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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 04.09.2008
Aktenzeichen: 2 L 114/08
Rechtsgebiete: BUKG


Vorschriften:

BUKG § 12 Abs. 3
Anspruch auf Auslandstrennungsgeld, weil die Schulausbildung eines behinderten Kindes dem (Rück-)Umzug nach Deutschland entgegensteht.
Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss

2 L 114/08

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Auslandstrennungsgeld

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 04. September 2008 in Greifswald

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin - 1. Kammer - vom 11.04.2008 wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 36.571,99 Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Kläger war bis zu seiner Zurruhesetzung im Mai 2005 Soldat der Bundeswehr und begehrt Auslandstrennungsgeld und Aufwandsentschädigung für die Zeit vom 01.07.2002 bis 01.06.2003. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Sein am 09.01.1980 geborener Sohn ist anerkannter Schwerbehinderter mit einem Behinderungsgrad von 100 (Down-Syndrom) und besuchte bis zur Versetzung des Klägers nach El Paso/USA im Jahre 1997 eine Sonderschule für geistig Behinderte in Schleswig-Holstein. In El Paso besuchte er die dortige High School und befand sich am Ende des 11. (vorletzten) Schuljahres, als der Kläger mit Wirkung vom 01.07.2002 nach Deutschland (Mecklenburg-Vorpommern) zurück versetzt wurde. Nach Ende des 12. Schuljahres erwarb der Sohn des Klägers am 01.06.2003 das Abschlussdiplom der High School.

Durch Urteil vom 11.04.2008 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 01.07.2002 bis 01.06.2003 Auslandstrennungsgeld und Aufwandsentschädigung zu gewähren.

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 VwGO nicht vorliegen.

Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zuzulassen, weil sich die von der Beklagten geäußerten Zweifel ohne Weiteres ausräumen lassen (vgl. allgemein zu den Anforderungen dieses Zulassungsgrundes: Beschluss des Senats vom 22.07.2008 - 2 L 123/05 -, m.w.N.).

Das Verwaltungsgericht hat den dem Kläger zugesprochenen Anspruch auf § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BUKG gestützt und hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass sich die Schulzeit des Sohnes des Klägers unverhältnismäßig verlängert hätte, wenn er in Deutschland einen dem amerikanischen vergleichbaren Abschluss hätte erlangen wollen.

Soweit die Beklagte dem gegenüber meint, die genannte Norm stelle nicht darauf ab, "ob die Schulbildung erst verspätet abgeschlossen werden" könne, ist ihr jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Die genannte Regelung des § 12 Abs. 3 BUKG stellt sich als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Dabei geht es um einen angemessenen Ausgleich der Interessen des Dienstherrn an einem baldigen Umzug des Beschäftigten und dessen Interessen an einem (vorübergehenden) Verbleib am bisherigen Wohnort. Die einzelnen Fälle von einem Umzug entgegenstehenden Hinderungsgründen konkretisieren persönliche Umstände, die den sofortigen Umzug für den Berechtigten unzumutbar machen. Dabei geht der Normgeber erkennbar jedenfalls generell von vorübergehenden Hinderungsgründen aus, die zum Teil bis zu einem Jahr (vgl. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 Satz 1 BUKG) zum Teil bis zu 2 Jahren (vgl. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 BUKG), aber auch für längere Zeit anerkannt werden (vgl. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BUKG). Wenn von einem Schüler nicht erwartet wird, im laufenden Schuljahr die Schule zu wechseln, so ist dies ersichtlich damit begründet, dass ihm der Einstieg in ein laufendes Schuljahr an einer anderen Schule nicht zugemutet werden soll. In den Fällen des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 BUKG wird den betroffenen Schülern und Auszubildenden nicht einmal der Wechsel im vorletzten Ausbildungsjahr mehr zugemutet. Im Falle eines in diesem Sinne bevorstehenden Ausbildungsabschlusses wird also Trennungsgeld für bis zu 2 Jahren weiter gewährt. Die Regelung des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BUKG enthält dem gegenüber insoweit eine Besserstellung der von ihr Betroffenen, als in ihr keine feste zeitliche Begrenzung enthalten ist, das heißt, das Trennungsgeld kann sogar über mehrere Jahre weiter gewährt werden. Dieser ersichtlich gewollten Besserstellung von Behinderten würde es widersprechen, verstünde man die Regelung so, dass auch solche Fortsetzungsmöglichkeiten zumutbar wären, die mit Zeitverlusten von mehreren Jahren einhergingen. Die ersichtlich bezweckte Besserstellung von Behinderten würde so zu einer Schlechterstellung, ginge man davon aus, dass es bei ihnen keine Rolle spielen sollte, ob sie einen möglichen Abschluss erst mit mehrjähriger Verzögerung erreichen. Die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BUKG ist daher so zu verstehen, dass Trennungsgeld bis zur Beendigung der Ausbildung gewährt wird, solange diese am neuen Dienst- oder Wohnort oder in erreichbarer Entfernung davon wegen der Behinderung nicht "in zumutbarer Weise" fortgesetzt werden kann.

Die Beklagte vermag die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Sohn des Klägers hätte in Deutschland unverhältnismäßig mehr Zeit gebraucht, um einen vergleichbaren Schulabschluss zu erreichen, nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen. Das Verwaltungsgericht hat sich erkennbar auf die Auffassung des Klägers gestützt, wonach "eine Beschulung von weiteren 3-4 Jahren" nötig gewesen wäre, wenn denn ein vergleichbarer Abschluss überhaupt hätte erreicht werden können (vgl. Klageschrift vom 15.11.2002). Dies hat der Kläger untermauert mit der Auskunft eines Kinderarztes vom 03.01.2006. Die Beklagte ist dem nicht substantiiert entgegengetreten, sondern hat sogar ausdrücklich "Umstellungsschwierigkeiten durch längere Anpassungs- und Eingliederungszeiten" eingeräumt (vgl. Klageerwiderung vom 14.01.2003). Wenn die Beklagte nunmehr meint, es müsse ein Gutachten eingeholt werden, wie lange sich die Schulzeit in Deutschland verlängert hätte, so ist dies nicht nachvollziehbar. Es erscheint vielmehr eher als optimistisch, überhaupt anzunehmen, dass es dem Sohn des Klägers in Deutschland gelungen wäre, die Fachhochschulreife zu erwerben. So hat denn auch das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern dem Kläger am 22.08.2002 mitgeteilt, dass Schüler mit Down-Syndrom in Mecklenburg-Vorpommern in der Regel an den Schulen zur individuellen Lebensbewältigung beschult würden. An einer solchen Schule hätte der Sohn des Klägers aber keinen (vergleichbaren) Abschluss machen können (vgl. Auskunft des Staatlichen Schulamtes Rostock vom 05.07.2005). Dem gegenüber ergeben sich aus dem Vortrag der Beklagten in der Begründung des Zulassungsantrags keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Erwerb der Fachhochschulreife am neuen Dienst- bzw. Wohnort des Klägers (in vertretbarer Zeit) möglich gewesen wäre. Soweit die Beklagte meint, der Sohn des Klägers habe sich in Amerika "problemlos" in seine neue Umgebung eingelebt und die High School besucht, berücksichtigt sie nicht genügend, dass er immerhin bereits 23 Jahre alt war, als er das Diplom erwarb, das heißt er war zirka 5 Jahre älter als der durchschnittliche High-School-Absolvent. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf den Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO berufen kann; es hätte sich dem Verwaltungsgericht nicht aufdrängen müssen, den Sachverhalt weiter aufzuklären.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung vermag die Beklagte auch nicht zur Frage der Umzugswilligkeit des Klägers darzulegen. In der Begründung des Zulassungsantrags werden keine konkreten Anhaltspunkte genannt, dass der Kläger unabhängig vom Vorliegen des bestehenden Hinderungsgrundes nach § 12 Abs. 3 BUKG in dem hier maßgeblichen Zeitraum, das heißt bis 01. Juni 2003, nicht uneingeschränkt umzugswillig gewesen sein könnte. Dem Kläger vorzuhalten, nicht genügend dafür gesorgt zu haben, "das sein Kind die deutsche Sprache nicht verlernt", ist in diesem Zusammenhang nicht gerechtfertigt. Dabei übersieht die Beklagte, wie groß die Schwierigkeiten des Sohnes des Klägers in Anbetracht seiner Behinderung ohnehin schon waren, die High School erfolgreich abzuschließen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 52 Abs. 3 GKG.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Ende der Entscheidung

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