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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 16.07.2009
Aktenzeichen: 1 B 217/09
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 11 Abs. 1
AufenthG § 28 Abs. 1
AufenthG § 60a Abs. 2
1. Die Absicht eines ausländischen Elternteils, die familiäre Gemeinschaft mit seinen im Bundesgebiet lebenden, die deutsche Staatsangehörigkeit besitzenden Kindern herzustellen, befreit nicht von der Einhaltung der Sichtvermerksvorschriften.

2. Bei der Befristung der Sperrwirkung von Ausweisung und Abschiebung (§ 11 Abs. 1 AufenthG) hat die Ausländerbehörde den familiären Belangen eines ausländischen Elternteils das ihnen nach Art. 6 GG zukommende Gewicht beizumessen. Gibt die Behörde im Rahmen der Aufenthaltsbeendigung eines unerlaubt eingereisten ausländischen Elternteils zu erkennen, dass sie sich hinsichtlich ihres Befristungsermessens von grundlegend unzutreffenden Annahmen leiten lässt, kann das dazu führen, dass der Betroffene einen Anspruch darauf hat, dass sein Aufenthalt bis zu einer fehlerfreien Befristungsentscheidung geduldet wird.


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 1 B 217/09

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Göbel, Prof. Alexy und Dr. Grundmann am 16.07.2009 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 4. Kammer - wie folgt abgeändert:

Die Antragsgegnerin wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Aufenthalt des Antragstellers bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung der Antragsgegnerin über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung zu dulden.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten für beide Instanzen jeweils zur Hälfte. Auch insoweit wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts abgeändert.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren ebenfalls auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, der in der Türkei geboren wurde und die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, reiste zusammen mit seiner Ehefrau im November 1989 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Eheleute gaben an, im Libanon geboren zu sein, ihre Staatsangehörigkeit sei ungeklärt. Aufgrund dieser Angabe wurden sie zunächst geduldet und erhielten dann Aufenthaltsbefugnisse.

Aus der Ehe sind zehn Kinder hervorgegangen, die letzten beiden wurden am 16.06.2007 und am 09.10.2008 geboren.

Im Jahre 2001 wurde aufgedeckt, dass die Personenangaben des Antragstellers und seiner Ehefrau unzutreffend waren. Aus diesem Grund sowie wegen wiederholter Straftaten wurde der Antragsteller mit Bescheid der Ortspolizeibehörde Bremerhaven vom 04.12.2001 i. d. F. des Widerspruchsbescheids des Senators für Inneres und Sport vom 11.05.2005 mit unbefristeter Wirkung aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Dieser Bescheid wurde ebenso wie der Bescheid, mit dem die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Ehefrau abgelehnt wurde, bestandskräftig (Gerichtsbescheid des VG Bremen v. 10.05.2006, Az. 4 K 1079/05).

Zwei im Juni 2005 und im März 2007 eingeleitete einstweilige Rechtsschutzverfahren, mit denen der Antragsteller sich zusammen mit seiner Ehefrau gegen die Aufenthaltsbeendigung wandte, blieben erfolglos (vgl. Beschlüsse des OVG v. 15.03.2006 - 1 B 84/06 und v. 26.02.2008 - 1 B 539/07).

Im Juli 2008 leitete der Antragsteller ein weiteres einstweiliges Rechtschutzverfahren ein. Er berief sich darauf, Vater des am 15.07.2006 geborenen X und der am 24.02.2008 geborenen Y zu sein. Die Kindesmutter S. sei deutsche Staatsangehörige. Das Eilverfahren blieb erfolglos (Beschluss des OVG v. 05.08.2008 - 1 B 366/08). In dem Beschluss des OVG wird ausgeführt, dass nach den Angaben, die die Kindesmutter vor der Ausländerbehörde gemacht habe, nicht von einer gelebten Vater-Kind-Beziehung ausgegangen werden könne.

Am 06.08.2008 wurde der Antragsteller in die Türkei abgeschoben.

Am 28.11.2008 versuchte er, mit gefälschten Papieren von der Schweiz aus in das Bundesgebiet einzureisen. Er wurde von den Schweizer Behörden in die Türkei zurückgeschoben.

Am 24.04.2009 wurde der Antragsteller in Bremen festgenommen. Er befindet sich seitdem aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Bremen vom selben Tage in Sicherungshaft. Die vom Amtsgericht angehörte Frau S. erklärte, sie habe in der Vergangenheit die Beziehung zum Antragsteller beendet, weil dieser sich nicht von seiner türkischen Ehefrau habe scheiden lassen wollen. Inzwischen sei er zur Scheidung bereit. Sie habe den Antragsteller im August/September in der Türkei besucht, um seine Familie kennen zu lernen. Sie wolle jetzt mit ihm in familiärer Gemeinschaft leben.

Am 27.05.2009 gaben der Antragsteller und Frau S. vor dem Jugendamt Bremen die Erklärung ab, das Sorgerecht für das Kind Y gemeinsam zu übernehmen.

Am 23.06.2009 beschloss das Amtsgericht Bremerhaven, unter Abänderung eines am 15.05.2008 ergangenen Beschlusses das Sorgerecht für das Kind X auf deren Antrag den Kindeseltern wieder gemeinsam zu übertragen.

Am 14.05.2009 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht beantragt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die beantragte Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs, hilfsweise eine Duldung zu erteilen sowie die Antragsgegnerin weiterhin zu verpflichten, den Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft zurückzunehmen.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 03.07.2009 abgelehnt.

Dagegen hat der Antragsteller am 12.07.2009 Beschwerde eingelegt.

Die Abschiebung des Antragstellers ist für den 22.07.2009 vorgesehen.

II.

1. Die Beschwerde bleibt erfolglos, soweit der Antragsteller im Wege einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erstrebt. Das Oberverwaltungsgericht weist die Beschwerde insoweit aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 122 Abs. 2 S. 3 VwGO).

2. Demgegenüber ist die Beschwerde hinsichtlich des Duldungsbegehrens des Antragstellers teilweise erfolgreich. Der Antragsteller hat einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin seine Abschiebung bis einen Monat nach Bekanntgabe ihrer Entscheidung über die Befristung der Ausweisung und Abschiebung aussetzt.

a) Hinsichtlich des Duldungsbegehrens ist von folgendem rechtlichen Maßstab auszugehen:

Gemäß § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Rechtlich unmöglich kann eine Abschiebung auch sein, wenn sie unzumutbar in eine durch Art. 6 GG geschützte familiäre Beziehung eingreift. Allerdings entfaltet Art. 6 GG - nicht nur im Hinblick auf den Abschiebungsschutz, sondern generell im Aufenthaltsrecht - Schutzwirkungen nicht schon aufgrund formalrechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, wobei grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten ist.

Dabei geht Art. 6 GG hinsichtlich der Beziehung des ausländischen Elternteils zu seinem im Bundesgebiet lebenden Kind davon aus, dass eine gelebte, von geistiger und emotionaler Auseinandersetzung geprägte Verbundenheit dem Wohl des Kindes dient. Ist es dem Kind nicht zumutbar, dem ausländischen Elternteil in dessen Heimatstaat zu folgen, gebietet es Art. 6 GG, diesem zur Pflege der Beziehung mit dem Kind den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss v. 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris; Beschluss v. 09.01.2009 - 2 BvR 1064/08 - InfAuslR 2009, 150).

Allerdings befreit Art. 6 GG den ausländischen Elternteil nicht von Einhaltung der Einreisebestimmungen. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 04.12.2007 - 2 BvR 2341/06 - InfAuslR 2008, 239; Beschluss v. 10.05.2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347). Das Visumverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu überprüfen. Das Aufenthaltsgesetz trägt dabei dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung, indem es unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG im Einzelfall erlaubt, von dem grundsätzlichen Erfordernis einer Einreise mit dem erforderlichen Visum abzusehen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in das Bundesgebiet begehrt, regelmäßig hinzunehmen. Eine vorübergehende Trennung der Familienangehörigen, die sich in diesem Rahmen bewegt, ist, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalles vorliegen, zumutbar.

Eine Trennung, die über die übliche Dauer des Sichtvermerksverfahrens hinausgeht, ist grundsätzlich nur dann hinzunehmen, wenn der Aufenthalt des ausländischen Elternteils die öffentliche Sicherheit berührt, weil die Begehung von Straftaten droht. In diesem Fall kann ein Vorrang der gegen einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet sprechenden Gründe in Betracht kommen; auch gewichtige familiäre Belange setzen sich nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durch (BVerfG, Beschluss v. 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320).

Ein vor Entstehen der familiären Gemeinschaft erfolgter Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften (z. B. unerlaubter Aufenthalt, unerlaubte Einreise) kann demgegenüber für sich genommen eine längerfristige, über die übliche Dauer des Sichtvermerksverfahrens hinausgehende Trennung regelmäßig nicht rechtfertigen. Insoweit mag eine gegen den ausländischen Elternteil gerichtete strafrechtliche Sanktion angezeigt seien, eine aufenthaltsrechtliche Sanktion, die zugleich die Familienangehörigen träfe, stünde im Widerspruch zu Art. 6 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt entschieden, dass in diesen Fällen durch die familiäre Gemeinschaft nachträglich eine neue Sachlage geschaffen wird. Der in der Vergangenheit liegende Verstoß gegen die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften wird dadurch nicht bedeutungslos, ihm kommt aber bei Abwägung der widerstreitenden Belange kein vorrangiges Gewicht mehr zu (vgl. BVerfG, Beschluss v. 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99 - InfAuslR 2000, 67; Beschluss v. 30.01.2002 - 2 BvR 231/00 - InfAuslR 2002, 171; Beschluss v. 10.05.2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347).

b) Nach diesem Maßstab hat der Antragsteller einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin seinen Aufenthalt einstweilen duldet.

aa) Im Falle des Antragstellers liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die Herstellung einer gelebten Vater-Kind-Beziehung zwischen ihm und dem am 15.07.2006 geborenen Sohn X sowie der am 24.02.2008 geborenen Tochter Y, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ernsthaft beabsichtigt ist.

Ersichtlich strebt die Kindesmutter, Frau S., eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft mit dem - noch verheirateten - Antragsteller an. Frau S. hat am 24.04.2009 bei ihrer Anhörung vor dem Amtsgericht Bremen angegeben, den Antragsteller nach seiner am 06.08.2008 erfolgten Abschiebung im August/September mit den beiden Kindern bei seiner Familie in der Türkei besucht zu haben. Nach ihrer Rückreise hätten sie täglich miteinander telefoniert. Der Antragsteller hat am 27.05.2009 gegenüber dem Jugendamt erklärt, die elterliche Sorge für die Tochter Y gemeinsam mit Frau S. ausüben zu wollen. Mit Beschluss des Amtsgerichts Bremerhaven vom 23.06.2009 ist die elterliche Sorge für den Sohn X auf Antrag der Kindeseltern diesen wieder gemeinsam übertragen worden. Frau S. besucht den Antragsteller nach ihren Angaben seit dem 24.04.2009 regelmäßig in der Sicherungshaft. Diese Umstände sprechen dafür, dass die am 24.04.2009 vom Antragsteller vor dem Amtsgericht Bremen erklärte Absicht, sich von seiner türkischen Ehefrau scheiden lassen zu wollen und nunmehr dauerhaft mit Frau S. und den beiden Kindern in familiärer Gemeinschaft zusammenleben zu wollen, ernsthaft ist.

Allerdings ist nicht zu übersehen, dass Frau S. in der Vergangenheit wiederholt gegenteilige Erklärungen abgegeben hat. Eine Mitarbeiterin des Jugendamtes hat in dem jetzt durchgeführten familiengerichtlichen Verfahren am 15.06.2009 vor dem Amtsgericht Bremerhaven angegeben, dass es seinerzeit Gründe des Kindeswohls gegeben habe, die elterliche Sorge allein auf die Kindesmutter zu übertragen. Die Kindesmutter habe damals auch von Bedrohungen, die vom Kindesvater ausgegangen seien, gesprochen. Berücksichtigt man weiter die vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss zitierten Sachverhalte, bleiben Unsicherheiten in der Prognose der weiteren familiären Entwicklung.

Andererseits ist nach derzeitigem Sachstand und aufgrund der in einem Eilverfahren allein möglichen vorläufigen Prüfung nicht auszuschließen, dass der Schutz des Art. 6 GG sich zu Gunsten des Antragstellers auswirkt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Vorschrift nicht nur vor Eingriffen in eine vorhandene, bereits gelebte Vater-Kind-Beziehung schützt, sondern auch die Herstellung einer solchen Beziehung erfassen kann.

bb) Der Antragsteller ist grundsätzlich gehalten, zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis das Sichtvermerksverfahren von der Türkei aus durchzuführen. Als Anspruchsgrundlage kommt insoweit § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG in Betracht.

Die vorübergehende Trennung für die Dauer des Sichtvermerksverfahrens ist ihm zuzumuten. Der Umstand, dass Kleinkinder von der Trennung betroffen sind, befreit für sich genommen nicht von der Durchführung eines solchen Verfahrens, sofern sich dessen Dauer im üblichen Rahmen bewegt. Ein besonders gelagerter Sachverhalt, der zur Unzumutbarkeit selbst einer nur vorübergehend Trennung führen würde, ist nicht erkennbar.

Da der Antragsteller einen Daueraufenthalt zum Familiennachzug erstrebt, ist er auch nicht mit Rücksicht auf die Stand-still-Regelung in Art. 41 des am 01.01.1973 in Kraft getretenen Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG/Türkei von der Sichtvermerkspflicht befreit (vgl. BVerwG, Urteil v. 30.04.2009 - 1 C 6/08 - Rn. 37; Hailbronner, Visafreiheit für Türkische Staatsangehörige? - Zum Soysal-Urteil des EuGH, NVwZ 2009, 760 <765>).

cc) Allerdings verlangt Art. 6 GG, dass diese Trennung auch tatsächlich nur vorübergehend ist. Die erlassene einstweilige Anordnung soll gewährleisten, dass dieser Anforderung genügt wird. Nur unter der Voraussetzung einer rechtsfehlerfrei erfolgten Befristung der Ausweisung und Abschiebung durch die Antragsgegnerin ist nämlich sichergestellt, dass die Trennung die zumutbare Dauer nicht überschreitet.

Gemäß § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG entfalten die Ausweisung und Abschiebung eines Ausländers Sperrwirkung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Auch bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung darf diese nicht erteilt werden. Gemäß § 11 Abs. 1 S. 3 AufenthG wird die Sperrwirkung auf Antrag in der Regel befristet, wobei die Frist gemäß § 11 Abs. 1 S. 4 AufenthG mit Ausreise beginnt.

Der Antragsteller ist durch Verfügung der Ortspolizeibehörde Bremerhaven vom 04.12.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Senators für Inneres und Sport vom 11.05.2005 ausgewiesen worden. Die Ausweisung ist bestandskräftig geworden (Gerichtsbescheid des VG Bremen vom 10.05.2006 - 4 K 1079/05). Er ist außerdem am 06.08.2008 in die Türkei abgeschoben worden. Damit muss er sich zur Zeit die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG entgegenhalten lassen.

Über einen Antrag auf Befristung der Sperrwirkung hat die Ausländerbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Sie hat sich bei ihrer Entscheidung am Zweck, der mit der Sperrwirkung verfolgt wird, zu orientieren (vgl. OVG Bremen, Urteil v. 30.10.2001 - 1 A 218/01 - InfAuslR 2002, 119; BayVGH, Beschluss v. 26.03.2009 - 19 ZB 09.498 - juris; HK-AuslR/Oberhäuser, § 11 AufenthG, Rn. 16 ff.). Die Behörde hat bei Ausübung ihres Befristungsermessens aber auch die gegenläufigen persönlichen und ggf. familiären Belange des Ausländers zu berücksichtigen. Gewichtige familiäre Belange können etwa dazu führen, dass eine Sperrwirkung deutlich verkürzt wird (vgl. BVerwG, Urteil v. 04.09.2007 - 1 C 43/06 - InfAuslR 2008, 71).

Bislang steht eine Entscheidung der Antragsgegnerin über die Befristung der Sperrwirkung, die bezüglich der Abschiebung bereits am 07.08.2008 vom Antragsteller beantragt wurde, aus. Die Erklärungen, die die Antragsgegnerin zur Frage einer Befristung im vorliegenden Verfahren abgegeben hat, lassen aber erkennen, dass sie diesbezüglich von rechtlich nicht haltbaren Kriterien ausgeht. Eine Befristungsentscheidung, der diese Kriterien zugrunde gelegt werden würden, würde die Sperrwirkung nicht - wie geboten - unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit Art. 6 GG angemessen begrenzen. Die Trennung des Antragstellers von seinen Kindern würde unzumutbar verlängert. Aus diesem Grund kann der Antragsteller verlangen, dass die Antragsgegnerin seinen Aufenthalt solange duldet, bis ermessensfehlerfrei über das Befristungsbegehren entschieden ist, das heißt sich die Dauer der Trennung hinreichend verlässlich bestimmen lässt. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt darauf hingewiesen, dass, wenn schutzwürdige familiäre Beziehungen vorhanden sind, der Zeitpunkt der Trennung bestimmbar sein muss (Beschluss v. 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99 - InfAuslR 2000, 67; Beschluss v. 23.01.2006 - 2 BvR 1935/06 - InfAuslR 2006, 320).

Nach den im vorliegenden Verfahren abgegebenen Erklärungen der Antragsgegnerin muss bereits davon ausgegangen werden, dass sie im Rahmen ihrer Ermessenentscheidung den familiären Belangen des Antragstellers nicht das ihnen zukommende Gewicht beimisst. Es liegen, wie dargelegt, hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller eine reale Vater-Kind-Beziehung zu seinen beiden Kindern X und Y sowie eine Gemeinschaft mit der Kindesmutter ernsthaft herzustellen beabsichtigt. Die Ansicht der Antragsgegnerin, dass nicht von einer nach Art. 6 GG schutzwürdigen Beziehung ausgegangen werden könne, ist jedenfalls nach derzeitigem Sachstand rechtlich nicht haltbar.

Nicht haltbar ist ferner die Ansicht der Antragsgegnerin, dass die beantragte Befristung der Sperrwirkung der Abschiebung erst in Betracht kommen könne, wenn der Antragsteller die Abschiebungskosten beglichen habe. Abgesehen davon, dass diese Kosten bislang noch nicht einmal festgesetzt sind, ist bei Vorliegen von nach Art. 6 GG schutzwürdigen familiären Bindungen ein solches Junktem rechtlich nicht zulässig (vgl. BVerwG, Urteil v. 04.07.2007 - 1 C 21.07 - InfAuslR 2008, 82).

Soweit die Antragsgegnerin schließlich auf die weiteren Verstöße des Antragstellers gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften hinweist, zuletzt die illegale Einreise in das Bundesgebiet im April 2009, ist ihr einzuräumen, dass ein solches Verhalten bei der Befristung der Sperrwirkung einer Abschiebung grundsätzlich durchaus Bedeutung haben kann. Andererseits ist aber auch in diesem Zusammenhang zu prüfen, ob schutzwürdige Bindungen im Sinne von Art. 6 GG gegeben sind. Wenn es um den Erhalt oder die Herstellung einer familiären Gemeinschaft geht, wird ein zuvor begangener Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften zwar nicht bedeutungslos, im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Befristung der Sperrwirkung der Abschiebung ist sein Gewicht aber in Relation zu dem Gewicht der familiären Belange zu setzen. Aus Vorstehendem folgt, dass bei fehlerfreier Entscheidung über die Befristung der Sperrwirkung der Abschiebung im vorliegenden Fall eine Befristungsdauer ernsthaft in Erwägung zu ziehen ist, die die Länge eines üblichen Visumverfahrens zumindest nicht wesentlich übersteigt.

Gleiches gilt für die Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung. Nach derzeitigem Aktenstand ist nicht erkennbar, dass vom Antragsteller die Gefahr erneuter Straftaten ausgeht, d. h. sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit berührt. Dies rechtfertigt es, die Sperrwirkung mit Rücksicht auf die schutzwürdigen familiären Belange auf eine Frist im obigen Sinne zu begrenzen.

c) Der Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem aus dem Tenor ersichtlichen Inhalt ist geboten, um wesentliche Nachteile vom Antragsteller abzuwenden.

Für eine hinsichtlich des Duldungsbegehrens ohne Einschränkung ergehende einstweilige Anordnung sind andererseits weder Anordnungsanspruch noch -grund gegeben.

3. Soweit die Beschwerde sich dagegen richtet, dass das Verwaltungsgericht das Begehren, die Antragsgegnerin zur Rücknahme ihres Antrags auf Anordnung der Abschiebehaft zu verpflichten, abgelehnt hat, weist das Oberverwaltungsgericht sie aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 122 Abs. 2 S. 3 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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