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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 19.11.2004
Aktenzeichen: 1 B 339/04
Rechtsgebiete: AuslG, VwGO


Vorschriften:

AuslG § 44 Abs. 6
AuslG § 55 Abs. 1
AuslG § 56 Abs. 2
VwGO § 121
VwGO § 123
1. Die materielle Rechtskraft des Beschlusses, mit dem das Verwaltungsgericht eines anderen Landes den Erlass einer auf die Erteilung einer Duldung gerichteten einstweiligen Anordnung aus in der Person des Antragstellers liegenden Gründen abgelehnt hat, steht jedenfalls dann, wenn sich die maßgebenden Umstände nicht geändert haben, dem Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegen, die auf die Erteilung einer nunmehr auf das Land Bremen beschränkten Duldung gerichtet ist.

2. Ein Ausländer, dessen letzte Duldung räumlich auf den Bezirk einer anderen Ausländerbehörde beschränkt war, kann keine für ihn günstigen Rechtsfolgen daraus ableiten, dass er entgegen der gemäß § 44 Abs. 6 AuslG fortwirkenden räumlichen Beschränkung seinen Aufenthaltsort gewechselt hat.


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 1 B 339/04

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 19.11.2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen - 4. Kammer - vom 16.09.2004 über den Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

A.

Der Antragsteller beantragte im August 2001 als angeblicher Staatsangehöriger von Sierra Leone mit dem Namen Mark S. , geboren am 02.09.1985 in Emeru, bei der Außenstelle Jena des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge politisches Asyl. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 27.11.2001 als offensichtlich unbegründet abgelehnt; zugleich wurde dem Antragsteller die Abschiebung in sein Herkunftsland angedroht. Der Bescheid ist seit dem 22.07.2002 bestandskräftig, nachdem ein gegen ihn angestrengtes Verwaltungsstreitverfahren vor dem Verwaltungsgericht Gera eingestellt worden war. Mit Urteil des Amtsgerichts Rudolstadt vom 08.04.2003 wurde der Antragsteller wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einem Jugendarrest von zwei Wochen verurteilt. Zu einer Abschiebung des Antragstellers kam es nicht, weil er zeitweise unbekannten Aufenthalts war und von Sierra Leone nicht als Staatsangehöriger dieses Landes anerkannt wurde. Soweit aus der Behördenakte der Antragsgegnerin ersichtlich, wurde der Antragsteller vom Landratsamt Saalfeld-Rudolstadt vom 07.10.2003 bis 11.03.2004 als Mark S. mit ungeklärter Staatsangehörigkeit "übriges Afrika" geduldet; dabei wurde der Aufenthalt auf den Landkreis Saalfeld-Rudolstadt beschränkt.

Am 10.09.2003 stellte die Botschaft von Nigeria in Berlin einen Reisepass auf den Antragsteller aus, in dem er als Mark Kalu U. , geboren am 02.09.1980 in Abiriba geführt wird. Unter Angabe dieser Personalien heiratete der Antragsteller am 20.01.2004 vor einem schwedischen Amtsgericht eine in Bremen wohnhafte deutsche Staatsangehörige. Wenige Tage nach der Eheschließung beantragte er unter Vorlage seines nigerianischen Reisepasses beim Landratsamt Saalfeld-Rudolstadt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um mit seiner Ehefrau in Deutschland zusammenleben zu können. Zumindest vom 04.03. bis zum 01.04.2004 erhielt der Antragsteller - nunmehr unter seinem neuen Namen und als nigerianischer Staatsangehöriger - vom Landratsamt Saalfeld-Rudolstadt eine auf den Landkreis beschränkte Duldung. Einem Antrag auf Änderung der Wohnsitzauflage, die dem Antragsteller den Zuzug nach Bremen gestattet hätte, versagte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 05.05.2004 an das Landratsamt Saalfeld-Rudolstadt ihre Zustimmung. Mit Bescheid vom 28.06.2004 lehnte das Landratsamt Saalfeld-Rudolstadt den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise einer Aufenthaltsbefugnis, ab; zugleich wies er auf die vollziehbare Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hin und setzte eine neue Ausreisefrist fest. Über den Widerspruch des Antragstellers gegen diesen Bescheid ist - soweit bekannt - noch nicht entschieden. Einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entsprach das Verwaltungsgericht Gera mit Beschluss vom 29.07.2004 insoweit, als es die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Abschiebungsregelung anordnete; diese sei rechtswidrig, weil das Landratsamt Saalfeld-Rudolstadt wegen der nach wie vor vollstreckbaren Abschiebungsregelung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge keine erneute Abschiebungsregelung habe treffen dürfen. Im übrigen - d.h. hinsichtlich der begehrten Aufenthaltserlaubnis - lehnte das Verwaltungsgericht Gera den Antrag ab, weil der Antragsteller keinen Anspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung habe. Nach einer vom Antragsteller selbst vorgelegten Grenzübertrittsbescheinigung des Landratsamts Saalfeld-Rudolstadt vom 01.07.2004 war er verpflichtet, die Bundesrepublik Deustchland bis spätestens 02.08.2004 zu verlassen.

Der Antragsteller lebt seit einiger Zeit bei seiner Ehefrau in Bremen. Diese ist schwanger; vorausichtlicher Entbindungstermin ist der 11.03.2005.

Mit Schreiben vom 19.05.2004 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise eine auch für das Land Bremen geltenden Duldung. Nachdem die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 21.07.2004 angekündigt hatte, diesen Antrag wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit abzulehnen, beantragte der Antragssteller beim Verwaltungsgericht Bremen, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine Duldung für das Land Bremen zu erteilen. Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 16.09.2004 abgelehnt. Mit der fristgerecht erhobenen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.

B.

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen. Der Antrag ist unzulässig. Auf die Möglichkeit einer solchen Beurteilung sind die Beteiligten im Beschwerdeverfahren hingewiesen worden; sie hatten Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.

Dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung steht die Rechtskraft des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Gera vom 29.07.2004 entgegen.

1. Auch Beschlüsse im Verfahren nach § 123 VwGO sind der materiellen Rechtskraft zugänglich; die materielle Rechtskraft eines Beschlusses, mit dem der Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist, macht neuerliche Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz gleichen Inhalts unzulässig, soweit sich nicht die Umstände geändert haben (vgl. statt aller: Eyermann-Happ, VwGO, 11. Aufl. 2000, Rn 75 zu § 123).

2. Der Antrag, über den in diesem Verfahren zu entscheiden ist, richtet sich auf dasselbe Begehren, das bereits Gegenstand der - ablehnenden - Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gera war. Das Verwaltungsgericht Gera hat es ausdrücklich abgelehnt, die für den Antragsteller zuständige Ausländerbehörde im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, im Hinblick auf einen möglichen Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung wegen seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen und der Schwangerschaft seiner Ehefrau vorläufig auszusetzen bzw. seinen Aufenthalt zu dulden. Gegenstand der Entscheidung war nicht, wie der Antragsteller meint, nur eine auf das Land Thüringen beschränkte Duldung. Das Verwaltungsgericht Gera hat nicht entschieden, dass dem Antragsteller ein im Wege der einstweiligen Anordnung zu sichernder Anspruch (nur) für das Land Thüringen nicht zustünde, sondern es hat einen solchen Anspruch umfassend geprüft und mit der Begründung verneint, dass die Voraussetzungen für eine Duldung in der Person des Antragstellers nicht vorlägen. Daraus folgt, dass der geltend gemachte Anspruch dem Antragsteller nach dieser Entscheidung nicht nur nicht in Thüringen, sondern auch anderswo nicht zusteht. Das nunmehr anhängig gemachte Begehren, dem Antragsteller eine auf das Land Bremen beschränkte Duldung zu erteilen, betrifft also keinen anderen Gegenstand. Es ist Teil des Gegenstandes, über den das Verwaltungsgericht Gera bereits entschieden hat.

3. Unerheblich ist, dass Antragsgegner in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Gera der Landkreis Saalfeld-Rudolstadt war, während sich der jetzige Antrag gegen die Stadtgemeinde Bremen richtet. Zwar entfaltet die materielle Rechtskraft nach § 121 Nr. 1 VwGO Wirkung nur zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits, in dem der Beschluss ergangen ist, und gegenüber ihren Rechtsnachfolgern. Der Rechtsnachfolge steht aber auf Seiten der Verwaltung die Funktionsnachfolge gleich, die durch eine Änderung der örtlichen Zuständigkeit infolge eines Wohnsitzwechsels eintritt. Die verwaltungsgerichtliche Entscheidung über einen solchen Verwaltungsakt entfaltet Bindung für oder gegen jede andere Ausländerbehörde, die nach Erlass der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zum Gesetzesvollzugs hinsichtlich desselben verwaltungsrechtlichen Verhältnisses berufen ist (vgl. Groschupf DVBl 1963, 661 <663>; Kilian, in: Sodan/Ziekow <Hg.>, Nomos-Kommentar zur VwGO, Rn 110 zu 121; Redeker/v.Oertzen, VwGO, 13. Aufl. 2000, Rn 6c zu § 121).

Für ein solches Ergebnis streiten im übrigen auch Gründe der praktischen Vernunft. Für aufenthaltsrechtliche Entscheidungen sind in der Regel die Ausländerbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte zuständig. Diese Behördenorganisation liegt nicht zuletzt auch im Interesse der betroffenen Ausländer, denen auf diese Weise ortsnahe Behörden zur Entgegennahme ihrer Anträge und zur Entscheidung darüber zur Verfügung stehen. Die dezentrale Zuständigkeit soll indes nicht dazu führen, dass der Vollzug des Ausländergesetzes praktisch unmöglich wird. Das wäre aber der Fall, wenn ein Antragsteller, nachdem sein Begehren von einer Ausländerbehörde abgelehnt und die Anrufung des Verwaltungsgerichts erfolglos geblieben wäre, nur den Land- oder Stadtkreis zu wechseln brauchte, um sein Begehren erneut zur Entscheidung zu stellen, und diese Verfahrensweise beliebig oft wiederholen könnte.

4. Der Vortrag des Antragstellers, die Rechtskraft dürfe nach der Wertordnung des Grundgesetzes nicht so "heilig" sein, dass sie den Richter zwinge, sehenden Auges über die Grundrechte der Prozessparteien "hinwegzutrampeln", und der Gedanke an die Rechtskraft belege "nur den unzureichenden Bruch mit einer Rechtstradition, die im Nationalsozialismus gipfelte", verlässt den Boden der rechtlichen Argumentation und sachlichen Auseinandersetzung und bedarf deshalb keiner weiteren Erörterung. Der Antragsteller übersieht im übrigen, dass die Frage, ob das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG zu einem Anspruch auf Erteilung einer Duldung führen kann, in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gera ausdrücklich materiell geprüft und verneint worden ist.

5. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist auch nichts dafür ersichtlich, dass sich die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gera maßgeblichen Umstände geändert haben könnten. Im Beschluss des Verwaltungsgerichts Gera wird ausdrücklich ausgeführt, dass der Antragsteller sein Begehren damit begründe, dass er mit seiner Ehefrau in Deutschland zusammenleben wolle und ihm die Trennung von seiner im (damals) zweiten Monat schwangeren Ehefrau nicht zumutbar sei. Das Verwaltungsgericht Gera führt dazu aus, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Niederkunft wieder in Deutschland sein könne, wenn er seiner Ausreisepflicht genüge und dann auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Weg ein Visum zur Familienzusammenführung beantrage.

Für einen unvorhergesehenen Verlauf der Schwangerschaft, der dazu führen könnte, dass die Anwesenheit des Antragstellers bei seiner Ehefrau auch schon vor deren Niederkunft erforderlich sein könnte, hat der Antragsteller, wie das Verwaltungsgericht zutreffend bemerkt hat, in erster Instanz nichts vorgetragen. Auch der Begründung der Beschwerde lässt sich dafür nichts entnehmen. Die ärztliche Bescheinigung vom 08.10.2004 ist insoweit ohne jede Aussagekraft, denn sie nimmt nur allgemein zu den Auswirkungen einer normal verlaufenden Schwangerschaft Stellung.

Allein der Zeitablauf und die Tatsache, dass der Antragsteller seiner Ausreisepflicht nicht nachgekommen ist, sind nicht geeignet, die Rechtskraft wegen verändernder Umstände zu relativieren. Ebenso ist ohne Bedeutung, dass der Antragsteller sich mittlerweile nicht mehr in Thüringen, sondern in Bremen bei seiner Ehefrau aufhält. Damit verstößt der Antragsteller nicht nur gegen seine Ausreisepflicht, sondern auch gegen die - bis zur Ausreise fortgeltende (§ 44 Abs. 6 AuslG) - räumliche Beschränkung seiner früheren Duldung auf den Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Aus seinem eigenen rechtswidrigen Verhalten kann der Antragsteller aber keine Vorteile ziehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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