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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Brandenburg
Beschluss verkündet am 11.11.2003
Aktenzeichen: 4 A 314/02.Z
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, BVFG, VertrZuwG, LAG, AsylVfG


Vorschriften:

VwGO § 6
VwGO § 6 Abs. 1
VwGO § 56 Abs. 2
VwGO § 124 a Abs. 1 Satz 1
VwGO § 124 a Abs. 1 Satz 4
VwGO § 124 a Abs. 4 Satz 1
VwGO § 124 a Abs. 4 Satz 4
VwGO § 173
ZPO § 172 Abs. 1
ZPO § 189
ZPO § 512
BVFG § 1 Abs. 1
VertrZuwG § 2 Abs. 1
LAG § 230
AsylVfG § 76 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT FÜR DAS LAND BRANDENBURG BESCHLUSS

4 A 314/02.Z

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

wegen Flüchtlings- und Vertriebenenrechts;

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 4. Senat

am 11. November 2003

durch

den Vorsitzenden Richter am ..., den Richter am ... und den Richter am ...

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 02. Juli 2002 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere ist er rechtzeitig innerhalb der Fristen des § 124 a Abs. 4 Satz 1 und Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - gestellt und begründet worden. Der Fristlauf begann erst mit der Zustellung des Urteils des Verwaltungsgerichts an den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 7. August 2002. Die vorherige Zustellung an den Kläger persönlich war wegen Verstoßes gegen die zwingende Zustellungsvorschrift des § 56 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 172 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO - unwirksam. Insoweit konnte auch keine Heilung des Zustellungsmangels nach § 189 ZPO erfolgen, weil der Kläger infolge der Bestellung eines Prozessbevollmächtigten kein tauglicher Adressat der Zustellung war (§ 67 Abs. 3 Satz 3 VwGO; vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 67 Rdnr. 61 m. w. N.).

Der Antrag ist jedoch unbegründet. Der - sinngemäß - geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) rechtfertigt die Zulassung nicht. Bei der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung ist das Oberverwaltungsgericht grundsätzlich auf die mit dem Zulassungsantrag geltend gemachten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte beschränkt. Dies entspricht dem fristgebundenen Darlegungserfordernis des § 124 a Abs. 1 Satz 1 und 4 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen danach nicht. Der Kläger hat keine durchgreifenden Gründe dargelegt, die dafür sprechen, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis keinen Bestand haben könnte (vgl. zum Erfordernis der Ergebnisrichtigkeit: Beschluss des erkennenden Senats vom 1. Dezember 1999 - 4 B 127/99 -, ZFSH/SGB 2000, 164 m. w. N.).

Der Kläger greift in seinem Zulassungsantrag ohne Erfolg die Feststellung des Verwaltungsgerichts an, dass er nach der Vertreibung aus der Tschechoslowakei (Sudetenland) seinen ständigen Wohnsitz von Oktober 1946 bis April 1954 in ... (...) und damit außerhalb des Beitrittsgebiets gehabt hat. Dabei lässt der Kläger völlig außer Acht, dass in ... nicht nur seine gesamte Familie lebte, sondern er dort auch eine eigene Existenzgrundlage fand, indem er zunächst als Bauarbeiter und später als Postbediensteter arbeitete. Es fehlen damit jegliche Anhaltspunkte, dass der Aufenthalt in ... noch Teil von Vertreibung und Flucht war (vgl. hierzu Heller u.a., EALG, 1995, § 2 VertrZuwG, Rdnr. 6). Dass die Wohnsitznahme in ..., wie der Kläger hervorhebt, ursprünglich auf einer behördlichen Zuweisung basierte, ändert nichts an dem Umstand, dass er mit seinem dortigen Verbleiben über siebeneinhalb Jahre den Aufenthalt nachträglich zu einem auf eigenem Willensentschluss beruhenden machte. Die Möglichkeit des Wegzuges nach ... im April 1954 illustriert deutlich, dass die ursprünliche Wohnortzuweisung keinerlei Verbindlichkeit mehr hatte.

Auf dieser Tatsachengrundlage ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger zwar die Vertriebeneneigenschaft i. S. d. § 1 Abs. 1 Bundesvertriebenengesetz - BVFG - besitzt, gleichwohl aber kein Anspruch auf die Zuwendung nach § 2 Abs. 1 Vertriebenenzuwendungsgesetz - VertrZuwG - besteht. Die Regelung des VertrZuwG ist vom Verwaltungsgericht zu Recht so verstanden worden, dass nur derjenige von ihr erfasst wird, der im zeitlichen Anschluss an die Vertreibung seinen ständigen Wohnsitz im Beitrittgebiet genommen hat und diesen bis zum 3. Oktober 1990 beibehalten hat. Jedenfalls diejenigen, die zwischen ihrer Vertreibung und der späteren Wohnsitznahme im Beitrittsgebiet einen ständigen Wohnsitz im alten Bundesgebiet begründet haben und dort auch eine neue Existenzgrundlage finden konnten, sollen von der Leistung der Vertriebenenzuwendung ausgeschlossen bleiben. Dies folgt aus Sinn und Zweck des VertrZuwG. Dieses Gesetz will denjenigen Deutschen, die bis zum 3. Oktober 1990 von der Möglichkeit der Inanspruchnahme von bundesdeutschen Leistungsgesetzen für Vertreibungsschäden ausgeschlossen waren, eine Zuwendung gewähren, die auch der pauschalen Schadensabgeltung dient (vgl. BT-Drs 12/7782, S. 6). Demnach ist derjenige, der durch einen - zeitweisen - Wohnsitz im alten Bundesgebiet Leistungen - insbesondere nach dem Lastenausgleichsgesetz (LAG) -erhalten konnte, aus dem Kreis der Begünstigten des VertrZuwG ausgeschlossen. Zu diesem Personenkreis hat das Verwaltungsgericht zutreffend den Kläger gerechnet. Durch die Beantragung eines Vertriebenenausweises im Januar 1954 hat der Kläger auch den ersten Schritt zur Inanspruchnahme solcher Leistungen getan.

Ohne Erfolg wendet der Kläger dagegen ein, dass er tatsächlich keine Leistungen nach dem LAG erhalten habe und außerdem zu Lebzeiten seiner Eltern hiervon auch ausgeschlossen gewesen sei. Auf die tatsächliche Inanspruchnahme von Leistungen nach LAG oder auch nur die konkrete Möglichkeit einer solchen Inanspruchnahme kommt es nach der Konzeption des VertrZuwG nicht an. Vornehmlich aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung knüpft das Gesetz allein an den ständigen Wohnsitz im Beitrittsgebiet an, um damit nur diejenigen als Anspruchsberechtigte zu erfassen, die mit Sicherheit keine Leistungen nach dem LAG und anderen Kriegsfolgengesetzen erhalten haben. Hierbei handelt es sich um eine zulässige Typisierung des Gesetzgebers. Angesichts dieser klar bestimmbaren Intention des Gesetzgebers ist für die vom Kläger geforderte "weite Auslegung" des Kreises der Berechtigten des VertrZuwG kein Raum. Eine entsprechende Anwendung des § 230 LAG, für die jeder Anknüpfungspunkt fehlt, wird vom Kläger selbst verworfen.

Ebenso wenig kann der Kläger im Hinblick auf die unterschiedliche Höhe der Leistungsansprüche nach LAG und VertrZuwG mit Erfolg eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG - rügen. Insofern fehlt es schon an einer Vergleichbarkeit der jeweils begünstigten Personengruppen. Zielgruppe des LAG und der anderen Kriegsfolgengesetze waren - wie auch der Kläger einräumt - die Vertriebenen der unmittelbaren Nachkriegszeit, die als sozial und wirtschaftlich Entwurzelte in die bundesdeutsche Gesellschaft integriert werden mussten. Hierzu sollten die Leistungen des LAG eine wirtschaftliche Hilfestellung bieten und gleichzeitig einen gewissen Ausgleich von Vertreibungsschäden gewähren (vgl. BT-Drs 12/7782, S. 6). Zielgruppe des VertrZuwG sind dagegen Vertriebene, die fünf Jahrzehnte nach der Vertreibung seit langem gesellschaftlich integriert sind und denen lediglich wegen ihres bisherigen Ausschlusses von Ausgleichsleistungen eine pauschale Zuwendung gewährt werden soll. Sowohl die Leistungen nach dem VertrZuwG als auch diejenigen nach dem LAG sind aus dem Sozialstaatsgebot folgende Zuwendungen, die infolgedessen situations- und zeitabhängig sehr unterschiedlich bemessen werden konnten. Auch die Leistungen nach dem LAG boten im Übrigen keine volle Kompensation für Vertreibungsschäden, die Höhe dieser sozial motivierten Zuwendungen wurden lediglich teilweise an den eingetretenen Verlusten orientiert (vgl. Hesse, in: Das Deutsche Bundesrecht [Loseblattsammlung], Erläuterungen zum LAG, Einf. Anm. 6).

Offen bleiben kann hier die auch vom Verwaltungsgericht nicht entschiedene Frage, ob der Kläger seinen Antrag auf Gewährung der einmaligen Zuwendung rechtzeitig bis zum 30. September 1995 (§ 4 Abs. 1 Satz 2 VertrZuwG) gestellt hat. Den berechtigten Zweifeln, die das Verwaltungsgericht an der Einhaltung diese Stichtages durch den Kläger geäußert hat, ist dieser in seinem Zulassungsantrag nicht entgegengetreten.

Soweit der Kläger schließlich die Fehlerhaftigkeit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter rügt, greift auch dieser Einwand nicht durch. Der Kläger erhebt insofern sinngemäß eine Besetzungsrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Die hierzu vorgebrachte Begründung, die Übertragung auf den Einzelrichter sei fehlerhaft, dürfte jedoch im Verfahren auf Zulassung der Berufung - jedenfalls grundsätzlich - ausgeschlossen sein gemäß § 173 VwGO, § 512 ZPO (vgl. OVG Berlin, B. v. 13. April 2000 - 1 N 25.97 -; Hess. VGH, B. v. 25. Feb. 1999 - 9 UZ 4167/98.A -, jew. m. w. Nachw.). Im Übrigen stützt der in der Gerichtsakte befindliche Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 30. Mai 2002 die Übertragung zutreffend auf § 6 Abs. 1 VwGO. Lediglich in der Mitteilung des Beschlusses an die Beteiligten vom gleichen Tage ist als Rechtsgrundlage unrichtig der § 76 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz angegeben worden. Dabei handelt es sich somit um eine bloße Falschbezeichnung, die durch die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils richtiggestellt worden ist. Dort wird eingangs zutreffend mitgeteilt, dass die Einzelrichterübertragung auf der Grundlage von § 6 VwGO erfolgte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 188 Satz 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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