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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 28.06.2004
Aktenzeichen: 1 B 130/04
Rechtsgebiete: BremLBO


Vorschriften:

BremLBO § 17 Abs. 4
BremLBO § 89 Abs. 1 520
Zur Ermessensentscheidung bei einem auf geänderte Brandschutzvorschriften gestützten bauordnungsrechtlichen Anpassungsverlangen.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen

OVG: 1 B 130/04

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 28.06.2004 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 1. Kammer - vom 26.03.2004 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Verfügung des Amtes für Stadtplanung und Bauordnung Bremen vom 25.03.2003 - Gebot Nr. 1 - wird bis einen Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheids wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren ebenfalls auf 4.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Das Oberverwaltungsgericht gelangt bei der in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass im gegenwärtigen Zeitpunkt das Interesse der Antragstellerin, einstweilen von der Durchsetzung der Verfügung vom 25.03.2003 - Gebot Nr. 1 - verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt.

Mit diesem Gebot ist der Antragstellerin aufgegeben worden, "den zweiten Rettungsweg aus dem rückwärtigen Gebäudeteil des Hauses Bremen/Order Straße ... im Erdgeschoss, 1. Obergeschoss und Dachgeschoss über eine Außentreppenanlage, deren Ausführung dem Amt für Stadtplanung und Bauordnung abzustimmen ist, sicherzustellen bzw. sicherstellen zu lassen". Die Antragsgegnerin hat sich dabei auf § 89 Abs. 1 BremLBO gestützt. Nach dieser Vorschrift kann die Behörde verlangen, dass rechtmäßig bestehende bauliche Anlagen an neue gesetzliche Anforderungen angepasst werden, wenn dies aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Gesundheit erforderlich ist.

(1) Bei summarischer Überprüfung spricht einiges dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein auf § 89 Abs. 1 BremLBO gestütztes Anpassungsverlangen im vorliegenden Fall erfüllt sind. Seitdem Änderungsgesetz vom 12.06.1990 (BremGBl. 1990, S. 147) schreibt die BremLBO für jede Nutzungseinheit mit Aufenthaltsräumen zwei voneinander unabhängige Rettungswege vor (§ 19 Abs. 4, jetzt § 17 Abs. 4). Bei den Zimmern, die die Antragstellerin an Einzelpersonen vermietet, handelt es sich um selbständige Nutzungseinheiten. Die entsprechende Einschätzung des Verwaltungsgerichts, in die das Ergebnis einer Ortsbesichtigung durch die Berichterstatterin eingeflossen ist, erscheint plausibel. Die mit der Beschwerde erneut vorgetragene Behauptung, es liege nur eine Nutzungseinheit in der Form einer Wohngemeinschaft vor, wird den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht. Den Zimmern im rückwärtigen Gebäudeteil fehlt danach der seit 1990 vorgeschriebene zweite Rettungsweg.

Der Mangel begründet auch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit i. S. von § 89 Abs. 1 BremLBO. Bei einem Brand in einem Wohngebäude drohen erhebliche Rechtsgutverletzungen. § 17 Abs. 4 BremLBO formuliert Anforderungen, die insoweit den Schutz von Leib und Leben der Hausbewohner dienen. Durch die Forderung nach einem zweiten Rettungsweg für jede Nutzungseinheit soll verhindert werden, dass die Bewohner bei Ausbruch eines Brandes "in der Falle" sitzen. Die Vorschrift formuliert einen normativen Sicherheitsstandard, bei dessen Unterschreitung eine Gefahr i. S von § 89 Abs. 1 BremLBO anzunehmen ist. Die Nichteinhaltung geänderter Brandschutzvorschriften kann die für ein bauordnungsrechtliches Anpassungsverlangen erforderliche konkrete Gefahr im Einzelfall indizieren (vgl. dazu Reichel/Schulte, Handbuch des Bauordnungsrechts, 2004, Kap. 15 Rdnr. 98).

(2) Das ändert jedoch nichts daran, dass ein Einschreiten nach § 89 Abs. 1 BremLBO im Ermessen der Behörde steht. Ein Anpassungsverlangen erfordert eine Ermessensentscheidung, bei der neben den für die Anpassung sprechenden Gründen auch die Kosten und andere aus der Sicht des Bauherrn gegen die Anpassung sprechenden Gründe zu berücksichtigen sind. Die Abwägung kann insbesondere das Auswahlermessen berühren und dazu führen, dass aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auch weniger kostenträchtige Lösungen, die nicht dem Maßnahmeniveau des neuen Rechts entsprechen, in Betracht zu ziehen sind. Voraussetzung ist allerdings, dass sie als funktionell gleichwertig angesehen werden können.

Im vorliegenden Fall verlangt die Behörde die Herstellung einer Außentreppenanlage, d. h. die Herstellung einer notwendigen Treppe i. S. von § 35 Abs. 1 BremLBO. Die Forderung entspricht dem Maßnahmeniveau des neuen Rechts. Nach derzeitigem Sachstand kann nicht überblickt werden, ob dies Verlangen verhältnismäßig ist. Irgendwelche Überlegungen zu den voraussichtlichen Kosten der Maßnahme finden sich in der angefochtenen Verfügung nicht; sie lassen sich auch sonst nicht der Akte entnehmen. Die Antragstellerin hat die Kosten mit rund 20.000,00 Euro angegeben, diese Angabe, die überhöht erscheint, aber nicht spezifiziert. Der Punkt bedarf weiterer Aufklärung, da ein Anpassungsverlangen nach § 89 Abs. 1 BremLBO voraussetzt, dass die Behörde sich zumindest ein grobes Bild von den voraussichtlichen Kosten der in Rede stehenden Maßnahme macht. Sollten diese Kosten unverhältnismäßig sein, wäre zu prüfen, ob das Ziel, einen zweiten Rettungsweg zu schaffen, auch durch weniger aufwendige Mittel erreicht werden kann. Der Frage etwaiger Alternativen ist bislang nicht nachgegangen worden.

Das laufende Widerspruchsverfahren bietet eine Gelegenheit, die noch ausstehende Prüfung nachzuholen. Auf diese Weise kann auch der hier gegebene Verstoß gegen das Anhörungsgebot (§ 28 Abs. 1 BremVwVfG) kompensiert werden. Für die Dauer des Widerspruchsverfahren überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Dabei hat die Antragsgegnerin es in der Hand, durch ein zügiges Betreiben dieses Verfahrens die vorhandene Gefahrenquelle abzustellen. Die bislang äußerst zögerliche Verfahrensführung von Seiten der Antragsgegnerin gibt Anlass, auf diesen Punkt ausdrücklich hinzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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