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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 25.11.2004
Aktenzeichen: 3 L 257/00
Rechtsgebiete: LBauO M-V


Vorschriften:

LBauO M-V § 48
LBauO M-V § 88
Eine Änderung von Bestimmungen über die Stellplatzabgabe kann der Bauherr nicht geltend machen, wenn sie nach Erlass der bestandskräftig gewordenen Baugenehmigung, die die Anforderung der Ablöse als Nebenbestimmung enthält, Geltung erlangt hat. Daran ändert die spätere Anforderung der Zahlung nichts.
Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 3 L 257/00

Verkündet am: 25.11.2004

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Baurecht

hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern auf der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2004 in Greifswald

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 21.09.2000 wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der Vollstreckungsschuld abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Bescheids des Beklagten vom 18.02.1997, in dem die Zahlung eines Ablösebetrags für Stellplätze in Höhe von 30.000 DM angefordert wird.

Die Kläger beantragten am 22.07.1994 bei dem Beklagten die Genehmigung des Umbaus, der Nutzungsänderung und des Dachgeschossausbaus des Gebäudes H. 15 und 16 in R. und im Mai 1995 für zwei zu errichtende Stellplätze die Ablösung der Stellplatzpflicht. Der Beklagte erteilte unter dem 05.07.1995 die beantragte Baugenehmigung. Sie enthält unter Ziffer 10 folgende Nebenbestimmung:

"Da die Herstellung von zwei notwendigen Stellplätzen auf eigenem Grundstück bzw. auf öffentlich-rechtlich gesichertem Grundstück nicht möglich ist, wird gemäß § 48 Abs. 6 LBauO M-V verlangt, dass entsprechend dem Ablösevertrag vom 15.05.1995 der vereinbarte Geldbetrag von 30.000 DM vor Nutzungsaufnahme an die Gemeinde Stadt R. gezahlt wird."

Die Baugenehmigung ist bestandskräftig geworden.

Mit Bescheid vom 18.02.1997 forderte der Beklagte die Zahlung des Ablösebetrags in Höhe von 30.000 DM. Er führte aus, nach Fertigstellung des Bauvorhabens sei gemäß § 5 Abs. 2 der Satzung der Stadt R. zur Erhebung von Ablösebeträgen für notwendige Stellplätze der Ablösebetrag fällig.

Den von den Klägern erhobenen Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 15.04.1998 zurück.

Das Verwaltungsgericht gab der hiergegen erhobenen Klage durch Urteil vom 21.09.2000 statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Der Ablösebetrag sei nicht bereits mit der inzwischen bestandskräftigen Baugenehmigung vom 05.07.1995 und deren Auflage Ziffer 10 festgesetzt worden. Der hier genannte Ablösevertrag vom 15.05.1995 existiere nicht. Die Festsetzung des Ablösebetrags sei rechtswidrig. Nach § 88 Abs. 1 LBauO M-V 1998 sei ein vor In-Kraft-Treten des Gesetzes eingeleitetes Verfahren nur dann nach den bisherigen Vorschriften weiterzuführen, wenn diese keine für den Antragsteller günstigere Regelung enthielten. § 48 Abs. 6 S. 4 LBauO M-V 1998 stelle den Antragsteller gegenüber § 48 Abs. 6 LBauO M-V 1994 insoweit günstiger, als je Vorhaben vier Stellplätze unberücksichtigt blieben. Sie hätten nach der Neuregelung keinen Ablösebetrag zu entrichten.

Die durch den Senat zugelassene Berufung begründet der Beklagte wie folgt: Das Verwaltungsgericht habe einen unrichtigen Entscheidungszeitpunkt zugrunde gelegt. Der Ablösebetrag sei bereits als Auflage zur Baugenehmigung vom 05.07.1995 festgesetzt worden. Sie sei bestandskräftig geworden. Das Verfahren sei damit abgeschlossen worden. Insoweit sei § 48 Abs. 6 LBauO M-V in der Fassung 1994 und nicht 1998 anzuwenden. Die zwischenzeitliche Änderung des § 48 Abs. 6 LBauO M-V habe vor dem Hintergrund der Überleitungsvorschrift des § 88 Abs. 1 LBauO M-V keine Besserstellung der Kläger bewirken können.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 21.09.2000 die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zugelassene Berufung hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind.

Entgegen des gemeinsamen Ausgangspunkts der Beteiligten kann offen bleiben, ob § 88 Abs. 1 der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern - LBauO M-V - die Frage regelt, inwieweit die Neuregelung des § 48 des Gesetzes, die durch Art. 1 des Gesetzes vom 27.04.1998 (GVOBl. M-V Seite 388) getroffen worden ist, auf Verfahren anzuwenden ist, die vor dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes am 30.04.1998 eingeleitet worden sind. Bedenken könnte bereits die Wortlautauslegung ergeben: § 88 Abs. 1 LBauO M-V regelt die Rechtsfolgen des In-Kraft-Tretens dieses Gesetzes, nicht einer bestimmten Änderung des Gesetzes. Demgemäß ist der Wortlaut der Vorschrift auch durch das genannte Gesetz vom 27.04.1998 unverändert geblieben. Eine solche Auslegung des § 88 Abs. 1 LBauO M-V würde auch dem allgemeinen Verständnis ähnlicher Überleitungsregelungen in den anderen Landesbauordnungen entsprechen (vgl. § 77 Abs. 1 LBauO für Baden Württemberg und dazu Schlotterbeck in: Schlotterbeck/von Arnim/Hage, Landesbauordnung für Baden Württemberg, 5. Aufl. Rn. 1). Will der Gesetzgeber eine derartige Überleitungsregelung so verstanden wissen, dass sie für jede Änderung gilt, so kann er dies - eindeutig - in der Weise zum Ausdruck zu bringen, dass die Regelung für Verfahren nach diesem Gesetz getroffen wird, die vor dem In-Kraft-Treten einer Gesetzesänderung eingeleitet worden sind (vgl. § 233 Abs. 1 BauGB). Andererseits könnte der Umstand, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Novellierung 1998 § 88 Abs. 1 LBauO unverändert gelassen hat, darauf hindeuten, dass die Meistbegünstigung als Überleitungsregelung (vgl. zu Sinn und Zweck des § 88 Abs. 1 LBauO M-V, Senatsbeschluss vom 28.07.1995 - 3 L 21/94 - BRS 57 Nr. 165) auch hier gelten soll und der Wortlaut der Vorschrift das Gewollte insoweit nur unvollkommen wiedergibt.

Fehlt es an einer Überleitungsvorschrift für die Änderung des § 48 LBauO M-V durch Gesetz vom 27.04.1998, so ist zunächst die In-Kraft-Tretens-Regelung des Änderungsgesetzes in Art. 6 jenes Gesetzes zu berücksichtigen. Danach trat das Gesetz am Tage nach seiner Verkündung, d.h. am 30.04.1998 in Kraft. Für die Frage, inwieweit sich die Änderung der Vorschriften über Stellplätze bei bereits eingeleiteten Verfahren auswirkte, ist daher auf allgemeine Rechtsgrundsätze zurückzugreifen. Hierbei ist von Folgendem auszugehen: Für die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zu beurteilende Frage, ob eine tatsächliche Herstellung von Stellplätzen, die für ein Vorhaben notwendig sind, auf dem Baugrundstück möglich ist, kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die Nutzung des genehmigten Vorhabens aufgenommen werden wird. Eine zu diesem Zeitpunkt nicht absehbare spätere tatsächliche oder rechtliche Änderung der Verhältnisse, die es ermöglichen könnte, auf die Errichtung von Stellplätzen in größerem Umfang als zuvor zu verzichten, kann eine zunächst zutreffend angenommene Unmöglichkeit der Herstellung der notwendigen Stellplätze nicht beseitigen. Die geforderte - und von den Klägern akzeptierte - Ablöse räumte ein Genehmigungshindernis aus, dass sonst der beantragten Genehmigung zwingend entgegenstand (zu diesem Zusammenhang VGH München, Urt. v. 11.03.2004 - 2 BV 02.3044 - n.v.). Damit kann auch der festgesetzte Ablösebetrag nicht durch eine Änderung der tatsächlichen/rechtlichen Verhältnisse nachträglich entfallen. Die Pflicht zur Herstellung erforderlicher Stellplätze und damit auch die als deren Surrogat entstehende Pflicht zur Zahlung von Ablösebeiträgen (vgl. dazu auch Senatsbeschluss vom 12.10.2004 - 3 M 147/03 -UA S. 10 f.) entsteht vorhabenbezogen, weil sie nach dem Zweck des Gesetzes in dem Zeitpunkt eintritt, in dem durch die Verwirklichung des Vorhabens die Inanspruchnahme von Flächen für den hierdurch ausgelösten ruhenden Verkehr möglich wird. Stellt sich bei einer auf diesen Zeitpunkt bezogenen Betrachtung die tatsächliche Herstellung endgültig als nicht möglich dar, so ist die Zahlungspflicht auch endgültig an die Stelle der Herstellungspflicht getreten. Damit stehen einerseits damit ausgeglichene Stellplätze bei künftigen Bedarfsmessungen den hergestellten gleich und können andererseits die spätere Möglichkeit zur Herstellung der Stellplätze oder der Wegfall des Bedarfs keine Ansprüche auf Rückerstattung gezahlter Ausgleichsbeiträge auslösen. Der Umstand, dass - aus welchen Gründen auch immer - die zum maßgebenden Zeitpunkt festgesetzten Ausgleichsbeiträge noch nicht beglichen gewesen sind, bevor die Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse eingetreten ist, ist für diese materielle Rechtslage ohne Bedeutung (vgl. in diesem Sinne auch OVG Hamburg, Urt. v. 12.07.2003 - 2 Bf 14/96 -, NordÖR 2004, S. 113, 114).

Geht man von der Anwendbarkeit des § 88 Abs. 1 LBauO M-V aus, ergibt sich aus den obigen Erwägungen über den Zusammenhang zwischen der Entscheidung über den Verzicht auf die Anforderung der Herstellung von Stellplätzen und der geforderten Ablöse, dass das Verfahren iSd. § 88 Abs. 1 LBauO M-V mit der Erteilung der Baugenehmigung abgeschlossen war. Die Anforderung des Ablösebetrags durch Bescheid vom 18.02.1997 betraf daher kein "Verfahren" im Sinne dieser Vorschrift. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob - wie die Kläger meinen - dieser Bescheid ein "Wiederaufgreifen" mit erneuter Sachbescheidung darstellt. § 88 Abs. 1 LBauO M-V regelt hier nämlich die materiell-rechtliche Frage, welcher Zeitpunkt für das Entstehen der Ablösepflicht maßgebend ist. Diese Frage regelt bereits die Baugenehmigung mit der Nebenbestimmung Nr. 10, die insoweit einen eigenständigen Rechtsgrund für die Zahlungsverpflichtung darstellt (vgl. auch VGH München, Urt. vom 11.03.2004 - 2 BV 02.3044 - unter Hinweis auf BVerwG, Urt. vom 13.07.1979 - 4 C 67.76 - BRS 35 Nr. 126; VGH Kassel, Urt. vom 06.01.1994 - 3 UE 2631/92 -BRS 56 Nr. 127).

Von dieser Rechtslage ist der Beklagte zu Recht ausgegangen, indem er in Nr. 10 in der Baugenehmigung vom 05.07.1995 bestimmt hat, dass der dort genannte Geldbetrag in Höhe von 30.000 DM vor Nutzungsaufnahme an die Gemeinde zu zahlen ist. In der Begründung wird ausdrücklich darauf Bezug genommen, dieser Betrag beruhe darauf, dass die Herstellung von zwei notwendigen Stellplätzen auf eigenem Grundstück bzw. auf öffentlichrechtlich fremdem Grundstück nicht möglich sei. Dass darin auf eine vermeintliche Vereinbarung vom 15.05.1995 Bezug genommen wird, ist unschädlich, zumal damit wohl das aktenkundige Datum der Bestätigung des Ablöseantrags durch die Gemeinde gemeint ist. Abgesehen davon, ist dieser Bescheid bestandskräftig.

Der Ausgangspunkt des angefochtenen Bescheids vom 18.02.1997, wonach eine Ablöse für zwei Stellplätze zu entrichten ist, entspricht daher der Rechtslage.

Allerdings haben die Kläger im bisherigen Verfahren insoweit zwei Gesichtspunkte geltend gemacht, ohne sie im Berufungsverfahren weiter zu verfolgen.

Zum einen sei nicht sichergestellt, dass die Stellplatzablösezahlungen vorschriftsgemäß verwendet würden. Fraglich ist schon, ob dieser Gesichtspunkt einer Zahlungspflicht schon grundsätzlich nicht entgegengehalten werden kann (vgl. VGH München, Urteil vom 11.03.2004 - a.a.O.). Er könnte jedenfalls erst nach Zahlung des vollständigen Betrags und nach Ablauf einer angemessenen Frist erhoben werden (vgl. VG Gera, Urt. vom 06.03.2003 - 4 K 422/02 Ge - TürVBl. 2003, S. 86; vgl. auch OVG des Saarlandes, Urt. v. 12.06.1987 - 2 R 236/85 - AS RP-SL 22, S. 78). Schließlich steht diesem Einwand die Bestandskraft der Baugenehmigung entgegen.

Die Kläger haben zudem erstinstanzlich geltend gemacht, der Bescheid vom 08.02.1997 leide an Ermessensfehlern. Bei dem Vorhaben handele es sich um eine Anlage im Sinne von § 48 Abs. 3 LBauO M-V, da durch die Sanierung der Objekte keine wesentliche Nutzungsänderung eingetreten sei. Nach § 48 Abs. 3 LBauO M-V könne der Beklagte die Herstellung von Stellplätzen bzw. deren Ablösung fordern. Grundlage für die Ermessensentscheidung sei hier, ob durch die bauliche Anlage die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs aufgrund der Art und Zahl der Kraftfahrzeuge und der ständigen Benutzung durch die Besucher beeinflusst werde. Maßgebend dürfe nicht sein, ob der Eigentümer oder Bauherr aus den alten oder neuen Bundesländern stamme. Auch mit diesem Einwand sind die Kläger schon deswegen ausgeschlossen, weil Grundlage der Forderung der Stellplatzablöse Nr. 10 der Nebenbestimmungen der bestandskräftig gewordenen Baugenehmigung ist. Auf der Grundlage dieser Baugenehmigung haben die Kläger das Vorhaben durchgeführt. Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens hat der Beklagte die Entscheidung getroffen, ob und in welchem Umfang Stellplätze wegen der baulichen und Nutzungsänderungen des Vorhabens erforderlich sind. Der Beklagte hat weiterhin die Entscheidung getroffen, ob und inwieweit die notwendigen Stellplätze durch eine Abgabe abgelöst werden können. Die Kläger hätten diese Entscheidung durch einen Widerspruch und gegebenenfalls eine Klage bekämpfen müssen. Im Rahmen der Anfechtung der Anforderung der Ablöse kann dieses insoweit bestandskräftig gewordene Element der Baugenehmigung nicht mehr in Frage gestellt werden. Im Übrigen bezieht sich die Ermessensentscheidung nach § 48 Abs. 6 LBauO M-V allein darauf, ob statt der Forderung der notwendigen Stellplätze die Zahlung einer Ablöse zugelassen werden kann, und nicht darauf, ob und in welchem Umfang durch eine bauliche Maßnahme erforderliche Stellplätze nachzuweisen sind. Dies folgt schon aus dem Wortlaut der § 48 Abs. 1 und 2 LBauO M-V, der die Frage notwendiger Stellplätze bei Errichtung und Änderung baulicher Anlagen regelt. In diesen Vorschriften ist eine Ermessensentscheidung nicht vorgesehen, es handelt sich um eine durch den Gesetzgeber vollständig determinierte Entscheidung.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO iVm. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

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