Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 04.03.2004
Aktenzeichen: 10 L 188/03
Rechtsgebiete: BDG, LDO M-V


Vorschriften:

BDG § 14
LDO M-V § 14
Zur Zulässigkeit einer Disziplinarmaßnahme nach strafgerichtlicher Verurteilung (sog. Ahndungsverbot).

Zur Frage, ob sich der Beamte nach einer Straftat zum Nachteil des Dienstherrn bei diesem entschuldigen sollte.


Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 10 L 188/03

In der Disziplinarsache

hat der Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern auf Grund der mündlichen Verhandlung am 04. März 2004 in Greifswald

durch

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin - 10. Kammer - vom 09.05.2003 wird aufgehoben.

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Kosten des gerichtsgebührenfreien Verfahrens trägt das Land Mecklenburg-Vorpommern.

Dem Beamten sind die notwendigen Auslagen durch das Land Mecklenburg-Vorpommern zu ersetzten.

Tatbestand:

Der 44jährige Beamte war zu DDR-Zeiten bei der Volkspolizei, zuletzt im Rang eines Oberleutnants. Nach der Wende wurde er zunächst im Angestelltenverhältnis in den Landesdienst übernommen und im September 1991 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Regierungsinspektor zur Anstellung ernannt und in der Wirtschaftsverwaltung der Polizei eingesetzt. Im April 1994 wurde er Beamter auf Lebenszeit und im Dezember 1995 erfolgte seine Ernennung zum Regierungsamtmann (Besoldungsgruppe A 11). Im Juli 1997 wurde er als Polizeihauptkommissar (Besoldungsgruppe A 11) in den Polizeivollzugsdienst übernommen.

Das Amtsgericht Stralsund verurteilte den Beamten am 17.11.1998 (Az. 42 Cs 184/98) wegen Untreue in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 130,00 DM, insgesamt 11.700,00 DM. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beamten wurde durch das Landgericht Stralsund (Az. IV a Ns 44/99) durch Urteil vom 14.09.2000 mit der Maßgabe verworfen, dass die Höhe der Tagessätze auf 85,00 DM herabgesetzt wurde. In dem Strafverfahren ging es um Gegenstände (z.B. einen Wandschleifer, eine Alu-Leiter und einen Hammertacker), die der Beamte im Juni/Juli 1997 im Rahmen seiner Tätigkeit in der Wirtschaftsverwaltung gekauft, aber (zunächst) privat genutzt hatte.

Das im Juli 1998 eingeleitete Disziplinarverfahren war während des Strafverfahrens ausgesetzt und ist danach fortgesetzt worden.

Die Einleitungsbehörde hat das Verwaltungsgericht durch Anschuldigungsschrift vom 17.08.2001 angerufen. Dabei geht es um dieselben Vorkommnisse, die bereits Gegenstand des Strafverfahrens waren.

Durch Urteil vom 09.05.2003 hat das Verwaltungsgericht - Kammer für Disziplinarsachen - den Beamten wegen Dienstvergehens in das Amt eines Polizeioberkommissars (Besoldungsgruppe A 10) versetzt und die Dauer der Beförderungssperre auf drei Jahre abgekürzt.

Gegen diese am 05.06.2003 zugestellte Entscheidung hat der Beamte am 01.07.2003 Berufung eingelegt. Er vertritt die Auffassung, dass neben der strafgerichtlichen Verurteilung eine Disziplinarmaßnahme nicht verhängt werden dürfe.

Der Beamte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin - Disziplinarkammer - vom 09.05.2003 aufzuheben und das Verfahren einzustellen.

Die Einleitungsbehörde beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen auf die Gerichtsakte und die dem Gericht vorliegenden weiteren Akten (Personalakte, Disziplinarakte, Strafakte) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat Erfolg. Gegen den Beamten ist keine Disziplinarmaßnahme zu verhängen. Das Disziplinarverfahren ist vielmehr gemäß §§ 81 Abs. 1, 71 Abs. 3 Satz 1, 58 Abs. 1 Nr. 7 LDO M-V einzustellen.

Nach diesen Vorschriften ist auch in der Berufungsinstanz durch das Gericht das Disziplinarverfahren einzustellen, wenn nach § 14 LDO M-V (vgl. auch § 14 BDG) von einer Disziplinarmaßnahme abzusehen ist.

Gemäß § 14 LDO M-V darf im Falle einer gerichtlichen Bestrafung wegen desselben Sachverhalts eine Disziplinarmaßnahme nach § 6 Abs. 1 LDO M-V mit Ausnahme der Entfernung aus dem Dienst nur ausgesprochen werden, wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um den Beamten zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen des Beamtentums zu bewahren.

Im vorliegenden Fall ist der Beamte - wie erwähnt - wegen desselben Sachverhalts strafgerichtlich verurteilt worden. Die im Disziplinarverfahren in Betracht kommenden Maßnahmen (hier jedenfalls weil die Einleitungsbehörde keine Berufung eingelegt - vgl. §§ 27 LDO M-V, 331 StPO - hat: höchstens Degradierung nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 LDO M-V) sind demzufolge nur zulässig, wenn die zusätzliche Ahndung im Sinne von § 14 LDO M-V erforderlich ist.

§ 14 LDO M-V macht die Verhängung der Disziplinarmaßnahme von zwei Voraussetzungen abhängig, die gemeinsam erfüllt sein müssen (vgl. Urteil des Senats vom 28.11.2001 - 10 L 36/01 -, LKV 2002, 582 mwN.).

Zum einen muss es erforderlich sein, den Beamten zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. Bei dieser Voraussetzung geht es um ein "Erziehungsdefizit"; es muss danach geprüft werden, ob trotz der außerdisziplinaren Ahndung eine Pflichtenmahnung notwendig ist, um den Beamten zu erziehen. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalles und kann etwa bei konkret festzustellender Wiederholungsgefahr zu bejahen sein. Zum anderen muss die zusätzliche disziplinare Ahndung erforderlich sein, um "das Ansehen des Beamtentums zu bewahren".

Die Anwendung dieser Maßstäbe führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass die disziplinare Ahndung hier unzulässig ist. Es ist nicht erforderlich, den Beamten zusätzlich zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten.

Eine Wiederholungsgefahr lässt sich nicht konkret feststellen. Das Strafverfahren hat der (seinerzeitigen) dienstlichen Stellung des Beamten umfassend Rechnung getragen. In den Gründen des landgerichtlichen Urteils heißt es u.a., es sei Aufgabe des Beamten in seiner Eigenschaft als Leiter des Sachbereichs Beschaffung gewesen, Sachen einschließlich Werkzeuge und Material zu beschaffen und zu verwalten. Er habe auch bei Baumärkten auf Rechnung der Polizeidirektion einkaufen können. Dass er die Taten als Polizeibeamter begangen hat, ist von der Strafkammer "straferschwerend" gewertet worden. Entsprechendes gilt auch für den Umstand, dass der Beamte mehrere gleichartige Straftaten begangen hat.

Soweit das Verwaltungsgericht die Erforderlichkeit, den Beamten zusätzlich zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten, auf eine "gewisse Uneinsichtigkeit" stützt, berücksichtigt es nicht genügend, dass die insoweit herbeigezogenen Anhaltspunkte die Zeit vor der strafgerichtlichen Verurteilung betreffen. Zwar mag es sein, dass der Beamte die straf- bzw. dienstrechtliche Tragweite seiner Taten anfangs nicht richtig eingeschätzt hat. Dass insofern bei ihm aber auch nach der Verurteilung und bis heute noch Defizite verblieben sind, lässt sich nicht feststellen. Bereits in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts hat er nicht Freispruch, sondern lediglich die - nicht "makelfreie" - Einstellung des Verfahrens beantragt. Auch im Berufungsverfahren hat er sich im Wesentlichen darauf beschränkt, die Erforderlichkeit einer zusätzlichen Ahndung im Sinne von § 14 LDO M-V in Abrede zu stellen.

Eine immer noch andauernde Uneinsichtigkeit des Beamten ergibt sich auch nicht - wie die Einleitungsbehörde in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertreten hat - daraus, dass er sich bis heute nicht persönlich entschuldigt oder Schadensersatz angeboten hat. Einen eventuellen Schadensersatzanspruch (vor Ablauf der Verjährungsfrist) geltend zu machen, wäre Sache des Dienstherrn gewesen (vgl. § 86 LBG M-V). Wenn er hierauf - etwa wegen geringer Höhe - verzichtet hat, darf er daraus nicht noch sechs Jahre nach dem Dienstvergehen einen Vorwurf gegen den Beamten ableiten. Auch eine Entschuldigung kann jedenfalls jetzt nicht mehr erwartet werden, nachdem der Beamte auf eine Strafanzeige des Leiters der Einleitungsbehörde hin strafgerichtlich verurteilt worden ist und diese Verurteilung im anschließend fortgesetzten Disziplinarverfahren erkennbar dadurch akzeptiert hat, dass er Einstellung des Verfahrens und nicht Freispruch beantragt hat.

Soweit das Verwaltungsgericht darauf abgestellt hat, dass der Beamte mehrere Geräte privat genutzt hat, so ist dies zum einen - wie erwähnt - bereits im Strafverfahren bewertet worden. Zum anderen erfolgte die private Nutzung im Zusammenhang mit der Errichtung eines Einfamilienhauses, was als eine Zeit besonderer psychischer Belastung angesehen werden kann. Außerdem hat sich der Beamte - wie auch die ihm inzwischen erteilten dienstlichen Beurteilungen belegen - seither einwandfrei verhalten; immerhin sind mittlerweile mehr als sechs Jahre vergangen. Im Übrigen ist ihm auch ein anderer Aufgabenbereich übertragen worden, so dass Taten, wie sie hier in Rede stehen, kaum mehr in Betracht kommen dürften. Eine konkrete Wiederholungsgefahr lässt sich jedenfalls nicht feststellen.

Auf die Frage, ob die Disziplinarmaßnahme erforderlich ist, um das Ansehen des Beamtentums zu bewahren, kommt es danach nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 104, 105 LDO M-V.

Der Beamte hat gemäß § 106 Abs. 1 LDO M-V gegen das Land einen Anspruch auf die Erstattung seiner notwendigen Auslagen.

Das Urteil des Disziplinarsenats ist unanfechtbar; es ist mit der Verkündung rechtskräftig geworden (§ 83 Abs. 3 2. Halbs. LDO M-V).

Ende der Entscheidung

Zurück