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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 20.05.2008
Aktenzeichen: 2 M 50/08
Rechtsgebiete: KV M-V


Vorschriften:

KV M-V § 32 Abs. 3
Zur gerichtlichen Überprüfbarkeit der Wirksamkeit der Abberufung eines ehrenamtlichen stellvertretenden Bürgermeisters durch Beschluss der Gemeindevertretung.
Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss

2 M 50/08

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Kommunalrecht

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern

am 20. Mai 2008

in Greifswald

beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald - 2. Kammer - vom 05.03.2008 wird geändert.

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Antragsteller war seit Juli 2004 (ehrenamtlicher) stellvertretender Bürgermeister der Gemeinde X. und begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen seine von der Antragsgegnerin in ihrer Sitzung am 14.02.2008 beschlossene Abberufung.

Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluss vom 05.03.2008 vorläufig festgestellt, dass der genannte Beschluss der Antragsgegnerin unwirksam ist. In den Gründen heißt es u.a., der Anordnungsanspruch sei deshalb zu bejahen, weil der Antragsteller konkrete Anhaltspunkte dafür dargelegt habe, dass die Abberufung auf unsachlichen Erwägungen beruhen könnte. Die Antragsgegnerin sei der gerichtlichen Aufforderung, die Gründe vorzutragen, die stattdessen zu einem Vertrauensverlust geführt hätten, nicht nachgekommen.

Die dagegen gerichtete Beschwerde hat Erfolg. Die Beschwerdebegründung (vgl. § 146 Abs. 4 VwGO) rügt zu Recht, dass der Antragsteller den Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht habe.

Vorauszuschicken ist, dass es im vorliegenden Verfahren nicht darum geht, ob der Beschluss über die Abberufung des Antragstellers verfahrensfehlerhaft gefasst worden ist, d.h. etwa, ob die Sitzung nicht fristgerecht einberufen worden ist, der Abberufung kein entsprechender Antrag zugrunde gelegen hat oder der Beschluss nicht mit der erforderlichen Mehrheit gefasst worden ist. Derartige Mängel der Beschlussfassung hat der Antragsteller nicht gerügt, er macht ausschließlich geltend, der Beschluss verstoße gegen materielles Recht.

Für die Prüfung der materiellen Rechtslage ist (mit dem Verwaltungsgericht) auszugehen von § 32 Abs. 3 Satz 1 KV M-V, der folgendermaßen lautet:

Die Gemeindevertretung kann eine von ihr gewählte Person aus ihrer Funktion abberufen.

Das Gesetz nennt für die Abberufung keine sachlichen Voraussetzungen; dies bedeutet, dass der Inhaber einer Funktion, die er durch Wahl der Gemeindevertretung erlangt hat, keinen besonderen Schutz gegenüber der Gemeindevertretung genießt. Er muss grundsätzlich jederzeit mit seiner Abwahl rechnen, wenn dafür die erforderliche Mehrheit aller Gemeindevertreter (vgl. § 32 Abs. 3 Satz 2 KV M-V) zustande kommt. Die Abwahl stellt sich somit als Spiegelbild der Wahl dar, die ebenfalls an keine (Eignungs-)Voraussetzungen geknüpft ist und für die ebenfalls eine bestimmte Stimmenmehrheit erforderlich ist (vgl. § 40 Abs. 1 KV M-V). Die Rechtsposition des ehrenamtlichen Funktionsträgers ist damit erkennbar schwächer als die des hauptamtlichen, dessen Abwahl in mehrfacher Hinsicht erschwert ist (vgl. § 32 Abs. 4 KV M-V). Wie bei der Wahl, so ist es auch bei der Abwahl nicht erforderlich, die Entscheidung der Gemeindevertretung zu begründen. Die Mehrheitsentscheidung bei der Wahl kann so interpretiert werden, dass dem Gewählten damit das Vertrauen ausgesprochen worden ist, wie umgekehrt im Falle der Abwahl davon auszugehen ist, dass er dieses Vertrauen nicht mehr besitzt. Aus welchen Gründen der Amtsinhaber das Vertrauen der (Mehrheit der) Gemeindevertreter verloren hat, ist grundsätzlich unerheblich. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass der Betroffene seine Amtspflichten (schuldhaft) verletzt hat. Die Motive, die den einzelnen Gemeindevertreter bewogen haben, sich für eine Abberufung zu entscheiden, enthalten sich grundsätzlich der rechtlichen Bewertung, da sie im kommunalpolitischen Raum wurzeln (vgl. zu Vorstehendem insgesamt: OVG Weimar, Urt. v. 21.11.1995 - 2 KO 175/94 -, LKV 1996, 416; OVG Lüneburg, Urt. v. 17.12.1991 - 10 L 23/89 -, DVBl. 1992, 982; OVG Greifswald, Beschl. v. 30.07.1997 -1 M 55/97 -, LKV 1998, 112).

Von den vorstehenden Grundsätzen ist ersichtlich auch das Verwaltungsgericht ausgegangen, dessen Entscheidung insoweit auch (von beiden Seiten) nicht in Zweifel gezogen worden ist.

Dem Verwaltungsgericht ist auch darin zu folgen, dass eine Abwahl ausnahmsweise rechtswidrig ist, wenn die Möglichkeit der Abwahl in offenkundiger und eklatanter Weise missbraucht wird (vgl. OVG Greifswald, a.a.O.; OVG Lüneburg, a.a.O.); die Antragsgegnerin hat diesen rechtlichen Ansatz in der Beschwerdebegründung nicht in Zweifel gezogen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Dies bedeutet, dass der Senat gehindert ist zu prüfen, ob es sich bei der Abberufung um eine rein (kommunal-)politische Entscheidung handelt, die sich, was ihre sachliche Berechtigung angeht, der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gänzlich entzieht. Gleichwohl sei angemerkt, dass ohne die Beschränkungen, denen das Oberverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren unterliegt, zu erwägen gewesen wäre, ob die Abberufung tatsächlich nur als (widerlegliches) Indiz für einen persönlichen Vertrauensverlust zu betrachten ist oder ob nicht die demokratische Legitimation der Gemeindevertretung höher zu bewerten ist als das Interesse des Funktionsträgers am weiteren Innehaben der ihm von der Gemeindevertretung übertragenen Position. Ob für die Entscheidung der Gemeindevertretung (bzw. jedes einzelnen Gemeindevertreters) nun in der Person des Funktionsträgers liegende Gründe maßgeblich gewesen sind oder andere - etwa politische Opportunität -, wäre in diesem Fall ohne Bedeutung (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 07.06.2000 - 2 Bs 143/00 -, NordÖR 2001, Seite 69). Mit diesen Randbemerkungen ist aber zugleich verdeutlicht, dass es keine Veranlassung gibt, von dem rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts, wonach eine Abberufung nur in eklatanten Ausnahmefällen (z.B. Stimmenkauf) rechtswidrig sein kann, zugunsten des Antragstellers abzuweichen. Soweit er also meint, die Rechtswidrigkeit der Abberufung damit begründen zu können, dass er seine Pflichten als stellvertretender Bürgermeister nicht verletzt habe, ist ihm danach nicht zu folgen.

Zutreffend macht die Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung jedenfalls geltend, dass ein Ausnahmefall im beschriebenen Sinne nicht schon dann anzunehmen ist, wenn der Abgewählte lediglich Vermutungen über die Motive für die Abwahl anstellt (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O.).

So liegt der Fall aber hier. Der Antragsteller vermutet, das "Ziel" seiner Abberufung sei die "Bestrafung für die pflichtgemäße Amtsausübung" (Seite 7 der Antragsbegründung vom 15.02.2008). In diesem Zusammenhang verweist der Antragsteller darauf, dass er in der Zeit, als er den Bürgermeister vertreten hat, Widersprüche gegen rechtswidrige Beschlüsse der Gemeindevertretung eingelegt und einen Gemeindevertreter als Geschäftsführer der Grunderwerbs-GmbH entlassen habe. Auch in der Beschwerdeerwiderung macht er umfangreich Ausführungen dazu, dass er sich als stellvertretender Bürgermeister stets rechtskonform verhalten habe. Darauf kommt es aber - wie bereits ausgeführt - nicht an. Ein Vertrauensverlust kann je nachdem wie die Dinge liegen und insbesondere welche persönlichen Befindlichkeiten der einzelnen Gemeindevertreter eine Rolle spielen, auch aus rechtskonformem Verhalten resultieren, ohne dass deswegen die Abberufung zwangsläufig rechtsmissbräuchlich sein müsste. Die Antragsgegnerin hat im Übrigen in Abrede gestellt, dass die Abberufung (allein) wegen der vom Antragsteller eingelegten Widersprüche bzw. der Entlassung eines Gemeindevertreters als Geschäftsführer erfolgt sei. Bei dieser Sachlage reicht es zur Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs nicht aus, wenn die von der Antragsgegnerin angeführten Gründe in Zweifel gezogen werden; vielmehr wäre es erforderlich gewesen, glaubhaft zu machen, dass tatsächlich die "Bestrafung" die einzige Motivation für die Abberufungsentscheidung darstellt. Dies hat der Antragsteller aber nicht einmal konkret dargelegt. Wenn er in der Beschwerdeerwiderung (siehe Seite 6) meint, eine Gemeindevertreterin habe mit Schreiben vom 20.03.2008 eingeräumt, "dass sich die Mehrheit der Gemeindevertreter am Beschwerdegegner rächen und ihn damit bestrafen wollte", so legt er damit dem von ihm zitierten Schreiben eine zu große Bedeutung bei. Die Gemeindevertreterin wollte ersichtlich in Abrede stellen, dass sich die Gemeindevertretung wegen eines vom Antragsteller eingelegten Widerspruchs gegen einen Gemeinderatsbeschluss rächen wollte. Der vom Antragsteller besonders hervorgehobene Satz mag zwar bei grammatischer Interpretation einen Hinweis auf Rache enthalten, er weist aber zugleich auf die "Haltung" des Antragstellers "in der Sache" hin und kann zumindest ebenso gut in dem Sinne verstanden werden, dass es eben deshalb zu einem Vertrauensverlust gekommen ist. Die Wendung "dann doch eher" schränkt die Formulierung außerdem weiter ein, wenn die Gemeindevertreterin nicht ohnehin lediglich darauf hinweisen wollte, dass die Abberufung eine Reaktion auf die sachliche Haltung des Antragstellers in bestimmten kommunalpolitischen Angelegenheiten gewesen sei. Dafür spricht der Zusammenhang, in dem das vom Antragsteller ausgewählte Zitat steht. Ersichtlich geht es der Gemeindevertreterin darum, welche Gründe für die Abberufung maßgeblich waren und welche eben nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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