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Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 12.12.2000
Aktenzeichen: 1 A 21/07
Rechtsgebiete: BremLV, BremSchulG, GG, EMRK-ZP, IPwskR
Vorschriften:
BremLV Art. 30 | |
BremSchulG § 57 Abs. 2 | |
GG Art. 7 Abs. 1 | |
EMRK-ZP Nr. 1 Art. 2 | |
IPwskR Art. 13 Abs. 3 |
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluß
OVG: 1 A 217/00
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Prof. Pottschmidt, Göbel und Alexy am 12.12.2000 beschlossen:
Tenor:
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen -4. Kammer - vom 28.02.2000 wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf DM 8.000,00 festgesetzt.
Gründe:
Die von der Beklagten geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor.
1.
Die Beklagte hat nicht dargelegt, daß ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel i. S. dieser Vorschrift liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, daß die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Ein darauf gestützter Antrag muß sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und im einzelnen darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernsthaften Zweifeln begegnen und warum dieser Zweifel eine andere Entscheidung wahrscheinlich machen.
Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG bejaht, weil seine Abschiebung nach Eritrea gem. § 55 Abs. 2 AuslG aus rechtlichen Gründen nicht möglich sei. Dem Kläger sei es nicht zuzumuten, seine in Deutschland vorhandenen familiären Bindungen zu unterbrechen.
Das Verwaltungsgericht hat Bezug genommen auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Abschiebung rechtlich unmöglich nicht nur aus den im Ausländergesetz ausdrücklich genannten Tatbeständen sein kann (§§ 51 Abs. 1, 53 AuslG), sondern im Einzelfall auch aus höherrangigem Recht ein zwingendes Abschiebungshindernis folgen kann. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang die Grundrechte genannt und etwa auf die Schutzwirkung hingewiesen, die Art. 6 Abs. 1 GG in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht entfalten kann (vgl. U. v. 09.12.1997 - 1 C 19/96 -, NVwZ 98, S. 742). Gleiches kann für die Persönlichkeitsrechte des betroffenen Ausländers aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG gelten (vgl. B. v. 03.03.1998 - 1 B 27/98 -, InfAuslR 98, S. 284). Insoweit kommt es auf eine Würdigung der widerstreitenden Interessen an, bei der einerseits die Belange des Ausländers ausreichend konkret in den Blick zu nehmen sind, andererseits aber die differenzierten Regelungen des Ausländergesetzes - etwa zum Familiennachzug - mit ihren vom Gesetzgeber in Kauf genommenen Härten nicht überspielt werden dürfen. Die rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung, die nach § 30 Abs. 3 AuslG die tatbestandliche Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis bildet, kann danach nur in besonders gelagerten Einzelfällen angenommen werden (so zu § 30 Abs. 2 AuslG, bereits OVG Bremen, U. v. 21.12.1999 - 1 A 265/99 -).
Nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen ist im Falle des Klägers ein derartiger Sachverhalt gegeben: Die Mutter des 1978 in Äthiopien geborenen Klägers, die sich an den zur Unabhängigkeit Eritreas führenden Kämpfen beteiligt hatte, ist in Äthiopien/Eritrea verschollen, der Vater des Klägers ist nicht bekannt. Als 13-jähriger kam der Kläger, der bis dahin bei seiner Großmutter lebte, veranlaßt durch die Wirren in seiner Heimat zu seiner in Deutschland lebenden Tante, die seit 1987 deutsche Staatsangehörige ist und bei der er im folgenden aufwuchs. Die Adoption durch die Tante wurde unmittelbar nach Erreichen der Volljährigkeit eingeleitet und erfolgte als Erwachsenenadoption mit Beschluß des Amtsgerichts Bremen vom 23.04.1997. Eine Adoption als Minderjähriger - die dem Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit vermittelt hätte - unterblieb wegen des ungeklärten Schicksals der Mutter. Inzwischen lebt der Kläger seit 9 Jahren in Deutschland und hat nach erfolgreichem Schulabschluß eine Lehre als Industriemechaniker absolviert. Das 1991 eingeleitete Asylverfahren ist im Juli 1998 durch klagabweisendes Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen rechtskräftig abgeschlossen worden.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auf die seit 1991 entstandene Eltern-Kind-Beziehung zwischen dem Kläger und seiner Adoptivmutter abgestellt. Dabei kann offenbleiben, ob aktuell noch eine familiäre Beistandsgemeinschaft gegeben ist, wie sie das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich als Voraussetzung für die aufenthaltsrechtliche Beachtlichkeit einer Erwachsenenadoption fordert (B. v. 18.04.1989 - 1 BvR 1169/84 -, NJW 89, S. 2195). Das Bundesverfassungsgericht hat sich andererseits gegen eine schematische Qualifizierung familiärer Beziehungen ausgesprochen und betont, daß es maßgeblich auf das reale Gewicht der familiären Bindungen ankommt (B. v. 01.08.1996 - 2 BvR 1119/96 -, NVwZ 97, S. 479). Nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen ist dieses Gewicht hier hoch einzustufen. Durch die Aufnahme des Klägers im Jahre 1991 und die nachfolgende Erziehungs- und Betreuungsleistung hat sich die familiäre Beistandsgemeinschaft in konkreter, elementarer Weise bewährt. In diesem Zusammenhang kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Kläger nachvollziehbare Gründe dafür vorgetragen hat, weshalb es nicht zu einer Minderjährigenadoption - mit den genannten Rechtswirkungen - gekommen ist. Daß er als Minderjähriger etwa kein Verfahren betrieben hat, seine Mutter für tot zu erklären (vgl. §§ 13 ff. Verschollenheitsgesetz), wird man ihm kaum vorhalten können. Die genannten Umstände weisen auf einen besonders gelagerten Sachverhalt hin, bei dem Art. 6 Abs. 1 GG, wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, als wertentscheidende Grundsatznorm Schutzwirkungen zugunsten des Klägers entfaltet.
Das Verwaltungsgericht ist auch der Frage etwaiger gegenläufiger öffentlicher Interessen nachgegangen, hat solche aber nicht erkennen können. Es hat vielmehr auf die vollständige Integration des Antragstellers in die hiesigen Lebensverhältnisse hingewiesen.
Der Vortrag der Beklagten ist nicht dazu geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des vom Verwaltungsgericht gewonnenen Ergebnisses zu wecken. Die Beklagte macht im wesentlichen geltend, daß gegenwärtig keine Beistandsgemeinschaft zwischen dem Kläger und seiner Adoptivmutter mehr gegeben sei. Sie berücksichtigt dabei jedoch nicht hinreichend, daß nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen auch unabhängig von der Frage, ob aktuell noch eine derartige Gemeinschaft besteht, eine familiäre Sondersituation gegeben ist, die ein zwingendes Abschiebungshindernis begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte mit Beschluß vom 18.09.2000 hierauf hingewiesen. Die Stellungnahme der Beklagten vom 12.10.2000 verdeutlicht im übrigen, daß die Beklagte hinsichtlich des Grundes für die Erwachsenenadoption (statt einer Minderjährigenadoption) den Sachverhalt nicht korrekt erfaßt hat. Auch sonst läßt der Zulassungsantrag und das ergänzende Vorbringen der Beklagten eine ausreichend konkrete Auseinandersetzung mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts nicht erkennen.
Soweit die Beklagte meint, das Verwaltungsgericht hätte kein Verpflichtungs-, sondern allenfalls ein Bescheidungsurteil erlassen dürfen, werden Anhaltspunkte dafür, daß - bei gegebenem Abschiebungshindernis - im Ermessenswege auch eine Versagung der Aufenthaltsbefugnis in Betracht kommen würde, nicht aufgezeigt.
2.
Die Beklagte hat auch nicht dargelegt, daß die Rechtssache besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Solche Schwierigkeiten liegen vor, wenn die aufgeworfenen Sach- oder Rechtsfragen so komplex sind, daß sich eine Prognose über den wahrscheinlichen Ausgang des Berufungsverfahrens im Zulassungsverfahren nicht treffen läßt.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, läßt sich auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens feststellen, daß dem Kläger ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis zusteht.
3.
Die Beklagte hat weiter nicht dargelegt, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Sache dann, wenn mit ihr eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Rechtsmittelverfahren stellen würde und die im Interesse der Fortentwicklung des Rechts einer Klärung durch das Rechtsmittelgericht bedarf. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung setzt die Formulierung der noch ungeklärten und für die Berufungsentscheidung erheblichen Frage und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll.
Diesen Anforderungen genügt der Zulassungsantrag nicht. Die Frage, welche aufenthaltsrechtliche Relevanz einer Erwachsenenadoption grundsätzlich beizumessen ist, ist in der Rechtsprechung ausreichend geklärt. Ebenso ist geklärt, daß Art. 6 Abs. 1 GG eine schematische Qualifizierung familiärer Beziehungen nicht zuläßt. Das Verwaltungsgericht hat die einschlägigen höchstrichterlichen Entscheidungen zitiert und verwertet. Im vorliegenden Fall kommt es maßgeblich auf die Bewertung konkreter Lebensverhältnisse in einem besonders gelagerten Einzelfall an. Grundsätzliche Fragen werden damit nicht berührt. Dies gilt um so mehr, als in die rechtliche Würdigung auch etwaige gegenläufige öffentliche Interessen einzubeziehen sind, was ebenfalls eine Auseinandersetzung mit den Verhältnissen des Einzelfalles verlangt.
4.
Die Beklagte hat schließlich auch nicht dargelegt, daß das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen ist (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).
Aus vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur aufenthaltsrechtlichen Bedeutung einer Erwachsenenadoption divergiert. Die Beklagte verkennt, daß sich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine schematische Zuordnung familiärer Verhältnisse entnehmen läßt. Sie formuliert Leitlinien, die Spielräume für die Berücksichtigung besonders gelagerter Sachverhalte lassen und die insbesondere einer umfassenden Würdigung eines Einzelfalles - wie vorliegend geschehen - nicht entgegenstehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 GKG.
Ende der Entscheidung
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