Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 17.08.2005
Aktenzeichen: 3 L 27/04
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2
VwGO § 124 a Abs. 4 Satz 4
Beruht das angegriffene Urteil auf einer Alternativbegründung im Sinne von "so oder so", genügt der Zulassungsantrag dem Darlegungserfordernis, wenn er einen Zulassungsgrund bezogen auf einen der Urteilsgründe hinreichend darlegt.
Oberverwaltungsgerieht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss

Az.: 3 L 27/04

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Erteilung eines Bauvorbescheides

hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 17. August 2005 in Greifswald

beschlossen:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 30. Oktober 2003 wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Erteilung eines Vorbescheides über die planungsrechtliche Zulässigkeit eines geplanten Lebensmitteldiscounters. Der Beklagte lehnte den Antrag wegen einer entgegenstehender Festsetzung eines Bebauungsplanes ab. Die Klage blieb erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat es ausdrücklich offen gelassen ("Es kommt für die Streitentscheidung nicht darauf an"), ob die umstrittenen Festsetzungen des Bebauungsplanes wirksam, teilweise wirksam oder unwirksam seien, weil das geplante Vorhaben der Klägerin nach keiner Betrachtungsweise genehmigungsfähig sei. Entweder verhinderten die ganz oder teilweise wirksamen Festsetzungen des Bebauungsplanes die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens oder bei Unwirksamkeit des Bebauungsplanes handele es sich um einen Standort im Außenbereich, an dem eine Bebauung wie die geplante nicht zugelassen werden könne.

Dagegen richtet sich der Zulassungsantrag der Klägerin, den der Beklagte unterstützt, soweit der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung geltend gemacht wird.

II.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 30.10.2003 ist zuzulassen, weil die Klägerin in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Art und Weise den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) dargelegt hat.

§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO will den Zugang zu einer inhaltlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils in einem Berufungsverfahren in den Fällen eröffnen, in denen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist. Das gilt für die Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts ebenso wie für die darauf bezogene Rechtsanwendung. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung sind dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden. Die Zulassungsschrift muss - gegebenenfalls in Verbindung mit einem weiteren innerhalb der Antragsschrift eingegangenen Schriftsatz - Anlass geben, das Ergebnis der angefochtenen Entscheidungen in Zweifel zu ziehen. Ernstliche Zweifel können schon dann vorliegen, wenn sich die Erfolgsaussichten zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschließend überschauen lassen, die Zulassungsschrift aber dem Senat die Einsicht vermittelt, dem Rechtsmittel seien durchaus hinreichende Erfolgsaussichten zuzusprechen.

Beruht das angegriffene Urteil auf einer sogenannten Alternativenbegründung, dass heißt, hat das Verwaltungsgericht offen gelassen, welcher der von ihm zur Begründung der Entscheidung herangezogene Grund tatsächlich das Urteil trägt, weil "so oder so" die Klage keinen Erfolg hat, genügt es, wenn der Zulassungsantrag - wie hier - darlegt, dass einer dieser Urteilsgründe ernstlichen Zweifel unterliegt oder auf der Verletzung von Verfahrensrecht beruht (vgl. BVerwG, B. v. 26. 05. 1993 - 4 NB 3/93, NVwZ 1994, 269 unter Berufung auf Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, Rn. 130; ihm folgend für § 124 VwGO VGH München, B. v. 30.10.2003 - 1 ZB 01.1961, NVwZ-RR 2004, 391; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage, § 124 Rdnr. 5; Happ in: Eyermann, VwGO, 11. Auflage, § 124 Rdnr. 48; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 124 Rdnr. 25; Seibert, NVwZ 1999, 119; a.A. Rennert, NVwZ 1998, 672). Tragender Urteilsgrund einer alternativen Begründung ist, dass offen bleiben kann, wie sich die Rechtslage im konkreten Einzelfall darstellt, weil sich die getroffene Entscheidung unabhängig von der einschlägigen Rechtslage auf eine der denkbaren Varianten stützen kann. Wird im Zulassungsantrag dargelegt, dass gerade hinsichtlich dieser Grundannahme der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ernstliche Zweifel geltend gemacht werden können, ist die Zulassung auszusprechen. Es kann nicht Aufgabe des Zulassungsantragstellers oder des Obergerichts sein, die vom Verwaltungsgericht offen gelassenen Rechtsfragen im Zulassungsverfahren aufzubereiten und - womöglich auf unsicherer Tatsachenbasis - zu entscheiden.

So liegt der Fall hier. Das Verwaltungsgericht hat keine abschließende Entscheidung über die Teil-Wirksamkeit des Bebauungsplanes getroffen, sondern drei verschiedene rechtliche Konstellationen als möglicherweise gegeben unterstellt und für alle drei Varianten angenommen, sie rechtfertigten die Ablehnung des klägerischen Begehrens.

Die Klägerin macht insoweit zu Recht ernstliche Zweifel an der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts geltend, das geplante Vorhaben liege, sei der Bebauungsplan unwirksam, im Außenbereich. Sie rügt zunächst den Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts, den das unbebaute Grundstück einrahmenden Straßen käme indiziell trennende Wirkung zu. Eine solche indiziell trennende Wirkung kommt Straßen als solchen nicht zu (BVerwG, B. v. 10.03.1994 - 4 B 50.94, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 165; B. v. 11.02.2000 - 4 B 1.00, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 197; B. v. 16.02.1988 - 4 B 19.88, BRS 58 Nr. 44; im vom Verwaltungsgericht zur Stütze seiner Auffassung herangezogenen Beschluss des VGH Baden-Würtemberg vom 10.05.1996 - 5 S 393/95 hatte der VGH die trennende Wirkung der Straße aufgrund einer Augenscheinseinnahme festgestellt; a. A. Bracher in Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 7. Auflage, Rdnr. 1966, der sich zu Unrecht auf Bundesverwaltungsgericht BRS 48 Nr. 44 beruft). Zu Recht rügt die Klägerin weiter, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidung die Umgebungsbebauung nicht berücksichtigt. Das Verwaltungsgericht spricht von "den geplanten Standort umgebenen unbebauten Flächen", obwohl der Standort an drei Seiten von Bebauung umgeben ist. Für das Ausmaß dieser Umgebungsbebauung ergibt sich aus den Gründen des angefochtenen Urteils nichts genaues. Aus dem Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrages ergibt sich, dass angesichts des Maßes der Umgebungsbebauung eine Prägung der bislang unbebauten Fläche trotz ihrer Größe von mindestens 28.000 Quadratmetern durch diese Umgebungsbebauung nicht ausgeschlossen ist. Zu Recht weist die Klägerin daraufhin, dass das Bundesverwaltungsgericht die Größe einer unbebauten Fläche bei der Beurteilung, ob ein Bebauungszusammenhang besteht, bis hin zu einer oberen Grenze berücksichtigt, aber auch nach dieser Rechtsprechung nicht ausgeschlossen ist, das eine sehr große unbebaute Fläche von der Umgebungsbebauung noch geprägt wird und damit am Bebauungszusammenhang teilnimmt (vgl. BVerwG, U. v. 01.12.1972 - IV C 6.71, E 41, 227, 234 ff.; U. v. 14. 11. 1991 - 4 C 1/91, NVwZ - RR 1992, 227). Die Klägerin legt im Zulassungsantrag dar, dass im konkreten Einzelfall eine prägende Wirkung der Umgebungsbebauung nicht ausgeschlossen ist.

Auf die weiteren geltend gemachten Zulassungsgründe kommt es nicht (mehr) an.

Ende der Entscheidung

Zurück