das Oberverwaltungsgericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur die dargelegten Gründe. Soweit es danach um die Frage geht, ob die Begründung des Verwaltungsgerichts geeignet ist, das Beschlussergebnis zu tragen, ist die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts auf die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe beschränkt (vgl. näher Beschluss des Senats vom 1. Juli 2003 - 2 B 13/03, Entscheidungsumdruck S. 2). Die Darlegungen der Beschwerde rechtfertigen keine Abänderung der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, mit der der sinngemäße Antrag abgelehnt worden ist, die aufschiebende Wirkung der Klage in der Hauptsache gegen den "Teilbeitragsbescheid" über die Erhebung eines Erschließungsbeitrages für die Herstellung des Geh- und Radweges in der ...straße der Stadt Strausberg vom 16. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. März 2002 anzuordnen.

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung im Kern damit begründete, dass in diesem Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gemäß § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO (analog) keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erschließungsbeitragsbescheides bestünden. Es sei weder offensichtlich noch überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsgegner die Herstellung des kombinierten Geh- und Radweges in der ...straße aufgrund der Regelung des § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB nicht als erschließungsbeitragsrechtliche Maßnahmen auf Grundlage der §§ 127 ff. BauGB abrechnen dürfe. Das Gericht hat aufgrund einer von dem Antragsgegner vorgelegten Fotodokumentation über den Ausbauzustand der Straße vor der Maßnahme die tatsächlichen Gegebenheiten sinngemäß dahingehend würdigt, dass die Erschließungsanlage ...straße insgesamt oder die Teileinrichtung Gehweg bis zum 3. Oktober 1990 nicht offensichtlich oder überwiegend wahrscheinlich bereits hergestellt im Sinne des § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB war. Die abschließende Klärung dieser schwierigen, umfangreiche Feststellungen und Ermittlungen erfordernde Rechts- und Tatsachenfrage müsse dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Hiergegen wendet sich die Beschwerde im Wesentlichen mit der Begründung, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgehe, es sei weder offensichtlich noch überwiegend wahrscheinlich, dass die Herstellung des kombinierten Geh- und Radweges in der ...straße nicht als erschließungsbeitragsrechtliche Maßnahme abgerechnet werden dürfe. Tatsächlich handele es sich bei der Baumaßnahme am Geh- und Radweg der Straße nach dem 3. Oktober 1990 lediglich um eine Ergänzung einer "zu DDR-Zeiten" zumindest ganz überwiegend bereits hergestellten Erschließungsanlage, für die keine Erschließungsbeiträge erhoben werden dürften. In den "späten 80er-Jahren" sei die Fahrbahn der Straße asphaltiert worden und auch der Gehweg befestigt und teilweise mit Betonplatten versehen worden. Die Erschließungsanlage übersteige daher sogar die örtlichen Ausbaugeflogenheiten in der Stadt Strausberg. Zum Beleg beruft sich die Antragstellerin auf mehrere von ihr vorgelegte Fotos, die den aktuellen Ausbaustand verschiedener Straßen in der Stadt Strausberg darstellen.

Mit seinem Vorbringen vermag die Beschwerde die Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht entscheidungserheblich zu erschüttern; sie rechtfertigt keine Änderung des Beschlusses. Das Verwaltungsgericht ist in dem Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vom zutreffenden Prüfungsmaßstab ausgegangen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage in der Hauptsache nach § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO (analog) vom Gericht nur angeordnet werden kann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes im Sinne von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bestehen erst dann, wenn ein Erfolg des Rechtsmittels in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg (vgl. u.a. Beschlüsse vom 23. September 1996 - 2 B 53/96 -, Mitt. StGB Bbg 11-12/1997, S. 22 (23) und vom 10. Juni 1998 - 2 B 26/98 -, Mitt. StGB Bbg 7/1999, 285 [286 f.] sowie vom 30. September 2003 - 2 B 165/03 -, Entscheidungsumdruck S. 3). Dabei wird im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, bei dem wirksamer Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) vor allem Rechtschutz innerhalb angemessener Zeit bedeutet (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 5. Februar 2003 - 2 BvR 153/03 -, NVwZ 2003, 859 [860]) der Umfang der gerichtlichen Überprüfung durch die Gegebenheiten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes beschränkt. Geht es bei der Bewertung der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides um die Klärung schwierige Tatsachen- oder Rechtsfragen, die im Hinblick auf den nur summarischen Charakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht abschließend zu klären sind, scheiden ernstliche Zweifel im Sinne des Gesetzes aus und verbleibt es bei der sofortigen Vollziehbarkeit des Abgabenbescheides i. S. v. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO (Beschluss des Senats vom 15. September 2003 - 2 B 130/02 -, Entscheidungsumdruck S. 8). Die in Anwendung dieser Maßstabe erfolgte Würdigung des Sachverhaltes und seine rechtliche Bewertung durch das Verwaltungsgericht dahingehend, dass sich im Verfahren schwierige Rechts- und Tatsachenfragen stellen, die sich einer Bewertung nach dem Offensichtlichkeitsmaßstab entziehen und deshalb der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssten, ist nicht zu beanstanden.

Die Frage, ob für die Baumaßnahmen am kombinierten Geh- und Radweg in der ...straße in Strausberg Erschließungsbeiträge (§§ 127 ff. BauüB) erhoben werden können oder ob dies nach der Regelung des § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB ausgeschlossen ist, ist tatsächlich und rechtlich schwierig. Nach der für die neuen Bundesländer geltenden Sonderegelung der § 242 Abs. 9 Satz 1 und 2 BauGB kann für Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts bereits hergestellt worden sind, nach dem Baugesetzbuch ein Erschließungsbeitrag nicht erhoben werden. Bereits hergestellte Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen sind die einem technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertiggestellten Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen. War eine Erschließungsanlage im Beitrittsgebiet vor dem 3. Oktober 1990 bereits hergestellt worden, kann ein Erschließungsbeitrag auch dann nicht erhoben werden, wenn dieser Anlage nach dem 3. Oktober 1990 weitere Teile hinzugefügt werden (BVerwG, Urteil vom 18. November 2002 - 9 C 2/02 -, LKV 2003, 227, vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 3. Juni 1996 - 6 M 20/95 -, LKV 1997, 225). Seinen dem zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts noch entgegenstehenden Standpunkt (vgl. OVG Brandenburg, Urteil vom 23. März 2000 - 2 A 226/98 -, Mitt. StGB Bbg 5-6/2000, S. 213) gibt der Senat auf. Ob die hier nach dem 3. Oktober 1990 erfolgte Herstellung des kombinierten Geh- und Radweges in der ...straße in Strausberg nach den Regeln des Erschließungsbeitragsrechts (§§ 127 ff. BauGB) oder den Regelungen des Ausbaubeitragsrecht (vgl. § 8 KAG) abzurechnen ist, hängt also davon ab, ob die Erschließungsanlage ...straße insgesamt oder der Geh- und Radweg als einzelner Teil der Erschließungsanlage vor dem 3. Oktober 1990 bereits im Sinne des § 242 Abs. 9 Satz 1 und 2 BauGB hergestellt war. Da der Sachverhalt zum Ausbauzustand zwischen den Beteiligten umstritten ist, setzt dies zunächst die tatsächliche Aufklärung voraus, die weder aufgrund der vom Antragsgegner vorgelegten Fotodokumentation zum Ausbauzustand vor der Durchführung der Maßnahme noch aufgrund der von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vorgelegten Fotos zum Ausbauzustand der ...straße nach der Baumaßnahme (und zum aktuellen Ausbauzustand anderer Straßen der Stadt) sowie den sonstigen Angaben der Beteiligten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abschließend erfolgen kann. Das Verwaltungsgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass die schwierigen und umfangreichen Ermittlungen und Feststellungen, insbesondere ob vor dem 3. Oktober 1990 ein technisches Ausbauprogramm vorlag und ob die Erschließungsanlage oder Teile der Erschließungsanlage den örtlichen Ausbaugeflogenheiten entsprachen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssen, wobei hier nicht näher auf das Verhältnis dieser in § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB geregelten Alternativen zueinander einzugehen ist. Die "Verweisung" der Antragstellerin auf das Hauptsacheverfahren ist dieser auch zumutbar. Die wirtschaftlichen Nachteile, die infolge der (möglicherweise) vorläufigen Abgabenbelastung eintreten, können nämlich im Fall des Obsiegens in der Hauptsache durch die Rückzahlung der Abgabe und ihre Verzinsung nach der Maßgabe von § 12 Nr. 5 b KAG i. V. m. § 236 Abs. 1 - 3 AO weitestgehend ausgeglichen werden.

Auch soweit die Antragstellerin rügt, das Verwaltungsgericht habe die von dem Antragsgegner vorgelegte Fotodokumentation - auf die das Gericht seine Entscheidung gestützt hat - ihr nicht im Laufe des Verfahrens mit der Aufforderung zur Stellungnahme "zur Kenntnis gereicht", rechtfertigt dies keine Aufhebung oder Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Auf eine hier sinngemäß gerügte Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) kann sich die Antragstellerin nicht berufen, weil sie es unterlassen hat, die prozessualen Möglichkeiten zu erschöpfen, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Ausweislich der Gerichtsakte (Bl. 33 f.) hat das Gericht den Schriftsatz des Antragsgegners vom 22. März 2002 der Antragstellerin zur Kenntnis übersandt. Damit hatte Sie auch Kenntnis von der Existenz der mit diesem Schriftsatz vom Antragsgegner eingereichten Fotodokumentation, da diese Dokumentation dort ausdrücklich als Anlage 1 angesprochen ist. Die Antragstellerin hat hier die prozessuale Möglichkeit, Akteneinsicht nach § 100 Abs. 1 VwGO zu nehmen, nicht erschöpft. Durch eine solche Akteneinsicht hätte sie von der Fotodokumentation Kenntnis nehmen können und wäre so in der Lage gewesen, zu deren Würdigung Stellung zu nehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 13 Abs. 1 und 2, 14 Abs. 1 Satz 1 und 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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