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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 23.02.2007
Aktenzeichen: 1 A 130/06
Rechtsgebiete: GG, EMRK, AufenthG


Vorschriften:

GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art 8 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 2
AufenthG § 25 Abs. 5
Von einem ausgewiesenen Ausländer, der eine Betretenserlaubnis zum Besuch seiner in Deutschland lebenden minderjährigen Kinder erstrebt, kann verlangt werden, dass zuvor eine Umgangsregelung getroffen wird, die ihm eine Kontaktaufnahme mit den Kindern gestattet.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 1 A 130/06

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 23.02.2007 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen - 4. Kammer - vom 14.11.2005 zuzulassen, wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 20.000,- € festgesetzt.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der 1965 geborene Kläger ist am 22.10.1997 vom Landgericht Kassel wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (ca. 9,95 kg Heroingemisch) zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt worden. Wegen dieser Straftat ist er mit Bescheid des Stadtamts Bremen vom 24.02.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Senators für Inneres, Sport und Kultur vom 07.10.1999 unanfechtbar aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden. Am 22.04.2002 ist der Kläger aus der Strafhaft in die Türkei abgeschoben worden. Mit Bescheid vom 21.04.2004 hat die Ausländerbehörde die Wirkung der Ausweisung auf den 23.02.2011 befristet. Die Ehe des Klägers ist seit Oktober 2001 geschieden. Das Sorgerecht für die Kinder (geboren 1992, 1994 und 1996) hat allein die Mutter. Im September 2005 ist der Kläger illegal erneut in das Bundesgebiet eingereist. Ein Kontakt zu den Kindern besteht nicht; die geschiedene Ehefrau lehnt eine Kontaktaufnahme ab.

Mit der Klage erstrebt der Kläger die Verpflichtung der Beklagten, das Ausweisungsverfahren wiederaufzugreifen, ihm eine Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise eine Betretenserlaubnis zu erteilen sowie seinen Antrag auf Befristung der Wirkung von Ausweisung und Abschiebung neu zu bescheiden.

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, über den Antrag auf Befristung der Abschiebung neu zu entscheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Dagegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung des Klägers.

II.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung sind nicht gegeben.

1.

Entgegen der Ansicht des Klägers bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

Ernstliche Zweifel i. S. von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Ein darauf gestützter Antrag muss sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernstlichen Zweifeln begegnen und warum diese Zweifel eine andere Entscheidung wahrscheinlich machen. Dazu reicht es, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, B. v. 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 - NordÖR 2000, S. 453).

Im Zulassungsantrag wird geltend gemacht, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils vom 14.11.2005 ergäben sich "im wesentlichen aus der vom Gericht vorgenommenen Wertung der familiären Bindungen des Klägers und seinen Kinder sowie den daraus resultierenden Folgen". Was dazu im Weiteren vorgetragen wird, ist indes nicht dazu geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zu wecken.

a) Das Verwaltungsgericht hat familiäre Belange des Klägers zunächst im Rahmen der Frage geprüft, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erfüllt sind (S. 11 des Urteils). Nach dieser Vorschrift kann eine Aufenthaltserlaubnis abweichend von der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG erteilt werden, wenn eine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Ein derartiges Ausreisehindernis hat das Verwaltungsgericht im Falle des Klägers nicht feststellen können. Es hat insoweit darauf abgestellt, ob zwischen dem Kläger und seinen Kindern, die im Bundesgebiet bei der geschiedenen Ehefrau leben, familiäre Beziehungen bestehen, die nach den konkreten Umständen des Falles aus Rechtsgründen einen weiteren Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet unumgänglich machen würden. Dieser rechtliche Ansatz des Verwaltungsgerichts ist nicht zu beanstanden. Im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG kommt es maßgeblich auf das reale Gewicht der Eltern-Kind-Beziehung an. Aus der Sicht des Kindes ist dabei entscheidend, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - NVwZ 2006, S. 682; OVG Bremen, B. v. 08.11.2006 - 1 B 393/06 -). Im Zulassungsantrag wird nicht ansatzweise dargelegt, dass im vorliegenden Fall solche familiären Verhältnisse gegeben sind. Der Kontakt zwischen dem Kläger und seinen Kindern ist vielmehr vollständig abgebrochen.

b) Weiter hat das Verwaltungsgericht die familiären Belange des Klägers im Hinblick darauf geprüft, ob die Voraussetzungen einer Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 2 S. 1 AufenthG erfüllt sind. Das Verwaltungsgericht hat dies mit der Erwägung verneint, dass der Kläger den mit der Betretenserlaubnis verfolgten Besuchszweck, nämlich die Pflege des Umgangs mit seinen Kindern, derzeit überhaupt nicht erreichen könne. Denn es sei keine Regelung vorhanden, die ihm einen Umgang mit den Kindern ermögliche. Eine Betretenserlaubnis könne erst erteilt werden, wenn - erforderlichenfalls durch Vermittlung Dritter oder durch die Einschaltung von Behörden oder Gerichten - eine entsprechende Regelung getroffen worden sei (S. 12/13 des Urteils).

Der Zulassungsantrag zeigt keine Gesichtspunkte auf, die die Richtigkeit dieser Ausführungen ernstlich in Zweifel ziehen könnten. Es ist offenkundig, dass der Kläger unter den gegebenen Umständen seinen Besuchszweck ohne eine zuvor getroffene Umgangsregelung nicht erreichen kann. Da eine solche Regelung zurzeit offenbar nicht im Einvernehmen mit der geschiedenen Ehefrau erzielt werden kann, muss der Kläger hierfür gegebenenfalls familiengerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Entsprechende Schritte hat er bislang ersichtlich nicht unternommen; das gilt offenbar auch für eine Wiederaufnahme des Kontakts zu den Kindern während der Dauer der seit September 2005 verbüßten Restfreiheitsstrafe. Jedenfalls hat der Kläger hierzu nichts vorgetragen. Ihm wird damit nichts Unzumutbares angesonnen. Insbesondere kann nicht angenommen werden, dass vom Familiengericht eine Umgangsregelung davon abhängig gemacht wird, dass ihm zuvor eine Betretenserlaubnis erteilt worden ist. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass ein umgangsrechtliches Verfahren gerade auch geführt werden kann, um damit die Voraussetzung für eine aufenthaltsrechtliche Betretenserlaubnis zu schaffen (BVerfG, Kammerbeschl. v. 21.05.2003 - 1 BvR 90/03 - NJW 2003, S. 3547). Der Kläger befindet sich also nicht in der behaupteten ausweglosen Situation. Es trifft nicht zu, dass ihm "im Zusammenwirken verschiedener staatlicher Entscheidungen im Ergebnis jeglicher Umgang" mit seinen Kindern unmöglich gemacht wird.

Auch ist die zitierte Entscheidung des EGMR vom 11.07.2000 (29192/95 - InfAuslR 2000, S 473) in seinem Fall nicht einschlägig. Dort hat der EGMR beanstandet, dass durch ausländerbehördliche Maßnahmen in einem laufenden familienrechtlichen Verfahren vollendete Tatsachen geschaffen wurden, wobei ausdrücklich festgestellt wird, dass der Betreffende "nicht wegen strafrechtlicher Vergehen verurteilt wurde" (Rn. 69). Hier ist der Kläger aber wegen einer gravierenden Straftat zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der EGMR hat wiederholt entschieden, dass gerade Drogendelikte in erheblicher Weise die öffentlichen Belange berühren und deshalb die Aufenthaltsbeendigung eines Ausländers rechtfertigen können (vgl. Urt. v. 30.11.1999 - 34347/97 - InfAuslR 2000, S. 53; Urt. v. 13.02.2001 - 47160/99 - InfAuslR 2001, S. 480). Abgesehen davon werden hier nicht in einem laufenden familienrechtlichen Verfahren vollendete Tatsachen geschaffen.

c) Schließlich ist das Verwaltungsgericht auf die familiären Belange des Klägers im Zusammenhang mit der Überprüfung der behördlichen Entscheidung über die Befristung der Ausweisung eingegangen (S. 15 des Urteils). Der Zulassungsantrag setzt sich mit den entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht auseinander und erfüllt damit schon nicht das Darlegungserfordernis. Unabhängig davon besteht Anlass zu dem Hinweis, dass, sollte es zu einer umgangsrechtlich abgesicherten Kontaktaufnahme zu den Kindern kommen, sich auch die Frage der Dauer der Sperrwirkung der Ausweisung neu beurteilen würde.

2.

Der Kläger hat ferner nicht dargelegt, dass das Urteil unter einem Verfahrensfehler i. S. von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO leidet. Die diesbezügliche Rüge betrifft die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den Abschiebungskosten, die gegen den Kläger festgesetzt sind.

Entgegen der Ansicht des Klägers war das Verwaltungsgericht aus Verfahrensgründen jedoch nicht gehindert, die Aufstellung der Bundespolizeidirektion Koblenz vom 11.11.2005 über die angefallenen Abschiebungskosten zu berücksichtigen. Hierbei handelt es sich um eine auf Ersuchen des Gerichts erteilte behördliche Auskunft, die als solche auch in das Verfahren einbezogen werden konnte (vgl. § 99 Abs. 1 VwGO). Dass eine solche Einbeziehung, wie der Kläger anscheinend meint, erst nach Beiladung der Bundespolizeidirektion Koblenz zulässig gewesen sein sollte, ist nicht nachvollziehbar. Auch sonst legt der Kläger nicht dar, dass es im Zusammenhang mit der Verwertung dieser Auskunft zu Verfahrensverstößen gekommen ist. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger das rechtliche Gehör zu der Auskunft verweigert worden wäre. Eine Kopie der Auskunft ist dem Kläger drei Tage vor der mündlichen Verhandlung gefaxt worden.

Zur Erforderlichkeit einer polizeilich begleiteten Abschiebung enthält das Urteil nähere Ausführungen (S. 20). Der Zulassungsantrag setzt sich mit diesen Ausführungen nicht auseinander und lässt nicht erkennen, in welcher Hinsicht es in diesem Zusammenhang zu einem Verfahrensmangel gekommen sein sollte.

3.

Dass die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), wird im Zulassungsantrag zwar behauptet, aber nicht dargelegt.

4.

Die vom Kläger gerügte Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts beruht auf § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Die Entscheidung, einem der Beteiligten die Kosten ganz aufzuerlegen, steht danach im Ermessen des Gerichts. Das Verwaltungsgericht hat die Erwägung, von der es sich bei seiner Kostenentscheidung hat leiten lassen, im Urteil genannt. Sie ist ohne weiteres plausibel.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1 GKG.

Prozesskostenhilfe kann dem Kläger für das Zulassungsverfahren nicht gewährt werden, weil die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind. Seine Rechtsverfolgung bietet, wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt, keine hinreichenden Erfolgsaussichten (§§ 166 VwGO, 114 ZPO).

Ende der Entscheidung

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