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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 09.01.2008
Aktenzeichen: S2 S 484/07
Rechtsgebiete: SGG


Vorschriften:

SGG § 86 b Abs. 2
1. Ist nicht zweifelhaft, dass jemand einen größeren Geldbetrag zur Verfügung gehabt hat, kann die Behörde zum Nachweis der Bedürftigkeit eine genaue Aufschlüsselung des Verbleibs des Geldes verlangen. Nur wenn im Einzelnen substantiiert und nachvollziehbar dargelegt worden ist, dass und weshalb von dem Geldbetrag nichts mehr vorhanden ist, kommen öffentliche Hilfeleistungen in Betracht.

2. Das Schweigerecht des Beschuldigten nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO hat nicht zur Folge, dass an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG geringere Anforderungen zu stellen sind.


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: S2 B 483/07 OVG: S2 S 484/07

In dem Rechtsstreit

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 2. Senat für Sozialgerichtssachen - durch Richterin Dreger, Richter Dr. Grundmann und Richter Dr. Lohmann am 09.01.2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 1. Kammer für Sozialgerichtssachen - vom 23.11.2007 aufgehoben.

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Kostenentscheidung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen vom 23.11.2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Mit Schreiben vom 13.09.2007 unterrichtete die Staatsanwaltschaft Bremen die Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales (BAgIS) davon, dass gegen den Antragsteller ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche (§ 261 StGB) anhängig sei.

Mit Bescheid vom 18.10.2007 teilte die BAgIS dem Antragsteller mit, dass die laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes des Antragstellers vorläufig eingestellt worden seien und dem Antragsteller Gelegenheit gegeben werde, sich zur Sache zu äußern.

Mit weiterem Bescheid vom 18.10.2007 teilte die BAgIS dem Antragsteller mit, dass er in der Zeit vom 01.03.2006 bis zum 31.10.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i. H. v. 12.408,40 € zu Unrecht bezogen habe. Nach den vorliegenden Unterlagen habe er im Zeitraum vom 27.03.2006 bis zum 28.11.2006 Vermögen i. H. v. 47.316,16 € besessen, über das er habe verfügen können. Bevor eine abschließende Entscheidung über die Erstattung ergehe, erhalte der Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme.

Am 02.11.2007 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Bremen - Kammer für Sozialgerichtssachen - beantragt, die Antragsgegnerin (BAgIS) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm über den 31.10.2007 hinaus laufende Leistungen nach den Bestimmungen des SGB II zu gewähren.

Das Verwaltungsgericht 1. Kammer für Sozialgerichtssachen - hat die Antragsgegnerin durch Beschluss vom 23.11.2007 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 02.11.2007 über die Dauer von 3 Monaten unter dem Vorbehalt der Rückforderung und unter Anrechnung einer am 09.11.2007 gewährten Barzahlung i. H. v. 100,- € Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu erbringen. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Außerdem hat es entschieden, dass die Antragsgegnerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten hat.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. Sie meint, das Verwaltungsgericht hätte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ablehnen müssen.

Der Antragsteller hat gegen die Kostenentscheidung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, das Verwaltungsgericht hätte der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in voller Höhe auferlegen müssen.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg. Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen.

Die Beschwerde des Antragstellers bleibt erfolglos.

Nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist erforderlich, dass mit dem Antrag sowohl ein Anspruch auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) als auch ein Grund für eine vorläufige Regelung durch das Gericht (Anordnungsgrund) i. S. des § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht werden.

Hier fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt, eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts sei im Rahmen des Eilverfahrens nicht möglich, so dass aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden sei, die zugunsten des Antragstellers ausfalle.

Zwar ist es grundsätzlich angemessen - und u. U. sogar geboten - anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, wenn im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich ist. Auch der Senat hat in der vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung vom 16.12.2007 (Az.: S3 B 317/05; vgl. auch Senatsbeschluss vom 23.11.2005 - Az.: S2 B 320/05 und S2 S 321/05) eine solche Folgenabwägung vorgenommen. Allerdings war in jenem Fall - und darin besteht ein grundlegender Unterschied zum Fall des Antragstellers - streitig, ob überhaupt zurechenbares Einkommen oder Vermögen vorhanden war. Im Fall des Antragstellers bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass dem Antragsteller in der Zeit vom 27.03.2006 bis zum 28.11.2006 größere Geldbeträge zugeflossen sind. Für einen Teil des Geldes ergibt sich das aus den vorgelegten Kontoauszügen und im Übrigen hat das der Antragsteller in der Begründung seines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 02.11.2007 selbst eingeräumt, indem er erklärt hat, es mögen in der Summe 47.316,16 € gewesen sein. Ist aber der Zufluss eines größeren Betrages nicht ernstlich zweifelhaft, kann die Behörde vom Betroffenen nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 24.02.2006 - S2 B 423/05 - für den Fall einer Erbschaft i. H. v. 50.000,- €) eine genaue Aufschlüsselung des Verbleibs des Geldes verlangen. Nur wenn im Einzelnen substantiiert und nachvollziehbar dargelegt worden ist, dass und weshalb von dem Geldbetrag nichts mehr vorhanden ist, kommen öffentliche Hilfeleistungen in Betracht. Das gilt auch für den Fall des Antragstellers.

Der Antragsteller kann demgegenüber nicht mit Erfolg geltend machen, gegen ihn laufe eine Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen Geldwäsche und er mache von seinem Schweigerecht (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO) Gebrauch. Das Schweigerecht bezieht sich auf die Rechtsstellung des Beschuldigten im Strafprozess und ist Ausdruck des anerkannten Prinzips des Strafprozesses, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht (vgl. BVerfGE 56, 37, 43; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.05.2007 - 10 S 608/07 -). Hier geht es jedoch nicht um die strafprozessuale Rechtsstellung des Antragstellers, sondern darum, dass der Antragsteller von der Antragsgegnerin Leistungen nach dem SGB II im Wege der einstweiligen Anordnung begehrt. Für diesen Regelungsbereich ist ein (entsprechendes) Schweigerecht gesetzlich nicht normiert, so dass auch im Fall des Antragstellers die allgemeinen für die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs geltenden Grundsätze zur Anwendung kommen. Anderenfalls stünde der Antragsteller nur deshalb, weil gegen ihn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, besser als andere Antragsteller, die der Behörde den Verbrauch großer Geldbeträge im Einzelnen nachweisen müssen, bevor ihnen Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhalts gewährt werden.

Unabhängig davon sind aber auch die Angaben, die der Antragsteller von sich aus zum Anordnungsanspruch vorgetragen hat, in wesentlichen Punkten unstimmig oder widersprüchlich, sodass nicht festgestellt werden kann, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile von dem Antragsteller abzuwenden.

Der Antragsteller hat vor dem Verwaltungsgericht am 02.11.2007 erklärt, er habe im Februar/März über einen in Bremen wohnenden Bekannten eine männliche Person namens "Peter" kennen gelernt, der wahrscheinlich französischer Staatsangehöriger sei. Dieser "Peter" habe bei der zweiten oder dritten Begegnung erklärt, dass er eine Person benötige, die einen Personalausweis habe. Er, "Peter", kaufe in Bremen Autos mit Geld, das ihm seine in Frankreich lebenden Angehörigen zukommen ließen, indem sie es bei der ... Bank (in Bremen in der Bahnhofshalle ansässig) zur Auszahlung anwiesen. Um sich das Geld bei der ... Bank auszahlen lassen zu können, benötige man einen gültigen Personalausweis, den er, "Peter", nicht habe, weil seiner abgelaufen sei. Der Antragsteller habe daraufhin "Peter" seine Hilfe angeboten. "Peter" habe in der Zeit von Ende März 2006 bis Ende November 2006 ca. 8 - 10 mal angerufen und sie seien zusammen zum Bremer Hauptbahnhof gefahren, wo er sich das Geld mit Hilfe seines Personalausweises habe auszahlen lassen und den Betrag sofort vollständig "Peter" übergeben habe. Das mögen in der Summe 47.316,16 € gewesen sein. Er, der Antragsteller, habe das Ganze als Freundschaftsdienst angesehen und dafür keine nennenswerte Gegenleistung von "Peter" erhalten. Der Antragsteller erinnere sich, dass "Peter" ihn einmal zum Essen eingeladen, ihm einmal eine Halskette und einen kleinen Geldbetrag geschenkt habe; die Summe seiner Geschenke habe in den 7 Monaten aber 150,- € nicht überstiegen. Ab Ende November 2006 habe "Peter" ihn dann nicht mehr angerufen; er sei im Frühjahr 2007 aber noch einmal bei ihm gewesen, um sich für längere Zeit zu verabschieden, weil er nach England gehen wolle.

Der Senat hat ernstliche Zweifel, dass dieser Sachverhalt der Wahrheit entspricht. Er hält es für unwahrscheinlich, dass der Antragsteller einer Person, die er nicht genau kennt aus Freundschaft und ohne nennenswerte Gegenleistung in der von ihm beschriebenen Weise geholfen hat. Angesichts der Umstände (angeblich abgelaufener Personalausweis; unbekannter Nachname, nicht geklärte Staatszugehörigkeit, wiederholte Überweisung hoher Geldbeträge aus dem Ausland) musste sich dem Antragsteller aufdrängen, dass hier "etwas nicht stimmte". Auffällig ist ferner, dass der Antragsteller nach den vorgelegten Kontoauszügen wiederholt eigene Einzahlungen auf sein Konto in einer für einen Empfänger von Sozialleistungen nicht unerheblichen Höhe vorgenommen hat, ohne dass erklärt wird, woher dieses Geld stammt (12.05.2006 600,- €, 26.03.2007 300,- €, 30.03.2007 300,- € und 15.08.2007 300,- €). Weiter hat der Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht ausgeführt, ab Ende November 2006 habe "Peter" ihn nicht mehr angerufen. Andererseits ergibt sich aus den vorgelegten Kontoauszügen, dass noch am 15. und 19.12.2006 Auslandszahlungen i. H. v. 2.480,81 € bzw. 1.169,24 € auf das Konto des Antragstellers erfolgt und Beträge i. H. v. 2.400,- € bzw. 1.150,- € im Dezember 2006 vom Konto abgehoben worden sind. Wo dieses Geld geblieben ist, wird nicht erklärt. Den Kontoauszügen ist auch zu entnehmen, dass der Antragsteller ein Schließfach bei der Sparkasse Bremen unterhält.

Insgesamt ist das, was der Antragsteller zu seiner Einkommens- und Vermögenslage vorgetragen hat, so ungereimt und unstimmig, dass nicht festgestellt werden kann, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen für den Antragsteller nötig erscheint. Der Antrag des Antragstellers war deshalb abzulehnen.

Da nach den vorstehenden Ausführungen der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erfolglos bleibt, entspricht es der Billigkeit, dass der Antragsteller seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat (vgl. § 193 SGG). Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Kostenentscheidung im Beschluss des Verwaltungsgerichts war schon deshalb zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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