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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Brandenburg
Beschluss verkündet am 27.01.2005
Aktenzeichen: 5 B 211/04
Rechtsgebiete: VwGO, StVG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
StVG § 4
StVG § 4 Abs. 3
StVG § 4 Abs. 3 Satz 1
StVG § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
StVG § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
StVG § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2
StVG § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
StVG § 4 Abs. 5
StVG § 4 Abs. 5 Satz 1
StVG § 4 Abs. 5 Satz 2
StVG § 4 Abs. 7 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT FÜR DAS LAND BRANDENBURG BESCHLUSS

5 B 211/04

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

wegen Rechts der Fahrerlaubnis einschließlich Fahrerlaubnisprüfungen;

hier: Beschwerde

hat der 5. Senat am 27. Januar 2005 durch

den Vorsitzenden Richter am ..., den Richter am ... und den Richter am ...

beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 8. Juni 2004 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Die aufschiebende Wirkung der zwischenzeitlich erhobenen Klage des Antragstellers gegen die in dem Bescheid des Antragsgegners vom 3. Mai 2004 unter Ziff. 1. verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2004 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000.- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde, die trotz der zunächst fehlerhaften Bezeichnung als "Widerspruch" zulässig ist, hat auf der gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO maßgeblichen Grundlage dessen, was der Antragsteller zur Beschwerdebegründung in Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung dargelegt hat, Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 6. Mai 2004 gegen die mit Bescheid des Antragsgegners vom 3. Mai 2004 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis zu Unrecht abgelehnt. Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzustellende Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) gestützten Fahrerlaubnisentziehung bestehen und sein Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs bzw. nunmehr der zwischenzeitlich erhobenen, vom 12. Juni 2004 datierenden Klage - auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Antragsteller Berufskraftfahrer ist - das öffentliche Interesse an der gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG, § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit der Fahrerlaubnisentziehung überwiegt. Im Einzelnen:

Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Betroffene als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, falls sich nach dem in § 4 StVG normierten Punktsystem 18 oder mehr Punkte ergeben; die Fahrerlaubnisbehörde hat (hiernach) die Fahrerlaubnis zu entziehen. Das Verwaltungsgericht hat insoweit festgestellt, dass sich nach Maßgabe der vorgenannten Bestimmung für den Antragsteller 18 Punkte ergäben, die sich wie folgt errechneten: Der Antragsteller habe zunächst mit den am 15. Dezember 1997 (3 P.), 8. Juni 1998 (1 P.), 29. Juni 1999 (3 P.) und am 29. Juni 2000 (3 P.) begangenen Verkehrsverstößen insgesamt 10 Punkte erreicht, woraufhin er nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 (gemeint: Nr. 1) StVG schriftlich zu verwarnen gewesen sei, was mit Schreiben vom 7. März 2001 auch geschehen sei. Nachdem der Antragsteller bereits vor der Verwarnung, nämlich am 3. Juli 2000 (1 P.) und am 9. August 2000 (3 P.), zwei weitere Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen habe, habe der dadurch aufgelaufene Punktestand von 14 nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG in der bis zum 30. März 2001 gültig gewesenen Fassung (richtig: in der bis zum 26. März 2001 gültig gewesenen Fassung, vgl. Art. 9 Satz 2 des StVRÄndG vom 19. März 2001, BGBl. I S. 386) auf 9 Punkte reduziert werden müssen. Mit Blick auf die Verkehrsordnungswidrigkeiten vom 25. Juni 2001 (3 P.), 23. Juli 2001 (3 P.) und 11. Dezember 2001 (2 P.) sei der Punktestand des Antragstellers sodann auf 17 Punkte angewachsen. Die Fahrerlaubnisbehörde habe deshalb die Maßnahme auf der zweiten Stufe des § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG zu ergreifen gehabt. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG lautet wie folgt:

"Ergeben sich 14, aber nicht mehr als 17 Punkte, so hat die Fahrerlaubnisbehörde die Teilnahme an einem Aufbauseminar nach Absatz 8 anzuordnen und hierfür eine Frist zu setzen. Hat der Betroffene innerhalb der letzten fünf Jahre bereits an einem solchen Seminar teilgenommen, so ist er schriftlich zu verwarnen. Unabhängig davon hat die Fahrerlaubnisbehörde den Betroffenen schriftlich auf die Möglichkeit einer verkehrspsychologischen Beratung nach Absatz 9 hinzuweisen und ihn darüber zu unterrichten, dass ihm bei Erreichen von 18 Punkten die Fahrerlaubnis entzogen wird".

Eine Maßnahme im Sinne dieser Bestimmung, so das Verwaltungsgericht weiter, sei mit der behördlichen Anordnung zur Teilnahme des Antragstellers an einem Aufbauseminar vom 4. September 2002 als erfüllt anzusehen. Zwar habe diese nicht der wörtlichen Regelung dieser Vorschrift entsprochen. Der Antragsteller habe noch vor der vorerwähnten Anordnung bereits ein Aufbauseminar absolviert, nämlich vom 17. August bis zum 2. September 2002, wie die Teilnahmebescheinigung vom 2. September 2002 ausweise. Hiernach habe auf der zweiten Stufe nunmehr - anstatt eine Teilnahme an einem Aufbauseminar zu verlangen - abermals eine Verwarnung ausgesprochen werden müssen. Trotz dieser danach "dem Gesetzeswortlaut widersprechenden" Anordnung vom 4. September 2002 müsse "die 2. Stufe des § 4 Abs. 3 StVG hier im Ergebnis als erfüllt angesehen werden" bzw. sei "jedenfalls in Fallkonstellationen wie hier vorliegend (...) die mit einer (erneuten) Verwarnung beabsichtigte Funktion auch mit einer an sich unzulässigen Anordnung eines Aufbauseminars erfüllt".

Denn eine Anordnung wie diejenige des Antragsgegners vom 4. September 2002 enthalte "als Minus" die nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG vorgesehene Verwarnung; nachdem die Anordnung vom 4. September 2002 nicht eine wiederholte Teilnahme habe bewirken können und sollen, sei doch erkennbar geblieben, dass der Antragsgegner die zweite Stufe des § 4 Abs. 3 StVG habe auslösen wollen. Bei einer solchen Sachlage auf den Wortlaut Verwarnung zu bestehen oder sogar eine nachgeschobene ausdrückliche Verwarnung zu verlangen, liefe - so das Verwaltungsgericht - auf eine "bloße Förmelei ohne jede innere Rechtfertigung hinaus".

Dem folgt der Senat mit dem Beschwerdevorbringen nicht. Der Antragsteller wendet gegen die vorstehend wiedergegebene Begründung des Verwaltungsgerichts im Wesentlichen zu Recht ein, dass die von diesem vorgenommene Gleichsetzung der Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar mit einer Verwarnung mit Sinn und Zweck des "gestuften Warnsystems" des § 4 Abs. 3 StVG nicht vereinbar sei.

Mit der Zielrichtung des in § 4 StVG normierten Punktsystems, dem Fahrerlaubnisinhaber Angebote und Hilfestellungen zum Abbau von Defiziten zu geben, stellt sich der Maßnahmenkatalog als ein verhältnismäßiger Ausgleich dafür dar, dass nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG bei Erreichen von 18 Punkten und mehr generell die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vermutet wird (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. März 2003 - 19 B 337/03 -, NVwZ-RR 2003, 681; zur Fiktion der Ungeeignetheit auch Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl. 2003, § 4 StVG, Rdn. 14). Ein solcher Punktestand rechtfertigt die gesetzliche Ungeeignetheitsvermutung nur deshalb, weil es sich nach der Wertung des Gesetzgebers um einen uneinsichtigen Mehrfachtäter handelt, der sämtliche Angebote und Hilfestellungen zum Abbau von vorhandenen Defiziten und auch die Möglichkeiten, durch freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar und einer verkehrspsychologischen Beratung "Bonus-Gutschriften" zu erhalten (§ 4 Abs. 4 StVG), nicht oder nicht hinreichend genutzt hat (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, BR-Drucks. 821/96, S. 53; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. März 2003 - 19 B 337/03 -, a.a.O.). Diese Bewertung und die gesetzliche Ungeeignetheitsvermutung können freilich nur greifen, wenn die in § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG vorgesehenen Maßnahmen tatsächlich auch ins Werk gesetzt werden, so dass die damit verbundenen Warn- und Appellfunktionen überhaupt wirksam werden können; anderenfalls wäre, wie auch § 4 Abs. 5 StVG deutlich macht, eine Rechtfertigung für die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG geregelte Fiktion der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht gegeben (ebenso OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 2. Februar 2000 - 19 B 1886/99 -, NZV 2000, 219, und vom 21. März 2003, a.a.O.; Thüringer OVG, Beschluss vom 12. März 2003 - 2 EO 688/02 -, NJW 2003, 2770). Dementsprechend hat der bisher mit dem Fahrerlaubnisrecht befasst gewesene 4. Senat des beschließenden Gerichts bereits im Beschluss vom 16. Juli 2003 - 4 B 145/03 - (DAR 2004, 46 ff.) wie folgt ausgeführt:

"Die grundsätzlich zwingende Entziehung der Fahrerlaubnis bei dem Erreichen von 18 Punkten findet, wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nach dem Sinn und Zweck des abgestuften Maßnahmenkatalogs des § 4 StVG seine Rechtfertigung in der Erwägung, dass ein Betroffener, der trotz der vorgesehenen Hilfestellungen, Warnungen und Reduzierungsmöglichkeiten 18 und mehr Punkte erreicht, eine erhebliche Gefahr für die übrigen Verkehrsteilnehmer darstellt. Hierzu heißt es in der Gesetzesbegründung (Bundesrats-Drucksache 821/96, S. 53):

'Als letzte Eingriffsstufe ist - wie schon nach der geltenden Regelung - bei 18 Punkten die Entziehung der Fahrerlaubnis vorgesehen. Die neue Konzeption des Maßnahmenkatalogs, insbesondere die Möglichkeit des 'Punkterabatts' und die Erweiterung der Hilfestellungen durch Aufbauseminare und verkehrspsychologische Beratung (anstelle des bisherigen Abprüfens von Kenntnissen und Fahrfertigkeiten), hat zur Folge, daß bei 18 Punkten die Fahrerlaubnis zu entziehen ist. Die Entziehung der Fahrerlaubnis, weil der Betreffende trotz Hilfestellungen durch Aufbauseminare und verkehrspsychologische Beratung, trotz Bonus-Gutschriften und trotz der Möglichkeit von zwischenzeitlichen Tilgungen im Verkehrszentralregister, 18 oder mehr Punkte erreicht, beruht auf dem Gedanken, daß die weitere Teilnahme derartiger Kraftfahrer am Straßenverkehr für die übrigen Verkehrsteilnehmer eine Gefahr darstellen würde. Hierbei fällt besonders ins Gewicht, daß es sich dabei um Kraftfahrer handelt, die eine ganz erhebliche Anzahl von - im VZR erfaßten und noch nicht getilgten - Verstößen begangen haben. Der Betreffende gilt als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Diese gesetzliche Ungeeignetheitsvermutung kann grundsätzlich nicht widerlegt werden.'

Die hiernach mit den einer Entziehung der Fahrerlaubnis vorausgehenden Maßnahmen (hier: nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG) bezweckte Warnung und Appellfunktion, aber auch das Angebot der Möglichkeit einer Punktereduzierung kann nur dann greifen, wenn diese Maßnahmen den Betroffenen zu einem Zeitpunkt erreichen, zu dem er sein Verhalten noch ändern kann. Wenn er zu diesem Zeitpunkt bereits die zu einem Punktestand von 18 oder mehr Punkten führenden weiteren Verkehrsverstöße begangen hat, verfehlt die Maßnahme ihre bezweckte Wirkung. Die Regelung des § 4 Abs. 5 StVG zeigt deutlich, dass der Gesetzgeber die bei Erreichen von 18 Punkten zwingende Entziehung der Fahrerlaubnis davon abhängig gemacht hat, dass gegenüber dem Betroffenen zuvor die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG ergriffen wurden, und zwar nicht nur formal überhaupt ergriffen wurden, sondern zu einem Zeitpunkt, zu dem der Betroffene noch - zur Vermeidung eines weiteren Punkteanstiegs auf 18 oder mehr Punkte - darauf in der erwünschten Weise reagieren kann, nämlich durch eine Änderung seines Verhaltens im Straßenverkehr. Erforderlich ist mithin, dass die einzelnen Schritte des Maßnahmenkatalogs vor der Entziehung der Fahrerlaubnis erfolglos durchlaufen werden (OVG Hamburg, Beschluss vom 25. November 1999 - 3 Bs 393/99 -, NJW 2000, 1353 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. März 2002 - 1 L 18/02 -, NZV 2002, 431; vgl. auch VG Potsdam, Beschluss vom 16. September 2002 - 10 L 580/02 -, veröffentlicht in juris; a. A. VG Berlin, Beschluss vom 31. Januar 2002 - 11 A 286/02 -, NZV 2002, 338 f.)"

Vor diesem Hintergrund vermag die - wegen der von dem Antragsteller in der Zeit vom 17. August 2002 bis zum 2. September 2002 bereits absolvierten Teilnahme an einem Aufbauseminar ins Leere gegangene - Anordnung des Antragsgegners vom 4. September 2002 zur Teilnahme an einem Aufbauseminar die danach gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG geboten gewesene schriftliche Verwarnung entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht zu ersetzen; insoweit fehlt es an einem erfolglosen Durchlaufen der einzelnen Schritte des Maßnahmenkatalogs vor der Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers. Von einer Verwarnung des Antragstellers ist in der Verfügung vom 4. September 2002 nicht die Rede. Eine solche hat der Antragsgegner unter dem 4. September 2002 auch gar nicht aussprechen wollen, weil ihm - wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat und wie auch der Antragsgegner selbst in der Beschwerdeerwiderung gleich mehrfach bekräftigt hat - die bereits abgeschlossene Teilnahme des Antragstellers an dem vom 18. August bis zum 2. September 2002 absolvierten Aufbauseminar zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bekannt war. Von daher erschließt sich dem Senat auch nicht, inwiefern die Anordnung vom 4. September 2002 "als Minus" zugleich auch die nach Maßgabe von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG auszusprechende Verwarnung sollte enthalten können. Es allein genügen zu lassen, dass es "doch erkennbar" geblieben sei, dass der Antragsgegner die zweite Stufe des § 4 Abs. 3 StVG habe "auslösen" wollen, würde bedeuten, entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG in Fällen wie dem vorliegenden von dem ausdrücklichen gesetzlichen Erfordernis einer Verwarnung gerade Abstand zu nehmen, was sich schon wegen des nicht zuletzt im Gesetzgebungsverfahren besonders hervorgehobenen Eingriffscharakters der mit dem Punktsystem verbundenen Maßnahmen (Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, BR-Drucks. 821/96, S. 52) verbieten würde. Aus Sicht des Antragstellers war unabhängig davon auch keinesfalls "erkennbar", dass der Antragsgegner die zweite Stufe des § 4 Abs. 3 StVG auslösen wollte. Wie das Verwaltungsgericht selbst festgestellt hat, war "aus der Sicht eines mit dem Umständen vertrauten objektiven Empfängers (...) die Aufforderung (vom 4. September 2002), an einem Aufbauseminar teilzunehmen, von vornherein in sonstiger Weise erledigt und damit unwirksam (...), denn ihr Zweck war erkennbar bereits erreicht". War dem freilich so, liegt es nahe, dass auch der Antragsteller davon ausgehen durfte, dass sich die Maßnahme auf der "zweiten Stufe" mit der von ihm bereits absolvierten Teilnahme an dem Aufbauseminar - ohne ein ersichtliches Ergreifen weiterer Maßnahmen durch den Antragsgegner - (zunächst) erledigt haben würde; dies gilt namentlich im Hinblick auf den Antragsteller auch deswegen, weil ihm mit Blick auf die unter dem 7. März 2001 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG ausgesprochene Verwarnung in Erinnerung geblieben sein dürfte, wie eine - hier ausgebliebene, wiewohl gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG zu erwarten gewesene - Verwarnung ihrer Form nach in etwa auszusehen hatte. Eine hinreichende "Warn- oder Appellfunktion", die nach den obigen Ausführungen die Rechtfertigung für die Fiktion der Ungeeignetheit gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG ergibt, konnte der Anordnung vom 4. September 2002 damit nicht (mehr) zukommen. Dies wiegt gerade im Falle des Antragstellers umso schwerer, als sein Punktestand per 4. September 2002 - anders als in der Anordnung des Antragsgegners vom selben Tage angegeben - nicht 15, sondern bereits 17 Punkte betragen hatte, er also bereits unmittelbar an der Schwelle zum Eintritt der Ungeeignetheitsfiktion nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestanden hatte und eine Verwarnung deswegen umso angezeigter gewesen wäre. Per 4. September 2002 hätte nämlich auch der Verkehrsverstoß vom 11. Dezember 2001 (2 P.), rechtskräftig geworden am 6. Juni 2002, mitberücksichtigt werden müssen. Dass der Antragsgegner, wie er in der Beschwerdeerwiderung ausführt, über diesen Verkehrsverstoß erst am 17. September 2002 informiert worden sei, ist für die Errechung des für die Anwendung des § 4 StVG maßgeblichen Punktestandes unerheblich (vgl. dazu im Einzelnen den vorerwähnten Beschluss des 4. Senats des beschließenden Gerichts vom 16. Juli 2003 - 4 B 145/03 -, DAR 2004, 46, 47 f.; ferner Thüringer OVG, Beschluss vom 12. März 2003 - 2 EO 688/02 -, NJW 2003, 2770: sog. "Tattagprinzip") und hätte dem Antragsgegner im Übrigen erst Recht Anlass geben müssen, schon wegen des damit auch für ihn ersichtlich gewordenen Fehlers bei der unter dem 4. September 2002 erfolgten Mitteilung des Punktestandes jedenfalls nach dem 17. September 2002 (erneut) an den Antragsteller heranzutreten.

Der Antragsteller hatte nach alledem unter Berücksichtigung des jüngsten, im Verwaltungsvorgang dokumentierten Verkehrsverstoßes vom 22. September 2003 (1 P.), rechtskräftig geworden am 4. Februar 2004, 18 Punkte erreicht, ohne dass ihm gegenüber die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG ergriffen worden wäre; sein Punktestand hatte sich deshalb von Gesetzes wegen gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG auf 17 Punkte reduziert. Für eine Entziehung der Fahrerlaubnis auf der Grundlage des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG bestand danach kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes - GKG -; zur Begründung der festgesetzten Höhe wird auf die entsprechenden Gründe in der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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