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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 12.03.2003
Aktenzeichen: 1 A 1798/00.PVL
Rechtsgebiete: LPVG NRW


Vorschriften:

LPVG NRW § 72 Abs. 3 Nr. 7
Gibt ein Dienststellenleiter die bisherige Praxis auf, die Postsendungen, die an die Hausanschrift der Dienststelle gerichtet sind, durch den Fahrdienst beim Hauptpostamt abholen zu lassen, und nimmt er den Service der Deutschen Post AG in Anspruch, Postsendungen vor Beginn des regelmäßigen Dienstbetriebs gegen 7.30 Uhr an die Poststelle der Dienststelle auszuliefern, unterliegt dies nicht der Mitbestimmung des Personalrats. Insbesondere liegt darin keine Privatisierung i.S.d. § 72 Abs. 3 Nr. 7 LPVG NRW.
Tatbestand:

Der antragstellende Personalrat beanspruchte gegenüber dem Dienststellenleiter ein Mitbestimmungsrecht nach § 72 Abs. 3 Nr. 7 LVG NRW (Privatisierung), nachdem dieser die bisherige Praxis in der Dienststelle, die Postsendungen, die an die Hausanschrift der Dienststelle gerichtet waren, durch den Fahrdienst beim Hauptpostamt abholen zu lassen, aufgab und den Service der Deutschen Post AG in Anspruch nahm, Postsendungen vor Beginn des regelmäßigen Dienstbetriebs gegen 7.30 Uhr an die Poststelle der Dienststelle auszuliefern. Die Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen des VG stellte antragsgemäß fest, dass die Übertragung der Postanlieferung vom Hauptpostamt an die Poststelle der Dienststelle vor Beginn der Dienststunden auf den Postzustelldienst der Deutschen Post AG der Mitbestimmung des Antragstellers unterliegt. Auf die Beschwerde des Dienststellenleiters änderte der Fachsenat für Landespersonalvertretungssachen beim OVG NRW den angefochtenen Beschluss und lehnte den Antrag des Antragstellers ab. Zugleich ließ er die Rechtsbeschwerde zu.

Gründe:

Die Inanspruchnahme des Services der Post AG, Postsendungen vor Beginn des regelmäßigen Dienstbetriebs gegen 7.30 Uhr an die Poststelle der Dienststelle auszuliefern, unter Aufgabe der bisherigen Praxis, die Postsendungen durch den Fahrdienst beim Hauptpostamt abholen zu lassen, unterliegt nicht der Mitbestimmung des Antragstellers.

Die Voraussetzungen der vom Antragsteller in diesem Zusammenhang geltend gemachten und allein in Betracht zu ziehenden Mitbestimmungstatbestände aus § 72 Abs. 3 Nrn. 3, 5 und 7 LPVG NRW liegen nicht vor.

Bei den streitigen Vorgängen der Inanspruchnahme des Zustellservices der Deutschen Post AG unter Aufgabe der Eigenabholung von Postsendungen handelt es sich nicht um eine nach § 72 Abs. 3 Nr. 7 LPVG NRW mitbestimmungspflichtige Privatisierung.

Nach § 72 Abs. 3 Nr. 7 LPVG NRW hat der Personalrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, mitzubestimmen in Rationalisierungs-, Technologie- und Organisationsangelegenheiten bei Übertragungen von Arbeiten der Dienststelle, die üblicherweise von ihren Beschäftigten vorgenommen werden, auf Dauer an Privatpersonen oder wirtschaftliche Unternehmen (Privatisierung).

Die Mitbestimmungspflicht scheidet hier allerdings nicht schon wegen vorrangiger gesetzlicher oder tariflicher Regelungen aus. Namentlich sind Art und Weise der Inanspruchnahme der Postanlieferung durch die Deutsche Post AG nicht zwingend gesetzlich vorgeschrieben. Das Postgesetz und die auf seiner Grundlage ergangenen Verordnungen belassen es vielmehr bei einem entsprechenden Gestaltungsspielraum, insbesondere - wie bereits ausgeführt - für Abreden über die Selbstabholung oder die Ausgestaltung der Anlieferung im Einzelnen.

Bei der streitigen Tätigkeit - Abholung der Postsendungen vom Hauptpostamt und Verbringung zur Poststelle der Dienststelle - handelte es sich i.S.d. genannten Vorschrift auch um "Arbeiten der Dienststelle, die üblicherweise von ihren Beschäftigten vorgenommen werden".

"Arbeiten der Dienststelle" sind alle Tätigkeiten, die zu den Aufgaben bzw. zum normalen Aufgabengebiet der Beschäftigten der Dienststelle gehören. Abzustellen ist dabei auf eine konkrete Betrachtungsweise. Unerheblich ist, ob es sich um Hauptaufgaben der Dienststelle oder um zusätzliche bei der Erfüllung der Hauptaufgabe anfallende Arbeiten handelt. Es kommt auch nicht darauf an, ob hoheitliche oder nicht hoheitliche Aufgaben in Rede stehen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 20.1.2000 - 1 A 2193/98.PVL -, ZTR 2000, 430 = PersV 2000, 521 = PersR 2000, 460, und vom 20.1.1995 - 1 A 2340/91.PVL -, NVWBl. 1996, 110 = PersR 1996, 200, jeweils m.w.N.

Davon ausgehend war das Abholen der Post beim Hauptpostamt eine Arbeit der Dienststelle. Es war eine Arbeit, die in der Dienststelle bis zum fraglichen Zeitpunkt der Umstellung der Postanlieferung tatsächlich notwendig angefallen war und zum normalen Aufgabengebiet der im Fahrdienst der Verwaltung Beschäftigten gehörte. Die Arbeit war erstmals angefallen, nachdem sich der Beteiligte entschlossen hatte, den Anlieferungsservice der Deutschen Post AG bzw. ihrer Rechtsvorgängerin nicht (mehr) in Anspruch zu nehmen. Auf seinen Antrag hielt die Deutsche Post AG bzw. ihre Rechtsvorgängerin die Postsendungen früh morgens im Hauptpostamt zur Abholung bereit. In Folge der Vereinbarung entfiel für die Deutsche Post AG bzw. ihre Rechtsvorgängerin die Pflicht zur Auslieferung der von ihr beförderten Postsendungen an die angegebene Zustellungsanschrift "U-Straße 1" als eines Teils der geschuldeten einheitlichen Postdienstleistung (vgl. § 4 Nrn. 1 und 3 PostG); zugleich verringerte sich der eigene Aufgabenbereich der Deutschen Post AG bzw. ihrer Rechtsvorgängerin um die Arbeit der Zustellung der Postsendungen an die Dienststelle. Auf Seiten des Beteiligten hatte der Verzicht auf die Zustellung zur Folge, dass es zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs erforderlich wurde, die Post abzuholen bzw. abholen zu lassen. Die Postbeförderung vom Hauptpostamt zur Postanlieferungsstelle ist damit als "eigene Arbeit der Dienststelle" entstanden.

Die streitige Arbeit wurde auch "üblicherweise" von den Beschäftigten der Dienststelle vorgenommen; der Beteiligte hat hiermit namentlich keinen Dritten beauftragt. Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "üblicherweise" ist ebenfalls auf eine konkrete Betrachtungsweise abzustellen. Maßgeblich ist, ob speziell die zur Übertragung an eine Privatperson oder ein wirtschaftliches Unternehmen vorgesehene Arbeit bisher von verwaltungseigenen Kräften erledigt worden ist und ob dies in regelmäßiger Weise geschehen ist. Üblichkeit der Aufgabenerfüllung durch Verwaltungsbedienstete ist hiernach anzunehmen, wenn die Aufgabenerfüllung bislang, d.h. bis zum Zeitpunkt der Übertragungsentschließung, regelmäßig Beschäftigten der Dienststelle übertragen war.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.1.2000 - 1 A 2193/98.PVL -, a.a.O., m.w.N.

Das steht hier außer Frage.

Die Inanspruchnahme des Services der Deutschen Post AG, an die Dienststelle adressierte Postsendungen bereits vor Beginn des regelmäßigen Dienstbetriebs gegen 7.30 Uhr zuzustellen, stellte sich indes nicht als Übertragung dieser "eigenen Arbeit" der Dienststelle an ein wirtschaftliches Unternehmen dar.

Eine mitbestimmungspflichtige Privatisierung i.S.d. § 72 Abs. 3 Nr. 7 LPVG NRW setzt einen entsprechenden auf die konkrete Arbeit bezogenen Übertragungsakt voraus. Werden - aus der Sicht der Dienststelle - Arbeiten nicht "übertragen", sondern eingestellt, so unterfällt eine sich darin erschöpfende (Organisations-)Maßnahme nicht dem Mitbestimmungstatbestand des § 72 Abs. 3 Nr. 7 LPVG NRW.

Vgl. Beschluss des Fachsenats vom 18.3.1991 - CL 75/88 -, NWVBl. 1992, 22.

Erforderlich ist also eine weitergehende Entschließung und vertragliche Umsetzung, von einem privaten Dritten die Erfüllung eben dieser Arbeiten zu beanspruchen. Hierbei muss eine entsprechende Identität zwischen den bisher von den Beschäftigten der Dienststelle wahrgenommenen und den nunmehr von einer Privatperson oder einem wirtschaftlichen Unternehmen übernommenen Arbeiten bestehen. Auf Seiten der Dienststelle muss etwas abgegeben und auf Seiten des Dritten die (zweckidentische) Arbeit für die Dienststelle übernommen werden. Erstmals anfallende (Verwaltungs-)Arbeiten können nicht i.S.d. § 72 Abs. 3 Nr. 7 LPVG NRW übertragen werden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.1.2000 - 1 A 2193/98.PVL -, a.a.O.

An einem so umschriebenen Übertragungsakt fehlt es hier.

Durch die Inanspruchnahme des besonderen Zustellungsservices der Deutsche Post AG als einem unzweifelhaft wirtschaftlichen Unternehmen i.S.d. § 72 Abs. 3 Nr. 7 LPVG NRW unter Aufgabe der bisherigen Praxis werden die streitigen Tätigkeiten des Fahrdienstes, im Hauptpostamt bereitgehaltene Postsendungen frühmorgens abzuholen und der Poststelle zuzuführen, nicht im Sinne des Mitbestimmungstatbestands übertragen.

Die Einstellung des Abholdienstes war allein Folge des Widerrufs des entsprechenden Antrags bei der Deutschen Post AG, Postsendungen zur Abholung im Hauptpostamt bereit zu halten. Insoweit sind die Arbeiten nicht etwa an die Deutsche Post AG quasi "rückübertragen" worden, vielmehr lebte insoweit eine - bereits zuvor nur durch die Bereitschaft des Beteiligten zur Selbstabholung suspendierte - "eigene" Dienstleistungspflicht der Deutschen Post AG wieder auf, nämlich die der Auslieferung der von ihr beförderten Postsendungen an die Zustellungsanschrift. Denn auch ursprünglich waren nicht etwa durch den Verzicht auf die Zustellung, Arbeiten der Deutschen Post AG auf die Dienststelle übertragen worden. Wie ausgeführt führte der Verzicht zur Entstehung neuer Aufgaben auf Seiten der Dienststelle, ohne dass dem ein Übertragungsakt zugrundelag. Bei der Arbeit, die auf Seiten der Deutschen Post AG durch den Verzicht entfiel - Auslieferung an die Zustellungsanschrift -, und der auf Seiten der Dienststelle neu angefallenen Arbeiten - Abholen von bereitgehaltenen Postsendungen vom Postamt - handelt es sich insbesondere um Arbeiten anderer Qualität. Die Ergebnisidentität, dass nämlich Postsendungen bei der Dienststelle um 7.30 Uhr eingehen, begründet die für die Annahme eines Übertragungsakts erforderliche Identität zwischen abgegebener und übernommener Arbeit nicht.

Eine andere Gewichtung erhält der Vorgang auch nicht durch die mit dem Widerruf des Antrags auf Abholung verbundene Vereinbarung eines weitergehenden Zustellungsservices der Deutschen Post AG. Durch den Widerruf des Verzichts auf die Postzustellung durch die Deutsche Post AG ist zwar die "eigene Arbeit" der Dienststelle als solche entfallen; es lebte indes eine "eigene" der Deutschen Post AG wieder auf. Die Abrede über die Modifizierung der Zustellung knüpfte nur an diese "eigene Arbeit" der Deutschen Post AG an, die abbedungen wurde. Entsprechend ist hiermit auch keine "eigene" Arbeit der Dienststelle übertragen worden, sondern eine - aus der Sicht der Dienststelle - "fremde" Arbeit, auf deren Erfolg die Dienststelle wie auch die Absender der in Rede stehenden Postsendungen gleichermaßen einen Anspruch haben - Auslieferung an die genannte Zustellungsanschrift -, modifiziert worden.

Aus der Richtlinie 77/187 EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben und Betriebsteilen lässt sich für ein Mitbestimmungsrecht aus § 72 Abs. 3 Nr. 7 LPVG NRW nichts herleiten. Die Richtlinie setzt ebenfalls einen Übertragungsakt voraus, an dem es vorliegend bereits fehlt. Zudem gilt die Richtlinie nach ihrem Artikel 1 Abs. 1 nicht für den Fall, dass - wie hier - der Übertragungsvorgang weder mit einer Übertragung relevanter materieller oder immaterieller Betriebsmittel von dem einen auf den anderen Unternehmer noch mit der Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des von dem einen Unternehmer zur Durchführung des Vertrags eingesetzten Personals durch den anderen Unternehmer verbunden ist.

Vgl. EuGH, Urteil vom 11.3.1997 - C-13/95 -, EuGHE I 1997, 1259 =DB 1997, 628 = BB 1997, 735 = NJW 1997, 2039.

Eine Mitbestimmungsrecht aus § 72 Abs. 3 Nr. 3 LPVG NRW scheidet ebenfalls aus. Danach hat der Personalrat, soweit - wie hier - eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, mitzubestimmen in Rationalisierungs-, Technologie- und Organisationsangelegenheiten bei Einführung, wesentlicher Änderung oder wesentlicher Ausweitung neuer Arbeitsmethoden.

Der Begriff der Arbeitsmethode ist eine aus der Arbeitswissenschaft entlehnte Kategorie. Es handelt es sich dabei um den Inbegriff der Regeln, die die Ausführung des Arbeitsablaufs durch den Menschen bei einem bestimmten Arbeitsverfahren betreffen.

Vgl. Cecior/Vallendar/Lechtermann/Klein, Personalvertretungsrecht NRW, § 72 Rn. 305.

Sie besagen, in welcher Art und Weise der Mensch bei der Ausführung des Arbeitsablaufs beteiligt sein soll bzw. beteiligt ist. Dabei ist die Aufgabenstellung der Dienststelle eine vom Personalrat nicht beeinflussbare Zielvorgabe.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.8.1985 - 6 P 20.83 -, BVerwGE 72, 94 = DVBl. 1986, 352 = NJW 1986, 1360 = PersV 1987, 247.

Davon ausgehend ist vorliegend keine mitbestimmungspflichtige Änderung der Arbeitsmethode gegeben. Die Änderungen im Fahrdienst waren allein notwendige Folgen der Reduzierung der Aufgabenstellung in der Dienststelle, die mit der neuerlichen Inanspruchnahme des Zustellungsservices der Deutschen Post AG verbunden waren.

Entsprechend scheidet auch eine Mitbestimmung nach § 72 Abs. 3 Nr. 5 LPVG NRW aus. Denn es liegt keine mitbestimmungspflichtige Maßnahme i.S.d. genannten Vorschrift zur Hebung der Arbeitsleistung, zur Erleichterung des Arbeitsablaufs oder zur Änderung der Arbeitsorganisation vor, wenn sich eine Maßnahme in der Entschließung zum Umfang des Aufgabenbereichs der Dienststelle erschöpft. Im Übrigen ist ein Mitbestimmungsrecht aus § 72 Abs. 3 Nr. 5 LPVG NRW auch deshalb nicht gegeben, weil der Schutzzweck der Norm nicht berührt wird. Denn der Wegfall der Postgänge für den Fahrdienst birgt nicht einmal im Ansatz die Gefahr einer Überbeanspruchung oder Überlastung der Beschäftigten.

Vgl. zu den Anforderungen: Cecior/Vallendar/ Lechtermann/Klein, a.a.O., § 72 Rn. 333.

Ende der Entscheidung

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