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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 14.10.2009
Aktenzeichen: 1 S 331/09
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 75
VwGO § 91
VwGO § 166
ZPO § 114
1. Eine auf Bescheidung des Widerspruchs schlechthin gerichtete Untätigkeitsklage ist unzulässig. Wird eine solche Untätigkeitsklage gleichwohl erhoben, ist es eine sachdienliche Klageänderung, wenn der Kläger nach Erlass des Widerspruchsbescheids einen Verpflichtungsantrag stellt und die Klage nunmehr gegen den Träger der Ausgangsbehörde statt gegen den Träger der Widerspruchsbehörde richtet.

2. Die Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn ein Kläger zunächst eine auf Bescheidung seines Widerspruchs schlechthin gerichtete Untätigkeitsklage erhebt, dann nach Erlass des Widerspruchsbescheids den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und anschließend erneut Klage in Form einer Verpflichtungsklage erhebt (Bestätigung und Fortführung der bisherigen Rechtsprechung, vgl. Beschl. des Senats vom 24.09.2002 - 1 S 296/02 - und vom 17.12.2007 - 1 S 497/07).


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 1 S 331/09

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Göbel, Prof. Alexy und Dr. Bauer am 14.10.2009 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen - 4. Kammer - vom 08.09.2009 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten der Beschwerde.

Gründe:

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Kläger auf Prozesskostenhilfe zu Recht mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Rechtsverfolgung der Kläger mutwillig war. Mutwillig ist eine Rechtsverfolgung dann, wenn ein verständiger Beteiligter, der für die Prozesskosten selbst aufzukommen hätte, seine Rechte nicht in der gleichen Weise machen würde. Ein in diesem Sinne verständiger Kläger hätte sich auf ein Gerichtsverfahren mit dem Ziel beschränkt, die Beklagte zur Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis zu verpflichten (vgl. zuletzt Beschl. des Senats vom 17.12.2007 - 1 S 497/07 -). Unverständig handelt ein Kläger demgegenüber, wenn er - wie die Kläger hier - zunächst eine auf Bescheidung seines Widerspruchs gerichtete Untätigkeitsklage erhebt, dann nach Erlass des Widerspruchsbescheids die Hauptsache für erledigt erklärt und anschließend erneut Klage, gerichtet auf Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, erhebt (vgl. schon den Beschl. des Senats vom 24.09.2002 - 1 S 296/02 -, dessen Ausführungen der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts wiedergibt).

Die Kläger hätten deshalb nach Erlass des Widerspruchsbescheids den Rechtsstreit nicht in der Hauptsache für erledigt erklären dürfen, sondern fortsetzen müssen. Entgegen ihrem Vorbringen in der Beschwerde wären sie damit kein unzumutbares Risiko eingegangen. Ihre Auffassung, die Untätigkeitsklage habe sich gegen die Freie Hansestadt Bremen (Land) als Träger der Widerspruchsbehörde richten müssen, während die Verpflichtungsklage nunmehr gegen die Stadtgemeinde Bremen als Träger der Ausgangsbehörde erhoben werde, und die Kläger hätten nicht darauf vertrauen können, dass in eine Klageänderung eingewilligt oder die Klageänderung vom Gericht als sachdienlich angesehen werde, überzeugt nicht.

Die ursprünglich gegen das Land erhobene Untätigkeitsklage auf "Bescheidung schlechthin" war unzulässig, denn ein Rechtsschutzinteresse an einer auf die Verpflichtung zur Bescheidung beschränkten Untätigkeitsklage besteht nicht (vgl. Beschluss des Senats vom 17.12.2007 - 1 S 497/07 - und die dort aufgeführten Nachweise). Das Begehren der Kläger, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, wird nicht mit einer Untätigkeitsklage, die sich auf den Erlass eines Widerspruchsbescheids schlechthin beschränkt, d.h. ohne Rücksicht auf dessen positiven oder negativen Inhalt, sondern nur mit einer Klage gefördert, die unmittelbar auf die Verpflichtung zur Erteilung der begehrten Erlaubnis gerichtet ist. Eine solche Klage wäre aber - unabhängig von der Untätigkeit der Widerspruchsbehörde - gegen die Stadtgemeinde als Trägerin der Ausgangsbehörde zu richten gewesen (Eyermann-Rennert, VwGO, 12. Aufl. 2006, Rn 4 zu § 75; Brenner, in Sodan/Ziekow <Hg.>, VwGO, 2. Aufl. 2006, Rn 17 zu § 75). Hätten die Kläger eine solche Klage erhoben, hätte das Verfahren nach Erlass des Widerspruchsbescheids nahtlos fortgeführt werden können. Eine verständige Partei wäre so verfahren.

Doch auch nachdem die Kläger eine Untätigkeitsklage auf "Bescheidung schlechthin" gegen das Land erhoben hatten, hätten sie das einmal begonnene Verfahren nach Erlass des Widerspruchsbescheids fortsetzen können. Sie wären nicht gehindert gewesen, ihren Antrag umzustellen und die Klage nunmehr gegen die Stadtgemeinde zu richten. Die darin liegende (doppelte) Klageänderung wäre als sachdienlich zuzulassen gewesen. Eine Klageänderung ist regelmäßig sachdienlich, wenn sie der endgültigen Beilegung des sachlichen Streits zwischen den Beteiligten im laufenden Verfahren dient und der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt. Die Sachdienlichkeit wird durch Gründe der Prozessökonomie bestimmt (BVerwG, Urt. v. 27.02.1970 - IV C 28.67 - NJW 1970, 1564; Beschl. v. 16.08.1989 - 5 B 87/89 - <juris>; Ortloff/Riese, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Rn 2 und 61 zu §91 <Stand Okt. 2008>). Eine Klageänderung ist deshalb sachdienlich, wenn sie dazu beiträgt, den Streit zwischen den Parteien ohne Rücksicht auf seine bisherige Einkleidung endgültig auszuräumen und einem weiteren sonst zu erwartenden Rechtsstreit vorzubeugen (Redeker- v. Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, Rn 12 zu § 91). Das ist regelmäßig der Fall, wenn - wie hier - ein Widerspruchsbescheid während der Anhängigkeit der auf Bescheidung schlechthin gerichteten Untätigkeitsklage ergeht (vgl. für die Untätigkeitsklage nach § 88 SGG, deren Streitgegenstand regelmäßig nur die Erteilung eines Bescheids, nicht der materielle Verpflichtungsanspruch ist: BSG, Urt. v. 22.11.1994 - 8 RKn 8/94 - <juris, Rn 25>; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.10.2007 - L 7 SO 4334/06 - <juris, Rn 22 m.w.Nwn.>). Das Verwaltungsgericht hätte deshalb die Klageänderung nicht als unzulässig ansehen können, ohne den Rechtsbegriff der Sachdienlichkeit zu verkennen und damit die Grenzen seines Ermessens zu überschreiten (a.A. offenbar OVG SachsenAnhalt, Beschl. v. 20.05.2009 - 2 O 22/09 - <juris, Rn 8>). Hier spricht im Übrigen die Anfrage des Verwaltungsgerichts, wie weiter verfahren werden solle (Schreiben vom 19.05. bzw. 02.07.2009 in den Verfahren 4 K 346-349/09 bzw. 4 K 441/09), dafür, dass das Verwaltungsgericht die Klageänderung für sachdienlich hielt. Aus ihr ergibt sich, dass das Gericht die Möglichkeit der Fortführung des Verfahrens nicht ausschloss, denn andernfalls hätte es nur um prozessbeendende Erklärungen gebeten.

Nicht zu folgen ist auch der weiteren Erwägung der Kläger, Ursache des zweifachen Rechtsstreits sei die Untätigkeit der Widerspruchsbehörde, und es sei nicht nachvollziehbar, dass dieses "Fehlverhalten" der Widerspruchsbehörde durch kostenlose Mehrarbeit des Rechtsanwalts ausgeglichen" werden solle. Die Kläger übersehen, dass es zu dieser "Mehrarbeit" nicht gekommen wäre, wenn sie den ursprünglichen Rechtsstreit fortgeführt hätten.

Verfehlt ist auch der Hinweis, dass dem Justizhaushalt bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe keine Mehrkosten entstünden, weil die Kosten des ersten Verfahrens von der damaligen Beklagten zu tragen gewesen seien. Abgesehen davon, dass Kostenschuldner beide Male die Freie Hansestadt Bremen ist, übersehen die Kläger, dass es für die Mutwilligkeit allein darauf ankommt, unnötige Kosten zu vermeiden, und nicht ausschlaggebend ist, wer diese Kosten trägt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

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