Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Brandenburg
Beschluss verkündet am 02.07.2004
Aktenzeichen: 4 B 66/04
Rechtsgebiete: VwGO, VwVGBbg, BVFG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 1 Satz 2
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt.
VwGO § 146 Abs. 4
VwVGBbg § 39 Satz 1
VwVGBbg § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2
VwVGBbg § 48 Abs. 3 Satz 2
BVFG § 4
BVFG § 4 Abs. 1
BVFG § 4 Abs. 3
BVFG § 6 Abs. 2 Satz 1
BVFG § 6 Abs. 2 Satz 5
BVFG § 15
BVFG § 15 Abs. 1
BVFG § 15 Abs. 1 Satz 2
BVFG § 15 Abs. 2
BVFG § 15 Abs. 2 Satz 2
BVFG §§ 26 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT FÜR DAS LAND BRANDENBURG BESCHLUSS

4 B 66/04

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

wegen Ausländerrechts;

hier: Beschwerde

hat der 4. Senat am 2. Juli 2004 durch

den Vorsitzenden Richter am ..., den Richter am ... und den Richter am ...

beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 5. Februar 2004 wird geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 23. September 2003 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 26. August 2003 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung für beide Rechtszüge jeweils auf 8.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Das Aktivrubrum war dahin gehend zu berichtigen, dass auch die beiden Töchter der Antragsteller zu 1. und zu 2. als weitere Antragsteller aufzuführen sind. Die streitgegenständliche Ausreiseaufforderung und die Androhung der Abschiebung vom 26. August 2003 sind ausdrücklich an die Antragsteller zu 1. und zu 2. auch als gesetzliche Vertreter ihrer Kinder gerichtet, so dass diese Kinder gleichfalls Adressaten der Verfügung sind. Entsprechend begehren die Antragsteller zu 1. und 2. eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs auch für ihre beiden Töchter.

Die gem. § 146 Abs. 4 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zulässige Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Maßstab der Entscheidung im vorliegenden Eilverfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO ist eine umfassende Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das private Aufschubinteresse der Antragsteller einerseits und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Verfügung vom 26. August 2003 andererseits. Dabei kann - wie schon das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - offen bleiben, ob die vom Antragsgegner in der angegriffenen Verfügung erlassene Ausreiseaufforderung als eigenständiger, die Ausreisepflicht feststellender Verwaltungsakt zu verstehen ist (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 4. Juni 1998 - 4 B 140/97 -, NVwZ-RR 1999, 146). Denn soweit die Ausreiseaufforderung als Verwaltungsakt anzusehen sein sollte, hätte der Antragsgegner, wollte er daraus die von ihm angestrebte Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht der Antragsteller herleiten, gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO deren sofortige Vollziehung anordnen müssen, was jedoch nicht geschehen ist. Der Widerspruch der Antragsteller hätte somit die aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO) ausgelöst und stünde damit der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht und damit der angedrohten Abschiebung entgegen.

Stellt man demgegenüber allein auf die Androhung der Abschiebung - zur Durchsetzung einer kraft Gesetzes bestehenden Ausreisepflicht - ab, so ist die aufschiebende Wirkung des (bisher nicht beschiedenen) Widerspruchs der Antragsteller gem. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 39 Satz 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz Brandenburg - VwVGBbg - ausgeschlossen.

Das Gericht hat in einem solchen Fall der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes kraft Gesetzes vorrangig zu prüfen, ob der vom Gesetzgeber damit vorgegebene Vorrang des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit vor dem privaten Aufschubinteresse wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zurücktreten muss (vgl. grundsätzlich zur Bedeutung des Regel-Ausnahmeprinzips in § 80 Abs. 1 VwGO: BVerfG, Beschluss vom 21. März 1985 - 2 BvR 1642/83 -, NVwZ 1985, 409 sowie Beschluss vom 12. September 1995 - 2 BvR 1179/95 -, DVBl. 1995, 1297). Ist die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes aufgrund der Schwierigkeit der dabei aufgeworfenen Rechtsfragen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht zu klären, so kommt es für die Frage der Vorrangigkeit von öffentlichem Vollziehungsinteresse oder privatem Aufschubinteresse auf eine Folgenabwägung an.

Vorliegend bestehen bereits ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung, so dass schon von daher gewichtige Gründe gegen ein überwiegendes Vollzugsinteresse bestehen. Die Abschiebungsandrohung als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung setzt voraus, dass die gesetzliche Ausreisepflicht, die durch die Abschiebung durchgesetzt werden soll, überhaupt besteht (§ 42 Abs. 1 Ausländergesetz - AuslG -). Hieran fehlt es bei summarischer Prüfung, denn es bestehen erhebliche Zweifel, ob die Antragsteller - zumindest derzeit - als Ausländer anzusehen sind. Vielmehr dürften diese als Status-Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1, 2. Alt. Grundgesetz - GG - zu behandeln sein. Auch solche Status-Deutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit fallen unter den Deutschenbegriff des Ausländerrechts (§ 1 Abs. 2 AuslG). Eine daneben noch bestehende kasachische Staatsangehörigkeit der Antragsteller steht diesem Statuserwerb nicht entgegen. Die Antragsteller können sich wohl darauf berufen, durch ihre Einreise nach Deutschland im Wege des vertriebenenrechtlichen Aufnahmeverfahrens (§§ 26 ff. Bundesvertriebenengesetz - BVFG -) diese Eigenschaft als Status-Deutsche erworben zu haben. Die §§ 26 ff. BVFG stellen die einfachgesetzliche Ausgestaltung der "Aufnahme" i. S. v. Art. 116 Abs. 1, 2. Alt. GG dar. Aufgrund des Aufnahmebescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 8. Mai 1996 wurde dem Antragsteller zu 2. die Möglichkeit der Aufnahme im Bundesgebiet als Spätaussiedler nach § 4 Abs. 1 BVFG eröffnet, die Antragstellerin zu 1. wurde als nicht-deutsche Ehefrau in diesen Aufnahmebescheid einbezogen, ebenso die Antragstellerinnen zu 3. und zu 4. als Abkömmlinge der Antragsteller zu 1. und zu 2. Die Kategorie der "Spätaussiedler" i. S. v. § 4 BVFG stellt dabei eine neue Kategorie der "Vertriebenen" i. S. v. Art. 116 Abs. 1, 2. Alt. GG dar. Eine solche einfachgesetzliche Ausgestaltung von Art. 116 Abs. 1 GG ist verfassungsrechtlich bedenkenfrei, weil diese Norm generell unter dem Vorbehalt "anderweitiger gesetzlicher Regelung" steht (vgl. v. Mangoldt, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 1992, § 119 Rdnr. 53; Kokott, in: Sachs, Grundgesetz, 3. Aufl. 2003, Art. 116 Rdnr. 13).

Mit dem Eintreffen im Bundesgebiet am 21. September 1996 und der dortigen ständigen Aufenthaltsnahme hat der Antragsteller zu 2. die Eigenschaft als Status-Deutscher ipso iure erworben, sofern zu diesem Zeitpunkt aufgrund deutscher Volkszugehörigkeit eine Spätaussiedlereigenschaft (§ 4 Abs. 1 BVFG) bestand. Die Antragstellerinnen zu L, 3. und 4. hätten dann als Familienangehörige, die zusammen mit dem Antragsteller zu 2. zur ständigen Aufenthaltsnahme ins Bundesgebiet eingereist sind, diesen Deutschenstatus gleichfalls mit dem Eintreffen in Deutschland erworben (§ 4 Abs. 3 Satz 2 BVFG). Auch die erforderliche dreijährige Mindestbestandsdauer der Ehe der Antragsteller zu 1. und zu 2. läge vor, weil diese bereits seit 1985 miteinander verheiratet sind. Der Deutschen-Status entsteht nach dem unzweideutigen Wortlaut des Art. 116 Abs. 1, 2. Alt. GG und des § 4 Abs. 3 BVFG kraft Gesetzes bereits mit der Aufnahme im Bundesgebiet durch Einreise im Aufnahmeverfahren und ständige Aufenthaltsnahme im Inland (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2002 - 5 C 45/01 -, BVerwGE 116, 119 [121 f.]; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl. 2001, Art. 116 Rdnr. 72). Die spätere Ausstellung von Bescheinigungen nach § 15 BVFG stellt die Statusentstehung lediglich nachträglich fest, wie sich aus dem Wortlaut der Regelung ergibt, wonach die Bescheinigungen "zum Nachweis" der Voraussetzungen dienen. Die Bescheinigungen sind für die Entstehung des Deutschen-Status somit nicht konstitutiv (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2002 - 5 C 45/01 -, BVerwGE 116, 119 [121] sowie Urteil vom 19. Juni 2001 - 1 C 26/00 -, BVerwGE 114, 332 [336 f.]). Konstitutiv sind die Bescheinigungen allein für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit (§ 7 Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG -). Die Zweiteilung von Staatsangehörigkeit und Deutschen-Status nach Art. 116 Abs. 1 GG besteht demnach fort, weil trotz der Novellierungen des StAG Art. 116 Abs. 1, 2. Alt. GG fortgilt (vgl. Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl. 2001, § 7 StAG Rdnr. 24).

Mit der Einreise ins Bundesgebiet aufgrund des Aufnahmebescheides nach §§ 26 ff. BVFG ist - bei Vorliegen der Voraussetzungen - der Erwerb des Deutschenstatus zwar erfolgt, dieser Erwerb aber noch nicht abschließend festgestellt. Der Aufnahmebescheid hat keine den Rechtsstatus endgültig feststellende Funktion. Vielmehr regelt er die "Aufnahme" i. S. v. Art. 116 Abs. 1, 2. Alt. GG. Ob diese Aufnahme als deutscher Volkszugehöriger und Spätaussiedler bzw. dessen Familienangehöriger erfolgt ist und damit als Status-Deutscher, wird erst im Bescheinigungsverfahren nach § 15 BVFG abschließend geprüft. Im Aufnahmeverfahren können diese Feststellungen nur vorläufig erfolgen, weil dieses Verfahren vom Ausland (Aussiedlungsgebiet) her zu betreiben ist und die tatsächlichen Voraussetzungen der deutschen Volkszugehörigkeit deshalb nur summarisch geprüft werden können (BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2001 - 1 C 26/00 -, BVerwGE 114, 332 [337]). Gleichwohl erstrecken sich die Rechtswirkungen des Aufnahmebescheides nicht lediglich auf ein Zulassen der Aufnahme als Spätaussiedler und Status-Deutscher bzw. dessen Familienangehöriger. Der Bescheid begründet wohl gleichzeitig die - widerlegliche - Vermutung, dass die Bescheidadressaten bzw. die in den Bescheid einbezogenen Personen mit ihrem Eintreffen im Bundesgebiet die Status-Deutscheneigenschaft erworben haben. Denn mit dem Aufnahmebescheid soll allein solchen Personen die Aussiedlung nach Deutschland ermöglicht werden, die die Voraussetzungen für einen Statuserwerb als Deutsche erfüllen (vgl. Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 1998, § 33 Rdnr. 87 f.). Infolgedessen werden die in einen Aufnahmebescheid nach §§ 26 ff. BVFG aufgenommenen Personen nach ihrem Eintreffen im Bundesgebiet nicht als Ausländer, sondern als Status-Deutsche behandelt. Eine solche Behandlung haben die Antragsteller zutreffend durch den Antragsgegner und andere Behörden für einen Zeitraum von rund sechs Jahren erfahren. Nach der Einreise wurden den Antragstellern zu 1. und zu 2. entsprechend vom Amt Fehrbellin unter dem Ausstellungsdatum des 12. November 1996 deutsche Reisepässe ausgestellt, die jeweils sogar die Angabe "Staatsangehörigkeit: Deutsch" enthielten. Dem steht im Übrigen nicht der Umstand entgegen, dass die Antragsteller mit einem Sichtvermerk nach Deutschland eingereist sind.

Dieser Einreisesichtvermerk war erforderlich, weil die Eigenschaft als Status-Deutscher i. S. v. Art. 116 Abs. 1, 2. Alt. GG nicht schon durch die Erteilung des Aufnahmebescheides entsteht, sondern erst mit der "Aufnahme" in Deutschland (vgl. Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 1998, § 33 Rdnr. 91).

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist diese Vermutungswirkung des Aufnahmebescheides bisher nicht in rechtlich beachtlicher Weise entkräftet worden und sind die Antragsteller deshalb weiterhin als Status-Deutsche zu behandeln:

Der Aufnahmebescheid ist weiterhin wirksam und nicht nachträglich durch Rücknahme oder Widerruf aufgehoben worden. Soweit der Antragsgegner Anhaltspunkte dafür sieht, dass der Aufnahmebescheid durch unrichtige Angaben der Antragsteller erwirkt sein könnte, bestünde für ihn die Möglichkeit, beim zuständigen Bundesverwaltungsamt die Rücknahme des Bescheides nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes - VwVfG - anzuregen. Dies ist jedoch ersichtlich bisher nicht geschehen.

Ebenso wenig ist diese Vermutungswirkung etwa durch eine bestandskräftige Ablehnung der Erteilung von Bescheinigungen nach § 15 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BVFG beseitigt worden. Die Antragsteller zu 1. und zu 2. haben beide am 17. Oktober 1996 beim zuständigen brandenburgischen Landesamt für Soziales und Versorgung Anträge auf Erteilung von Bescheinigungen nach § 15 BVFG gestellt. Mit Bescheiden vom 26. August 1999 lehnte das Landesamt diese Anträge ab, die dagegen gerichteten Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheiden vom 4. November 2002 - zugestellt am 11. November 2002 - als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen haben die Antragsteller zu 1. und zu 2. am 14. November 2002 jeweils Klage beim Verwaltungsgericht Potsdam erhoben (Az.: 7 K 3918/02 und 7 K 3919/02). Über diese Klagen ist dort bisher nicht entschieden. Die Klagen haben aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO), was nach § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch bei - negativ - feststellenden Verwaltungsakten wie den vorliegenden gilt, mit denen den Antragstellern zu 1. und zu 2. die Erteilung von Bescheinigungen nach § 15 BVFG wegen des Fehlens der erforderlichen Voraussetzungen verweigert worden ist. Aus der aufschiebenden Wirkung folgt - unabhängig von der strittigen dogmatischen Begründung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 80 Rdnr. 22 ff. m. w. N.) - das Verbot, Konsequenzen tatsächlicher oder rechtlicher Art aus dem Inhalt eines Verwaltungsaktes zu ziehen (Verwirklichungs- und Ausnutzungsverbot, vgl. Beschluss des Senats vom 11. August 1999 - 4 B 56/99 -, NVwZ 2000, 577). Auch wenn ein feststellender Verwaltungsakt als solcher keiner Vollziehung fähig ist, so müssen doch vollziehbare Folgen aus dem Verwaltungsakt unterbleiben (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 1961 - VIII C 398.59 -, BVerwGE 13, 1 [7 f.]). Dies bedeutet, dass der Antragsgegner für die Dauer der aufschiebenden Wirkung aus dem Inhalt der Bescheide des Landesamtes keine für die Rechtsstellung der Antragsteller negativen Konsequenzen ziehen darf; diese dürfen deshalb nicht mittelbare Grundlage für die Behandlung der Antragsteller als Ausländer und in der Folge für aufenthaltsbeendende Maßnahmen sein.

Die vom Antragsgegner demgegenüber - unter Berufung auf eine Entscheidung des OVG Koblenz (Beschluss vom 10. Februar 1999 - 11 B 10148/99 -, zit. n. JURIS) - angeführte "Tatbestandswirkung" der Bescheide kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Zwar hebt der Antragsgegner insofern zutreffend hervor, dass die Bescheide wirksam erlassen sind, doch muss deren innere Wirksamkeit als gehemmt angesehen werden bzw. dürfen für die Antragsteller mittelbar negative Konsequenzen aus den Bescheiden nicht gezogen werden. Nicht zutreffend ist in diesem Zusammenhang der Hinweis des Antragsgegners auf eine Entscheidung des erkennenden Senats (Beschluss vom 15. August 2003 - 4 B 225/03 -, AuAS 2004, 28). Dieser Entscheidung ist zu entnehmen, dass dort der Bescheid über die Versagung einer Bescheinigung nach § 15 BVFG bereits bestandskräftig war. Gleiches gilt für die weiteren vom Antragsgegner angeführten Entscheidungen (OVG Hamburg, Beschluss vom 5. Mai 2000 - 4 Bs 75/00 -, zit. n. JURIS sowie VGH Mannheim, Beschluss vom 23. April 2002 - 11 S 1018/01 -, AuAS 2002, 208 [209]). Auch die übrige vom Antragsgegner angeführte Judikatur erscheint nicht als geeignet, die Rechtsansicht des Antragsgegners im vorliegenden Verfahren zu stützen. Die Rechtsprechung bezieht sich teilweise auf die alte Rechtslage vor der grundlegenden Novellierung des BVFG durch Art. 1 des "Gesetzes zur Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen" vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2094), so etwa der Beschluss des BVerfG vom 25. Februar 1992 (- 2 BvR 182/92 -, InfAuslR 1992, 131). Auch die angeführten "Vorläufigen Anwendungshinweise zum AuslG" (Ziff. 1.2.2) vom Frühjahr 1991 beziehen sich auf diese alte Rechtslage. Zum anderen betreffen die vom Antragsgegner zitierten gerichtlichen Entscheidungen andere Fallkonstellationen einer Einreise ohne Aufnahmebescheid, so dass für die beschriebene Vermutungswirkung kein Raum war (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 11. Juli 1994 - 9 B 288/94 -, NVwZ 1995, 393 sowie VGH Mannheim, Beschluss vom 20. Februar 1992 - 1 S 115/92 -, ZAR 1992, 85 [Es.]).

Erst wenn über die Frage der Erteilung oder Versagung einer Bescheinigung nach § 15 BVFG unanfechtbar entschieden ist, kann die Bindungswirkung dieser Entscheidung gem. § 15 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 BVFG geltend gemacht werden, die umfassend gegenüber Behörden und Gerichten gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2001 - 1 C 26/00 - BVerwGE 114, 332 [338]). Infolgedessen wäre in diesem Zeitpunkt jede Vermutungswirkung des Aufnahmebescheides beseitigt, so dass es - wie der erkennende Senat bereits in einer früheren Entscheidung (Beschluss vom 15. August 2003 - 4 B 225/03 -, AuAS 2004, 28 [30]) festgestellt hat - einer ausdrücklichen Rücknahme des Aufnahmebescheides dann nicht mehr bedarf, um eine Anwendung des Ausländerrechts zu eröffnen.

Offen bleiben kann schließlich, ob eine Vermutungswirkung des Aufnahmebescheides dann nicht eintritt, wenn die Voraussetzungen des Erwerbs der Status-Deutscheneigenschaft evident nicht vorliegen. Eine solche Evidenz ist hier nicht ersichtlich. Dem vom Landesamt für Soziales und Versorgung angenommenen Fehlen eines wirksamen Bekenntnisses des Antragstellers zu 2. zum deutschen Volkstum i. S. v. § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG stehen Einwände gegenüber, die nicht von vornherein unbeachtlich sind. Der Antragsteller zu 2. hat - ausweislich des Widerspruchsbescheides - eine Ablichtung des Antragsformulars (sog. Forma I) für die Ausstellung des ersten Inlandspasses im Jahre 1978 vorgelegt, wonach er dort als Nationalität "Deutsch" angegeben hat. Außerdem legte er eine behördliche Bescheinigung aus dem Jahre 1993 vor, nach der der Nationalitäteneintrag in einem abhanden gekommenen Inlandspass gleichfalls "Deutsch" gelautet habe. Schließlich benannte der Antragsteller zu 2. einen Zeugen für den schon früher bestehenden Nationalitäteneintrag "Deutsch" in seinem Inlandspass. Selbst wenn feststehen würde, dass der erste Nationalitäteneintrag im Inlandspass "Ukrainisch" lautete, wäre im Einzelnen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Bekennntisfiktion nach § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG vorliegen. Auch die Erfüllung dieser Voraussetzungen ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. Gleiches gilt für das Bestätigungsmerkmal "deutsche Sprache" (§ 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG).

Insofern hat auch das Landesamt festgestellt, dass der Antragsteller zu 2. in der Lage sei, "ein einfaches Gespräch auf Deutsch" zu führen (§ 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG) und lediglich Zweifel an der familiären Vermittlung der deutschen Sprachkenntnisse geäußert.

Hinsichtlich der Antragstellerinnen zu 1., 3. und 4. fehlt es damit gleichfalls an einer solchen Evidenz, denn deren Deutschen-Status leitet sich allein vom Status des Antragstellers zu 2. ab.

Neben diesen Erwägungen über die komplexe Frage der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ist auch aufgrund des Ergebnisses einer Folgenabwägung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen. Sollten die Antragsteller im gegenwärtigen Zeitpunkt nach Kasachstan zurückkehren müssen und sich später herausstellen, dass sie doch den Deutschen-Status erworben haben, so wären die Folgen deutlich gravierender als wenn die Antragsteller zunächst im Inland verblieben und später festgestellt würde, dass sie doch keinen Deutschen-Status innehaben. In der erstgenannten Variante würde die zwischen den Beteiligten unstreitige, sehr weitgehende Integration der Antragsteller in Deutschland durch die Rückkehr nach Kasachstan beseitigt. Denn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites über die Erteilung von Bescheinigungen nach § 15 BVFG können noch mehrere Jahre vergehen, während derer die Antragsteller sich wieder in Kasachstan einleben müssten. Insbesondere für die Antragstellerinnen zu 3. und zu 4. dürfte dies mit erheblichen Problemen verbunden sein. Die Antragstellerin zu 3. ist im Alter von zehn Jahren nach Deutschland gekommen und die Antragstellerin zu 4. im Alter von sieben Jahren. Beide haben damit als Kinder und Jugendliche knapp acht Jahre in Deutschland verbracht und hier eine maßgebliche Prägung erhalten. Neben den gravierenden Schwierigkeiten beim Einleben in Kasachstan würde auch die spätere Reintegration in Deutschland - nach einem unterstellt prositiven Ausgang des Rechtsstreites über die Bescheinigungen nach § 15 BVFG - mit zusätzlichen Problemen belastet sein. Es ist schon aufgrund der zu erwartenden Sprachprobleme offen, ob die Antragstellerinnen zu 3. und zu 4. in Kasachstan ihren gymnasialen Bildungsweg ähnlich wie in Deutschland werden fortsetzen können. Den Antragstellerinnen zu 3. und zu 4. droht vielmehr ein empfindlicher Abbruch ihrer Schullaufbahn. Ein späteres Anknüpfen an diesen Bildungsweg nach einigen Jahren Aufenthalt in Kasachstan dürfte, schon aufgrund des dann fortgeschrittenen Alters der Antragstellerinnen zu 3. und zu 4., problematisch sein. Da ein alleiniges Verbleiben der Antragstellerinnen zu 3. und zu 4. im Inland aufgrund von deren Minderjährigkeit nicht in Betracht kommt, müssen die in ihrer Person vorliegenden Hinderungsgründe auch zugunsten der Antragsteller zu 1. und zu 2. berücksichtigt werden.

Demgegenüber erscheinen die Folgen bei einem fortgesetzen Aufenthalt der Antragsteller in Deutschland und einer späteren Feststellung ihrer mangelnden Aufenhaltsberechtigung als deutlich weniger gravierend. Einer weiteren faktischen Verfestigung der Aufenthaltssituation kann aufgrund der schon gegenwärtig bestehenden langdauernden Integration der Antragsteller kein Gewicht beigemessen werden, zumal die Antragsteller unstreitig keine Leistungen der Sozialhilfe oder andere Fürsorgeleistungen in Anspruch nehmen, so dass öffentliche Kosten durch den weiteren Aufenthalt nicht entstehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1 und § 20 Abs. 3 Gerichtskostengesetz - GKG -. Nach Art. 1 § 71 Abs. 1 Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ist dabei noch die bisherige Fassung des GKG anzuwenden. Die Streitwertfestsetzung für das erstinstanzliche Verfahren war gem. § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG zu ändern, weil diese außer Betracht ließ, dass die streitgegenständliche Verfügung gegen alle vier Familienmitglieder gerichtet ist und nicht lediglich gegen die Antragsteller zu 1. und zu 2.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück