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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 27.02.2008
Aktenzeichen: 1 A 2180/07
Rechtsgebiete: BBesG
Vorschriften:
BBesG § 1 Abs. 2 Nr. 3 | |
BBesG § 2 Abs. 3 |
Tatbestand:
Der Kläger steht als Beamter in Diensten der Beklagten und ist für seine drei Kinder kindergeldberechtigt. Er begehrte mit Antrag vom März 2005 die Zahlung eines erhöhten Familienzuschlags für sein drittes Kind in den Jahren 2000 bis 2006. Das VG hat dem Begehren des Klägers betreffend die Jahre 2005 und 2006 entsprochen und die Klage im Übrigen mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe den Anspruch betreffend den Zeitraum 2000 bis 2004 nicht zeitnah geltend gemacht. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hatte vor dem OVG Erfolg.
Entscheidungsgründe:
Der geltend gemachte Anspruch für die Jahre 2000 bis 2004 auf Zahlung eines höheren als des gesetzlich festgelegten Familienzuschlags, also eines Besoldungsbestandteils (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BBesG), ergibt sich unmittelbar aus der sog. Vollstreckungsanordnung in der Entscheidung des BVerfG vom 24.11.1998 (Entscheidungsformel zu 2., zweiter Teil).
BVerfG, Beschluss vom 24.11.1998 - 2 BvL 26/91 u. a. -, BVerfGE 99, 300, 304 u. 331 f.
Dem Bestehen dieses Anspruchs kann nicht durchgreifend entgegen gehalten werden, der Kläger habe ihn erstmals im Laufe des Jahres 2005 und damit nicht zeitnah, etwa innerhalb des jeweiligen Haushaltsjahres, geltend gemacht.
Der durch die Vollstreckungsanordnung begründete Anspruch kinderreicher Beamter und Richter auf amtsangemessene Alimentation hinsichtlich des insoweit bestehenden Bedarfs für ein drittes Kind (und ggf. weitere Kinder) steht in Fällen wie hier nicht unter dem Vorbehalt sog. zeitnaher Geltendmachung, so dass unentschieden bleiben kann, was darunter u. a. mit Blick auf Verwirkungsregeln und Verjährungsvorschriften überhaupt zu verstehen ist. Eine solche Einschränkung ergibt sich nämlich weder ausdrücklich aus der vorgenannten Entscheidung des BVerfG noch kann (und/oder muss) sie ihr durch ergänzende Auslegung entnommen werden.
Wie hier VG Darmstadt, Urteil vom 24.11.2006 - 5 E 2168/05 (3) -, ZBR 2007, 99; VG Hannover, Urteil vom 16.11.2006 - 2 A 2840/05 -, Juris; VG Berlin, Urteil vom 6.3.2007 - 28 A 72.06 -, Juris; VG Gelsenkirchen, Urteile vom 2.5.2007 - 1 K 2909/06 -, Juris, und vom 6.8.2007 - 12 K 477/05 -; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 21.12.2007 - 13 K 3347/06 -; Pechstein, Rückwirkende oder nur "zeitnahe" Geltendmachung ergänzender Familienzuschläge gemäß BVerfGE 99, 300 (331 f.)?, ZBR 2007, 73; a. A. OVG Rh.-P., Beschluss vom 7.3.2006 - 10 A 11743/05.OVG -; Hess. VGH, Beschluss vom 28.8.2006 - 1 UZ 1270/06 -, BDVR-Rundschreiben 2006, 159; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 13.2.2007 - 4 S 2289/05 -, VBlBW 2007, 466, und vom 19.6.2007 - 4 S 1927/05 -, Juris; OVG Saarland, Urteil vom 23.3.2007 - 1 R 25/06 -, LKRZ 2007, 230; VG Mainz, Urteil vom 21.11.2005 - 6 K 185/05.MZ -; VG Hamburg, Urteil vom 22.6.2005 - 10 K 6262/04 -, Juris; VG Bayreuth, Urteil vom 28.4.2006 - B 5 K 04.1257 -, Juris; VG Saarland, Urteil vom 16.5.2006 - 3 K 13/05 -, Juris; VG Arnsberg, Urteil vom 30.11.2006 - 5 K 415/05 -, ZBR 2007, 97; VG Göttingen, Urteil vom 20.3.2007 - 3 A 289/05 -, Juris.
Die Entscheidungsformel zu 2. in dem Beschluss des BVerfG vom 24.11.1998, a. a. O., enthält zwei voneinander unabhängige Aussprüche. Im ersten Teil wird der Gesetzgeber verpflichtet, innerhalb einer bestimmten Frist die im Tenor zu 1. als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage neu zu ordnen. Der zweite Teil begründet darüber hinausgehend Leistungsansprüche jenseits gesetzgeberischer Maßnahmen, sofern der Gesetzgeber den zuvor ausgesprochenen legislatorischen Verpflichtungen nicht nachkommt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.6.2004 - 2 C 34.02 -, BVerwGE 121, 91, 93; OVG NRW, Urteil vom 15.1.2007 - 1 A 3433/05 -, NWVBl. 2007, 265.
Dieser Teil der Entscheidungsformel ist nach der Auffassung des BVerwG, welcher der Senat folgt, unmittelbar anspruchsbegründend. Es handelt sich um eine quasi-gesetzliche Anspruchsgrundlage, siehe OVG NRW, Urteil vom 15.1.2007, a. a. O., die im Sinne einer "normersetzenden Interimsregelung", so BVerwG, Urteil vom 17.6.2004, a. a. O., S. 93, an die Stelle eines an sich erforderlichen Besoldungsgesetzes tritt. Sie verpflichtet die Dienstherren im gegebenen Zusammenhang zur Gewährung amtsangemessener Alimentation, solange der Gesetzgeber dem ihm seitens des BVerfG auferlegten Handlungsauftrag nicht nachkommt, eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende gesetzliche Regelung in Bezug auf die Besoldung von Beamten und Richtern mit mehr als zwei Kindern zu schaffen.
Die normative Qualität einer solchen gleichsam gesetzesvertretenden verfassungsgerichtlichen Ersatzregelung entspricht derjenigen der gesetzlichen Regelung, an deren Stelle sie (übergangsweise) tritt. Besoldungsansprüche, die unmittelbar auf die Vollstreckungsanordnung des BVerfG gestützt sind, unterliegen daher grundsätzlich keinen anderen Anspruchsvoraussetzungen als sonstige gesetzlich geregelte Besoldungsansprüche. Für die Verpflichtung zur Auszahlung der gesetzlichen Besoldung bedarf es aber - außerhalb des hier nicht interessierenden Vorverfahrens - unstreitig keines besonderen Antrags und mithin auch nicht der zeitnahen Geltendmachung, was bereits daraus folgt, dass der Beamte auf die ihm gesetzlich zustehende Besoldung weder ganz noch teilweise verzichten kann (§ 2 Abs. 3 BBesG).
Vgl. in diesem Zusammenhang Pechstein, a. a. O., S. 80.
Dem steht weder entgegen, dass im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung vorab zu klären ist, ob die Voraussetzungen der Vollstreckungsanordnung noch vorliegen, noch dass sich die Höhe des ergänzenden Familienzuschlags nicht aus einer Besoldungstabelle ablesen lässt, sondern erst anhand komplexer Rechenschritte ermittelt werden muss. Denn die gesetzesgleiche Wirkung der Vollstreckungsanordnung wird ebenso wenig dadurch in Frage gestellt, dass bestimmte Prüfungsschritte ihrer Anwendung vorgelagert sind, wie durch ihre Subsumtionsbedürftigkeit im Einzelfall. Vielmehr entspricht dies dem Regelfall der gegebenenfalls erforderlichen Konkretisierungsbedürftigkeit gesetzlicher Bestimmungen durch die Gerichte.
Vgl. Pechstein, a. a. O., S. 80; a. A. VG Hamburg, Urteil vom 22.6.2006, a. a. O.; VG Arnsberg, Urteil vom 30.11.2006, a. a. O.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wäre das Erfordernis zeitnaher Geltendmachung des Anspruchs auf (Nach-)Zahlung höherer kindbezogener Besoldungsleistungen daher nur dann anzuerkennen, wenn es sich - ausdrücklich oder im Wege der Auslegung - aus dem Beschluss des BVerfG vom 24.11.1998, a. a. O., selbst ergäbe. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Die Vollstreckungsanordnung statuiert das Erfordernis zeitnaher Geltendmachung nicht. Vielmehr gibt das BVerfG darin dem Gesetzgeber auf, die im Tenor zu 1. als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage im Rahmen einer allgemeinen Regelung innerhalb einer bestimmten Frist neu zu ordnen, und spricht für den Fall, dass der Gesetzgeber diesem Normsetzungsauftrag nicht fristgerecht nachkommen sollte, den Besoldungsempfängern mit mehr als zwei Kindern gegenüber den Dienstherren unmittelbar einen Leistungsanspruch zu. Dieser Teil der Entscheidungsformel ist zukunftsgerichtet und begünstigt unmittelbar und uneingeschränkt alle Beamten und Richter, soweit diese die sachlichen Voraussetzungen der Vollstreckungsanordnung erfüllen.
Aus den Entscheidungsgründen des Beschlusses des BVerfG vom 24.11.1998, a. a. O., ergibt sich nichts anderes. Die dortigen Ausführungen unter D.II. (S. 330 f.) betreffen das Erfordernis einer zeitnahen Geltendmachung des Anspruchs auf verfassungskonforme Besoldung lediglich im Zusammenhang mit der Frage, inwieweit der Gesetzgeber gehalten ist, die als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage auch mit Wirkung für die Vergangenheit zu korrigieren. Das BVerfG hat insofern eine allgemeine rückwirkende Behebung des festgestellten Verfassungsverstoßes mit Blick auf die in seinem Beschluss vom 22.3.1990 - 2 BvL 1/86 -, BVerfGE 81, 363, näher erläuterten Besonderheiten des Beamtenverhältnisses nicht für geboten erachtet und eine Verpflichtung zu rückwirkender Behebung auf die Fälle beschränkt, in denen der Anspruch auf amtsangemessene Alimentation jeweils zeitnah geltend gemacht worden ist. Für in der Vergangenheit liegende defizitäre Besoldungsregelungen kann danach eine rückwirkende Begünstigung davon abhängig gemacht werden, ob der Beamte/Richter sich insoweit (fordernd) zeitnah gemeldet hat. Hieraus kann aber für verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Besoldungsregelungen nicht hergeleitet werden, dass deren Anwendung lediglich dann mit gerichtlicher Hilfe, die regelmäßig vergangenheitsbezogen ist, erzwungen werden kann, wenn der jeweilige Anspruchszeitraum von einer zeitnahen besonderen Antragstellung erfasst ist. Der Beamte/Richter kann vielmehr in Ansehung geltenden Rechts wie selbstverständlich zugrunde legen, dass sein Dienstherr sich an dieses tatsächlich auch hält. Dies gilt ohne Einschränkungen ebenso mit Blick auf die hier in Rede stehende gesetzesvertretende Regelung durch das BVerfG. Insoweit ausschlaggebend ist zudem, dass das BVerfG für die Zeit ab dem 1.1.2000 die Interimsregelung gerade deswegen erlassen hat, um dem 1998 bereits seit einundzwanzig Jahren säumigen Gesetzgeber für die Zukunft die Möglichkeit abzuschneiden, sich auf selektiv beschränkte Nachbesserungen einzurichten, die offenbar nachhaltiger Anreiz gewesen ist, die verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zu missachten. Folgerichtig findet sich in den Ausführungen des BVerfG im Abschnitt E. der Entscheidungsgründe (S. 331 f.), die die Vollstreckungsanordnung und damit die zukunftsbezogene Verpflichtung des Gesetzgebers betreffen, kein Hinweis auf das Erfordernis einer zeitnahen Geltendmachung.
Kann danach weder dem Wortlaut der Vollstreckungsanordnung noch ihrer Begründung entnommen werden, dass nach fruchtlosem Ablauf der dem Gesetzgeber gesetzten Frist zur Schaffung einer verfassungskonformen allgemeinen Regelung nur zeitnah geltend gemachte Ansprüche seitens der Dienstherren befriedigt werden müssten, ergibt sich Entsprechendes auch nicht als Folge ergänzender Auslegung. Für eine solche Auslegung fehlt es an einer tragfähigen argumentativen Grundlage. Sie widerspräche überdies erkennbar der erwähnten, noch näher darzulegenden Intention des BVerfG.
Soweit in der Rechtsprechung in Abweichung hiervon die Auffassung vertreten wird, die Überlegungen des BVerfG, mit denen unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 22.3.1990, a. a. O., das Erfordernis zeitnaher Geltendmachung bei der rückwirkenden Beseitigung von Verfassungsverstößen begründet werde, seien auf die hier vorliegende Fallgestaltung zu übertragen, in der Besoldungsansprüche unmittelbar auf der Grundlage der Vollstreckungsanordnung geltend gemacht werden, vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteile vom 13.2.2007, a. a. O., und 19.6.2007, a.a.O.; OVG Saarland, Urteil vom 23.2.2007, a. a. O.; VG Hamburg, Urteil vom 22.6.2005, a. a. O., kann dem schon aus den dargelegten Gründen nicht gefolgt werden. Im Einzelnen ist zu dem von der hier vertretenen Auffassung abweichenden Verständnis zu bemerken:
Der VGH Bad.-Württ. begründet seine Rechtsauffassung mit der Überlegung, der Umstand, dass der Gesetzgeber nicht gehalten sei, Regelungen hinsichtlich eines festgestellten Verfassungsverstoßes für die Vergangenheit zu treffen, soweit der Anspruch auf amtsangemessene Alimentation nicht zeitnah geltend gemacht worden sei, rechtfertige den Schluss, dass auch die Gerichte im Rahmen der Durchführung der in diesem Zusammenhang ergangenen Vollstreckungsanordnung ihrerseits nicht zu einer entsprechenden Verpflichtung befugt seien. Das OVG Saarland und das VG Hamburg führen begründend aus, das BVerfG habe die Vollstreckungsanordnung mit denselben Maßgaben verknüpft, die es dem Gesetzgeber auferlegt habe, so dass die an die Dienstherren bzw. die Verwaltungsgerichte gerichtete Vollstreckungsanordnung nicht weiterreichen könne als die an den Gesetzgeber gerichtete Primärverpflichtung. In ähnlicher Weise argumentiert auch das hier erstinstanzlich zuständig gewesene VG Münster. Diesen Argumentationsansätzen fehlt indes das der Problemlage angemessene Unterscheidungsvermögen: Zwischen der vom BVerfG festgestellten allein vergangenheitsbezogenen Verpflichtung des Gesetzgebers zu rückwirkender Behebung des Verfassungsverstoßes für diejenigen Beamten, welche den Anspruch auf amtsangemessene Alimentation zeitnah geltend gemacht haben, und der zukunftsbezogenen Verpflichtung des Gesetzgebers, für alle kinderreichen Beamten eine verfassungskonforme Rechtslage herzustellen, besteht nämlich ein grundlegender systematischer Unterschied. Die Vollstreckungsanordnung, auf deren Grundlage die Gerichte befugt sind, unmittelbar familienbezogene Besoldungsbestandteile zuzusprechen, knüpft ausschließlich an die letztgenannte Verpflichtung des Gesetzgebers an und gilt für den Fall, dass dieser ihr nicht nachkommt. Es fehlt somit bereits an dem von der Gegenmeinung vorausgesetzten "Zusammenhang" zwischen der rückwirkenden Beseitigung einer verfassungswidrigen Unteralimentation und der - losgelöst hiervon - ergangenen Vollstreckungsanordnung. Dementsprechend ist die eigentliche - sich in der Vollstreckungsanordnung spiegelnde - "Primärverpflichtung" des Gesetzgebers nicht darauf ausgerichtet, eine verfassungswidrige Rechtslage mit Wirkung für die Vergangenheit zu beseitigen. Sie betrifft vielmehr das Gebot, zukünftig für eine verfassungsgemäße Besoldung zu sorgen.
Vgl. VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 21.12.2007, a. a. O.
Der Notwendigkeit einer systematischen Unterscheidung in dem vorgenannten Sinne kann nicht mit der weiteren Überlegung begegnet werden, aus der Sicht des im konkreten Einzelfall zur Entscheidung berufenen Fachgerichts betreffe der klageweise geltend gemachte Anspruch einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, so dass es stets um die rückwirkende Zuerkennung zusätzlicher kindbezogener Leistungen gehe.
So aber OVG Saarland, Urteil vom 23.3.2007, a. a. O.
Dieser Ansatz beruht auf einer die Folgen "rückwirkender Zuerkennung" formalisierenden, die aufgezeigten unterschiedlichen Zusammenhänge durch Abstraktion beseitigenden Gleichsetzung von Rückwirkung bezogen auf für die Vergangenheit nachzubessernde Besoldung mit Rückwirkung hinsichtlich gesetzlich/quasi-gesetzlich geregelter Besoldung. Jener Ansatz enthält damit einen unzulässigen Austausch der allein maßgeblichen zeitlichen Perspektive des BVerfG gegen die des jeweils angerufenen Verwaltungsgerichts und übersieht insoweit, dass die fachgerichtliche Entscheidung nicht an die Stelle der Entscheidung des BVerfG tritt, sondern Konsequenz der legislatorischen Untätigkeit über den 31.12.1999 hinaus ist, eine allgemeine verfassungskonforme Regelung für alle Beamten mit mehr als zwei Kindern zu schaffen.
So ausdrücklich auch VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 21.12.2007, a. a. O.
Im Übrigen lassen sich die Erwägungen des BVerfG in dem Beschluss vom 22.3.1990, a. a. O., betreffend die Reichweite der Verpflichtung des Gesetzgebers zu rückwirkender Behebung des bereits zum damaligen Zeitpunkt festgestellten verfassungswidrigen Alimentationsdefizits auch schon deswegen nicht im Wege der ergänzenden Auslegung auf die aus der Vollstreckungsanordnung folgenden Ansprüche auf amtsangemessene Besoldung übertragen, weil sich die maßgebenden Umstände bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1998 in wesentlicher Weise geändert hatten und sich dies nachfolgend noch weiter verstärkt hat. Die Überlegungen des BVerfG in dem vorgenannten Beschluss vom 22.3.1990 beruhen im Kern auf der das Beamtenverhältnis prägenden wechselseitigen Treue- und Rücksichtnahmepflicht, aus der nicht nur die Verpflichtung des Dienstherrn folgt, den Beamten amtsangemessen zu alimentieren, sondern umgekehrt auch die Pflicht des Beamten, auf die Belastbarkeit des Dienstherrn und dessen Gemeinwohlverantwortung Rücksicht zu nehmen: Einerseits ist der Staat zu einer amtsangemessenen Besoldung verpflichtet, anderseits kann von dem Beamten Rücksichtnahme auf haushaltsrechtliche Zwänge seines Dienstherrn erwartet werden, wenn dieser aus verfassungsrechtlichen Gründen zur rückwirkenden Korrektur einer für verfassungswidrig erklärten Regelung verpflichtet ist.
BVerfG, Beschluss vom 22.3.1990, a. a. O., S. 384 f.
Insoweit kann aber mit Blick auf die Wechselseitigkeit des Treue- und Rücksichtnahmegebots nicht unbeachtet bleiben, dass der Gesetzgeber schon im Jahre 1998 zum wiederholten Male den verbindlichen Vorgaben des BVerfG nicht entsprochen hatte und er nunmehr auch der ihm in der Entscheidungsformel zu 2. letztmalig aufgegebenen Verpflichtung, bis zum 31.12.1999 eine verfassungsgemäße Rechtslage herzustellen, nicht nachgekommen ist. Damit hat er selbst in schwerwiegender Weise gegen das Treuegebot verstoßen. Auch dieser Umstand lässt eine Erstreckung des Gebots zeitnaher Geltendmachung über die vom BVerfG ausdrücklich getroffenen Feststellungen hinaus auf die Vollstreckungsanordnung nicht zu. Vielmehr dürfen die betroffenen Beamten vor diesem Hintergrund, ohne ihrerseits gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme zu verstoßen, zu Recht erwarten, nach Ablauf der dem Gesetzgeber bis zum 31.12.1999 gesetzten Regelungsfrist auch ohne Antrag in den Genuss der ihnen von Verfassungs wegen geschuldeten amtsangemessenen Alimentation zu gelangen. Etwas anderes folgt im Übrigen auch nicht aus haushaltsrechtlichen Erwägungen, da die Haushaltsgesetzgeber im Bund und in den Ländern konsequenterweise gehalten waren, entsprechende Mittel (zukunftsbezogen) etatmäßig einzuplanen, nachdem das BVerfG mit gesetzesgleicher Wirkung Besoldungsansprüche für die Beamten und Richter mit mehr als zwei Kinder begründet hatte.
Die Richtigkeit der vorstehenden Überlegungen wird nicht zuletzt durch die mit der Vollstreckungsanordnung verfolgte Intention des BVerfG bestätigt. Das Gericht ist in der Entscheidung vom 24.11.1998, a. a. O., im Vergleich zu dem Beschluss vom 22.3.1990, a. a. O., hinsichtlich der Inpflichtnahme des Besoldungsgesetzgebers einen entscheidenden Schritt weiter gegangen, indem es den Besoldungsempfängern im Rahmen einer eigenständigen Regelung für den Fall, dass der Gesetzgeber seiner Pflicht zur Schaffung verfassungskonformer Verhältnisse (wiederum) nicht nachkommen sollte, zugleich einen unmittelbaren Anspruch auf Zahlung eines weiteren Familienzuschlags zugebilligt hat. Der Entschluss des BVerfG, es nicht (nochmals) bei einem bloßen Handlungsauftrag des Gesetzgebers zu belassen, ist dabei ersichtlich von der Sorge bestimmt gewesen, der Gesetzgeber werde der vorliegenden Entscheidung - wie auch bereits den Entscheidungen vom 30.3.1977 - 2 BvR 1039/75 und 2 BvR 1045/75 -, BVerfGE 44, 249, und vom 22.3.1990, a. a. O. - erneut nicht Folge leisten (vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt E. der Entscheidungsgründe, S. 331 f.). Eine weitere Nichtbeachtung der Vorgaben des BVerfG sollte damit anders als in der Vergangenheit gerade nicht nur die Konsequenz einer Verpflichtung zu rückwirkender Beseitigung des festgestellten Verfassungsverstoßes haben, in deren Genuss nur die Beamten kommen konnten, die Ansprüche zuvor zeitnah geltend gemacht hatten. Vielmehr wollte das BVerfG allen betroffenen Beamten mit mehr als zwei Kindern für diesen Fall einen allgemein und unmittelbar geltenden Anspruch auf amtsangemessene Besoldung verschaffen. Dieser Intention widerspräche es eindeutig, wollte man gegen ihren Wortlaut in die Vollstreckungsanordnung unter Rückgriff auf Überlegungen, die das Gericht in anderem Zusammenhang, nämlich der vergangenheitsbezogenen Korrektur verfassungswidriger Besoldungsregelungen, angestellt hat, das Erfordernis zeitnaher Geltendmachung hineinlesen. In diesem Falle nämlich hätte es der Gesetzgeber letztlich in der Hand, den Zeitpunkt der geforderten allgemeinen Korrektur selbst zu bestimmen, so dass die Vollstreckungsanordnung faktisch weitgehend leer liefe.
In diesem Sinne auch VG Darmstadt, Urteil vom 24.11.2006, a. a. O.; VG Gelsenkirchen, Urteile vom 2.5.2007, a. a. O., und vom 6.8.2007, a. a. O.; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 21.12.2007, a. a. O.; Pechstein, a. a. O., S. 79.
Nach alledem kann die hier etwa fehlende zeitnahe Geltendmachung der durch die Vollstreckungsanordnung des BVerfG begründeten Ansprüche auf Gewährung weiterer familienbezogener Besoldungsbestandteile dem Klageanspruch nicht mit Erfolg entgegen gehalten werden. Das Begehren des Klägers ist auch im Übrigen in der Sache begründet, da die gesetzlich bestimmte Besoldung in den Jahren 2000 bis 2004 nicht den Vorgaben in dem Beschluss des BVerfG vom 24.11.1998, a. a. O., entsprochen hat (wird ausgeführt).
Ende der Entscheidung
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