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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 23.02.2009
Aktenzeichen: 10 L 2/08
Rechtsgebiete: BBG


Vorschriften:

BBG § 61
BBG a.F. § 55 S. 2
BBG a.F. § 54
BBG a.F. § 56 Abs. 2
1. Zur Unterscheidung zwischen (verbindlichen) dienstlichen Anordnungen und (unverbindlichen) Ratschlägen.

2. Zur Einschränkung der Verbindlichkeit dienstlicher Anordnungen in persönlichen dienstrechtlichen Angelegenheiten.


Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss

10 L 2/08

In der Disziplinarsache

wegen Disziplinarrecht

hat der Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 23. Februar 2009 in Greifswald

beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin - 13. Kammer - vom 16.10.2007 wird geändert.

Die Einstellungsverfügung vom 08.03.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2005 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar; die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen eine Verfügung der Beklagten, mit der sie ein gegen ihn eingeleitetes Disziplinarverfahren unter ausdrücklicher Missbilligung seines Verhaltens eingestellt hat.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 16.10.2007 abgewiesen. In den Gründen heißt es u.a.: Die angefochtene Einstellungsverfügung sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte habe das Disziplinarverfahren zu Recht unter Ausspruch einer Missbilligung eingestellt.

Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat der Senat durch Beschluss vom 13.05.2008 zugelassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Der Senat entscheidet über sie gemäß §§ 3 BDG, 130a VwGO durch Beschluss, da er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. In Disziplinarklageverfahren nach dem BDG darf das Gericht zwar bestimmte Entscheidungen gemäß § 55 BDG nicht gemäß § 130a VwGO treffen; dies trifft aber für die Anfechtung der vorliegenden Einstellungsverfügung nicht zu (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.10.2007 - 2 C 43/07 -, zit. nach juris).

Gegen die Änderung des im Berufungsverfahren gestellten Antrags nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bestehen hier keine Bedenken, da der fristgerecht gestellte Antrag dadurch lediglich eingeschränkt worden ist.

Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte hätte gegen den Kläger keine Missbilligung aussprechen dürfen.

Soweit das Verwaltungsgericht bereits festgestellt hat, dass das Verhalten des Klägers den Ausspruch einer Missbilligung nicht rechtfertigt (dies betrifft den Vorwurf einer unterlassenen oder verspäteten Gesundmeldung), schließt sich der Senat dieser Bewertung an. Dem Schriftsatz der Beklagten vom 04.01.2008 ist außerdem zu entnehmen, dass diese selbst die Missbilligung nicht mehr auf diesen Punkt stützen will.

Hinsichtlich der verbleibenden Gegenstände der Missbilligung ist der Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach insoweit ein Dienstvergehen vorliege, nicht zu folgen.

Dies gilt zunächst für den Vorfall am 12.09.2004. An diesem Tag war der Kläger als "Zugbegleitkommando" von Neubrandenburg nach Rostock eingeteilt. Auf dem Bahnsteig in Neubrandenburg habe sein "ZBK-Führer" - wie es in der angefochtenen Verfügung heißt - ihn aufgefordert, einen mitgeführten Hartschalenkoffer in Neubrandenburg zu belassen, da er ihn bei polizeilichen Maßnahmen behindern würde. Der Aufforderung sei der Kläger erst unter Androhung disziplinarer Maßnahmen nachgekommen.

Die rechtliche Prüfung, ob ein Dienstvergehen vorliegt, hat - wie auch das Verwaltungsgericht nicht verkannt hat - bei § 55 Satz 2 BBG in der damals geltenden Fassung (a.F.) einzusetzen. Die Vorschrift normiert eine grundsätzliche Gehorsamspflicht (jetzt Folgepflicht nach § 61 Abs. 1 Satz 1 BBG), d.h. der Beamte hat die von seinen Vorgesetzten "erlassenen Anordnungen auszuführen". Zum Begriff der Anordnung oder Weisung gehört es, dass sie im Dienst oder im Zusammenhang mit dem Dienst ergeht und von dem Beamten ein bestimmtes Tun oder Unterlassen verlangt. Von dieser (förmlichen) Weisung sind bloße Anregungen oder Ratschläge zu unterscheiden. Diese sind nicht verbindlich, sodass deren Nichtbefolgung keine Gehorsamspflichtwidrigkeit darstellt. Was gemeint ist, ergibt sich aus dem nach dem sogenannten objektiven Empfängerhorizont zu verstehenden Erklärungswert der Äußerung des Vorgesetzten unter Berücksichtigung der Umstände, die zu der Äußerung führten (vgl. Fürst GKÖD, Band IK § 55 Rn. 30 m.w.N.; Beschl. des 2. Senats v. 07.12.2008 - 2 L 126/08 -). Zu diesen Umständen rechnet auch der zwischen Vorgesetztem und Untergebenem gebräuchliche Umgangston, insbesondere ob dieser eher salopp bzw. kumpelhaft-kameradschaftlich oder eher förmlich erscheint. In diesem Zusammenhang kann auch die Anredeform eine Rolle spielen, d.h. ob das distanziertere "Sie" oder das vertrautere "Du" gewählt wird. Welche Umgangsform bzw. welcher Führungsstil besser ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Zu berücksichtigen ist aber, dass es je geringer die Distanz zwischen Vorgesetztem und Untergebenem ist, desto schwieriger werden kann, zwischen (verbindlichen) Anordnungen und (unverbindlichen) Ratschlägen zu unterscheiden. Es ist im Zweifel Sache des Vorgesetzten ausdrücklich klarzustellen, dass eine dienstliche Anordnung vorliegt und deren Nichtbefolgung ein Dienstvergehen darstellt.

Die Anwendung dieser Maßstäbe führt hier zu dem Ergebnis, dass sich ein Verstoß des Klägers gegen seine Gehorsamspflichten aus § 55 Satz 2 BBG a.F. nicht feststellen lässt.

Dem Kläger wird schon nach dem wiedergegebenen Inhalt der Einstellungsverfügung nicht vorgeworfen, einer dienstlichen Weisung überhaupt nicht nachgekommen zu sein, vielmehr beschränkt sich der Vorwurf darauf, der Weisung nur nicht schnell genug gefolgt zu sein. Aber auch dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der gesamte Vorfall hat nur wenige Minuten gedauert (im Ermittlungsbericht vom 11.01.2005 ist von fünf Minuten die Rede) und ersichtlich den Beginn des Einsatzes bzw. der Abfahrt vom Bahnhof Neubrandenburg nicht verzögert. Es lässt sich auch nicht feststellen, dass der Kläger, nachdem ihm von seinem Vorgesetzten eine eindeutig als solche erkennbare Weisung erteilt worden ist, dieser nicht entsprochen hat. In der Berufungserwiderung stellt die Beklagte nicht in Abrede, dass der Vorgesetzte den Kläger geduzt hat. In den Dienstgruppen der Bundespolizei sei vielfach ein "freundschaftlich-kollegialer Umgangston üblich"; es werde als selbstverständlich empfunden, dass man sich auch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter duze. Diese Darstellung wird durch die Angaben des Zeugen POM X. im Ermittlungsverfahren bestätigt, wonach der Vorgesetzte den Kläger folgendermaßen angesprochen hat: "Du willst doch nicht etwa den Koffer mitnehmen?" Ähnliche Angaben hat auch der Zeuge POM Y. gemacht. In ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 13.09.2004 gibt die Polizeikommissarin PK'in z.A. Z. an, der Vorgesetzte habe gemeint, er (der Kläger) solle "den Aktenkoffer wohl eher nicht mitnehmen". Nicht wesentlich anders hat auch der Vorgesetzte selbst den Beginn der Auseinandersetzung mit dem Kläger geschildert. Als er (der Vorgesetzte) den Koffer gesehen habe, habe er den Kläger gefragt, "wo er damit hin wolle". Das anschließende ersichtlich emotional geführte Wortgefecht war nach den Angaben des Vorgesetzten aber beendet, nachdem dieser "etwas lauter" geworden sei und gesagt habe, dass seine Weisung "eine dienstliche Anordnung" sei und eine Weigerung disziplinare Konsequenzen habe. Der Vorgesetzte schränkt seine Aussage sogar noch insoweit ein, als er angibt, der Kläger sei "scheinbar" erst nach dem Hinweis auf mögliche disziplinare Folgen bereit gewesen, seiner Anweisung zu folgen. Diese Einschränkung hat der Vorgesetzte möglicherweise deshalb gemacht, weil sich die Situation offenbar auch deshalb entspannt hatte, weil der bereits erwähnte Zeuge X. sich bereit fand, die Sachen des Klägers in seinem Rucksack zu verstauen. Aber selbst wenn man davon ausginge, dass der Kläger erst des ausdrücklichen Hinweises auf das Vorliegen einer dienstlichen Anordnung bedurfte, so führt dies nach den zuvor entwickelten Maßstäben zu dem Ergebnis, dass erst danach eine Gehorsamspflichtverletzung in Betracht zu ziehen wäre, zu der es aber nicht gekommen ist. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass auch im Falle einer unmissverständlichen dienstlichen Anordnung nicht in jedem Fall sofortiger Gehorsam geboten ist (zum Remonstrationsrecht vgl. § 56 Abs. 2 BBG a.F.). Sollte es dem Vorgesetzten des Klägers unangenehm gewesen sein, seinen höheren Dienstgrad deutlich werden zu lassen, so wäre dies allein kein Grund, das Verhalten des Klägers als Dienstvergehen zu bewerten.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass der Kläger auch nicht - wie im Widerspruchsbescheid anklingt - gegen seine allgemeinen Beamtenpflichten aus § 54 BBG a.F. (vgl. jetzt: § 61 BBG) verstoßen hat. Die daraus resultierende Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verletzt ein Beamter noch nicht, wenn er seine persönlichen Interessen mit Nachdruck und unter Umständen in scharfer Form und mit harten Worten vertritt (vgl. Fürst a.a.O., K § 54 Rn. 137 m.w.N.). Die Rücksichtnahmepflicht des Beamten würde überdehnt, verlangte man von ihm, einen Vorgesetzten, der eine eher saloppe Umgangsform bevorzugt, nicht in die eventuell unangenehme Situation zu bringen, auf seine Vorgesetzteneigenschaft hinweisen zu müssen.

Auch bei dem letzten Punkt, der zur Missbilligung geführt hat, geht es um die Frage des Verstoßes gegen die Gehorsamspflicht.

Dem Kläger wird vorgehalten, in den Dienstbucheinlegeblättern bzw. den Korrekturblättern der Monate Mai, Juni, Juli und August 2004 "Umziehzeiten" aufgeschrieben zu haben, obwohl ihm dies - wie es im Widerspruchsbescheid heißt - "mündlich" und "unmissverständlich" untersagt worden sei.

Auch in diesem Punkt ist eine Gehorsamspflichtverletzung nicht festzustellen. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass es tatsächlich eine eindeutig als solche zu erkennende Weisung gegeben hat, obwohl der Kläger dies bestreitet und angibt, sein Vorgesetzter habe lediglich eine "Rechtsauffassung" geäußert.

Klarzustellen ist hier vorab, dass dem Kläger nicht vorgehalten wird, über seine Dienstzeiten getäuscht zu haben, sei es dass er "Umziehzeiten" aufgeschrieben hätte, die gar nicht angefallen wären, oder dass er die "Umziehzeiten" nicht als solche kenntlich gemacht hätte. Sachlich falsche Angaben werden dem Kläger nicht vorgeworfen. Vielmehr geht es ersichtlich um die Eintragung von Zeiten, die tatsächlich für das Umziehen angefallen sind. Hintergrund hierfür waren unterschiedliche Rechtsauffassungen des Klägers und der Beklagten zu der Frage, ob Umziehzeiten als Dienstzeiten zu bewerten sind (vgl. zu § 1 Abs. 1 und 3 der Verordnung über die Arbeitszeit der Polizeivollzugsbeamten des Landes Nordrhein-Westfalen: VG Münster, Urt. v. 24.05.2006 - 4 K 2819/04-).

Die rechtliche Überprüfung hat auch hier auszugehen von der in § 55 Satz 2 BBG a.F. normierten Gehorsamspflicht. Diese kann sich zwar auch auf dienstrechtliche Angelegenheiten mit persönlichem Bezug erstrecken, wie z.B. die Anordnung eines Alkoholtests bei offenbar unter Alkoholeinfluss stehenden Beamten oder die Anordnung der Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses bei Zweifeln an einer Krankmeldung (vgl. Fürst a.a.O. § 55 Rn. 48 m.w.N.). Die Weisungsgebundenheit des Beamten ist aber eingeschränkt, wenn es um die Wahrnehmung seiner eigenen berechtigten Interessen geht. So kann ihm beispielsweise jedenfalls grundsätzlich nicht (verbindlich) untersagt werden, in bestimmten Fällen Anträge auf Reisekostenerstattung zu stellen oder seinen Dienstherrn auf Zahlung einer Zulage verwaltungsgerichtlich zu verklagen. Dies gilt auch dann, wenn der Vorgesetzte selbst der Meinung ist, dass dem Beamten die von ihm geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen. Entsprechend kann dem Beamten auch nicht verwehrt werden, sich auf eventuelle dienstrechtliche Auseinandersetzungen vorzubereiten und die insoweit relevanten Tatsachen in geeigneter Weise zu dokumentieren.

Nach diesen Maßstäben ist auch im Hinblick auf die Eintragung von Umziehzeiten ein Dienstvergehen nicht festzustellen.

Der Kläger hat die Eintragungen ersichtlich deshalb vorsorglich vorgenommen, um sich für den Fall, dass sich seine Rechtsauffassung durchsetzen sollte, den Einzelnachweis zu Erleichtern. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Rechtsauffassung des Klägers völlig haltlos wäre; hierzu kann auf die bereits genannte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Münster verwiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§77 Abs. 1 und 4, 78 Abs. 11 BDG, 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 3 BBG, 167 VwGO, 708 Nr. 11, 710 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe im Sinne von §§ 69 BDG, 132 Abs. 2 VwGO vorliegen.

Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren beruht auf §§ 3 BDG, 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

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