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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Urteil verkündet am 17.10.2007
Aktenzeichen: 2 A 177/06.A
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 1
Eine Iranerin, die durch ihr Engagement und die zahlreichen von ihr entfalteten Aktivitäten für die Rechte der Frauen im Iran deutlich erkennbar aus der Masse oppositioneller Iranerinnen und Iraner herausgetreten ist und als ernsthafte und gefährliche Regimegegnerin erscheint, ist gegenwärtig bei einer Rückkehr in den Iran einer beachtlichen Verfolgungsgefahr ausgesetzt.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Im Namen des Volkes! Urteil

OVG: 2 A 177/06.A

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 2. Senat - durch Richterin Dreger, Richter Dr. Bauer und Richter Dr. Grundmann sowie die ehrenamtlichen Richter G. Bleil und E. Jochmann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.10.2007 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13.11.2003 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen - Einzelrichter der 3. Kammer - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 06.06.2002 verpflichtet wird festzustellen, dass im Falle der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG vorliegen und der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das sie verpflichtet worden ist festzustellen, dass im Fall der Klägerin die Voraussetzungen für ein Abschiebungshindernis gemäß § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Iran vorliegen.

Die Klägerin ist 1964 in Teheran geboren und iranische Staatsangehörige. Sie hat das Abitur gemacht und danach Kunstblumen hergestellt. Im Jahre 1985 hat die Klägerin geheiratet. Sie hat 2 Töchter, die in den Jahren 1987 und 1992 geboren sind.

Nach ihren Angaben ist die Klägerin am 24.02.2002 zusammen mit ihren Töchtern auf dem Luftweg in die Bundesrepublik eingereist. Am 26.02.2002 beantragte sie Asyl. Bei der Anhörung gab sie u. a. an, sie sei vor einigen Jahren wegen Nichtbeachtung der Bekleidungsvorschriften von den Sicherheitskräften mitgenommen worden. Den Iran habe sie aus politischen Gründen verlassen. Sie habe mit einer Gruppe, die aus 5 Personen bestanden habe, in verschiedenen Stadtteilen in Teheran - vornehmlich in den ärmeren Gegenden - Flugblätter verteilt. Die Verteilung sei nicht regelmäßig erfolgt, sondern immer dann, wenn nach bestimmten Vorfällen das Bedürfnis bestanden habe, darüber zu berichten. Die Texte seien von den Mitgliedern der Gruppe verfasst worden. Einer Partei oder politischen Gruppierung hätten sie nicht angehört. Anlass zur Ausreise sei die Festnahme von 2 Gruppenmitgliedern gewesen. Was den Festgenommenen zugestoßen sei, könne sie nicht sagen. Sie habe auch erfahren, dass die Sicherheitskräfte zu ihr nach Hause gekommen seien und ihre Wohnung durchsucht hätten.

Mit Bescheid vom 06.06.2002 lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin (und ihrer Töchter) auf Anerkennung als Asylberechtigte ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Eine Einreise auf dem Luftwege habe die Klägerin nicht glaubhaft gemacht, sodass davon ausgegangen werden könne, dass sie auf dem Landweg und damit notwendig über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik eingereist sei. Ein Anspruch auf Asyl gem. Art. 16 a Abs. 1 GG scheide damit aus.

Auch auf ein Abschiebungsverbot i. S. des § 51 Abs. 1 AuslG könne sich die Klägerin nicht berufen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die Bekleidungsvorschriften und der Ausreise sei nicht festzustellen. Soweit die Klägerin von der Verteilung von Flugblättern durch ihre Gruppe berichtet habe, reiche das Vorbringen für eine Schutzgewährung nicht aus. Die auf diese Aktivitäten möglicherweise folgenden oder drohenden Eingriffe seien nach Dauer und Intensität so gering, dass sie die Schwelle der Asylrelevanz nicht erreichten. Nach Überzeugung des Einzelentscheiders sei die Klägerin unverfolgt aus dem Iran ausgereist. Dafür spreche auch die problemlose Ausreise über den iranisch-türkischen Grenzübergang Bazargan, dessen Personal die Ausreisenden sehr streng kontrolliere. Exilpolitische Nachfluchtaktivitäten habe die Klägerin nicht vorgebracht.

Allein aufgrund der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland sei bei einer Rückkehr in den Iran nicht mit politischer Verfolgung zu rechnen.

Abschiebungshindernisse gem. § 53 AuslG lägen ebenfalls nicht vor.

Gegen diesen ihr am 13.06.2002 zugestellten Bescheid hat die Klägerin am 18.06.2002 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt hat. Die Klägerin habe im Iran zu aktuellen Anlässen, speziell in Stadtteilen mit ärmerer Bevölkerung, Flugblätter verteilt. Sie habe sich entgegen der Einschätzung des Einzelentscheiders im Iran in einer latenten Gefahrenlage befunden.

Außerdem sei sie in der Bundesrepublik Deutschland umfänglich exilpolitisch tätig geworden. Sie sei im Dezember 2002 in öffentlicher Sitzung in das Exikutivkomitee der "Hauptorganisation der Bewegung der iranischen Demokraten" (HBID) gewählt worden; ihr sei die Position der Schatzmeisterin übertragen worden. Über ihre Wahl sei im Internet unter Namensnennung berichtet worden. Sie habe in der Zeitschrift der Organisation, die den Namen "Talashgaran" trage, Artikel gegen das bestehende Regime im Iran geschrieben. Auch habe sie als Vertreterin von HBID im Jahre 2003 an der bundesweiten Seminaraktion iranischer Frauen in Braunschweig teilgenommen. Sie habe einen Artikel verlesen, in dem es um den Kampf der Frauen gegen die frauenfeindliche Gesetzgebung und um den Kampf und den Protest gegen das herrschende Patriarchat gehe.

Sie habe sich zudem an sonstigen exilpolitischen Aktivitäten gegen das Regime im Iran wie z. B. Demonstrationen und Verteilen von Flugblättern beteiligt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat die Klägerin ihren Klagantrag auf Anerkennung als Asylberechtigte zurückgenommen.

Sie hat beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheides des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 06.06.2002 zu verpflichten festzustellen, dass bei ihr die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1, hilfsweise § 53 AuslG vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheides des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 06.06.2002 verpflichtet festzustellen, dass im Fall der Klägerin die Voraussetzungen für ein Abschiebungshindernis gem. § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Iran bestehen. Durch ihre ganz erheblichen und durch Fotos belegten Aktivitäten im Rahmen der HBID in Bremen wie in anderen Großstädten der Bundesrepublik habe sich die Klägerin für einen Betrachter der exilpolitischen Szene für sich gesehen bereits auffällig exponiert. Darüber hinaus sei belegt, dass die Klägerin im Dezember 2002 als Schatzmeisterin in das Exikutivkomitee gewählt worden sei. Des Weiteren sei die Klägerin durch Veröffentlichung von kritischen politischen Artikeln unter Namensnennung in der Zeitschrift der Organisation "Talashgaran" identifizierbar als erklärte Gegnerin des iranischen Regimes aufgetreten. Durch ihre öffentlichkeitswirksamen politischen Äußerungen, insbesondere durch die verunglimpfende Art der Darstellung der geistigen Führerschaft im Iran als Terror verbreitende Gewalttäter und Plünderer, werde die Klägerin mit großer Wahrscheinlichkeit dem iranischen Geheimdienst als ernst zu nehmende und zu bekämpfende Oppositionelle bekannt geworden sein, sodass sie bei einer Rückkehr in den Iran mit politischer Verfolgung in Form von menschenrechtswidriger Behandlung und Bestrafung rechnen müsse. Davor müsse sie durch die Gewährung von Abschiebungsschutz bewahrt werden.

Der Senat hat durch Beschluss vom 18.05.2006 die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zugelassen, soweit die Beklagte verpflichtet worden ist festzustellen, dass im Fall der Klägerin die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Iran bestehen.

Zur Begründung ihrer Berufung verweist die Beklagte auf das Senatsurteil vom 24.11.2004 (Az.: 2 A 477/03.A). Danach begründeten die klägerischen Exilaktivitäten für die HBID nach einer Gesamtwürdigung der Umstände keine beachtliche Verfolgungsgefahr. Von dieser Rechtsprechung weiche das erstinstanzliche Urteil ab, weshalb es keinen Bestand haben könne.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen, soweit die Beklagte verpflichtet worden ist festzustellen, dass im Fall der Klägerin zu 1. die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Iran gegeben sind.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 06.06.2002 verpflichtet wird festzustellen, dass im Falle der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG vorliegen und der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, hilfsweise festzustellen, dass im Falle der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegt.

Sie hält die Berufung für nicht begründet. Ihr sei aufgrund ihrer exilpolitischen Aktivitäten Abschiebungsschutz zu gewähren. Sie sei jahrelang stellvertretende Vorsitzende des HBID gewesen. In dieser Funktion habe sie an zahlreichen Aktionen, Demonstrationen und anderen Veranstaltungen der Exilopposition teilgenommen.

Später habe sie sich mit anderen von der HBID gelöst. Die neue Gruppe gebe die Zeitung "Hambastegy" heraus. Sie sei Mitglied der Redaktion dieser Zeitschrift. Sie habe in dieser Zeitschrift unter ihrem vollen Namen viele Artikel gegen das iranische Regime veröffentlicht.

Zudem setze sie sich für die Rechte der Frauen im Iran ein. Sie sei Begründerin und Herausgeberin der Frauenzeitung "Frauen auf dem Weg der Freiheit". In der Zeitung würden iranische Frauen dazu aufgefordert, sich gegen das Regime im Iran zu vereinigen und Aktivitäten zum Sturz des Regimes zu entfalten. Die Klägerin habe in jeder dieser Zeitschriften regimekritische Artikel geschrieben. An der Kampagne zur Sammlung von einer Million Unterschriften für die Änderung der die Frauen diskriminierenden Gesetze im Iran habe sie sich an führender Stelle beteiligt. Sie habe anlässlich von Seminaren und Veranstaltungen in verschiedenen Städten Unterschriften für diese Kampagne gesammelt und auch Reden gehalten.

Zudem sei sie Mitglied der Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran e. V. (im Folgenden: VVM-Iran). Sie sei stellvertretende Leiterin des Frauenkomitees der VVM-Iran auf Bundesebene. Bei verschiedenen Veranstaltungen sei sie als Rednerin aufgetreten, so bei einer Veranstaltung der VVM-Iran am 08.03.2006 in Hannover. Sie habe bei dieser Veranstaltung vor etwa 200 Menschen das iranische Regime schärfstens als frauenfeindlich kritisiert. Auch bei anderen Veranstaltungen z. B. am 26.01.2007 und am 08.03.2007 in Bremen sowie am 20.05.2007 in Hannover, sei sie als Rednerin aufgetreten. Sie habe sich auf vielfältige Weise für die Rechte der Frauen im Iran eingesetzt (z. B. Teilnahme an Demonstrationen, Verfassen und Verteilen von Flugblättern, Sammeln von Unterschriften, Betreuung von Informationstischen, Seminare).

Wegen des Vorbringens der Klägerin im Übrigen wird auf ihre im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschrift vom 17.10.2007 verwiesen.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Akte der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt der Akten war, soweit er im Urteil verwertet worden ist, Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Entsprechendes gilt für die den Beteiligten übersandte Liste der Erkenntnisquellen (Blatt 146 bis 155 GA) sowie die in der Sitzungsniederschrift vom 17.10.2007 erwähnten Dokumente.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat der Klägerin zu Recht Abschiebungsschutz gewährt.

Nach § 77 Abs. 1 AsylVfG stellt das Gericht in Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab. Auszugehen ist nunmehr nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950) von § 60 Abs. 1 AufenthG. Diese Bestimmung ist mit Wirkung vom 01.01.2005 an die Stelle des bisherigen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 getreten. Zuletzt ist § 60 Abs. 1 AufenthG durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsund asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970 f.) geändert worden. Nach § 60 Abs. 1 S. 6 AufenthG i. d. F. des Umsetzungsgesetzes stellt das Bundesamt dann, wenn sich der Ausländer auf das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG beruft, in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Entsprechend war der Tenor neu zu formulieren.

Nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge nicht ein einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Die Vorschrift greift die frühere Regelung in § 51 Abs. 1 S. 1 AuslG auf. Wie für § 51 Abs. 1 S. 1 AuslG 1990 gilt auch für § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG, dass die Voraussetzungen der Vorschrift mit denen für die Gewährung von Asyl (Art. 16 a Abs. 1 GG) deckungsgleich sind, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft. Dagegen greift das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG u. a. auch dann ein, wenn politische Verfolgung wegen eines für die Asylanerkennung unbeachtlichen Nachfluchtgrundes droht (zu § 51 Abs. 1 AuslG 1990 vgl. BVerwG, U. v. 18.2.1992 - 9 C 59.91 -, Buchholz 402.27 § 7 AsylVfG Nr. 1; B. v. 13.01.1993 -9 B 338.92; SächsOVG, U. v. 04.05.2005 - A 2 B 524/04 -; vgl. auch OVG Bremen, U. v. 19.05.1999 -2 BA 82/94 - , U. v. 01.12.1999 - 2 A 508/98.A - und U. v. 24.11.2004 - 2 A 476/03.A -).

§ 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG setzt demnach wie Art. 16 a Abs. 1 GG, eine gegenwärtige Verfolgungsbetroffenheit voraus. Dem Ausländer muss politische Verfolgung bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, so dass es ihm nicht zumutbar ist, in sein Heimatland zurückzukehren (zu § 51 Abs. 1 AuslG 1990 vgl. BVerwG, U. v. 03.11.1992 - 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150, 154). Ein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt für diejenigen Ausländer, die schon in ihrer Heimat politisch verfolgt wurden, die insbesondere bereits Opfer gezielter politischer Repressalien waren oder zumindest gute Gründe hatten, solche Repressalien als konkret bevorstehend zu befürchten. Diesen Personen ist schon dann Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG zu gewähren, wenn an ihrer Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei Rückkehr in den Heimatstaat ernsthafte Zweifel verbleiben (vgl. zum Asylrecht: BVerwG, U. v. 25.09.1984 - 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 und U. v. 18.02.1997 -9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97, HessVGH, U. v. 23.11.2005 - 11 UE 3311/04.A).

Über das Vorliegen einer mit der jeweils erforderlichen Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in diese Gesamtschau im Rahmen der Prüfung des Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG - anders als bei der Feststellung einer Asylberechtigung nach Art. 16 a Abs. 1 GG - alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob sie schon im Verfolgungsstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden oder von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechenden, schon im Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (zu § 51 Abs. 1 AuslG 1990 vgl. BVerwG, U. v. 18.02.1992 -9 C 59.91 -).

Nach diesen Grundsätzen steht der Klägerin Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG zu.

1.

Zur allgemeinen politischen Lage im Iran hat der Senat im Urteil vom 24.11.2004 (Az.: 2 A 477/03.A) folgendes zusammenfassend angemerkt:

"Der Iran hat eine Gesamteinwohnerzahl von etwa 66 Mio. Menschen. Er ist ein Vielvölkerstaat. Die Minderheiten machen zusammengenommen fast die Hälfte der iranischen Bevölkerung aus. Die Türken stellen mit ca. 25 % die größte Minderheit dar. Daneben gibt es Kurden (ca. 7 %), Araber, Belutschen und Turkmenen (ungefähr jeweils 2 %). Mehr als 99 % der Iraner sind Moslems, etwa 90 % davon Schiiten. Mit über 200.000 Anhängern stellen die Christen die größte der drei offiziell anerkannten religiösen Minderheiten dar; die beiden anderen sind die Zoroaster und die Juden. Die Gemeinschaft der Bahai wird auf über 300.000 Personen geschätzt (zum Vorstehenden vgl. AA, Lagebericht vom 3. März 2004; Bundesamt, Iran, Allgemeines, März 2004 S. 7 m.w.N.).

Nach dem erzwungenen Rücktritt des Schahs im Januar 1979, kehrte Ajatollah Khomeini aus dem Exil in den Iran zurück. Innerhalb einer kurzen Zeitspanne wurden politische Gruppen, die eine bedeutende Rolle in der Revolution gespielt hatten, wie etwa die Kommunisten, die Volksfedajin, die Volksmudjaheddin (VM) sowie moderate islamische Kräfte hinausgedrängt. Man nimmt an, dass Zehntausende in den Wirren der Revolution hingerichtet worden sind.

Der Iran ist eine theokratische Republik, die auf der islamischen Gesetzgebung aufgebaut ist.

Die nach der Revolution eingeführte islamische Verfassung legt die Stellung der Geistlichkeit als der höchsten maßgeblichen Staatsgewalt des Landes fest, die im Wesentlichen eine "religiöse Oligarchie" bildet. Gemäß Art. 4 der Verfassung haben die islamischen Grundsätze Vorrang vor allen Gesetzen und Vorschriften und sogar vor den verfassungsmäßigen Bestimmungen (Europäische Union, Bericht der Delegation der Niederlande vom 05.08.1997, S. 5 ff.). Der Islamische Wächterrat überprüft die vom Parlament beschlossenen Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit islamischen Normen. Kommt es zu keiner Einigung zwischen Parlament und Wächterrat, obliegt die Entscheidung dem Schlichtungsrat (AA, Lagebericht vom 03.03.2004).

Die 25 Mitglieder des Schlichtungsrats werden vom Islamischen Revolutionsführer ernannt. Der Islamische Revolutionsführer ernennt auch für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative, der laut Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Judikative inne hat, sowie den Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs und den Generalstaatsanwalt. Durch das Recht, Vertreter wichtiger Verfassungsorgane und anderer staatlicher Stellen zu ernennen, kontrolliert der Revolutionsführer indirekt weite Teile der Politik.

Das Volk wählt in geheimen, direkten Wahlen das Parlament (290 Mitglieder, Amtszeit vier Jahre), den Präsidenten (Amtszeit vier Jahre) sowie den sog. Expertenrat (Amtszeit acht Jahre, 83 Mitglieder aus dem Klerus).

Die Kandidaten für die Mitgliedschaft im iranischen Parlament müssen durch den Wächterrat genehmigt werden, bevor es ihnen gestattet wird, für die Wahl zu kandidieren. Politische Parteien im Sinne der westlichen Demokratien gibt es im Iran nicht.

Der Expertenrat hat vor allem die Aufgabe, nach bestimmten, in der Verfassung vorgegebenen Kriterien den islamischen Revolutionsführer auf Lebenszeit zu ernennen sowie in seiner Amtsführung zu überwachen (AA, Lagebericht vom 03.03.2004).

Eine nennenswerte organisierte Opposition außerhalb des Systems der Islamischen Republik existiert im Iran nicht.

Islamischer Revolutionsführer wurde nach dem Tod von Ajatollah Khomeini im Jahre 1989 Ajatollah Khamenei. Khamenei genießt nicht die gleiche unbestrittene Autorität wie sein Vorgänger (vgl. Europäische Union, Bericht der Delegation der Niederlande vom 05.08.1997, S. 3 ff.). Bei den Präsidentschaftswahlen vom 23.05.1997 ging der - als gemäßigt geltende - Mohammad Khatami mit überwältigender Mehrheit (ca. 70 %) als Sieger hervor.

Im Juni 2001 wurde Khatami für weitere vier Jahre in seinem Amt bestätigt. Seit dem Antritt der Regierung unter Präsident Khatami im August 1997 ist in der Führungselite des Iran ein Machtkampf über den künftigen Weg der islamischen Republik zu beobachten. Liberalisierung im Inneren, Reintegration in die internationale Gemeinschaft und Öffnung zum Weltmarkt oder Ausbau der Theokratie und nationaler Sonderweg sind die Alternativen, um die gerungen wird (AA, Lagebericht vom 20.04.1999). Das reformfreudige Lager, das seit Mitte 2000 eine Zweidrittelmehrheit im Parlament hatte, konnte sich bei den Wahlen am 20.02.2004 nicht behaupten. Die gemäßigt Konservativen errangen eine Mehrheit im Parlament. Allerdings war es im Vorfeld der Wahlen zum Ausschluss von über 2.000 reformfreundlichen Kandidaten durch den Wächterrat gekommen."

Zu ergänzen ist, dass mit dem Wahlsieg Ahmadinejads in der Stichwahl zur Präsidentschaft 2005 ein Vertreter der Radikal-Konservativen als Wahlsieger hervorgegangen ist. Seitdem sind alle entscheidenden politischen Gremien von Konservativen dominiert. Alle wichtigen Ämter in der Verwaltung sind aus Kreisen der Nachrichtendienste und Revolutionsgarden besetzt worden. Eine mehr konfrontative, von Revolutionsidealen erfüllte antiwestliche und antiisraelische Rhetorik hat die auf Dialog setzenden Annäherungsbemühungen der Khatami-Regierung abgelöst (AA, Lagebericht vom 04.07.2007).

2.

Für den Fall der Klägerin ergibt sich folgendes:

a)

Die Klägerin hat ein Vorfluchtgeschehen nicht glaubhaft dargelegt.

Soweit die Klägerin beim Bundesamt vorgetragen hat, sie sei 1989 oder 1990 wegen Nichtbeachtung der Bekleidungsvorschriften festgenommen und 7 oder 8 Stunden festgehalten worden, ist dieser Vorfall jedenfalls nicht kausal für die im Februar 2002 erfolgte Ausreise geworden.

Bezüglich der behaupteten Flugblattverteilung fehlt es an der substantiierten Darlegung von Umständen, die eine Verfolgung der Klägerin im Iran als beachtlich wahrscheinlich erscheinen lassen könnte. Ein hinreichend konkreter Sachverhalt, der eine solche Verfolgungsgefahr begründen könnte, wird nicht aufgezeigt. So fehlt es an jeglichen Angaben zu Inhalt und Zeitpunkt einzelner Flugblattaktionen. Auch hat die Klägerin den Iran nach ihren Angaben über den iranisch-türkischen Grenzübergang Bazargan verlassen können. Nach dem jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 04.07.2007 sind die Kontrollen in Bazargan noch strenger und langwieriger als am Flughafen Mehrabad/Teheran. Zum Flughafen Mehrabad heißt es im gleichen Lagebericht, es sei nahezu ausgeschlossen, dass jemand, der von den iranischen Sicherheitsbehörden gesucht werde, mit eigenen Papieren über den Flughafen Mehrabad ausreisen könne. Auch eine Ausreise mit gefälschten Papieren sei angesichts der bestehenden Kontrolldichte äußerst schwierig (S. 34 des Berichts).

Soweit die Klägerin vor dem Bundesamt vorgetragen hat, sie sei im Pass als Ehefrau des Schleppers und ihre beiden Kinder seien als gemeinsame Kinder aufgeführt worden, bestehen an der Wahrheit dieser Angaben ernstliche Zweifel. Angesichts der sehr strengen, computergestützten Kontrollen durch Sicherheitskräfte, Passbehörden und Informationsministerium hält es der Senat für unwahrscheinlich, dass mittels einer solchen Fälschung ein Grenzübertritt gelungen sein soll.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin nichts vorgebracht, was die - bereits im Bescheid des Bundesamts vom 06.06.2002 aufgezeigten - ernstlichen Zweifel an einem glaubhaften Vorfluchtschicksal ausräumen könnte.

b)

Der Klägerin steht jedoch Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG wegen ihrer politischen Nachfluchtaktivitäten zu.

aa)

Zur Beachtlichkeit von Nachfluchtaktivitäten gegen das iranische Regime ist zunächst festzuhalten, dass weder die Asylantragstellung noch der mehrjährige Auslandsaufenthalt eine asylrelevante Verfolgungsgefahr für zurückkehrende Iraner begründen. Das hat der Senat bereits in den Urteilen vom 01.12.1999 (2 A 508/98.A) und 24.11.2004 (2 A 476/03.A) ausgeführt und das wird auch durch den jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 04.07.2007 bestätigt (Seite 31 des Berichts).

bb)

Aus den Nachfluchtaktivitäten der Klägerin, insbesondere ihrem engagierten Einsatz für eine Verbesserung der rechtlichen Situation der Frauen im Iran, ergibt sich jedoch eine beachtliche Verfolgungsgefahr.

Der Senat hat in Bezug auf den Iran in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung entschieden, dass eine Rückkehrgefährdung für solche Personen besteht, die nicht lediglich als bloße Mitläufer bei Veranstaltungen einer Oppositionsgruppe in Erscheinung getreten sind, sondern durch ihr Engagement und die von Ihnen entfalteten Aktivitäten aus der Masse oppositioneller Iraner herausgetreten sind, sich also durch ihre Exilaktivitäten exponiert haben und als ernsthafte und gefährliche Regimegegner erscheinen (vgl. Urteile vom 24.11.2004 - Az.: 2 A 275/03.A und 2 A 278/03.A und Urteile vom 08.12.2004 - 2 A 276/03.A und 2 A 277/03.A jeweils mit weiteren Nachweisen zur obergerichtlichen Rechtsprechung). Dieser Maßstab ist auch im Fall der Klägerin anzuwenden. Einen Anlass, davon abzuweichen sieht der Senat nicht. Das Deutsche Orient-Institut (DOI) hat in der Auskunft vom 05.07.2006 an das VG Stuttgart die Frage, ob es Anzeichen dafür gebe, dass eine nicht exponierte regimefeindliche Betätigung von Iranern in Europa, die bisher als ungefährlich eingestuft wurde, seit der Präsidentschaft von Ahmadinejad im Falle der Rückkehr zu schärferer, mit körperlichen Übergriffen verbundener Überprüfung führen kann, verneint. In diesem Zusammenhang hat das DOI betont, dass der Machtantritt Ahmadinejads in seiner politischen Bedeutung für die innenpolitischen Verhältnisse Irans im Westen weit überschätzt werde. Konkrete Fälle, die Anlass geben könnten, eine erhöhte Gefährdung für Rückkehrer anzunehmen, finden sich in den Erkenntnisquellen nicht.

Bei Anlegung des erwähnten Maßstabes ist eine Rückkehrgefährdung der Klägerin anzunehmen. Sie ist durch ihr Engagement und die von ihr entfalteten Aktivitäten aus der Masse oppositioneller Iraner erkennbar herausgetreten und erscheint als ernsthafte und gefährliche Regimegegnerin.

Die Klägerin hat sich mit großem Engagement in vielfältiger Weise für eine Verbesserung der rechtlichen Situation der Frauen im Iran eingesetzt und dabei das iranische Regime scharf kritisiert und dessen Beseitigung gefordert. Sie hat die Zeitung "Frauen auf dem Weg in die Freiheit" gegründet, von der seit Mai 2005 zehn Ausgaben erschienen sind. In den vorgelegten Exemplaren der Zeitschrift wird die Klägerin auf dem Deckblatt unter "Chef Redaktion" aufgeführt. Nach der von ihr eingereichten Aufstellung hat sie in jeder Ausgabe Artikel veröffentlicht. In ihren Artikeln prangert sie die rechtliche Situation der Frauen im Iran an, spricht u. a. von "Terroristen an der Spitze der Macht im Iran" und fordert die Frauen dazu auf, sich gegen das bestehende islamische Regime zu vereinigen und Aktivitäten für den Sturz des Regimes zu entfalten.

Darüber hinaus ist die Klägerin auch bei der Zeitung "Hambastegy" an maßgeblicher Stelle für Frauenfragen tätig. Sie gehört dem Redaktionsteam dieser Zeitschrift an und betreut das Ressort "Rechte der Frauen". Sie hat selbst in der Zeitschrift eine Vielzahl von Artikeln geschrieben, in denen sie das iranische Regime massiv attackiert und dessen Sturz fordert (Artikel u. a. unter folgenden Überschriften: "Aufgeklärte und kämpfende Frauen" (Juni 2006), "Der einzige Weg in die Freiheit ist der Sturz des Mullah-Regimes im Iran" (Juni 2007), "Das verbrecherische Kabinett des Ahmadinejad" (Juli 2007) ).

Auch über die Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran e. V. (VVM-Iran) hat sich die Klägerin für eine Veränderung der Situation der Frauen im Iran eingesetzt. Sie ist stellvertretende Leiterin des Frauenkomitees der VVM-Iran und bei verschiedenen Veranstaltungen dieser - und auch anderer Organisationen - als Rednerin aufgetreten. So hat sie beispielsweise anlässlich des internationalen Frauentages am 08.03.2006 in Hannover eine Rede zur Verletzung der Menschenrechte, speziell der Frauenrechte im Iran gehalten und am 23.09.2007 eine Rede zum Thema "Frieden aus der Sicht der islamischen Republik" vorgetragen.

Wiederholt hat die Klägerin auch Flugblätter zur Lage der Frauen im Iran (mit-) verfasst und verteilt.

Schließlich - und nicht zuletzt - hat die Klägerin mit großem Einsatz die Kampagne "One Million Signatures Demanding Changes to Discriminatory Laws" unterstützt. Mit dieser Kampagne sammelt die iranische Frauenbewegung weltweit eine Million Unterschriften, die sodann den Abgeordneten des iranischen Parlaments übergeben werden und diese veranlassen sollen, die Gesetze zu ändern. Die Kampagne, die ausschließlich über das Internet agiert, hat die Klägerin zur Überzeugung des Senats in Deutschland maßgeblich vorangebracht. Sie hat auf Seminaren, Konferenzen und anderen Veranstaltungen in Hannover, Dortmund, Hamburg, Essen und weiteren Städten Unterschriften gesammelt und auch in Reden für diese Kampagne geworben. Die eingesammelten Unterschriften hat sie eingescannt und an die zuständige E-Mail-Adresse in Teheran verschickt. Im Internet hat die Klägerin mit einem Bild von sich über ihre Unterschriftensammlung in Deutschland berichtet und für diese Kampagne geworben.

Die vorstehenden Feststellungen beruhen auf den von der Klägerin eingereichten Unterlagen (u. a. Zeitschriften "Frauen auf dem Weg in die Freiheit" und "Hambastegy", Flugblätter, Fotos, persönliche Zusammenstellungen der Aktivitäten) zu ihren Aktivitäten sowie der ausführlichen Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Die Klägerin hat vor dem Senat im Wesentlichen widerspruchsfrei vorgetragen. Auch aufgrund des persönlichen Eindrucks aus der mehrstündigen mündlichen Verhandlung nimmt der Senat der Klägerin ihr vorgetragenes, herausragendes Engagement für eine Veränderung der rechtlichen Situation der Frauen im Iran ab. Insgesamt ergab sich das Bild einer Frau, die durch Eigeninitiative, Engagement und die zahlreichen von ihr entfalteten Aktivitäten für die Rechte der Frauen im Iran deutlich erkennbar aus der Masse oppositioneller Iranerinnen und Iraner herausgetreten ist.

Der Senat ist auch davon überzeugt, dass die Aktivitäten die Klägerin in den Augen der iranischen Sicherheitskräfte als ernsthafte und gefährliche Regimegegnerin erscheinen lassen.

Der Senat hat bereits im Urteil vom 24.11.2004 (2 A 476/03.A) ausgeführt, dass die iranischen Stellen nach den Erkenntnisquellen einen erheblichen Aufwand betreiben, um die Aktivitäten oppositioneller Gruppen zu erfassen und dass eine intensive Überwachung stattfindet. Das hat sich nicht geändert. Auch im jüngsten Lagebericht vom 4. Juli 2007 betont das Auswärtige Amt, es sei davon auszugehen, dass iranische Stellen die im Ausland tätigen Oppositionsgruppen genau beobachten. Demnach ist anzunehmen, dass die Aktivitäten der Klägerin den iranischen Stellen bekannt sind.

Insbesondere aufgrund der Art und des Ausmaßes ihrer Aktivitäten sowie der Intensität ihres Engagements werden die iranischen Stellen die Klägerin als ernstzunehmende und gefährliche Regimegegnerin einstufen. In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, dass die Aktivitäten der Klägerin einen unmittelbaren Bezug zur inneriranischen Frauenbewegung nahe legen und nicht auf den Bereich des (westlichen) Auslands beschränkt erscheinen. Das gilt für die Kampagne zur Sammlung von einer Million Unterschriften, die von der iranischen Frauenbewegung angeführt wird. Zudem ist den Erkenntnismaterialien zu entnehmen, dass sich die Situation für Personen, die sich für die Rechte der Frauen im Iran einsetzen, in letzter Zeit erkennbar verschärft hat. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 04.07.2007 wurden im Zuge verschiedener Kundgebungen zum internationalen Frauentag am 08.03.2007 sowie im Zuge der Kampagne "One Million Signatures Demanding Changes to Discriminatory Laws" Journalistinnen und Frauenrechtsaktivistinnen verhaftet und vom Teheraner Revolutionsgericht wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit" zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt (S. 12). Weiter wird im Lagebericht vom 04.07.2007 mitgeteilt, dass die Polizei bei zwei Frauendemonstrationen (am Internationalen Frauentag 2006 und am 12.06.2006) gewaltsam eingegriffen habe. Bei der Demonstration am 12.06.2006 sei die Polizei mit äußerster Härte gegen die Demonstranten vorgegangen und habe rund 40 Frauen und 30 Männer festgenommen. Am 04.03.2007 hätten einige der Frauen vor Gericht gestanden. Vor dem Gericht sei es zu erneuten Demonstrationen gekommen, die von Sicherheitskräften niedergeschlagen worden seien. Zumindest vier Frauen seien zu Haftstrafen zwischen 2 und 4 Jahren verurteilt worden (S. 15).

Im Jahresbericht 2007 von ai (Zeitraum 01.01. bis 31.12.2006) ist von einer Verschlechterung der Menschenrechtslage im Iran die Rede. Die Sicherheitskräfte hätten im März und im Juni in Teheran Demonstrationen für die Beendigung der rechtlichen Diskriminierung der Frauen gewaltsam aufgelöst. Dabei hätten einige der Teilnehmerinnen Verletzungen davongetragen. Im August hätten Frauenrechtlerinnen eine Kampagne mit dem Ziel gestartet, eine Million Unterschriften unter eine Petition zu sammeln, um ihrer Forderung nach gleichen Rechten für Frauen Nachdruck zu verleihen.

Das Kompetenzzentrum Orient-Okzident, Mainz (Dr. T.) teilt in mehreren Auskünften mit, man könne prinzipiell sagen, dass die iranischen Behörden im Moment schärfer gegenüber rückkehrenden Frauen agieren als gegenüber Männern. Seit dem 19.05.2006 existiere ein vom iranischen Präsidenten Ahmandinejad eingerichteter "Höchster Rat der Kulturrevolution für Sitte und Bekleidung", der die individuelle Lebensführung auch im Exil überprüfe (Auskunft vom 30.10.2006 an VG Wiesbaden, vom 17.11.2006 an VG Hamburg und vom 20.11.2006 an VG Wiesbaden).

Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisquellen hält es der Senat für beachtlich wahrscheinlich, dass die iranischen Stellen im Falle der Klägerin nicht von einer Verfolgung absehen werden. Der Klägerin ist deshalb Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG zu gewähren.

Die Beklagte hat nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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