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Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 01.10.2002
Aktenzeichen: 12 P 8/02
Rechtsgebiete: VwGO
Vorschriften:
VwGO § 99 Abs. 1 | |
VwGO § 99 Abs. 2 |
Das Verlangen des Gerichts unterliegt keiner besonderen Form, muß aber eindeutig als verbindlich gewollt erkennbar sein.
Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluß
In der Verwaltungsstreitsache
wegen Entscheidung nach § 99 Abs. 2 VwGO
hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 01. Oktober 2002 in Greifswald durch beschlossen:
Tenor:
Die Anträge des Klägers nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO werden verworfen.
Die Kosten dieser Zwischenverfahren trägt der Kläger.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für die Zwischenverfahren auf jeweils 4000,-- € festgesetzt.
Gründe:
Der Kläger macht in den beiden den vorliegenden Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO zugrundeliegenden und in erster Instanz anhängigen Hauptsacheverfahren gegenüber seinem Dienstherrn Ansprüche aus dem Beamtenverhältnis geltend. Zum einen geht es um Äußerungen des Beklagten anläßlich einer Pressekonferenz, über die in den Medien u.a. unter folgenden Überschriften berichtet wurde: "Versetzung soll Affäre um V-Mann beenden" - "Innenminister Timm räumt im Verfassungsschutz auf" (vgl. Blatt 10, 1 A 2898/00) und zum anderen um eine vom Kläger angestrebte Aussagegenehmigung für sich selbst.
Der gemäß §§ 99 Abs. 2, 189 VwGO zuständige Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts entscheidet in den beiden Zwischenverfahren durch Sammelbeschluß, das heißt ohne sie förmlich nach § 93 VwGO zu verbinden (vgl. Beschluß des Senats vom 29.01.1993 - 2 N 10/93 -, NVwZ RR 1994, 334).
Die Anträge des Klägers nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind als unzulässig zu verwerfen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Sachentscheidung im Sinne von § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO, weil das Verwaltungsgericht die Vorgänge, deren Vorlage der Kläger durchsetzen will, nicht vom Beklagten verlangt hat.
Der Antrag nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist erst dann zulässig, wenn zuvor eine Verweigerung im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO erfolgt ist. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 99 Abs. 2 VwGO sowie aus dem Regelungszusammenhang zwischen dem ersten und dem zweiten Absatz des § 99 VwGO. Nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO stellt das Oberverwaltungsgericht auf Antrag eines Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß fest, ob "die Verweigerung" der Vorlage der Urkunden oder Akten oder der Erteilung von Auskünften rechtmäßig ist. Wenn es also in der vom Oberverwaltungsgericht zu treffenden Sachentscheidung (einzig) um die Frage geht, ob die Verweigerung der Aktenvorlage durch die Behörde rechtmäßig ist (vgl. BVerwG, Beschluß vom 29.07.2002 - 2 AV 1.02 -), setzt dies denknotwendig das Vorliegen einer solchen Verweigerung voraus. Von einer Verweigerung kann indes logischerweise nur die Rede sein, wenn es zuvor ein entsprechendes Verlangen gegeben hat. Daß dies vom Gericht ausgegangen sein muß und es nicht ausreicht, wenn die Behörde sich weigert, Unterlagen vorzulegen, die lediglich ein Verfahrensbeteiligter einsehen will, ist dem § 99 Abs. 1 VwGO zu entnehmen. Dessen zweiter Satz legt fest, unter welchen Voraussetzungen die Verweigerung (ausnahmsweise) zulässig ist, während § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO den Grundsatz normiert, wonach Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften verpflichtet sind. Diese Verpflichtung besteht gegenüber dem Gericht. Es ist allein Sache des Gerichts und zwar im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht, darüber zu entscheiden, welche Vorgänge ihm vorzulegen sind (vgl. Bader u. a. VwGO § 99 Rdn. 3 mwN.). Bei der Regelung des § 99 Abs. 1 Satz 1 handelt es sich um eine Konkretisierung des in Art. 35 Abs. 1 GG verankerten und etwa in § 19 VwGO weiter entwickelten Grundsatzes der Amtshilfe (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Auflage, § 99 Rdn. 1; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Auflage, § 99 Rdn. 1).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß bei der von der Behörde zu treffenden Ermessensentscheidung, ob sie von einem Verweigerungsrecht auch Gebrauch macht, nicht nur das Interesse an einer lückenlosen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch das schutzwürdige Interesse des Beteiligten an der Rechtsverfolgung einzubeziehen ist. Dem Beteiligten steht zwar das Antragsrecht nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu. Dies ändert aber nichts daran, daß nur das für das Hauptsacheverfahren zuständige Gericht zu beurteilen hat, wie sich der Inhalt der umstrittenen Unterlagen auf den Rechtsstreit auswirkt (BVerwG, aaO.).
Will ein Verfahrensbeteiligter dagegen geltend machen, das Gericht hätte den Sachverhalt durch ein Verlangen nach § 99 Abs. 1 VwGO weiter aufklären müssen, kann er dies im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens durch eine Aufklärungsrüge tun, nicht dagegen durch einen Antrag nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO (vgl. Bader, aaO., Rdn. 3).
Das Verlangen des Gerichts unterliegt keiner besonderen Form (vgl. Bader aaO. Rdn. 13), auch wenn es sich dabei um eine Anordnung etwa nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 VwGO handelt (vgl. Kopp/Schenke aaO. § 87 Rdn. 7), bei der allerdings wegen § 87 Abs. 2 VwGO jedenfalls in der Regel eine schriftliche Niederlegung geboten sein dürfte (vgl. Redeker/von Oertzen aaO. § 87 Rdn. 2). Dies bedeutet, daß eine höfliche Ausdrucksweise allein (zum Beispiel die Verwendung des Begriffs "bitte") der rechtlichen Einordnung als Verlangen bzw. Anordnung nicht entgegensteht. Es muß aber eindeutig als verbindlich gewollt erkennbar sein und auch im Hinblick auf den Gegenstand bzw. den Umfang dessen, was das Gericht erwartet, unmißverständlich sein. Bloße Anregungen, Empfehlungen, Vorschläge oder dergleichen reichen insoweit nicht (vgl. Kopp/Schenke aaO. § 87 Rdn. 7).
Die Anwendung der vorstehenden Grundsätze führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, daß das Verwaltungsgericht die umstrittenen Vorgänge jedenfalls bislang nicht vom Beklagten verlangt hat, so daß dieser die Vorlage auch nicht im Sinne von § 99 VwGO (gegenüber dem Gericht) verweigern konnte. Zur Klarstellung ist in diesem Zusammenhang anzumerken, daß es hier lediglich um die Feststellung geht, ob das Gericht die umstrittenen Vorgänge tatsächlich verlangt hat, nicht dagegen darum, ob es sie auch verlangen durfte bzw. ob sie für die vom Gericht zu treffenden Entscheidungen erheblich sind.
Ein ausdrückliches oder schlüssiges - wie auch immer formuliertes - Begehren des Gerichts, das eindeutig und verbindlich auf die Vorlage der umstrittenen Vorgänge durch den Beklagten abzielen würde, gibt es nicht.
Mit der Eingangsverfügung vom 13.07. bzw. 08.12.2000 ist der Beklagte zunächst aufgefordert worden, "sämtliche den Streitgegenstand betreffenden Verwaltungsvorgänge" vorzulegen, ohne daß näher ausgeführt worden wäre, um welche Vorgänge es sich im Einzelnen handeln soll. Der Beklagte hat daraufhin mit den Klageerwiderungen nach eigener ausdrücklicher Einschätzung "die Verwaltungsvorgänge" vorgelegt und sich in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, die Vorlage auch nur teilweise verweigern zu dürfen. Wenn seitens des Gerichts weder sogleich noch später, etwa im Zusammenhang mit dem am 19.04.2002 durchgeführten Erörterungstermin, das Fehlen bestimmter von ihm erwarteter Vorgänge beanstandet worden ist, so kann damit das durch die Eingangsverfügungen ausgedrückte gerichtliche Verlangen, die Verwaltungsvorgänge vorzulegen, als erfüllt angesehen werden.
Allerdings hat der Kläger seinerseits mit Schriftsatz vom 01.07.2002 die Schriftstücke, deren Vorlage er allem Anschein nach für erforderlich hält, im Einzelnen bezeichnet. Dieser Schriftsatz ist vom Gericht mit folgendem Zusatz an den Beklagten weitergeleitet worden: "Soweit Ihnen möglich, bitte ich die vom Kläger genannten Unterlagen zu übersenden." Der Zusatz kann nicht als verbindliches Verlangen, das eine Verweigerung nach § 99 VwGO hätte nach sich ziehen können, verstanden werden. Zwar ist das Gericht nicht gehindert, sich dem Vorlagebegehren eines Beteiligten anzuschließen bzw. es sich zu Eigen zu machen. Dies muß jedoch eindeutig geschehen, um sich von Anregungen, Empfehlungen oder anderen unverbindlichen Äußerungen zu unterscheiden. Daran fehlt es hier, wie sich aus der zurückhaltenden Formulierung des oben wiedergegebenen Zusatzes ergibt. Diese Auffassung bestätigt sich durch die nachfolgende Abgabeverfügung nach § 99 Abs. 2 Satz 4 VwGO vom 08.08.2002, in der nicht von Vorgängen, die das Gericht selbst verlangt hätte, sondern nur von solchen, "deren Vorlage der Kläger begehrt", die Rede ist.
Danach kommt es nicht darauf an, ob das Begehren des Klägers bezüglich eines Teils der umstrittenen Unterlagen auch noch ins Leere geht, weil der Beklagte - wie im Schriftsatz vom 04.09.2002 ausgeführt - "insoweit nicht aktenführend" ist.
Zum weiteren Gang des Hauptsacheverfahrens ist anzuregen, daß das Verwaltungsgericht, wenn es vom Beklagten weitere Vorgänge verlangen will, dies nicht nur im vorbeschriebenen Sinne unmißverständlich zum Ausdruck bringt, sondern daß es sein Verlangen auch erläutert, etwa indem es darlegt, welche tatsächliche Frage dadurch aufgeklärt werden soll und wieso sie für die zu treffende Entscheidung erheblich ist. Ein solches Vorgehen dürfte insbesondere deshalb sinnvoll sein, weil (wie ausgeführt) über die Verweigerung - sofern denn die Voraussetzungen dafür vorliegen - auch noch eine Ermessensentscheidung durch den Beklagten zu treffen ist. Auch könnte zu erwägen sein, dem Verlangen eine im beschriebenen Sinne begründete Ankündigung voranzustellen, um den Beklagten zunächst Gelegenheit zu geben, dazu Stellung zu nehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Ende der Entscheidung
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