Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 15.05.2009
Aktenzeichen: 10 L 109/07
Rechtsgebiete: LDGM-V, VwGO


Vorschriften:

LDGM-V § 64
LDGM-V § 88
VwGO § 124a Abs. 4
1. Zur Auslegung eines "hilfsweise" eingereichten Antrags auf Zulassung der Berufung.

2. Ein neben der zulassungsfreien Berufung nur hilfsweise gestellter Zulassungsantrag ist unzulässig.


Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss

10 L 109/07

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Disziplinarrecht der Landesbeamten

hat der 10. Senat - Disziplinarsenat - des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 15. Mai 2009 in Greifswald

beschlossen:

Tenor:

Die Berufung wird als unzulässig verworfen.

Der beim Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hilfsweise gestellte Antrag der Einleitungsbehörde auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin - Kammer für Landesdisziplinarsachen - vom 26. Januar 2007 wird abgelehnt.

Die Einleitungsbehörde trägt die Kosten des Zulassungs- und Berufungsverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Beamten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Mit ihrer Berufung wendet sich die Einleitungsbehörde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin - Kammer für Landesdisziplinarsachen - vom 26.01.2007 und begehrt gegen den Beamten eine Gehaltskürzung um 1/20 seiner jeweiligen Bezüge für die Dauer von zwei Jahren. Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht Schwerin das Disziplinarverfahren gegen den Beamten eingestellt.

Die Berufung ist nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss nach § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO als unzulässig zu verwerfen; sie ist gemäß § 64 LDG M-V nicht statthaft.

Gemäß § 64 Abs. 2 LDG M-V steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts nur zu, wenn sie nach den Vorschriften der §§ 124, 124a und 124b der Verwaltungsgerichtsordnung zugelassen worden ist, sofern sie nicht bereits nach § 64 Abs. 1 LDG M-V statthaft ist. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 64 LDG M-V ist jedoch, dass sich die Prüfung der Statthaftigkeit überhaupt nach den Vorschriften des Landesdisziplinargesetzes M-V richtet. Dies bestimmt sich nach den in § 88 LDG M-V enthaltenen Übergangsbestimmungen. Nach dem in § 88 Abs. 1 LDG M-V enthaltenen Grundsatz werden die nach bisherigem Recht eingeleiteten Disziplinarverfahren in der Lage, in der sie sich bei In-Kraft-Treten des Landesdisziplinargesetzes befinden, nach diesem Gesetz fortgeführt, soweit in den Absätzen 2 bis 11 nichts Abweichendes bestimmt ist. Etwas Abweichendes für die Durchführung von gerichtlichen Verfahren in besonderen Fällen enthält § 88 Abs. 4 LDG M-V. Nach Satz 1 dieser Vorschrift werden die vor dem In-Kraft-Treten des Landesdisziplinargesetzes eingeleiteten förmlichen Disziplinarverfahren nach bisherigem Recht fortgeführt. Für die Anschuldigung und Durchführung des gerichtlichen Verfahrens gilt gemäß § 88 Abs. 4 Satz 2 LDG M-V ebenfalls das bisherige Recht. Unter Hinweis auf diese Übergangsbestimmung könnte sich die Frage nach dem statthaften Rechtsmittel gegen das angegriffene Urteil nach den Vorschriften der Landesdisziplinarordnung M-V richten, da das förmliche Disziplinarverfahren vor dem In-Kraft-Treten des Landesdisziplinargesetzes eingeleitet worden ist. Allerdings enthält § 88 Abs. 5 LDG M-V eine besondere Regelung für Rechtsmittel und Rechtsbehelfe. Statthaftigkeit, Frist und Form eines Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels gegen eine Entscheidung, die vor dem In-Kraft-Treten des Landesdisziplinargesetzes ergangen ist, bestimmen sich nach bisherigem Recht. Gemäß § 88 Abs. 5 Satz 2 LDG M-V gelten im weiteren Verfahren ebenfalls die Bestimmungen des bisherigen Rechts. Die hier angegriffene Entscheidung ist auf die mündliche Verhandlung vom 26.01.2007 ergangen, also nach dem In-Kraft-Treten des Landesdisziplinargesetzes. Daraus folgt, dass sich die Frage nach der Statthaftigkeit der hier vorliegenden Berufung jedenfalls nicht gemäß § 88 Abs. 5 LDG M-V an den Vorschriften der Landesdisziplinarordnung M-V orientiert. Die Statthaftigkeit, Frist und Form des Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels gegen eine Entscheidung, die nach dem In-Kraft-Treten des Landesdisziplinargesetzes M-V ergangen ist, richtet sich vielmehr aufgrund des in § 88 Abs. 1 LDG M-V enthaltenen Grundsatzes nach geltendem Recht, also den Vorschriften des Landesdisziplinargesetzes M-V. Entgegen der in der Kommentarliteratur zur entsprechenden Übergangsvorschrift im Bundesdisziplinargesetz vertretenen Auffassung (Köhler/Ratz, Bundesdisziplinargesetz und materielles Disziplinarrecht, § 85 Rn. 5) folgt dies aus der Zusammenschau des § 88 Abs. 4 bis 6 LDG M-V. Hätte der Gesetzgeber mit § 88 Abs. 4 LDG M-V zum Ausdruck bringen wollen, dass sämtliche vor dem In-Kraft-Treten des Landesdisziplinargesetzes eingeleiteten förmlichen Disziplinarverfahren nach bisherigem Recht fortgeführt werden sollen und für die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens in diesen Fällen das bisherige Recht gelten soll, wäre jedenfalls § 88 Abs. 5 LDG M-V überflüssig, wenn für die Statthaftigkeit, Frist und Form eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs nicht gesonderte Regelungen nur für besondere Verfahrenskonstellationen hätten geschaffen werden sollen (Urt. d. Senats v. 24.10.2007 -10 L 34/07).

Der Senat sieht sich mit Blick auf die von der Einleitungsbehörde hiergegen vorgebrachten Argumente auch nach erneuter Überprüfung nicht veranlasst, von seiner gefestigten Senatsrechtsprechung (vgl. Urt. 24.10.2007, a.a.O.; Beschl. v. 07.03.2008 - 10 L 115/07 -; Beschl. v. 25.03.2009 - 10 L 97/07 -) abzuweichen. Soweit die Einleitungsbehörde in diesem Zusammenhang zur Stützung ihrer Rechtsansicht die Gesetzgebungsmaterialien zu § 85 BDG heranzieht, kommt es nach Auffassung des Senats nicht auf die Bundesgesetzgebungsmaterialien, sondern vielmehr auf die Landesgesetzgebungsmaterialien an. Den hier maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien (vgl. LT-Drs. 4/1423, S. 96) kann jedoch nichts Gegenteiliges entnommen werden. Vielmehr wird auch in der Begründung zu § 64 des Gesetzesentwurfs im Sinne des obigen Verständnisses des Rechtsmittelverfahrens im Landesdisziplinargesetz betont, dass bei disziplinarrechtlichen Maßnahmen mit bedeutsameren Auswirkungen für den Betroffenen diese "durch eine zweite Instanz überprüfbar sein" müssen. Dieser Schutzgedanke greift im zugrundeliegenden Fall bereits deshalb nicht, weil nicht der Beamte, sondern die Einleitungsbehörde hier Rechtsmittelführer ist.

Auch den Übergangsbestimmungen des § 88 LDG M-V lässt sich keine Sonderregelung entnehmen, mit der Folge, dass auch hier an dem oben dargestellten Grundsatz des § 88 Abs. 1 LDG M-V festzuhalten ist (Urt. d. Senats v. 24.10.2007, a.a.O.).

Schließlich ändert auch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung im angegriffenen Urteil an der Unstatthaftigkeit der eingelegten Berufung nichts. Sie führt (lediglich) dazu, dass zu Gunsten der Einleitungsbehörde § 58 Abs. 2 VwGO Anwendung findet (vgl. BGH, Beschl. v. 04.10.2000 - RiZ (B) 5/99 -, zit. nach juris; BVerwG, Urt. v. 25.06.1985 - 8 C 116/84 -, zit. nach juris).

Soweit die Einleitungsbehörde für den Fall, dass der Senat die Berufung für unstatthaft hält, beantragt hat, ihr Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Zulassungsantragsfrist (gemeint ist damit offenbar die ihrer Ansicht nach versäumte Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO) zu gewähren und zugleich "hilfsweise" die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 26.01.2007 beantragt hat, muss auch dieses beim Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern eingereichte Rechtsmittel der Einleitungsbehörde erfolglos bleiben.

Zum einen ist es bereits beim falschen Gericht eingelegt worden, wie sich aus den §§ 64 Abs. 2 LDG M-V i.V.m. § 124a Abs. 4 Satz 2 VwGO ergibt. Denn der Antrag auf Zulassung der Berufung ist (ausschließlich) bei dem Verwaltungsgericht zu stellen.

Zum anderen ist der Zulassungsantrag auch schon deswegen unzulässig, weil er bedingt eingelegt worden ist. Wegen der im Prozessrecht erforderlichen Klarheit über das Schweben oder das Nichtschweben eines Rechtsstreits entspricht es allgemeinen Grundsätzen des Prozessrechts, dass die Einlegung von Rechtsmitteln weder von einer außerprozessualen noch von einer innerprozessualen Bedingung abhängig gemacht werden darf (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.10.1975 - 2 BvR 630/73 -, BVerfGE 40, 272; BVerwG, Beschl. v. 12.09.1988 - 6 CB 35/88 -, Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 83; BAG, Beschl. v. 13.12.1995 - 4 AZN 576/95 -, NJW 1996, 2533; BFH, Beschl. v. 22.06.1982 - VII B 115/81 -, BFHE 136, 70; BGH, Beschl. v. 14.02.2001 - XII ZB 192/99 -, FamRZ 2001, 1703, m.w.N.). Ob die Einleitungsbehörde den Zulassungsantrag von einer (unzulässigen) innerprozessualen Bedingung abhängig gemacht hat oder aber - wie es das Prozessrecht verlangt - diesen unbedingt gestellt hat, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dabei kommt es nicht auf den inneren, sondern auf den erklärten Willen an. Die Auslegung darf nicht am Wortlaut der Erklärung haften. Der maßgebende objektive Erklärungswert bestimmt sich danach, wie der Empfänger nach den Umständen, insbesondere der recht verstandenen Interessenlage, die Erklärung verstehen muss (vgl. BVerwG, Beschl. v. 09.02.2005 - 6 B 75/04 -, zit. nach juris).

Hieran gemessen lässt die Auslegung keine andere Sichtweise als diejenige zu, dass die Einleitungsbehörde das Rechtsmittel bedingt, also unzulässig eingelegt hat. Entsprechend dem prozessualen Sprachgebrauch ist das Wort "hilfsweise" von der Einleitungsbehörde gewählt worden, um ein (innerprozessuales) Bedingungsverhältnis zum Ausdruck zu bringen. Wiedereinsetzungs- und Zulassungsantrag sind - wie sich unter III. des Schriftsatzes der Einleitungsbehörde vom 12.03.2008 ergibt - "hilfsweise" für den Fall gestellt worden, dass der Senat die Berufung für unstatthaft hält. Hieraus ergibt sich zugleich, dass die Einleitungsbehörde die Berufung ohne Zulassung für statthaft hält und den Zulassungsantrag nur für den Fall eingelegt hat, dass der beschließende Senat ihrer Rechtsauffassung nicht folgt. Die Einleitungsbehörde war sich infolgedessen über das statthafte Rechtsmittel nicht im Unklaren. Damit verbietet sich die allein für die Einleitungsbehörde günstige Betrachtung, dass in Wirklichkeit das einzig statthafte Rechtsmittel (hier: der Antrag auf Zulassung der Berufung) oder die gleichzeitige (unbedingte) Einlegung der sich gegenseitig ausschließenden Rechtsmittel der Berufung und des Zulassungsantrags gewollt war (vgl. zu diesen Fallkonstellationen: BVerfG, Beschl. v. 29.10.1975, a.a.O.; OVG NRW, Beschl. v. 13.03.2002 - 15 B 155/02 -, NVwZ-RR 2002, 896).

Eine Umdeutung des hilfsweise eingelegten Zulassungsantrags in einen unbedingt eingelegten Zulassungsantrag verbietet sich ebenso wie eine Umdeutung des unbedingt eingelegten Rechtsmittels der Berufung in einen (unbedingten) Antrag auf Zulassung der Berufung (vgl. hierzu: BVerwG, Beschl. v. 09.12.1988, a.a.O.).

Ob die Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung in die von der Einleitungsbehörde offenbar gemeinte Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO vorliegen, braucht nach alledem nicht entschieden zu werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§77 Abs. 4 LDG M-V, 154 Abs. 2 VwGO.

Das Verfahren ist gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 LDG M-V gerichtsgebührenfrei.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind mit Blick auf das auslaufende Recht nicht ersichtlich, § 88 Abs. 1, 69 Abs. 1 LDG M-V, 132 VwGO.

Ende der Entscheidung

Zurück