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Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 19.01.2006
Aktenzeichen: 1 A 290/05
Rechtsgebiete: AuslG, AufenthG, BremVwVfG, GG, SGB I
Vorschriften:
AuslG § 56 Abs. 3 | |
AufenthG § 60a Abs. 2 | |
AufenthG § 61 Abs. 1 | |
BremVwVfG § 3 Abs. 1 | |
GG Art. 6 | |
SGB I § 30 Abs. 3 |
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss
OVG: 1 A 290/05
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 19.01.2006 beschlossen:
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen - 4. Kammer - vom 18.07.2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt wird abgelehnt.
Gründe:
A.
Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste 1988 als als angeblicher staatenloser Kurde aus dem Libanon in das Bundesgebiet ein. Nach der Ablehnung seines Asylantrags wurde er vorübergehend vom Landkreis Verden geduldet. Nach einer vom Verwaltungsgericht eingeholten Auskunft der Ausländerbehörde Verden ist er seit dem 21.01.1998 vollziehbar ausreisepflichtig; seitdem er sich im Mai 1998 der drohenden Abschiebung durch Untertauchen entzogen habe, sei er zur Festnahme ausgeschrieben.
Mit Schreiben vom 04.10.2004 beantragte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Beklagten eine Duldung. Zur Begründung gab er an: Er sei im April 2003 von Dänemark nach Bremen gekommen und habe hier die türkische Staatsangehörige Meryem T. kennengelernt. Im Oktober 2003 sei er wieder nach Dänemark ausgereist. Im September 2004 sei er nach Bremen zurückgekehrt und habe erfahren, dass Frau T. im Mai 2004 ein Kind geboren habe, dessen Vater er sei. Seit Oktober 2004 lebe er mit Frau T. und dem Kind in häuslicher Gemeinschaft und erbringe wesentliche Betreuungsleistungen für das Kind. Frau T. war von der Beklagten aufgrund eines entsprechenden Urteils des Verwaltungsgerichts im Jahre 2004 eine - zunächst bis zum 14.09.2005 befristete - Aufenthaltserlaubnis erteilt worden; sie hatte vorgetragen, es sei ihr als alleinstehender Frau mit einem Kind nicht zuzumuten, in die Türkei zurückzukehren.
Am 19.10.2004 erhob der Kläger Untätigkeitsklage. Mit Urteil vom 18.07.2005 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Dem Begehren des Klägers stehe die räumliche Beschränkung seines Aufenthalts auf den Landkreis Verden entgegen, die auch nach dem Auslaufen der Duldung fortbestehe. Familiäre Gründe, von dieser räumlichen Beschränkung ausnahmsweise abzuweichen, bestünden nicht. Es sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger überhaupt Vater des Kindes von Frau T. sei. Unabhängig davon sei die Anwesenheit des Klägers bei Mutter und Kind in Bremen nicht dauernd erforderlich. Frau T. sei, wie ihre Vernehmung in der mündlichen Verhandlung ergeben habe, nicht auf Lebenshilfe durch den Kläger angewiesen. Im übrigen sei nicht ersichtlich, warum sie dem Kläger nicht in den Landkreis Verden folgen könne, obwohl sie über eine räumlich unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis verfüge.
B.
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen dieses Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg. Den Darlegungen des Klägers lässt sich nicht entnehmen, dass die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Berufung vorliegen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
I.
Der Kläger hat nicht dargelegt, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts einer rechtlichen Prüfung im Ergebnis wahrscheinlich nicht standhalten wird. Ein darauf gestützter Antrag muss sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und im einzelnen darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernsthaften Zweifeln begegnen und warum diese Zweifel eine andere Entscheidung wahrscheinlich machen.
1.
Die vom Kläger beanstandete Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe seine Vaterschaft nicht ausreichend glaubhaft gemacht, ist für das Urteil nicht tragend. Wie das Verwaltungsgericht ausführlich darlegt, besteht nach seiner Auffassung auch dann kein Anspruch auf Duldung, wenn die Vaterschaft des Klägers unterstellt wird. Auch im Rechtsmittelverfahren kann zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen werden, dass er der Vater des Kindes von Frau T. ist.
2.
Anhaltspunkte dafür, dass das Verwaltungsgericht die psychische Erkrankung und die Hilfsbedürftigkeit von Frau T. unrichtig gewürdigt haben könnte, zeigt der Zulassungsantrag nicht in substantiierter Weise auf. Das Verwaltungsgericht hat Frau T. als Zeugin vernommen und festgestellt, dass sie nur noch jede zweite Woche an einer Gesprächstherapie teilnimmt. Es hat daraus den Schluss gezogen, dass die dauernde Anwesenheit des Klägers in Bremen derzeit nicht erforderlich sei, um eine unzumutbare Situation für Frau T. zu vermeiden. Warum dieser Schluss unzutreffend sein soll, legt der Zulassungsantrag nicht dar. Die schlichte Hinweis auf ein einzuholendes Sachverständigengutachten ersetzt nicht den Vortrag von konkreten Tatsachen, die für die vom Verwaltungsgericht verneinte besondere Notlage von Frau T. sprechen könnten.
Unabhängig davon sind auch die Feststellungen des Verwaltungsgerichts über die Hilfsbedürftigkeit von Frau T. nicht entscheidungstragend. Das Verwaltungsgericht stellt nämlich zusätzlich auch darauf ab, dass sich Frau T. und ihr Kind, deren Aufenthalt nicht räumlich beschränkt sei, zum Kläger in den Landkreis Verden begeben könnten und der Kläger zudem bei der Ausländerbehörde Verden die Erlaubnis zum vorübergehenden Verlassen des (unmittelbar an die Stadt Bremen angrenzenden) Landkreises Verden beantragen könne. Auf beide Gesichtspunkte geht der Zulassungsantrag nicht ein.
II.
Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Solche Schwierigkeiten liegen vor, wenn das Vorbringen im Zulassungsantrag zwar nicht zu der Annahme berechtigt, das Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung werde einer Überprüfung wahrscheinlich nicht standhalten, die angesprochenen Sach- oder Rechtsfragen aber so komplex sind, dass sich eine Prognose über den wahrscheinlichen Ausgang des Berufungsverfahrens im Zulassungsverfahren nicht treffen lässt.
Der Kläger sieht tatsächliche Schwierigkeiten in der Beurteilung des Gesundheitszustandes von Frau T. begründet. Da es, wie dargelegt, darauf nicht entscheidungserheblich ankommt, besteht insoweit auch keine Veranlassung zu weiterer Sachaufklärung in der Rechtsmittelinstanz.
III.
Der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Sache dann, wenn mit ihr eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Rechtsmittelverfahren stellen würde und die im Interesse der Fortentwicklung des Rechts einer Klärung durch das Rechtsmittelgericht bedarf. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung setzt die Formulierung der noch ungeklärten und für die Berufungsentscheidung erheblichen Frage und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll.
Den Darlegungen des Klägers lässt sich nicht entnehmen, dass die von ihm aufgeworfenen Frage, "ob und wann Familienbeziehungen eine zweite Duldung rechtfertigen und welcher Maßstab daran anzusetzen ist", in diesem Verfahren entscheidungserheblich sein könnte und deshalb der Klärung bedürfte. Selbst wenn zu Gunsten des Klägers angenommen wird, dass die Erteilung einer - neben oder an die Stelle der ersten Duldung tretenden - "zweiten Duldung" zum Zweck der innerstaatlichen Familienzusammenführung möglich und dafür die Ausländerbehörde des Bezirks örtlich zuständig ist, für den diese Duldung begehrt wird, sind die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch jedenfalls in der Person des Klägers nicht erfüllt.
Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Beschl. v. 17.03.2005 - 1 B 31/05 - ) ist die Ausländerbehörde, in deren Bezirk sich der Ausländer tatsächlich aufhält, für die Entscheidung über ein Duldungsbegehren örtlich unzuständig, wenn der Aufenthalt des Ausländers zuletzt auf den Bezirk einer anderen Ausländerbehörde räumlich beschränkt war, die ihm eine Duldung erteilt hatte, und der Ausländer die - über das Ende der Duldung hinaus fortdauernde - räumliche Beschränkung missachtet. Durch die räumliche Beschränkung wird der Ausländer nämlich gehindert, in einem anderen Bezirk seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen, der Voraussetzung für die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 3a BremVwVfG, § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I; vgl. dazu auch die stRspr des BVerwG seit BVerwGE 80,313). Das gilt nach der Rechtsprechung des Senats - jedenfalls im Grundsatz - auch dann, wenn der Ausländer eine Änderung dieser räumlichen Beschränkung und die Zuweisung in den Bezirk einer anderen Ausländerbehörde begehrt (weitergehend im Sinne einer ausnahmslosen Geltung offenbar OVG Mecklenburg-Vorpommern NordÖR 1999,74 und NordÖR 2001,73; OVG Berlin NVwZ-Beilage I 2001,20; Thüringer OVG InfAuslR 2004,336).
Ob von diesem Grundsatz ausnahmsweise abzuweichen ist, wenn "zwingende Gründe", etwa der Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, für einen Ortswechsel des Ausländers sprechen (so das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung; ebenso Hessischer VGH InfAuslR 1996,360; Niedersächsisches OVG NVwZ-Beil. I 2003,22; OVG Hamburg, 3. Senat, NordÖR 2004,344), hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung offen lassen können. Die Frage bedarf auch in diesem Verfahren keiner Entscheidung, denn solche zwingenden Gründe liegen hier nicht vor. Die Notwendigkeit, entgegen der gesetzgeberischen Grundentscheidung für die Fortdauer der räumlichen Beschränkung (vgl. §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 56 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG eine Duldung für einen anderen Bezirk zu erteilen, kann nur dann bestehen, wenn Ehepartner oder Eltern und ihre minderjährigen Kindern andernfalls voneinander getrennt leben müssten und ihnen eine solche Trennung auch vorübergehend, d. h. für die Dauer der Duldung, nicht zuzumuten ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Schutz von Ehe und Familie mehr verlangen könnte, sind weder aus den Darlegungen des Klägers noch sonst ersichtlich. Eine Trennung von Familienangehörigen ist hier aber schon deshalb nicht zu befürchten, weil nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, denen der Kläger nicht entgegen getreten ist, der Aufenhalt von Frau T. und ihrem Kind ohne räumliche Beschränkung erlaubt ist und die Familieneinheit deshalb ohne weiteres im Bezirk der Ausländerbehörde Verden verwirklicht werden kann.
Das Begehren des Klägers kann auch dann keinen Erfolg haben, wenn mit einem Teil der Rechtsprechung (OVG Nordrhein-Westfalen, zuletzt Beschl. v. 29.11.2005 - 19 B 2364/03 - ) zwar die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde des Bezirks angenommen wird, in dem sich die Familienangehörigen aufhalten und in den der Ausländer wechseln will, ein materieller Anspruch auf Erteilung einer (weiteren) Duldung aber nur anerkannt wird, wenn sich die Familieneinheit nicht in dem Bezirk herstellen lässt, auf den die Duldung des Ausländers bislang beschränkt war. Im Ergebnis unterscheidet sich die Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfalen in diesem Punkt daher nicht von der Rechtsprechung der zuvor genannten Oberverwaltungsgerichte.
An den genannten materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der begehrten Duldung in einem anderen Bezirk änderte sich im Übrigen auch dann nichts, wenn eine örtliche Zuständigkeit der Beklagten nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BremVwVfG angenommen werden könnte (so der 1. Senat des OVG Hamburg, InfAuslR 2004,108).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.
C.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren ist abzulehnen, weil die Rechtssache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO). Das ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen.
Ende der Entscheidung
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