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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 29.09.2004
Aktenzeichen: 1 M 247/04
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, BSHG, GG


Vorschriften:

VwGO § 123
VwGO § 166
ZPO § 114
BSHG § 14
BSHG § 88
GG Art. 19 Abs. 4
1. Bei dem Rückkaufswert einer Kapitallebensversicherung handelt es sich um Vermögen im Sinne des § 88 Abs. 1 BSHG.

2. Eine Kapitallebensversicherung ist nicht als Schonvermögen im Sinne des § 88 Abs. 2 Nr. 1a BSHG anzusehen.

3. Zur Härte i.S. des § 88 Abs. 3 BSHG.

4. Wird durch eine einstweilige Anordnung die Hauptsache vorläufig vorweggenommen, ist bei der Prüfung des Anordnungsanspruchs ein strenger Maßstab am Platze.


Az.: 1 M 247/04

Beschluss

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Sozialhilferecht

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 29. September 2004 in Greifswald durch beschlossen:

Tenor:

1. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

2. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ziffer 2, des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 15. Juli 2004 - 6 B 708/04 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt insoweit die Kosten des Beschwerdeverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

3. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ziffer 1. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 15. Juli 2004 - 6 B 708/04 - wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten für dieses Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, Auslagen nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt, ihr für den Monat Juli 2004 ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Dem liegt im Einzelnen folgender Sachverhalt zugrunde:

In der Vergangenheit bezog die Antragstellerin Hilfe zum Lebensunterhalt. Im Jahre 2003 nahm der Antragsgegner eine Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin vor. Insbesondere forderte er die Antragstellerin auf, in eine angemessene Wohnung umzuziehen, ihre Bemühungen zur Arbeitsuche zu intensivieren und ihre Kapitallebensversicherung zurückzukaufen.

Durch Bescheid vom 22. März 2004 verfügte der Antragsgegner, dass die Hilfe zum Lebensunterhalt der Antragstellerin für den Zeitraum März bis Mai 2004 (nur noch) gemäß § 11 Abs. 2 BSHG gegen Aufwendungsersatz gewährt werde. Der Antragsgegner stützte sich hierbei im Wesentlichen darauf, dass die Antragstellerin im Besitz der Lebensversicherung sei und diese zum Vermögen im Sinne des § 88 Abs. 1 BSHG gehöre. Gemäß § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG bliebe lediglich ein Betrag von 1.279 EURO anrechnungsfrei. Einen gegen diesen Bescheid erhobenen Widersprach wies der Antragsgegner durch Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2004 zurück. Soweit ersichtlich ist hiergegen kein Rechtsmittel eingelegt worden.

Bereits durch Bescheid 08. Juli 2004 stellte der Antragsgegner die Hilfe zum Lebensunterhalt mit Wirkung ab dem 01. Juni 2004 ein. Über den hiergegen gerichteten Widerspruch der Antragstellerin ist bislang noch nicht entschieden.

Am 01. Juli 2004 hat die Antragstellerin um die Gewährung vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht. Sie hat im Wesentlichen die Rechtsauffassung vertreten, die Kapitallebensversicherung sei nach § 88 Abs. 2 Ziff. 1a BSHG anrechnungsfrei. Zugleich hat die Antragstellerin um die Gewährung von Prozesskostenhilfe nachgesucht.

Durch Beschluss vom 15. Juli 2004 hat das Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat dabei im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Gemäß §§ 11 Abs. 1, 12 Abs. 1, 22 BSHG i.V.m. § 3 Abs. 1 und 2 Regelsatzverordnung erhalte derjenige Hilfe zum Lebensunterhalt als laufende Leistung, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen könne. Einem solchen Anspruch stehe jedoch die Verfügbarkeit über verwertbares Vermögen im Sinne des § 88 Abs. 1 BSHG in Form des Rückkaufswertes der von der Antragstellerin angesparten Lebensversicherung entgegen. Der Rückkaufswert habe zum 01. Juli 2004 bei 2.743,30 EURO gelegen. Als Schonvermögen im Sinne des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG gelte nach der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG lediglich ein Betrag von 1.279 EURO. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin stehe dem Einsatz der Lebensversicherung nicht § 88 Abs. 2 Nr. 1a BSHG entgegen, weil es sich bei der Kapitallebensversicherung nicht um eine so genannte "Riester-Rente" handele. Schließlich sei der Einsatz der Lebensversicherung auch keine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG.

Mit ihrer fristgerecht erhobenen und begründeten Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihre Begehren weiter. Sie trägt im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht hätte § 14 BSHG prüfen müssen. Die Verwertung der Lebensversicherung stelle eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 Sätze 1 und 2 BSHG dar. Es sei auf die Entscheidung des OVG Bremen vom 10. September 2003 - 2 A 131/02 - zu verweisen.

Der Antragsgegner tritt dem Beschwerdevorbringen entgegen. Insbesondere hält er § 14 BSHG nicht für einschlägig. Der Sachverhalt, der der genannten Entscheidung des OVG Bremen zugrundegelegen habe, sei mit dem vorliegenden nicht vergleichbar.

II.

Der Senat entscheidet über den Prozesskostenhilfeantrag für das Beschwerdeverfahren, die den Prozesskostenhilfeantrag betreffende Beschwerde und die Beschwerde in der Sache zeitgleich, weil die Antragstellerin ihre Beschwerde nicht von einer Bescheidung des Prozesskostenhilfeantrages anhängig gemacht hat. Die Beschwerden gegen die beiden Ziffern des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Schwerin sind insgesamt zurückzuweisen. Die Entscheidung erweist sich als zutreffend.

Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch im Sinne des § 123 VwGO hinreichend glaubhaft gemacht. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Insbesondere hat das Verwaltungsgericht zutreffend dargestellt, dass es sich bei dem Rückkaufswert einer Kapitallebensversicherung um Vermögen im Sinne des § 88 Abs. 1 BSHG handelt. Dies entspricht im Übrigen der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (vgl. z.B. VG Leipzig, Urteil vom 03. April 2003 - 2 K 219/01 -; VG Münster, Urteil vom 01. April 2003 - 5 K 2781/99 -; VG Leipzig, Beschluss vom 28. März 2003 - 2 K 331/03 -; VGH München, Urteil vom 28. März 2002 - 12 B 00.2575 -; BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1997 - 5 C 7/96 -; BVerwGE 106, 105; VGH München, Urteil vom 09. Februar 1994 - 12 C 93.1060 -; OVG Münster, Urteil vom 19. November 1993 - 8 A 278/92 -).

Die Lebensversicherung ist nicht als Schonvermögen im Sinne des § 88 Abs. 2 Nr. 1a BSHG anzusehen. Auch insoweit ist dem Verwaltungsgericht zu folgen, das sich zu Recht auf den Beschluss des VG Leipzig vom 28. März 2003 - 2 K 331/03 - beruft. Dort führt das VG Leipzig mit überzeugenden Gründen aus, dass die Ziffer 1a lediglich die so genannte "Riester-Rente" hat privilegieren wollen (vgl. ebenso VG Leipzig, Urteil vom 03. April 2003 - 2 K 219/01 -; OVG Bremen, Urteil vom 10. September 2003 - 2 A 131/02 -).

Schließlich ist dem Verwaltungsgericht bei seiner Einschätzung zu folgen, dass eine Härte nach § 88 Abs. 3 BSHG nicht angenommen werden kann. In der Rechtsprechung ist die Frage erörtert worden, ob in den Fällen, in denen der Rückkaufswert einer Lebensversicherung die eingezahlten Beträge unterschreitet, eine Härte bejaht werden kann. Erkennbar soll der wirtschaftliche Ausverkauf verhindert werden (vgl. z.B. VGH München, Urteil vom 28. März 2002 - 12 B 00.2575 -; OVG Bremen, a.a.O.). Dieser rechtliche Gesichtspunkt ist im vorliegenden Fall nicht geeignet, eine Härte zu begründen. Zum einen entspricht es der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1997 - 5 C 7/96 -, a.a.O.), dass es keine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG darstellt, dass der Rückkaufswert einer Lebensversicherung um mehr als die Hälfte hinter den auf sie erbrachten Eigenleistungen des Versicherungsnehmers zurückbleibt. Zum anderen stellt sich der vorliegende Sachverhalt so dar, dass den erbrachten Eigenleistungen von ca. 2.400 EURO ein Rückkaufswert von 2.743,30 EURO gegenübersteht.

Soweit das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, § 88 Abs. 3 Satz 2 BSHG, der bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen den Umfang des Schonvermögens erweitert, könne im vorliegenden Fall nicht angewendet werden, ist auch dem zu folgen. Insoweit wird auf die Ausführungen des VG Leipzig im Beschluss vom 28. März 2003 - 2 K 331/03 - verwiesen. Im Zweifel hat die gegenwärtige Bedarfsbefriedigung bei der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt Vorrang vor der Bedarfssicherung in der Zukunft.

Die Antragstellerin kann sich nicht mit Erfolg auf § 14 BSHG berufen. Dabei handelt es sich um eine Kannleistung, über deren Bewilligung der Träger der Sozialhilfe nach pflichtgemäßen Ermessen entscheidet (Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, § 14 Rn. 4). Daher hat das Verwaltungsgericht diese Vorschrift nicht bei seiner Entscheidung berücksichtigen müssen, zumal die Antragstellerin sie nicht in das Verfahren eingeführt hatte. Im Beschwerdeverfahren hat der Antragsgegner sich sachlich mit der Regelung des § 14 BSHG auseinandergesetzt. Da durch die Gewährung von Leistungen nach dem BSHG die Hauptsache vorläufig vorweggenommen würde, ist bei der Prüfung des Anordnungsanspruchs ein strenger Maßstab am Platze (vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, § 123 Rn. 14, m.w.N.). Im Hinblick auf Artikel 19 Abs. 4 GG gilt das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung zwar dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings nötig ist, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für einen Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg auch in der Hauptsache spricht (Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rn. 14). Diese erhöhten Anforderungen an die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg) sind wegen des der Behörde im Rahmen des § 14 BSHG zustehenden Ermessens nicht erfüllt.

Schließlich kann die Antragstellerin sich nicht mit Erfolg auf das Urteil des OVG Bremen vom 10. September 2003 - 2 A 131/02 -, NordÖR 2003, 512, berufen. Das OVG Bremen hat seine Entscheidung, im dortigen Fall das Vorliegen einer Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG anzunehmen, wesentlich darauf gestützt, dass die dortige Klägerin nur wegen der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub (jetzt Elternzeit) sozialhilfebedürftig geworden sei. Das Verlangen nach vorrangigem Einsatz der Lebensversicherung stehe im vorliegenden Einzelfall nicht in Einklang mit der Zweckbestimmung des Erziehungsurlaubs.

Wegen der oben genannten Erwägungen ist auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren mangels hinreichender Erfolgsaussichten gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 166, 188 Satz 2 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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