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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 27.05.2008
Aktenzeichen: 3 M 117/05
Rechtsgebiete: VwGO, KV M-V


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 4 Satz 1
KV M-V § 127
KV M-V § 127 Abs. 1
Die Versteigerung einer Immobilie einschließlich der darauf befindlichen beweglichen Sachen lässt die öffentlich-rechtliche Sonderzuordnung von Akten einer Gemeindeverwaltung nicht erlöschen.
Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss

3 M 117/05

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Herausgabe von Akten u. a.

hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern

am 27.05.2008

in Greifswald

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 29.08.2005 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um das Recht des Antragsgegners, umfangreiche Aktenbestände, die bis 1990 beim Rat der Gemeinde X. entstanden sind, als Privateigentum zu behandeln.

Die Gemeinde X. versteigerte über eine Immobilien-Auktions-Firma im Juni 2005 ein Grundstück in der Gemeinde X., das mit dem früher als Kindergarten genutzten Gebäude bebaut war. Die Erwerber forderten mit Schreiben vom 08.07.2005 den Antragsteller auf, das Gebäude besenrein zu übergeben, nachdem sie bei einer Besichtigung neben Hausmüll unter anderem eine Waschmaschine, Elektroherde und Reste von Vormietern - gemeint war wohl von diesen hinterlassene Einrichtungsgegenstände - festgestellt hatten. Ein Hinweis auf vorgefundene Aktenbestände ist dem Schreiben nicht zu entnehmen. Der Bürgermeister der Gemeinde X. lehnte mit Schreiben vom 18.07.2005 die Beräumung des Gebäudes ab. Einem notariellen Vertrag sei eindeutig zu entnehmen, dass das Grundstück einschließlich der darauf befindlichen beweglichen Sachen verkauft worden sei.

Unter nicht näher bekannten Umständen gelangte der Antragsgegner in den Besitz der in dem Gebäude gelagerten umfangreichen Aktenbestände. Der Datenschutzbeauftragte des Landes Mecklenburg-Vorpommern forderte mit Schreiben vom 11.08.2005 die Gemeinde auf, den Sachverhalt zu klären, weil sich umfangreiche Akten mit personenbezogenen Daten in den Händen des Antragsgegners befänden. Die leitende Verwaltungsbeamtin des Antragstellers setzte sich mit dem Antragsgegner umgehend in Verbindung, der wohl die Übergabe der Unterlagen versprach. Noch am 11.08.2005 teilte er aber mit, der Bürgermeister habe ihm Prügel angedroht, sodass er mit den Akten X. verlassen müsse.

Der Antragsteller hat beim Verwaltungsgericht Schwerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel beantragt,

1. den Antragsgegner zu verpflichten, es zu unterlassen, Akten der Gemeinde X., etwa 15 bis 20 Aktenordner, die ihm von den neuen Eigentümern des Kindergartenhauses in X., R.-straße 3, übergeben worden sind (Einwohnerkartei, Bauakten, Personalakten aus den Jahren 1945 bis 1991) zu entfernen.

2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die vorbenannten Akten vorläufig zur amtlichen Verwahrung einer geeigneten öffentlichen Behörde, z. B. der Staatsanwaltschaft Schwerin oder aber einem Gerichtsvollzieher zur amtlichen Verwahrung auszuhändigen.

3. den Antragsgegner zu verurteilen, es zu unterlassen, den Inhalt der etwa 15 bis 20 Aktenordner der Gemeinde X. sich anzueignen, den Inhalt der Akten zu fotokopieren oder in sonstiger Weise zu vervielfältigen und den Akteninhalt im Original oder in vervielfältigter Form Dritten zugänglich zu machen.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er vertritt die Auffassung, dass die Gemeinde ihr Eigentum aufgegeben habe.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 29.08.2005 hat das Verwaltungsgericht dem Antragsgegner vorläufig bis zur Klärung seiner Verpflichtung im Verfahren der Hauptsache aufgegeben, unverzüglich sämtliche in seinem Gewahrsam befindlichen Akten und Aktenteile der Gemeinde X., insbesondere Unterlagen der Einwohnerkartei, Bauakten und Personalakten aus den Jahren 1945 bis 1991, an das Amtsgericht P. - Hinterlegungsstelle - herauszugeben und ihm ab sofort untersagt, die vorgenannten Akten und Aktenteile - abgesehen von Nr. 1 des Beschlusses - an einen anderen Ort zu verbringen oder deren Inhalt zu vervielfältigen oder Dritten zugänglich zu machen sowie für jeden Fall Zuwiderhandlung gegen Nr. 1 b dieses Beschlusstenors (Verbringungsverbots) dem Antragsgegner ein Ordnungsgeld bis zu 100.000,- Euro angedroht. Das Verwaltungsgericht hat den Anordnungsanspruch des Antragstellers in dessen Aktenführungskompetenz gesehen, die dem Antragsteller obliege, nachdem die Gemeinde X. über keine eigene Verwaltung mehr verfüge. Eine Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sachherrschaft über die Akten ergebe sich aus dem vorgetragenen Sachverhalt nicht. Auch der Anordnungsgrund sei wegen der angekündigten Verbringung der Akten aus X. und der Androhung der Veröffentlichung von Teilen der Akten gegeben.

Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 30.08.2005 beantragt,

dem Antragsteller aufzugeben, innerhalb einer durch das Gericht zu bestimmenden Frist in der Hauptsache Klage zu erheben.

Er hat am 09.09.2005 gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Beschwerde eingelegt, die er am 04.10.2005 (einen Dienstag) damit begründete, die Gemeinde X. habe wahrheitswidrig behauptet, ihr sei bei der Versteigerung das Vorhandensein der Aktenbestände unbekannt gewesen. Jedenfalls die Ersteigerer des Grundstücks hätten dem Bürgermeister auch mitgeteilt, dass sie Akten der Gemeinde vorgefunden hätten. Dieser habe durch sein Schreiben vom 18.07.2005 deutlich gemacht, kein Interesse an den Akten zu haben und sie bewusst der Vernichtung zugeführt. Mit Beschluss vom 27.12.2005 wurde das Mediationsverfahren eingeleitet. Nach dem Scheitern des Verfahrens wurden die Akten am 04.04.2008 an das Oberverwaltungsgericht zurückgegeben.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Verwaltungsvorgänge liegen nicht vor.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Die Beschwerde ist nach Zustellung des Beschlusses am 01.09.2005 fristgerecht am 09.09.2005 eingelegt worden. Die Beschwerdebegründung erfolgte innerhalb der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO beim Oberverwaltungsgericht. Der 03.10.2005 war ein Montag. Die Beschwerde enthält zwar keinen ausdrücklich formulierten Antrag, doch genügt es zur Erfüllung des Formerfordernisses, wenn sich aus der Beschwerdeschrift das Beschwerdebegehren hinreichend bestimmt entnehmen lässt (vgl. Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 146 Rn. 6< m.w.N. zur Rechtsprechung).

Die Beschwerde ist aber nach Maßgabe der vom Senat allein zu prüfenden innerhalb der Beschwerdefrist vorgetragenen Gründe (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO) unbegründet.

Der Antragsgegner stützt seine Beschwerde zum einen auf die Behauptung, die Gemeinde X. habe das Vorhandensein der Akten bereits im Zeitpunkt der Versteigerung gekannt und durch die Versteigerung das Eigentum an den Akten aufgeben wollen. Eine Glaubhaftmachung dieses Vortrages fehlt. Schon daher kann die Beschwerde mit dieser Überlegung nicht durchdringen.

Der Antragsgegner vermag auch mit seiner Überlegung, die Gemeinde habe bewusst die Akten einer Vernichtung zugeführt, der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Damit knüpft der Antragsgegner an die Rechtsauffassung an, dass es sich bei den Akten um Verwaltungsvorgänge handelt, die nach den Grundsätzen, die für öffentliche Sachen im Verwaltungsgebrauch gelten (vgl. dazu Wolff/Bachhof/Stober, Verwaltungsrecht Band II, 6. Aufl. 2000, § 75 III), rechtlich zu behandeln sind. Dies rechtfertigt sich daraus, dass die Verwaltungsvorgänge als körperliche Gegenstände Sachen sind, die unmittelbar der öffentlichen Verwaltung dienen und von dieser für die Zwecke der öffentlichen Verwaltung genutzt werden. Die spezielle Beziehung zur Aufgabenerfüllung der öffentlichen Verwaltung drückt sich durch eine das private Eigentumsrecht überlagernde öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung aus, deren stärkste Form die Widmung ist. Der Senat kann offenlassen, ob die hier streitbefangenen Verwaltungsvorgänge gewidmet worden sind, denn die öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung entsteht aus der Natur der Sache heraus wegen ihres, der Akten, Entstehens und ihrer Verwendung für Zwecke der öffentlichen Verwaltung. Dies begründet eine spezielle öffentlich-rechtliche Zuordnung zum Träger der öffentlichen Verwaltung. Diese Zuordnung endet nicht mit dem formellen Abschluss eines Verfahrens oder dem Schließen der Akten, sondern wirkt nach, gilt also auch dann, wenn die Verwaltungsvorgänge Sachverhalte und Verfahren betreffen, die bereits abgeschlossen sind. Nur so kann der besondere Schutz der Verwaltungsvorgänge, den diese wegen ihres Inhalts genießen müssen, rechtlich gesichert werden. Ausdruck dieser besonderen öffentlich-rechtlichen Zuordnung ist die Aufbewahrungspflicht, die den Träger der öffentlichen Verwaltung trifft, die ihrerseits in eine besondere Pflicht zur Aktenvernichtung mündet, wenn die Verwaltungsvorgänge endgültig nicht mehr gebraucht werden und ein zukünftiges Gebrauchtmachen nicht zu erwarten ist (vgl. Fachausschuss IX - Organisation sozialer Dienste - NDV 1990, 335). Aufgrund dieser speziellen öffentlich-rechtlichen Zuordnung ist ein Entlassen von Verwaltungsvorgängen in Privateigentum unter Lösung der öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehung grundsätzlich ausgeschlossen. Privatrechtliche Veränderungen der Eigentumstitel an den Sachen ändern an dieser überlagernden und private Rechte verdrängenden öffentlichrechtlichen Sonderzuordnung und der Eigenschaft als öffentliche Sache nichts (Wolff/Bachhof/Stober, a.a.O., Rn. 33). Daher ändert die Zwangsversteigerung des Kindergartengrundstücks, die das zivilrechtliche Eigentum an den beweglichen Sachen auf dem Grundstück erfassen sollte, an der Eigenschaft der Akten als öffentlich-rechtliche Sachen und dem ausschließlichen Zugriffsrecht des Trägers öffentlicher Verwaltung nichts.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass die auf Betreiben der Gemeinde erfolgte Versteigerung als solche keine konkludente Freigabe der Verwaltungsvorgänge aus der öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehung bedeutet. Anhaltspunkte dafür, dass ausnahmsweise durch die Versteigerung zugleich die öffentlich-rechtliche Sonderzuordnung aufgelöst werden sollte, behauptet der Antragsgegner zwar, bleibt aber jegliche Glaubhaftmachung dafür schuldig. Soweit der Antragsgegner auf den Briefwechsel zwischen den Ersteigerern und dem Antragsgegner sowie der Gemeinde hinweist, ergibt sich dafür zu seinen Gunsten nichts. Bereits aus dem Schreiben der Ersteigerer vom 08.07.2005 ergibt sich nicht, dass diese dort (umfangreiche) Aktenbestände entdeckt haben. Von Akten ist in diesem Schreiben nicht die Rede. Ebensowenig ergibt sich aus diesem Schreiben, dass die Ersteigerer in anderer Weise den Antragsteller oder die Gemeinde X. auf das Vorhandensein der Aktenbestände hingewiesen haben. Daher kann dem Antwortschreiben der Gemeinde X. auch nicht die bewusste Entscheidung zur Entlassung der Akten in das Privateigentum der Ersteigerer gesehen werden. Im Übrigen übersieht der Antragsgegner, dass die Gemeinde X. die öffentlich-rechtliche Zuordnung nicht lösen kann. Denn die Gemeinde X. ist amtsangehörig, woraus sich ergibt, dass die laufende Verwaltung vom Amt wahrgenommen wird (§ 127 Abs. 1 Satz 2 KV M-V). Die Wahrnehmung der laufenden Verwaltung umfasst auch die Entscheidung, wie Verwaltungsvorgänge behandelt werden, einschließlich der Beendigung der öffentlich-rechtlichen Sonderzuordnung. Eine Zuständigkeit der amtsangehörigen Gemeinde für diese Entscheidung fehlt. Selbst wenn die Rechtsauffassung vertreten werden sollte, dass aufgrund des § 127 Abs. 1 KV M-V die Gemeinde die Berechtigung hat, das Amt in Einzelfragen der laufenden Verwaltung anzuweisen, ergibt sich aus dem Vorbringen des Antragsgegners nichts dafür, dass eine entsprechende Weisung erteilt worden ist. Vor diesem Hintergrund ist der Umstand, dass auf das Schreiben der Ersteigerer vom 08.07.2005 an den Antragsgegner nicht etwa dieser, sondern die Gemeinde X. geantwortet hat, ein deutliches Indiz dafür, dass weder dem Antragsgegner noch der Gemeinde das Vorhandensein der Akten in dem ehemaligen Kindergartengebäude bekannt war. Offensichtlich ging es ausschließlich um die von den Ersteigerern als Müll bezeichneten beweglichen Sachen im Haus, deren Beräumung die Gemeinde verweigerte. Auf diese Sachen ist § 127 KV M-V nicht anwendbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 47 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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