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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 02.07.2003
Aktenzeichen: 3 L 157/02
Rechtsgebiete: LBauO M-V, VwGO


Vorschriften:

LBauO M-V § 80
VwGO § 113 Abs. 5
Die Bauaufsichtsbehörde kann ermessensgerecht den Erlass einer Abrissverfügung ablehnen, wenn zwar die Baugenehmigung wegen Verstoßes gegen nachbarrechtliche Vorschriften auf die Klage des Nachbarn aufgehoben worden ist, das Grundstück aber durch eine Vorgängerbebauung in ähnlicher Weise belastet war und das Verwaltungsgericht auf Anträge des Bauherrn zwei sofortig vollziehbar erklärte Baustoppverfügungen ausgesetzt hatte.
Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 L 157/02

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Baurecht

hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern auf der mündlichen Verhandlung vom 02. Juli 2003 in Greifswald

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 17 Januar 2002 wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vom Gericht festgesetzt en Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Anspruch der Kläger auf Erlass einer bauordnungsrechtlichen Beseitigungsverfügung durch den Beklagten gegen den Beigeladenen.

Die Kläger sind die Eigentümer des in Sch. gelegenen Grundstücks Flurstück 94/1 Flur 74 Gemarkung Sch. mit der Straßenbezeichnung L. Straße 124. Der Beigeladene ist Eigentümer des Nachbargrundstücks Flurstück 93/1 Flur 74 Gemarkung Seh. mit der Straßenbezeichnung L. Straße 126. Beide Grundstücke sind - wie auch die jeweiligen Nachbargrundstücke an der L. Straße - straßenseitig mit grenzständigen mehrgeschossigen Häusern bebaut. Im rückwärtigen Bereich des durch die L. Straße als Grundlinie und zwei von der L. Straße abgehende, insgesamt ein Dreieck bildende Straßen abgegrenzten Bebauungszusammenhangs überwiegt eine nichtbauliche Nutzung, die einzelne bauliche Anlagen und singulär einen Betriebsparkplatz eines Handwerksbetriebes umfasst. Zudem sind einzelne bauliche Nebenanlagen zu finden.

Der Beigeladene hat im rückwärtigen Bereich seines Grundstückes ein Gebäude errichtet, dessen Erdgeschoss die gesamte Breite seines Grundstücks umfasst und somit auch unmittelbar an das Grundstück der Kläger grenzt. Auf das Erdgeschoss ist ein weiteres Geschoss aufgesetzt, das zum Grundstück der Kläger nach den Planzeichnungen einen Abstand von 3,50 m einhält. Das auf dieser Seite des Gebäudes vorfindliche Dach des Erdgeschosses ist mit Teerpappe bedeckt, nicht durch eine Brüstung gesichert und auch nicht als begehbare Terrasse ausgebaut. Das Gebäude hält zur südöstlichen Grundstücksgrenze (Flurstück 88 Flur 74 der Gemarkung Sch.) einen Abstand von ca. 4m. Die Höhe des Gebäudes beträgt ca. 7m. Zwischen dem Gebäude und dem Wohnhaus an der L. Straße befindet sich eine Parkplatzanlage, die dem Besucher- und Bedienstetenverkehr des Hinterhofgebäudes dient.

Der Beigeladene erwarb das Grundstück Anfang 1991. Damals befanden sich auf dem Grundstück im hinteren Bereich grenzständig zum Grundstück der Kläger errichtet und anschließend an das bestehende Wohnhaus an der L. Straße ein Aufzug für dieses Gebäude und daran angrenzend ebenfalls grenzständig zum Grundstück der Kläger drei Garagen und ein überdachter Unterstellraum. An diese Bebauung schloss sich über die gesamte Grundstücksbreite reichend ein eingeschossiges Gebäude an, dessen äußere Abmessungen dem Erdgeschoss des vom Beigeladenen errichteten Gebäudes entsprachen. Dieses eingeschossige Gebäude wurde als Filmlager genutzt. Das jetzige Hinterhofgebäude wurde in den 90-er Jahren als Arbeitsgericht genutzt. Derzeit ist es an Medienunternehmer vermietet.

Der Beigeladene erhielt am 14. Mai 1992 eine Genehmigung für den Abbruch von drei Garagen und eine Baugenehmigung für das von ihm beantragte Bauvorhaben, das in seinen äußeren Abmessungen im Wesentlichen dem heutigen Bestand entsprach.

Am 02. Oktober 1992 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen eine sogenannte 1. Änderungsbaugenehmigung. Zugleich wurde die Baugenehmigung vom 14. Mai 1992 unter der Rubrik "Bedingung" für ungültig erklärt. Diese Änderungsgenehmigung umfasste keine Abbruchgenehmigung mehr. Die Baugenehmigung betraf das im Wesentlichen unveränderte ursprüngliche Bauvorhaben. Den Bauunterlagen ließ sich nicht entnehmen, dass von dem ursprünglichen Bestand Teile in das neue Bauvorhaben integriert werden sollten. Die Kläger legten gegen die Baugenehmigung am 04. November 1992 Widerspruch ein.

Der Beklagte verfügte am 04. November 1992 die Baueinstellung.

Die für sofortig vollziehbar erklärte Verfügung wurde damit begründet, dass entgegen den genehmigten Bauunterlagen gebaut worden sei, da der nach der Baugenehmigung zu erhaltende bauliche Bestand nahezu vollständig beseitigt worden sei. Das Verwaltungsgericht Schwerin stellte mit Beschluss vom 17. Dezember 1992 auf Antrag des Beigeladenen die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Einstellungsverfügung wieder her. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts entsprach die bauliche Maßnahme des Beigeladenen der erteilten Baugenehmigung, da diese als Neubaugenehmigung auszulegen sei und den Rechtsgedanken des Bestandschutzes nicht zur Grundlage gehabt habe (VG Schwerin 2 B 193/92).

Mit Bescheid vom 20. Januar 1993 ordnete der Beklagte erneut einen sofort vollziehbaren Baustopp mit der Begründung an, wegen des Wegfalls des Bestandschutzes seien alle baurechtlichen Vorschriften einzuhalten. Das vom Beigeladenen geplante Gebäude halte die Abstandflächen nicht ein. Mit Beschluss vom 17. Februar 1993 stellte das Verwaltungsgericht Schwerin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Beigeladenen gegen diese Verfügung wieder her und ordnete zugleich die sofortige Vollziehung der Baugenehmigung vom 02. Oktober 1992 an. Das Verwaltungsgericht verneinte einen Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften ausdrücklich und hielt im Übrigen eine unterstellte Verletzung von Abstandflächenvorschriften für unerheblich, da dadurch die subjektiven Rechte der Kläger nicht beeinträchtigt würden (VG Schwerin 2 B 15/93).

Die Kläger erhoben dagegen Beschwerde (OVG Mecklenburg-Vorpommern 3 M 66/93). Im Beschwerdeverfahren wies der damalige Senatsvorsitzende in einem Ortstermin am 04. Oktober 1993 auf rechtliche Bedenken gegen die Errichtung des Hinterhofgebäudes hin und regte eine vergleichsweise Regelung an. Der Berichterstatter unterbreitete am 30. November 1993 einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag, der von den Beteiligten nicht angenommen wurde. Mit Beschluss vom 22. März 1994 stellte das Oberverwaltungsgericht nach übereinstimmender Erledigungserklärung aller Beteiligten das Verfahren ein. Zu diesem Zeitpunkt war das Gebäude bezugsfertig errichtet. Im Einstellungsbeschluss äußerte der Berichterstatter die Rechtsauffassung, die Baugenehmigung sei möglicherweise wegen Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme rechtswidrig gewesen, weil eine ungehinderte Einsichtnahmemöglichkeit auf das Grundstück der Kläger geschaffen worden sei. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes dürfte wegen der Änderung des Bauvorhabens bei summarischer Prüfung aber zu verneinen sein. Auch die Zulassung von Kraftfahrzeugverkehr auf dem Hinterhof stelle keine Beeinträchtigung nachbarlicher Belange dar. Die Frage des Nachbarrechtsschutzes wegen des Baukörpers selbst werde in einem eventuellen Hauptsacheverfahren zu entscheiden sein.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhoben die Kläger zum Verwaltungsgericht Schwerin Klage gegen die Baugenehmigung (VG Schwerin 2 A 597/93). Das Verwaltungsgericht Schwerin hob die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung mit Urteil vom 10. Mai 1995 auf. Es begründete die Entscheidung im Wesentlichen mit der Überlegung, nach dem Abriss der ursprünglich vorhandenen Bebauung liege Bestandschutz nicht mehr vor. Die bauliche Anlage sei ein Neubau. Dieser halte die Abstandflächenvorschriften des im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung geltenden Rechts (Bauordnung der DDR vom 20. Juli 1990) nicht ein. Danach hätte ein Mindestabstand von 3 m von der Grundstücksgrenze eingehalten werden müssen. Die Baugenehmigung enthalte weder eine Befreiung von dieser Bestimmung noch ergebe sich aus anderen Gründen eine Rechtmäßigkeit der Grenzbebauung. Die Baugenehmigung sei auch wegen Verstoßes gegen § 34 Abs. 1 BauGB rechtswidrig. Zudem verstoße sie gegen § 34 Abs. 2 BauGB, da das Gebäude gemäß § 15 BauNVO nicht genehmigungsfähig sei. Der zweigeschossige Bau, der durch seine Lage inmitten der begrünten und weitgehend unbebauten Gärten hinter der Bebauung längs der angrenzenden Straßen schon störend ins Auge steche, wirke zusätzlich durch seine äußeren Abmessungen erschlagend. Dieses Urteil wurde nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Februar 1998 (3 L 134/95) rechtskräftig. Auch das Oberverwaltungsgericht sah sowohl einen Verstoß gegen nachbarschützende Grenzabstandvorschriften als auch gegen das Rücksichtnahmegebot und verwies zur Vermeidung von Wiederholungen auf die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

Mit Schreiben vom 28. April 1998 verlangten die Kläger vom Beklagten den Erlass einer Abrissverfügung gegenüber dem Beigeladenen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 14. Oktober 1998 ab. Er begründete seine Ablehnung damit, er übe sein Ermessen nach Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dahin aus, dass der Bauherr auf die Baugenehmigung zunächst habe vertrauen dürfen. Das Verwaltungsgericht Schwerin habe mit Beschluss vom 17. Februar 1993 die sofortige Vollziehung der Baugenehmigung angeordnet, nachdem die vom Beklagten verfügte Baustilllegung wegen Abweichung von der Baugenehmigung angeordnet worden sei. Die Entscheidung in der Hauptsache sei erst ergangen, nachdem das Bauvorhaben fertiggestellt worden sei. Weiter sei zu berücksichtigen, dass durch den Bauherrn auf die Terrassennutzung verzichtet und im ersten Obergeschoss ein Sichtschutz angebracht worden sei, so dass kein Einblick in das Grundstück der Kläger genommen werden könne. Zwar würden die Kläger durch das vorhandene Hofgebäude beeinträchtigt, nicht aber durch die tatsächlich stattfindende Nutzung. Da eine Beeinträchtigung durch das zuvor vorhandene Hofgebäude auch vorgelegen habe und diese sich nach der genehmigten Sanierung auch auf einen längeren Zeitraum ausgedehnt hätte, werde das Ermessen dahin ausgeübt, dass die Beseitigung der baulichen Anlage nicht verlangt werden könne.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2000 zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde im Wesentlichen mit Vertrauensschutzgesichtspunkten begründet. Das Verwaltungsgericht Schwerin habe sowohl mit Beschluss vom 17. Dezember 1992 wie vom 17. Februar 1993 die sofortige Vollziehung der Baugenehmigung vom 02. Oktober 1992 zugunsten des Beigeladenen angeordnet, nachdem zuvor der Beklagte jeweils eine sofort vollziehbare Baustillegung angeordnet habe. Der Bauherr habe daher zum damaligen Zeitpunkt von der Rechtmäßigkeit des Vorhabens ausgehen dürfen. Dies begründe Vertrauensschutz. Daher wiege das Interesse der Kläger an der Beseitigung des Hofgebäudes weniger schwer als das Interesse des Bauherrn am Fortbestand des Hofgebäudes. Eine Entscheidung gegen den Abriss liege auch im öffentlichen Interesse. Denn es gelte nicht zuletzt auch das Vertrauen der Allgemeinheit in die Folgenlosigkeit einer Entscheidung einer gerichtlichen Instanz zu schützen, wenn aufgrund dieser Entscheidung vollendete Tatsachen geschaffen worden seien, nachdem Eilentscheidungen den Weiterbau ermöglicht hätten.

Auf die gegen diese Bescheide erhobene Klage hin hat das Verwaltungsgericht den Beklagten durch das angefochtene Urteil verpflichtet, den Abriss des Hinterhofgebäudes des Beigeladenen L. Straße 126 in Sch. anzuordnen. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert sei. Im Hinblick auf die im Urteil vom 10. Mai 1995 festgestellte unzumutbare Beeinträchtigung durch den bereits aus dem Hochparterre der Kläger gut sichtbaren großen Baukörper folge eine erhebliche Verletzung des Rücksichtnahmegebotes durch das Vorhaben des Beigeladenen, was die Reduzierung des Ermessens auf Null zur Folge habe. Eine Teilbeseitigung durch Abriss des zur ursprünglichen Grenzbebauung hinzugekommenen Staffelgeschosses komme nicht in Betracht, nachdem eine bestandgeschützte Hinterhofbebauung durch den Beigeladenen auf seinem Grundstück beseitigt worden sei. Durch die Einbeziehung der ursprünglichen Grenzmauer in den Neubau habe diese ihren Charakter als (selbstständige) Grenzmauer verloren. Sie unterliege daher auch dem Abriss. Ein Vertrauensschutz des Beigeladenen liege nicht vor, da diesem bekannt gewesen sei, dass die Kläger gegen die Baugenehmigung Widerspruch eingelegt und später auch Klage erhoben hätten. Wenn der Beigeladene in Kenntnis der Anfechtung der Baugenehmigung das Bauvorhaben weitergeführt habe, habe er auf eigenes Risiko gehandelt. Der erhebliche Schaden durch die Beseitigung des Grenzgebäudes führe insoweit nicht zu einem anderen Ergebnis.

Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Der Beklagte hat gegen das ihm am 18. April 2002 zugestellte Urteil am 17. Mai 2002 Berufung eingelegt.

Der Beklagte ist der Auffassung, die Klage sei unzulässig, da die Kläger die Möglichkeit hätten, unmittelbar im Wege einer Klage auch vor dem Verwaltungsgericht gegen den Beigeladenen die Beeinträchtigung ihrer Rechte geltend zu machen. Die Klage sei jedenfalls unbegründet, weil materiell-rechtlich keine Ermessensreduzierung auf Null vorliege. Die Bebauung auf dem Grundstück des Beigeladenen habe zu einer sehr starken Verbesserung des Umfeldes des Grundstücks der Kläger geführt und zu einer Werterhöhung beigetragen. Das Verwaltungsgericht habe die Interessen des Nachbarn und des Bauherrn rechtsfehlerhaft nicht gegeneinander abgewogen. Zudem habe es verkannt, dass keinesfalls von einer hohen Intensität der Störung nachbarlicher Interessen ausgegangen werden könne. Eine solche Störung sei nur insoweit zu befürchten, als es um eine Sichtbelästigung gehe. Diese sei durch den Einbau von Sichtglasscheiben aber ausgeschlossen. Von einer besonderen Störungsintensität könne nicht die Rede sein. Eine erschlagende Wirkung des Gebäudes sei nicht zu erkennen, was eine Ortsbesichtigung ergeben werde. Dies folge schon daraus, dass zur Seite des klägerischen Grundstückes das Gebäude nur eingeschossig sei und nicht über die schon vor Bauantragstellung vorhandene Grenzmauer hinausrage. Der erhöhte Teil des Hofgebäudes liege auf der von dem Grundstück der Kläger entfernten Seite des Baukörpers. Das Verwaltungsgericht habe auch zu Unrecht die Vorbelastung der Kläger durch die ursprünglich vorhandene Bebauung und deren Nutzung unberücksichtigt gelassen. In diesem Zusammenhang komme es auf die Frage des Bestandschutzes nicht an, sondern darauf, dass die Beseitigung des Hofgebäudes zu einer Vernichtung ganz erheblicher wirtschaftlicher Werte auf Seiten des Beigeladenen führe. Hier seien sowohl die Baukosten als auch die - vom Beigeladenen mit 150.000 DM angegebenen - Abrisskosten zu bedenken. Auch wenn ein Vertrauensschutz des Beigeladenen in den Bestand der Baugenehmigung vom Verwaltungsgericht zu Recht verneint worden sei, müsse doch bedacht werden, dass der von ihm - dem Beklagten - verfügte Baustopp zweimal verwaltungsgerichtlich aufgehoben worden sei. Schließlich habe die Klägerseite auch die Möglichkeit, unmittelbar zivilrechtlich gegen den Beigeladenen vorzugehen. Auch die Möglichkeit eines Teilabrisses habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht verneint. Aus nachbarschutzrechtlicher Sicht müsse lediglich der Grenzabstand eingehalten werden. Hinsichtlich der Geschossigkeit füge sich das Hofgebäude in die durch weit höhere, mehrgeschossige Bauten geprägte Umgebungsbebauung ein.

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 17. Januar 2002 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Möglichkeit der zivilrechtlichen Durchsetzung von Abwehransprüchen hindere die Klage auf Erlass der Beseitigungsverfügung nicht. Das Verwaltungsgericht habe erst aufgrund einer Abwägung zwischen den Interessen des Nachbarn und des Bauherrn eine Ermessensreduzierung auf Null angenommen. Im hier vorliegenden Einzelfall begründe die hohe Intensität der Störung der Kläger die Ermessensreduzierung auf Null. Maßgeblich sei insoweit der Verstoß der baulichen Anlage gegen das Rücksichtnahmegebot. Dieser sei sowohl vom Verwaltungsgericht wie vom Oberverwaltungsgericht im Vorprozess festgestellt worden. Die ursprünglichen Vorbelastungen seien durch den Abriss der vormaligen Bebauung entfallen und könnten so bei der Abwägung keine Rolle spielen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei nicht verletzt worden, weil der Beigeladene ohne Genehmigung gebaut habe und sich die nachteiligen Folgen dieses Verhaltens selbst zuschreiben müsse.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Der Beigeladene hat das Urteil des OLG Rostock vom 26. September 2002 - 1 U 207/00 - vorgelegt, das seine Klage gegen die Landeshauptstadt Schwerin auf Schadensersatz nach Amtshaftungsgrundsätzen wegen Erteilung einer rechtswidrigen Baugenehmigung auch im Berufungsverfahren abweist. Das OLG bejaht zwar eine schuldhafte Amtspflichtverletzung des Beklagten, führt aber zugleich aus, dass der Kläger kein schützenswertes Vertrauen in den Bestand der Baugenehmigung haben konnte. Die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung musste sich nach Auffassung des OLG dem Beigeladenen bereits mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 17. Dezember 1992 aufdrängen, durch den deutlich geworden sei, dass das Bauvorhaben nicht als Umbau, wie im Bauantrag deklariert, sondern rechtlich als Neubau zu bewerten sei. Dies habe die Behörde dem Beigeladenen gegenüber zum Anlass genommen, darauf hinzuweisen, dass ein Neubau nicht genehmigungsfähig sei. Dies sei auch mit der zweiten Baustopp-Verfügung vom 20. Januar 1993 verdeutlicht worden. Die nachfolgende Eilentscheidung des VG Schwerin sei offensichtlich fehlerhaft; dies hätten sowohl die Architekten des Beigeladenen wie auch seine damalige Prozessbevollmächtigte und schließlich er selbst erkennen müssen.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen Behördenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 17. Januar 2002 ist zu ändern und die Klage abzuweisen. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten erweisen sich als rechtmäßig. Der Beklagte hat ermessensfehlerfrei ein Einschreiten abgelehnt; aus diesem Grunde ist auch kein Anspruch auf Einschreiten der Kläger gegeben (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Anspruchsgrundlage für ein Einschreiten des Beklagten gegen die bauliche Anlage des Beigeladenen ist § 80 Abs. 1 Satz 1 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO M-V). Danach kann die zuständige Behörde die vollständige oder teilweise Beseitigung von baulichen Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden sind, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Aus der Fassung der Vorschrift ergibt sich, dass die Behörde grundsätzlich eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen hat, ob und in welchem Umfang sie einschreitet; sie hat hier nach Maßgabe des § 40 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) zu entscheiden. Ein Dritter hat einen Anspruch auf ermessensgerechte Entscheidung, wenn durch das begehrte Einschreiten die Verletzung eines eigenen subjektiv öffentlichen Rechts verhindert bzw. beseitigt werden soll. In dieser Konstellation kann ein Anspruch auf Einschreiten dann entstehen, wenn jede andere Entscheidung als die, zugunsten des Nachbarn einzuschreiten, ermessensfehlerhaft wäre (vgl. BVerwG, Urt. vom 04.06.1996 - 4 C 15/95 - NVwZ-RR 1997 S. 271). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Bauherr sein Vorhaben aufgrund einer Baugenehmigung errichtet hat, die durch die Behörde oder das Verwaltungsgericht wegen des Verstoßes gegen Nachbarrechte aufgehoben worden ist (vgl. zum Streitstand Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht Band 2, 4. Aufl., Seite 258 m.w.N.; Hoppe/Bönker/Grotefels: Öffentliches Baurecht, 2. Auflage, § 18 Rn. 171 f. m.w.N.). Ein originärer Anspruch auf Folgenbeseitigung neben dem nach § 80 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V besteht nicht. Der Anspruch auf Folgenbeseitigung steht nämlich unter dem Vorbehalt der gesetzlichen Ausgestaltung. Im Hinblick auf die spezialgesetzliche Norm des § 80 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V gewinnt der Anspruch auf Folgenbeseitigung somit lediglich nach Maßgabe seines Anwendungsbereichs ggf. eine ermessensreduzierende Wirkung (vgl. in diesem Sinne BVerwG, Beschl. vom 09.02.2000 - 4 B 11/00 - BauR 2000, S. 1318).

Der Senat hat erwogen, ob aus einer Verletzung bauplanungsrechtlicher Vorschriften ein Anspruch der Nachbarn auf ordnungsbehördliches Einschreiten abzuleiten ist. Die Verletzung bauplanungsrechtlicher Vorschriften könnte hier in einem Verstoß gegen § 34 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BauGB liegen, da sich das vom Beigeladenen errichtete Gebäude nach Beurteilung des Verwaltungsgerichts Schwerin und des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern in den Verfahren betr. die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nicht in die nähere Umgebung einfügt und dadurch das auch nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Der Senat kann offen lassen, ob es einen allgemeinen - bundesrechtlichen - Grundsatz gibt, dass bei Verstößen gegen nachbarrechtliche Bestimmungen des Bauplanungsrechts der in seinen Rechten verletzte Nachbar einen Anspruch auf Beseitigung des unter Verstoß gegen die Bestimmungen errichteten Gebäudes hat, wenn auf andere Weise rechtmäßige Zustände nicht hergestellt werden können (in diese Richtung tendenziell BVerwG, Beschl. vom 17.04.1998 - 4 B 194/97 -, BauR, 165, 169; BVerwG, Beschl. vom 09.02.2000 - 4 B 11/00 -, BRS, 63, 210). Ein solcher allgemeiner Grundsatz müsste mit Blick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Einzelfall für atypische Fallgestaltungen Ausnahmen zulassen.

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensentscheidung, ein Eingreifen zugunsten der Kläger abzulehnen, Besonderheiten des Falles berücksichtigt, die dazu führen, dass ein Anspruch auf Einschreiten seitens der Kläger nicht gegeben ist, sich vielmehr die Ermessensentscheidung des Beklagten, von einem Einschreiten abzusehen, als rechtmäßig erweist (§ 114 S. 1 VwGO). Dabei sind bei der gerichtlichen Beurteilung diejenigen Erwägungen zugrunde zu legen, die sich im Ausgangsbescheid und im Widerspruchsbescheid des Beklagten finden (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Beklagte hat hierbei zunächst zugunsten des Beigeladenen auf den Vertrauensschutz abgestellt, der sich durch die erteilten Baugenehmigungen und insbesondere durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 17. Februar 1993 ergeben hat. Er hat auf der anderen Seite die Interessen der Kläger und die Beeinträchtigung durch das Hofgebäude in Rechnung gestellt. Er hat dabei allerdings auch berücksichtigt, dass der Beigeladene verbindlich auf eine Terrassennutzung zur Seite des klägerischen Grundstückes verzichtet und im ersten Obergeschoss einen Sichtschutz angebracht hat, sodass kein Einblick in das Grundstück der Kläger genommen werden kann. Er hat schließlich berücksichtigt, dass die tatsächlich im Gebäude stattfindende Nutzung zu keiner zusätzlichen Störung des klägerischen Grundstücks über das hinausführt, was an Beeinträchtigung der Situation des Grundstücks der Kläger durch das zuvor vorhandene Hofgebäude bereits eingetreten und angelegt war.

Diese Erwägungen begründen die Besonderheit des vorliegenden Falles gegenüber denjenigen, in denen - nur - auf der Grundlage einer sofortig vollziehbaren Genehmigung ohne weitere vorgeschaltete gerichtliche Entscheidung gebaut worden ist, die Baugenehmigung hernach aber auf Rechtsbehelfe des Nachbarn wegen Verstoßes gegen nachbarschützende Normen aufgehoben wurde, und bei denen es um die erstmalige Bebauung eines bislang unbebauten Nachbargrundstücks geht.

Hierzu ist in Hinblick auf die Erörterungen im Berufungsverfahren ergänzend Folgendes auszuführen:

Die erste Besonderheit des Falles liegt darin, dass das Grundstück der Kläger bis zum Abriss der ursprünglich vorhandenen Hinterhofbebauung bereits sowohl durch die Bebauung selbst als auch deren Nutzung vorbelastet war. Hinsichtlich der Bebauung selbst ist die Vorbelastung zu einem wesentlichen Teil identisch mit der, die von der heutigen Bebauung ausgeht. Der Baukörper nimmt nämlich im Erdgeschossbereich nahezu die gleichen Ausmaße wie die frühere Lagerhalle ein. Das gilt auch für die Nichteinhaltung der Abstandflächen gemäß § 6 LBauO M-V jedenfalls zur Grenze des Grundstücks der Kläger. Die frühere Nutzung führte bereits zu einem Personen- und Kraftfahrzeugverkehr im hinteren Bereich der Wohnhäuser der L. Straße. Dadurch ist zugleich bewirkt, dass die Beeinträchtigung im Hinblick auf die etwaig nachbarschützende Wirkung des Gebots der Rücksichtnahme iSv. § 34 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB in quantitativer wie qualitativer Sicht im Wesentlichen unverändert ist. Diese Umstände lassen auch die Störungen, die durch die Bebauung und ihre Nutzung auf das klägerische Grundstück wirken, als nicht so gewichtig erscheinen, wie es in den Fällen vorausgesetzt wird, in denen ein Anspruch auf Erlass einer Beseitigungsverfügung angenommen wird (vgl. Brohm: Öffentliches Baurecht, 3. Aufl., § 30 Rn. 24 m.w.N.). Durch den Abriss der hinteren Baulichkeiten wurde auch nicht seitens der Kläger ein Vertrauensschutz dahin begründet, dass nunmehr der rückwärtige Bereich von einer Bebauung freibleiben würde. Es war nämlich bereits von vornherein erkennbar, dass der Abriss im Zusammenhang mit der Neubebauung durch den Beigeladenen durchgeführt werden sollte. Der begehrte Abriss des Gebäudes würde für das klägerische Grundstück somit zu einer wesentlichen Verbesserung der Situation führen, als die Kläger erwarten konnten.

Als weiterer besonderer Gesichtspunkt tritt hinzu, dass der Beklagte zwei Baueinstellungsverfügungen erlassen hatte, deren Sofortvollzug das Verwaltungsgericht aber ausgesetzt hat. Dies unterscheidet den vorliegenden Fall von denjenigen, bei denen "nur" von einer von Gesetzes wegen sofortig vollziehbaren Genehmigung Gebrauch gemacht worden ist, ohne dass eine - wenn auch nur summarische - gerichtliche Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Nachbarrechtsbehelfs vorliegt. Hinzu kommt weiter, dass der Beklagte als Genehmigungsbehörde trotz Kenntnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vom 17. Dezember 1992 keine Veranlassung gesehen hat, die Baugenehmigung zurückzunehmen. Dazu hätte - wie sich aus der zweiten Baustopp-Verfügung ergibt - hinreichend Anlass bestanden. Zu berücksichtigen ist schließlich, dass das Oberverwaltungsgericht in dem Ortstermin vom 04. Oktober 1993 eine gütliche Einigung angeregt und am 30. November 1993 einen Vergleichsvorschlag unterbreitet hatte, der bis auf den Kostenteil für den Beigeladenen vorteilhaft war.

Unter diesen Umständen durfte der Beigeladene bis zu einem gewissen Grad auf den Bestand der Baugenehmigung vertrauen und dieses Vertrauen durch den Beklagten in seine Ermessensentscheidung eingestellt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe hierfür nicht vorliegen (§ 132 VwGO).

Ende der Entscheidung

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