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Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 21.07.2006
Aktenzeichen: 1 B 158/06
Rechtsgebiete: EMRK, AufenthG
Vorschriften:
EMRK Art. 8 | |
AufenthG § 54 Nr. 3 | |
AufenthG § 25 Abs. 4 |
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss
OVG: 1 B 158/06
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 21.07.2006 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 4. Kammer - vom 13.04.2006 aufgehoben, soweit
1. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung des Stadtamts Bremen vom 06.10.2004 hinsichtlich der Ausweisung und der Abschiebungsregelung wiederhergestellt und hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis angeordnet wird und
2. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auferlegt werden.
Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung des Stadtamts Bremen vom 06.10.2004 hinsichtlich der Ausweisung und der Abschiebungsregelung wiederherzustellen und hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis anzuordnen, wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren ebenfalls 7.500,- € festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist erfolgreich. Die Einwände, die die Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts erhebt, dringen durch. Das Oberverwaltungsgericht gelangt bei der in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an einer sofortigen Durchsetzung der gegen den Antragsteller ergangenen ausländerbehördlichen Verfügung sein gegenläufiges privates Interesse überwiegt.
1.
Die gegen den Antragsteller ergangene Ausweisungsverfügung ist offenkundig rechtmäßig.
a) Gemäß § 54 Nr. 3 AufenthG wird ein Ausländer, der mit Rauschgift handelt, regelmäßig ausgewiesen. Die Vorschrift, die einen Beitrag zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität leisten soll, verfolgt einen legitimen Ausweisungszweck (zur Ausweisung wegen Rauschgifttaten vgl. EGMR, U. v. 19.02.1998, InfAuslR 1998, S. 201 und U. v. 30.11.1999, InfAuslR 2000, S. 53; BVerfG, B. v. 25.09.1986, NVwZ 1987, S. 403 und B. v. 01.03.2000, InfAuslR 2001, S. 113).
Der Antragsteller hat danach den Tatbestand einer Regelausweisung erfüllt. Er ist vom Amtsgericht Bremen mit Urteil vom 29.06.2004 wegen gemeinschaftlichen Handeltreibens mit Kokain zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 8,- € verurteilt worden.
Bei der Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, der zum Absehen von der Regelausweisung berechtigt, sind neben dem spezial- oder generalpräventiven Ausweisungszweck alle in § 55 Abs. 3 AufenthG genannten Umstände zu berücksichtigen (BVerwG, B. v. 28.07.2003, Buchholz 402.240 § 47 AuslG, Nr. 21). Das Oberverwaltungsgericht teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass im Falle des Antragstellers weder im Hinblick auf die konkreten Umstände der Tat noch seine persönlichen Belange ein Ausnahmefall gegeben ist.
Der Antragsteller hat zusammen mit einer anderen Person etwa 23 Gramm eines Kokaingemisches an Dritte verkauft. Die Tat ist gut geplant gewesen und entspricht nach ihrer konkreten Begehung dem typischen Ablauf des illegalen Rauschgifthandels (telefonische Kontaktaufnahme; Treffen mit dem Abnehmer am verabredeten Ort; Übergabe an einem anderen Ort). Der Antragsteller war, wie der Sachverhalt verdeutlicht, immerhin in der Lage, sich harte Drogen zum Weiterverkauf zu beschaffen. Ungeachtet des auffällig geringen Strafmaßes stellt diese Straftat jedenfalls in ordnungsrechtlicher Hinsicht einen gewichtigen Ausweisungsanlass dar. Es ist zumindest ein beachtlicher generalpräventiver Ausweisungsgrund gegeben.
Die persönlichen Lebensverhältnisse des Antragstellers begründen ebenfalls keinen Ausnahmefall. Für die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet - der Antragsteller ist im Oktober 1985 zusammen mit seiner Ehefrau und vier inzwischen volljährigen Kindern in das Bundesgebiet eingereist - gilt dies schon deshalb, weil die Antragsgegnerin die ihm in der Vergangenheit erteilten Aufenthaltsbefugnisse wegen unzutreffender Angaben zu seiner Person unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zurückgenommen hat. Abgesehen davon ist dem Antragsteller, der für sich und seine Familie seit seiner Einreise zur Bestreitung seines Lebensunterhalts offenbar durchgängig staatliche Sozialleistungen bezogen hat, eine wirtschaftlich und soziale Integration in die hiesigen Verhältnisse ersichtlich nicht gelungen.
b) Die familiären Bindungen des Antragsteller führen nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung. Es liegt insoweit weder ein Ausnahmefall vor, der ein Abweichen von der Regelausweisung rechtfertigt, noch steht Art. 8 EMRK der Ausweisung entgegen. Der gegenteiligen Ansicht des Verwaltungsgerichts vermag das Oberverwaltungsgericht nicht zu folgen.
Die minderjährigen Kinder des Antragstellers (Selma, geb. 15.11.1988; Salah, geb. am 01.06.1990; Heysem, geb. am 25.05.1991) sind ebenso wie seine Ehefrau nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels. Die Behörde hat mit Schreiben vom 25.06.2004 angekündigt, die entsprechenden Anträge abzulehnen.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts erfüllen die minderjährigen Kinder aber, soweit sie zumindest die 8. Klasse der zehnjährigen Hauptschule besuchen, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG. Selma hat insoweit im soeben abgelaufenen Schuljahr 2005/06 die 10., Salah die 8. und Heysem die 7. Klasse besucht. Weil für die Kinder wegen ihres Schulbesuchs dringende persönliche Gründe im Sinne von § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG für einen weiteren vorübergehenden Aufenthalt vorliegen würden, sei aus Gründen der Familieneinheit die Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers zum gegenwärtigen Zeitpunkt unverhältnismäßig.
Das Verwaltungsgericht überdehnt damit den Anwendungsbereich von § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG. Zwar kann der bevorstehende Abschluss einer Schul- oder Berufsausbildung durchaus einen dringenden persönlichen Grund i. S. dieser Vorschrift darstellen (vgl. OVG Bremen, B. v. 14.07.2005 - 1 B 176/05). Das setzt aber voraus, dass der Ausbildungsabschluss in einer überschaubaren Zukunft liegt. Das in den Vorläufigen Anwendungshinweisen des Bundesministerium des Inneren (VAH) genannte Kriterium - der Besuch des letzten Schul- oder Ausbildungsjahres (Nr. 25.4.1.3) - liefert hierfür einen Anhaltspunkt (vgl. OVG Bremen, B. v. 21.07.2006 - 1 B 106/06). Nach diesem Maßstab kann bei den Kindern Salah und Heysem nicht von einem kurz bevorstehenden Schulabschluss ausgegangen werden. Das Kind Selma hat inzwischen die 10. Klasse absolviert. Damit entfällt die Prämisse der Erwägungen des Verwaltungsgerichts.
Abgesehen davon vermittelt § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG nur einen Anspruch auf einen vorübergehenden Aufenthalt, der zudem im Ermessen der Ausländerbehörde steht. Bei ihrer Ermessensausübung kann die Behörde berücksichtigen, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei vielköpfigen Familien - wenn der sukzessive Abschluss der Schulausbildung der Kinder absehbar ist - zu einer längeren "Kette" von persönlichen Härtegründen und damit möglichen Aufenthaltsansprüchen führen kann. Dieser Umstand darf als gegenläufiger Belang in die Ermessensentscheidung eingestellt werden (vgl. OVG Bremen, B. v. 21.07.2006 - 1 B 106/06). Er spricht zusätzlich dagegen, im vorliegenden Fall anzunehmen, dass die Antragsgegnerin aus Rechtsgründen an einer Ausweisung gehindert wäre.
Dafür, dass den minderjährigen Kindern oder der Ehefrau des Antragstellers im gegenwärtigen Zeitpunkt ein Daueraufenthaltsrecht zustehen könnte, ist nichts ersichtlich. Das Verwaltungsgericht ist hiervon nicht ausgegangen und auch sonst sind hierfür nach dem Inhalt der Behördenakten sowie der Gerichtsakten, die die Untätigkeitsklagen der Ehefrau (4 K 138/05) und der Kinder (4 K 136/05) betreffen, konkrete Anhaltspunkte nicht erkennbar.
Das gilt in gleicher Weise für die Frage der Unzumutbarkeit einer auch nur vorübergehenden Trennung der Familie. Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer familiärer Umstände, die eine auch nur vorübergehende Trennung unzumutbar machen würden, sind weder vom Antragsteller vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Unabhängig davon hat der Antragsteller in jedem Fall einen Anspruch auf Befristung der Ausweisung (§ 11 Abs. 1 S. 3 AufenthG). Eine solche Befristung kann auch im laufenden Widerspruchsverfahren vorgenommen werden.
2.
Die Antragsgegnerin hat es zu Recht abgelehnt, den Aufenthaltstitel des Antragstellers zu verlängern.
Da der Antragsteller ausgewiesen ist, darf ihm gemäß § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.
3.
Schließlich ist auch die Abschiebungsregelung rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Antragsgegnerin hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Antragsteller türkischer Staatsangehöriger ist. Die Übereinstimmung zwischen einem hier in Deutschland und einem am 08.05.1978 in der Türkei unter einer türkischen Identität abgenommenen Fingerabdruck soweit das Vorhandensein detaillierter türkischer Personenregisterauszüge zu dieser türkischen Identität drängen jedenfalls diese Schlussfolgerung auf. Dass der Antragsteller im Juli 2001 zusätzlich einen libanesischen Pass erlangt hat, steht dieser Beurteilung nicht entgegen.
Dem vorgelegten ärztlichen Attest vom 06.12.2004 hat das Verwaltungsgericht weder eine Reiseunfähigkeit des Antragstellers noch die Unzumutbarkeit einer Rückkehr in die Türkei entnehmen können. Dem schließt das Oberverwaltungsgericht sich an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.
Ende der Entscheidung
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