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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 28.11.2002
Aktenzeichen: 1 A 375/02.A
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 53 Abs. 6 Satz 1
Zur Frage, ob in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kindern, die die Staatsangehörigkeit der DR Kongo besitzen, wegen der Gefahr einer tödlich verlaufenden Malaria-Infektion Abschiebungsschutz zu gewähren ist.
OVG: 1 A 375/02.A

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 28.11.2002 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen - 5. Kammer - vom 17.09.2002 zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung sind nicht gegeben.

1.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) kann die Berufung nur zugelassen werden, wenn der Rechtsmittelführer darlegt, dass die Rechtssache eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem erstrebten Rechtsmittelverfahren stellen würde und die im Interesse der Fortentwicklung des Rechts einer Klärung durch das Rechtsmittelgericht bedarf.

Im Hinblick auf die Grundsatzbedeutung von Tatsachenfragen ist zu berücksichtigen, dass die Aufbereitung und Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse in einem Herkunftsland zuvörderst Aufgabe des Verwaltungsgerichts ist. Eine Tatsachenfrage ist grundsätzlich nicht berufungsgerichtlich klärungsbedürftig, wenn das Verwaltungsgericht die verfügbaren Informationen herangezogen, aufbereitet und sachgerecht bewertet hat, ohne dass gegen diese Bewertung beachtliche Zweifel erkennbar sind. Auch wenn eine Tatsachenfrage sich in einer Vielzahl vergleichbarer Fälle stellt, belegt das die Klärungsbedürftigkeit jedenfalls dann nicht, wenn keine gewichtigen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Verwaltungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse im Ergebnis unzutreffend beurteilt hat, etwa die Verhältnisse nicht hinreichend aufgeklärt, vorhandene Erkenntnismittel nicht ausgeschöpft oder unberücksichtigt gelassen hat oder Bewertungen vorgenommen hat, die so nicht haltbar sind (vgl. GK-AsylVfG § 78 Rdnr. 137 f. m. w. N.).

Nach diesem Maßstab haben die Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt.

a) Der Zulassungsantrag hält es für grundsätzlich klärungsbedürftig, "ob die Klägerin zu 2., die in der Bundesrepublik Deutschland geboren ist und das zweite Lebensjahr noch nicht vollendet hat, im Falle einer Rückkehr dem Risiko eines Todes in Folge einer Infektion der Malaria Tropica aufgrund nicht aufgebauter Immunität ausgesetzt ist".

Das Verwaltungsgericht hat sich in dem angefochtenen Urteil mit den Risiken einer Erkrankung an Malaria auseinandergesetzt und ausgeführt, dass diesbezüglich bei einer Rückkehr in die DR Kongo keine extreme Gefährdungslage i.S.v. § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG für die Klägerin zu 2. bestehe. Es hat dabei auf die Verhältnisse im Großraum Kinshasa abgestellt. Dort seien Behandlungsmöglichkeiten gegeben, mit denen der Erkrankung wirksam begegnet werden könne. Eine zugespitzte Gefahrenlage, die bei verfassungskonformer Anwendung von § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG zur Gewährung von Abschiebungsschutz zwinge, sei unter diesen Umständen nicht gegeben.

Das Verwaltungsgericht hat bei dieser Tatsachenwürdigung die Maßstäbe zugrundegelegt, die bei der Anwendung von § 53 Abs. 6 AuslG zu beachten sind. Gemäß § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG fällt die Gewährung von Abschiebungsschutz bei Gefahren, denen die Bevölkerung bzw. eine Bevölkerungsgruppe in dem Herkunftsland des Ausländers allgemein ausgesetzt ist, in die Verantwortung der obersten Landesbehörde. Trotz bestehender konkreter erheblicher Gefahren für den Ausländer ist danach die Anwendung von § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG "gesperrt", wenn dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat droht. Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann, wenn der Ausländer bei seiner Rückkehr einer derart extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, dass er im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten körperlichen Beeinträchtigungen ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, trotz Fehlens einer Entscheidung der obersten Landesbehörde nach § 53 Abs. 6 S. 2, § 54 AuslG Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 S. 1 zu gewähren (vgl. BVerwG, U. v. 27.04.1998 - 9 C 13/97 - NVwZ 98, S. 973). Die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG kommt auch dann zur Anwendung, wenn es um speziell Kindern drohende Gefahren geht, da es sich auch insoweit um allgemeine Gefahren handelt (BVerwG, U. v. 12.07.2001 - 1 C 5/01 - NVwZ 02, S. 101).

Dem Zulassungsantrag kann nicht entnommen werden, dass die Tatsachenfragen, die sich unter Berücksichtigung des vorstehenden Maßstabs im Falle der Kläger stellen, grundsätzlich klärungsbedürftig sind. Beachtliche Zweifel gegen die Tatsachenwürdigung und Bewertung des Verwaltungsgerichts sind nicht erkennbar.

Das Verwaltungsgericht hat sich in dem angefochtenen Urteil die Einschätzung des OVG Münster (U. v. 18.04.2002 - 4 A 3113/95.A) zu eigen gemacht. Das Oberverwaltungsgericht Münster ist in Auswertung verschiedener Erkenntnisquellen, die dem erkennenden Senat ebenfalls vorliegen, zu dem Ergebnis gelangt, dass Kinshasa in einem Gebiet liegt, in dem ein erhebliches Risiko einer Malaria-Infektion besteht. Die Sterblichkeitsrate ist bei dieser Erkrankung ohne Behandlung relativ hoch, wobei bei kleinen Kindern häufiger schwerere Krankheitsverläufe auftreten als bei Heranwachsenden und Erwachsenen. Ein zusätzliches Risiko besteht für Personen, die in Folge eines längeren Aufenthalts im Ausland die in der DR Kongo erworbene Semi-Immunität verloren haben oder die aufgrund ihrer Geburt und ihres Aufwachsens im Ausland diese Semi-Immunität noch aufbauen müssen.

Eine extreme Gefährdungslage i.S.v. § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG hat das Oberverwaltungsgericht Münster gleichwohl auch bei den am stärksten risikobelasteten Personengruppen nicht feststellen können. Denn bei einer Malaria-Infektion bestehen wirksame Behandlungsmöglichkeiten und diese Möglichkeiten sind im Raum Kinshasa in ausreichendem Umfang vorhanden. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat sich bei dieser Beurteilung vor allem auf ein am 02.04.2002 erstattetes Gutachten von Prof. Dr. Dietrich, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin Hamburg, und eine Auskunft der Deutschen Botschaft in Kinshasa vom 18.05.2001 gestützt. Danach handelt sich bei der Malaria um eine in der DR Kongo am häufigsten vorkommenden Krankheiten, auf deren Auftreten die Bevölkerung eingestellt ist. Die notwendigen Medikamente sind im Raum Kinshasa in hinreichender Menge vorhanden, wobei es allerdings entscheidend auf das rechtzeitige Erkennen der Krankheit ankommt. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat hieraus den Schluss gezogen, dass bei Rückkehrern das Risiko eines tödlichen Krankheitsverlaufs, und zwar auch bezüglich hier geborener und aufgewachsener Kinder, derart abgesenkt werden kann, dass eine extreme Gefährdungslage im oben genannten Sinne nicht gegeben ist.

Die gutachterlichen Stellungnahmen von Dr. Junghanss, Universitätsklinik Heidelberg, auf die der Zulassungsantrag sich bezieht, sind vom Oberverwaltungsgericht Münster berücksichtigt worden (insbesondere das Gutachten vom 15.10.2001). Dr. Junghanss weist auf die Gefahren hin, die bei einem nicht rechtzeitigen Erkennen der Krankheit bestehen; die unspezifischen Beschwerden dieser Infektion (Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen) erschwerten eine rechtzeitige Reaktion. Bei verspätetem Erkennen seien schwere Krankheitsverläufe, gerade auch bei Personen, die über keine ausreichende Semi-Immunität verfügen, wahrscheinlich.

Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht Münster sich insoweit auf den Standpunkt gestellt, dass die besonders risikobelasteten Personengruppen hinsichtlich des rechtzeitigen Erkennens einer Infektion auch eine eigene Verantwortung trifft. Ebenso fällt es in ihren Verantwortungsbereich, ggf. auf eine nicht mehr ausreichende Semi-Immunität hinzuweisen. Dabei kann aufgrund des Verbreitungsgrades der Krankheit davon ausgegangen werden, dass ein allgemeines Risikobewußtsein in der Bevölkerung vorhanden ist. Prof. Dr. Dietrich weist nachvollziehbar darauf hin, dass in einem Land wie der DR Kongo alle Krankheitszeichen als Malaria behandelt werden, auch wenn es sich um ganz andere Erkrankungen handelt. In der Realität sei es so, dass bei Kopfschmerzen, Frieren und anderen Erscheinungen eine Malaria-Behandlung in der Regel unverzüglich eingeleitet werde (Gutachten vom 02.04.2002, zu Nr. 6). Dass die wichtigen Medikamente zur Behandlung einer Malaria in Kinshasa zur Verfügung stehen, wird auch von Dr. Junghanss nicht grundsätzlich in Frage gestellt.

Die mit dem Zulassungsantrag zur Akte gereichten Stellungnahmen (Privatdozent Dr. Hatz, Schweizerisches Tropeninstitut, vom 17.06.2002 und Tropeninstitut Berlin vom 10.07.2002) benennen keine Sachverhalte, die über die in den Gutachten von Prof. Dr. Dietrich und Dr. Junghanss hinausgehen.

Unter diesen Umständen ist nicht erkennbar, welche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung im Falle der Kläger bei Durchführung eines Berufungsverfahrens noch geklärt werden könnten.

b) Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Behandlungsmöglichkeiten im Falle einer Malaria-Infektion davon beeinflusst werden, unter welchen ökonomischen Bedingungen der Betreffende lebt. Zwar ist nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Münster auch bei einer absoluten Mittellosigkeit aufgrund der Tätigkeit von Hilfsorganisationen noch eine ausreichende Versorgung mit Malaria-Medikamenten gewährleistet. Andererseits liegt es nahe, dass der Zugang zur gesundheitlichen Versorgung sich verbessert, wenn entsprechende finanzielle Eigenmittel vorhanden sind (vgl. dazu auch den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 02.08.2002, Ziff. IV Nr. 3 b).

In Bezug auf die Kläger hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass diese über familiäre Bindungen in Kinshasa verfügen und auf Unterstützung rechnen können, auch wenn sich die Verhältnisse dieser Familienangehörigen in der mündlichen Verhandlung nicht aufklären ließen. Das Verwaltungsgericht hat insoweit den "deutlichen Eindruck" gewonnen, dass die Kläger zu konkreten Antworten nicht bereit waren, weil sie davon Nachteile befürchteten. Der Zulassungsantrag setzt sich mit dieser Feststellung nicht auseinander, sondern wiederholt lediglich das pauschale Vorbringen aus der mündlichen Verhandlung.

Wie dieser Sachverhalt im Hinblick auf die geltend gemachte Rückkehrgefährdung zu bewerten ist, mag hier dahinstehen. Fest steht jedenfalls, dass bezüglich der Kläger von einer Kumulation ungünstiger Rahmenbedingungen (so die Verhältnisse in dem Fall des OVG Schleswig, B. v. 16.04.2002 - 4 L 39/02 -) nicht ausgegangen werden kann.

2.

Die Berufung kann auch nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG zugelassen werden. In Betracht zu ziehen ist insoweit allein der in § 138 Nr. 3 VwGO genannte Verfahrensmangel (Versagung rechtlichen Gehörs). Es ist aber weder in der Zulassungsschrift dargelegt noch sonst zu erkennen, dass der Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör vom Verwaltungsgericht verkürzt worden ist.

Das Gebot rechtlichen Gehörs, dem gemäß Art. 103 Abs. 1 GG der Rang eines Prozessgrundrechts zukommt, verpflichtet das Gericht, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzustellen. Das Gebot soll sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensmängeln ergeht, deren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Vortrags der Beteiligten haben (st. Rspr., vgl. BVerfG, B. v. 29.11.1983 - 1 BvR 1313/82 - BVerfGE 65, S. 305).

Soweit die Kläger geltend machen, das Verwaltungsgericht habe die "in der medizinischen Fachwelt überwiegend vertretenen Auffassungen bezüglich einer extremen Gefährdung von nicht in der DR Kongo geborenen Kleinkindern hinsichtlich des Risikos in Folge einer Malaria-Erkrankung nicht ausreichend zur Kenntnis genommen", legen sie damit einen Gehörsverstoß nicht dar. Zu der aufgeworfenen Frage liegen umfassende sachverständige Stellungnahmen vor. Diese sind zu würdigen und im Hinblick auf das Bestehen einer extremen Gefahrenlage i.S.v. § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG zu bewerten. Die Kläger wenden sich gegen die Tatsachenwürdigung und Bewertung des Verwaltungsgerichts, zeigen aber nicht auf, unter welchem Gesichtspunkt dem Verwaltungsgericht hierbei ein Gehörsverstoß unterlaufen sein soll. Insbesondere legen sie nicht ansatzweise dar, zu welchen Fragen sich etwa das Einholen eines weiteren Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen sollen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Prozesskostenhilfe kann mangels hinreichender Erfolgsaussichten nicht bewilligt werden (§§ 166 VwGO; 114 ZPO).

Ende der Entscheidung

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