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Gericht: Oberverwaltungsgericht Brandenburg
Beschluss verkündet am 20.01.2004
Aktenzeichen: 3 B 158/03
Rechtsgebiete: VwGO, BbgBO, OBG, BGB, SachenRBerG


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO § 80 Abs. 3 Satz 1
BbgBO § 3 Abs. 1 Nr. 1 a.F.
BbgBO § 64 Abs. 2
BbgBO § 64 Abs. 2 Satz 1 a.F.
BbgBO § 64 Abs. 2 Satz 2 a.F.
OBG § 16 Abs. 1
OBG § 17 Abs. 1 Satz 1
BGB § 93
BGB § 94
SachenRBerG § 15 Abs. 1
SachenRBerG § 15 Abs. 4
SachenRBerG § 81
SachenRBerG § 82 Abs. 1
SachenRBerG § 82 Abs. 3 Satz 1
SachenRBerG § 82 Abs. 3 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT FÜR DAS LAND BRANDENBURG BESCHLUSS

3 B 158/03

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

wegen baurechtlicher Ordnungsverfügung;

hier: vorläufiger Rechtsschutz

hat der 3. Senat am 20. Januar 2004 durch

den Vizepräsidenten des ..., den Richter am ... und den Richter am ...

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 23. Mai 2003 geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 20. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Antragsgegners vom 2. Juli 2002 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsgegner.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 1.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts kann aus einem von der Antragstellerin dargelegten - und damit der Prüfung durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO unterliegenden - Grund keinen Bestand haben. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 20. März 2002, mit der ihr aufgegeben worden ist, "alle Welldachplatten, die sich auf dem Dach des ehemaligen baufälligen Wohnhauses auf dem Grundstück in ..., Flur 6, Flurstück 25/1 befinden, (...) bis zum 16.04.2002 vom Dach zu entfernen", in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Antragsgegners vom 2. Juli 2002 ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederherzustellen, weil sich die Bescheide nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur gebotenen summarischen Prüfung offensichtlich als rechtswidrig erweisen und das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin deshalb das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt.

Zwar hat das Verwaltungsgericht die Anordnung der sofortigen Vollziehung entgegen der Auffassung der Antragstellerin zu Recht für ausreichend begründet gehalten. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung im Sinne des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist nur mit einer schlüssigen, konkreten und substanziierten Darlegung der wesentlichen Erwägungen genügt, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat. Die vorliegende Begründung wird diesen Anforderungen gerecht. Der Antragsgegner hat darin ausgeführt, dass im öffentlichen Interesse nicht weiter hingenommen werden könne, dass auf Grund des einsturzgefährdeten Zustandes der baulichen Anlagen auf dem Grundstück Leben und Gesundheit von Personen weiter gefährdet würden; gegenüber diesem öffentlichen Interesse müsse das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung eines möglichen Widerspruchs zurückstehen. Dass demnach für die Vollziehungsanordnung dieselben Gründe maßgeblich sein sollen wie für den Verwaltungsakt, führt nicht zu einer Verletzung der Begründungspflicht. Gerade wenn es - wie hier - um die Abwehr erheblicher Gefahren für Leben und Gesundheit geht, können die Gründe für den Erlass des Verwaltungsakts auch für die Anordnung der sofortigen Vollziehung ausschlaggebend sein. Ob die Erwägungen der Behörde auch inhaltlich zutreffen, die angenommenen Gefahren hier also tatsächlich bestehen, ist eine Frage der Erforderlichkeit der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts.

Zu Unrecht rügt die Antragstellerin weiter, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Handlungsbefugnis nach § 64 Abs. 2 BbgBO in der hier noch anwendbaren Fassung der Bekanntmachung vom 25.März 1998 (GVBl. I S. 82), geändert durch Gesetz vom 10. Juli 2002 (GVBl. I S. 62, 74), - im Folgenden: "a.F." - nicht erfüllt seien. Die Bauaufsichtsbehörden haben nach § 64 Abs. 2 Satz 1 BbgBO a.F. bei der Errichtung, der Änderung, dem Abbruch, der Instandhaltung und der Nutzung baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden. In Wahrnehmung dieser Aufgaben haben sie nach § 64 Abs. 2 Satz 2 BbgBO a.F. die erforderlichen Maßnahmen zu treffen und die am Bau Beteiligten zu beraten. Um den gesetzlichen Zielen gerecht zu werden, sind die Begriffe "bei der Errichtung" usw. weit auszulegen (vgl. - zu der weitgehend identischen Vorschrift des Art. 60 Abs. 2 Satz 2 der Bayerischen Bauordnung - : Franz, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand August 2003, Rn. 52 zu Art. 60); nach allgemeiner Ansicht handelt es sich um eine bauaufsichtsrechtliche Generalermächtigung (vgl. auch Reimus, in: Jäde/Dirnberger/Reimus, Bauordnungsrecht Brandenburg, Stand September 2003, Rn. 13 zu § 64 BbgBO), die insbesondere auch zum Erlass von Anordnungen zur Abwehr von Gefahren ermächtigt, die - wie hier - auf Grund unterlassener Instandhaltung entstanden sind.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin dürfte auch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BbgBO a.F. bestehen. Aus den im Verwaltungsvorgang enthaltenen, zwischen April 1996 und Mai 2002 entstandenen Fotografien ist der mit dem zunehmenden Verfall des Gebäudes fortschreitende Abgang eines großen Teils der Welldachplatten deutlich erkennbar. Dies rechtfertigt die Prognose, dass auch die übrigen Welldachplatten nicht in einer ihr Ablösen - ungeachtet des fehlenden Schutzes gegen Witterungseinflüsse - dauerhaft ausschließenden Weise fest verankert sind. Schließlich ist die Annahme, dass einzelne abgelöste Dachteile jedenfalls bei erheblicher Windeinwirkung auch auf umliegende Grundstücke getragen werden und dort Personen verletzen könnten, keine "ungesicherte Spekulation", sondern mit Blick darauf, dass das Gebäude ausweislich der vorliegenden Fotografien nur wenige Meter von der Grundstücksgrenze entfernt steht und die großflächigen Welldachpappen der Luftströmung besonders geeignete Angriffsflächen bieten, auch "unter Beachtung der Regeln der Gravitation" ohne weiteres naheliegend. Auch Flugzeuge erheben sich unter Beachtung dieser Regeln in die Luft. Dass sich in den Verwaltungsvorgängen keine Feststellung darüber befindet, dass bereits ein Dachbestandteil auf ein benachbartes Grundstück oder auf die öffentliche Straße getragen worden ist, ist dabei ohne Bedeutung; denn es versteht sich von selbst, dass die Behörde vor dem Erlass von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nicht abwarten muss, bis die Gefahr sich realisiert.

Die Beschwerde ist jedoch gleichwohl begründet, weil das Verwaltungsgericht es zu Unrecht gebilligt hat, dass die Antragstellerin als Zustandsstörerin in Anspruch genommen worden ist. Geht von einer Sache eine Gefahr aus, sind die Maßnahmen nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Ordnungsbehördengesetz (OBG) gegen den Eigentümer zu richten. Die Antragstellerin ist zwar Eigentümerin des Grundstücks, nicht jedoch des darauf errichteten Gebäudes, von dem hier allein die Gefahr ausgeht. Die Zustandsverantwortlichkeit des Grundstückseigentümers erstreckt sich nur dann auf ein auf dem Grundstück stehendes Gebäude, wenn dieses wesentlicher Bestandteil des Grundstücks im Sinne der §§ 93, 94 des Bürgerlichen Gesetzbuches geworden ist. Dies ist bei Gebäuden, an denen auf Grund der Rechtslage in der ehemaligen DDR vom Eigentum am Grundstück getrenntes Gebäudeeigentum begründet worden ist, gerade nicht der Fall. Aus § 82 Abs. 1 des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes (SachenRBerG) folgt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nichts anderes; vielmehr wird durch diese Bestimmung, die Ansprüche des Grundstückseigentümers für den von der Grundregel des § 15 Abs. 1 SachenRBerG abweichenden Fall eines Erwerbs des Gebäudes durch den Grundstückseigentümer nach § 15 Abs. 4 i.V.m. § 81 SachenRBerG regelt, gerade die gegenteilige Auffassung bestätigt. Kann nämlich der Grundstückseigentümer den in § 82 Abs. 1 SachenRBerG bestimmten Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen für die Beseitigung der vorhandenen Bausubstanz oder den Erwerb der Fläche, auf der das Gebäude errichtet wurde, nach § 82 Abs. 3 Satz 1 SachenRBerG erst geltend machen, nachdem er dem Nutzer Gelegenheit gegeben hat, das Gebäude zu beseitigen, wird hieraus gerade deutlich, dass der Grundstückseigentümer vor Ablauf der dem Nutzer nach § 82 Abs. 3 Satz 2 SachenRBerG zu setzenden angemessenen Frist keine rechtliche Möglichkeit hat, auf das in fremdem Eigentum stehende Gebäude einzuwirken. Unter diesen Voraussetzungen fehlt es an dem die Zustandsverantwortlichkeit als Regelung von Inhalt und Schranken des Eigentums i.S. von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG überhaupt erst legitimierenden Grund. Dieser Grund ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerade in der durch die Sachherrschaft vermittelten Einwirkungsmöglichkeit auf die gefahrenverursachende Sache sowie darin zu sehen, dass der Eigentümer aus der Sache Nutzen ziehen kann. Nur dies rechtfertigt es, ihn zur Beseitigung von Gefahren, die von der Sache für die Allgemeinheit ausgehen, zu verpflichten. Die Möglichkeit zur wirtschaftlichen Nutzung und Verwertung des Sacheigentums korrespondiert mit der öffentlich-rechtlichen Pflicht, die sich aus der Sache ergebenden Lasten und die mit der Nutzungsmöglichkeit verbundenen Risiken zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2000 - 1 BvR 242/91, 315/99 - BVerfGE 102, 1, 17 f.). Fehlt dem Grundstückseigentümer - wie hier - die mit dem zivilrechtlichen Eigentum an dem Gebäude verbundene tatsächliche Sachherrschaft (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1 OBG) und fließen ihm nach der Rechtslage auch nicht die Vorteile der privaten Nutzung des Gebäudes zu, kann er auch nicht nach den Vorschriften über die Zustandsverantwortlichkeit zur Beseitigung von dem Gebäude ausgehender Gefahren verpflichtet werden.

Klarstellend ist darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin entgegen der in der angefochtenen Ordnungsverfügung geäußerten Annahme des Antragsgegners auch nicht als Verursacher der Gefahr "durch Unterlassen bei gebotener Handlungspflicht" gemäß § 16 Abs. 1 OBG herangezogen werden kann. Für die Annahme einer Pflicht der Grundstückseigentümerin, auf den Gebäudeeigentümer einzuwirken und diesen zur Beseitigung der von dem schadhaften Dach ausgehenden Gefahr anzuhalten, ist keine Grundlage erkennbar ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 14 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 3 i. V. m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der Senat folgt insoweit der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung auch für das Beschwerdeverfahren.

Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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