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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 15.01.2007
Aktenzeichen: 1 A 3433/05
Rechtsgebiete: BBesG, VwGO, BGB


Vorschriften:

BBesG § 2 Abs. 1
VwGO § 113 Abs. 2
BGB § 288
BGB § 291
1. Zur Alimentation von dritten und weiteren Kindern von Beamten und Richtern nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dem Beschluss vom 24.11.1998 - 2 BvL 26/91 u.a. -, BVerfGE 99, 300, 314 ff. (Fortführung und Präzisierung des Senatsurteils vom 6.10.2006 - 1 A 1927/05 -).

2. Die aus der Entscheidungsformel zu 2. des vorgenannten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts folgende Verpflichtung des Dienstherrn und die Befugnis der Verwaltungsgerichte, einschlägige Ansprüche auf familienbezogene Besoldungsbestandteile zu erfüllen bzw. zuzusprechen, erfasst grundsätzlich auch das Jahr 1999.


Tatbestand:

Der Kläger erhält Bezüge nach der Besoldungsgruppe R 2 und ist für seine vier Kinder kindergeldberechtigt. Er begehrte die Zahlung eines erhöhten Familienzuschlages für das dritte und vierte Kind in den Jahren 1999 bis 2004. Das VG gab der Klage statt und sprach dem Kläger für die beantragten Jahre einen selbst errechneten Betrag nebst Zinsen zu. Im Berufungsverfahren setzte der Beklagte für die Jahre 2000 und 2001 Nachzahlungen fest. Insofern haben die Beteiligten den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt erklärt. Im Übrigen wies das OVG die Berufung des Beklagten zurück, berechnete jedoch die nachzuzahlenden Beträge neu.

Gründe:

Der Kläger hat für die Jahre 1999, 2002, 2003 und 2004 Anspruch auf die Zahlung eines weiteren Familienzuschlags in der nachfolgend berechneten Höhe. Vor Bewilligung und Erhalt der Nachzahlung für die Jahre 2000 und 2001 hatte er einen entsprechenden Anspruch, den jene Nachzahlung nebst Zinsanspruch abgedeckt hat.

Dem Bestehen des Anspruchs kann nicht entgegengehalten werden, der Kläger habe ihn vorprozessual nicht zeitnah geltend gemacht. Denn der Kläger hat noch im Jahr 1999 einen entsprechenden Antrag bei dem Beklagten gestellt. Unabhängig davon kann der Beklagte dem Kläger eine "späte" Geltendmachung seiner Ansprüche im vorliegenden Fall nicht entgegenhalten. Der Beklagte hat nämlich für den Zeitraum nach dem 31.12.1998 die Familienzuschläge ab dem dritten Kind ausdrücklich mit Hinweis darauf, dass das Einlegen eines Rechtsbehelfs nicht erforderlich sei, unter dem Vorbehalt der verfassungsrechtlichen Nachprüfung gezahlt und diesen Vorbehalt erst mit Bescheid vom 15.12.2004 aufgehoben. Der Kläger hatte daher vor Erhalt dieses Bescheides keine Veranlassung, weitere Anträge beim Beklagten zu stellen.

Der Anspruch auf Zahlung eines höheren als des gesetzlich festlegten Familienzuschlags, also eines Besoldungsbestandteils (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BBesG), ergibt sich unmittelbar aus dem Tenor der Entscheidung des BVerfG vom 24.11.1998.

BVerfG, Beschluss vom 24.11.1998 - 2 BvL 26/91 u.a. -, BVerfGE 99, 300, 314 ff.

Die Entscheidungsformel zu 2. enthält zwei voneinander unabhängige Aussprüche. Im ersten Teil wird der Gesetzgeber verpflichtet, innerhalb einer bestimmten Frist die in der Entscheidungsformel zu 1. als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage neu zu ordnen. Der zweite Teil begründet darüber hinausgehend Leistungsansprüche jenseits gesetzgeberischer Maßnahmen, sofern der Gesetzgeber den zuvor ausgesprochenen legislatorischen Verpflichtungen nicht nachkommt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.6.2004 - 2 C 34.02 -, BVerwGE 121, 91.

Dieser Teil der Entscheidungsformel ist nach der Auffassung des BVerwG, welcher der Senat folgt, unmittelbar anspruchsbegründend. Er ist auf die Durchsetzung des verfassungsrechtlichen Gebots amtsangemessener Alimentation gerichtet, das nicht nur zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG gehört, sondern dem Beamten - Gleiches gilt für den Richter - auch ein grundrechtsähnliches Individualrecht gegen den Dienstherrn gibt. Dieser ist daraus verpflichtet, dem Beamten einen amtsangemessenen Unterhalt zu leisten, der unter anderem die Unterhaltspflichten realitätsgerecht berücksichtigen muss, die dem Beamten durch seine Familie entstehen. Deshalb muss auch der bei größerer Kinderzahl entstehende Mehrbedarf gedeckt sein. Zwar steht es dem Gesetzgeber frei, mit welchen Mitteln er das verfassungsrechtliche Ziel amtsangemessener Alimentation von Beamten mit drei und mehr Kindern erreicht; eine Abweichung von dem Ziel ist ihm aber verwehrt. Der Gesetzgeber überschreitet demgemäß seinen Gestaltungsspielraum, wenn er es dem Beamten zumutet, für den Unterhalt seines dritten Kindes und weiterer Kinder auf die familienneutralen Bestandteile seiner Besoldung zurückzugreifen, um den Bedarf dieser Kinder zu decken.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.11.1998 - 2 BvL 26/91 u.a. -, a.a.O., unter Bezugnahme auf die Beschlüsse vom 22.3.1990 - 2 BvL 1/86 -, BVerfGE 81, 363, und vom 30.3.1977 - 2 BvR 1039/75 u.a. -, BVerfGE 44, 249.

Die Voraussetzungen für einen über den bestehenden gesetzlichen Rahmen hinausgehenden Anspruch des Klägers auf familienbezogene Besoldungsbestandteile sind bezogen auf die hier geltend gemachten Jahre im Zeitraum 1999 bis 2004 erfüllt. Die für den Kläger einschlägige gesetzlich bestimmte Besoldung entsprach in der damaligen Zeit nicht den Vorgaben des vorzitierten Beschlusses des BVerfG.

Der Senat ist an der Feststellung der Unteralimentation und an einem entsprechenden Zahlungsausspruch zulasten des Beklagten nicht gehindert. Namentlich der Gesetzesvorbehalt aus § 2 Abs. 1 BBesG steht dem nicht entgegen. Eine Vorlagepflicht aus Art. 100 Abs. 1 GG ist nicht gegeben. Vielmehr sind die Fachgerichte - weiterhin - auf der Grundlage der Entscheidung des BVerfG, vgl. Beschluss vom 24.11.1998, Entscheidungsformel zu Nr. 2, a.a.O. S. 304 und 332, befugt, eine den Vorgaben des BVerfG nicht genügende, nämlich mit Blick auf das dritte und jedes weitere unterhaltsberechtigte Kind zu niedrige Besoldung festzustellen, die Differenz nach Maßgabe der Gründe des vorgenannten Beschlusses zu C.III.3. (a.a.O. S. 321 ff.) selbst zu berechnen und dem Besoldungsempfänger zusätzliche familienbezogene Gehaltsbestandteile unmittelbar zuzusprechen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6.10.2006 - 1 A 1927/05 -, Juris und www.nrwe.de.

Dies gilt auch für das Jahr 1999, welches von dem Ausspruch unter 2. des Tenors der Entscheidung des BVerfG vom 24.11.1998 grundsätzlich ebenfalls erfasst wird.

Die Entscheidung bezieht sich im ersten Teil des Tenors zu 2. mit dem Ausspruch über die Verpflichtung des Gesetzgebers, die als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage bis zum 31.12.1999 mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen, auf das im Tenor unter 1. seinem Grund und seiner Höhe nach umschriebene verfassungswidrige Unterlassen des Gesetzgebers. Dieses Unterlassen soll danach mit Ablauf des 31.12.1999 sein Ende finden. Für den Fall, dass der Gesetzgeber gleichwohl seiner Verpflichtung nicht nachkommen sollte, wird im zweiten Teil des Tenors zu 2. der oben schon erwähnte quasi-gesetzliche Anspruch festgelegt, der zur entsprechenden Verpflichtung des Dienstherrn führt und dazu, dass auch die Gerichte befugt sind, einschlägige Ansprüche auf familienbezogene Besoldungsbestandteile zuzusprechen. Dass diese Rechtslage "mit Wirkung vom 1.1.2000 gilt", heißt nicht, dass nur Sachverhalte erfasst sein sollten, die sich auf die Zeit nach dem 31.12.1999 beziehen. Die Verpflichtung des Dienstherrn und die Befugnis der Gerichte betrafen in erster Linie die vom BVerfG entschiedenen Fälle, welche die Besoldung der Jahre 1988 bis 1996 zum Gegenstand hatten. Der Klammerzusatz unter E) der Entscheidungsgründe "(und möglicherweise danach)",

BVerfG, Beschluss vom 24.11.1998 - 2 BvL 26/91 u.a. -, a.a.O., S. 332, erhellt, dass das BVerfG seinen Gründen für die Verfassungswidrigkeit der Rechtslage mögliche Bedeutung auch für die Jahre nach 1996 beigemessen hat. Denn die Begründung und der Umfang der Ansprüche ergeben sich unmittelbar aus der Verfassung, sie erledigen sich damit nicht durch bloßen Zeitablauf und bestehen - ihre (wie hier erfolgte) Geltendmachung vorausgesetzt - unabhängig von gerichtlicher Feststellung. Dementsprechend hat das BVerwG in seiner Entscheidung vom 17.6.2004 zugrunde gelegt, dass es mit Blick auf die Entscheidungen des BVerfG, BVerfG, Beschlüsse vom 30.3.1977 -2 BvR 1039/75 u.a. -, BVerfGE 44, 249, vom 22.3.1990 - 2 BvL 1/86 - und vom 24.11.1998 - 2 BvL 26/91 u.a. -, a.a.O., S. 332, keiner erneuten verfassungsgerichtlichen Würdigung bedarf, ob der Gesetzgeber seine Verpflichtung zu angemessener Besoldung eines Beamten mit mehr als zwei Kindern erfüllt hat.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.6.2004 - 2 C 34.02 -, a.a.O.

Ein Ausschluss des Jahres 1999 aus der in Rede stehenden Entscheidungsformel (zu 2.) des BVerfG würde vor diesem Hintergrund zu sinnwidrigen Ergebnissen führen. Könnte der Kläger sich für seinen Alimentationsanspruch aus dem Jahr 1999 nicht auf diese normersetzende Anspruchsgrundlage stützen, müsste er den Instanzenzug durchlaufen, um sich vom BVerfG nach den Maßstäben der Entscheidung vom 24.11.1998 bestätigen zu lassen, dass seine Alimentation im Jahr 1999 kindbezogen nicht angemessen war. Dies würde außerdem mit Blick auf die oben getroffenen Feststellungen zum Inhalt des Tenors unter 2. zu einer mit Rücksicht auf den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nicht hinzunehmenden Verfahrensweise führen, da Art. 19 Abs. 4 GG sich auch auf die möglichst zügige Beendigung gerichtlicher Verfahren bezieht. Damit ist eine (inhaltlich) überflüssige Inanspruchnahme des Instanzenzuges und des BVerfG nicht zu vereinbaren.

Die Fristsetzung in Nummer 2. des Tenors der Entscheidung des BVerfG vom 24.11.1998 bezieht sich daher nur auf das Einsetzen der gerichtlichen Notkompetenz. Durch diese Fristsetzung waren die Verwaltungsgerichte demnach lediglich daran gehindert, vor Ablauf der dem Gesetzgeber gesetzten Frist die verfassungsrechtlich für das Jahr 1999 - und davor - zustehende Alimentation selbst zu errechnen und Beamten für ein drittes und jedes weitere Kind zusätzliche - über das Gesetz hinausgehende - kinderbezogene Anteile im Familienzuschlag unmittelbar zuzusprechen.

Die Rechtsprechung des BVerwG, vgl. BVerwG, Urteil vom 17.6.2004 - 2 C 34.02 -, a.a.O., und Beschluss vom 25.1.2006 - 2 B 36.05 -, NVwZ 2006, 605, steht diesem auf dem Wortlaut und dessen Sinngehalt beruhenden Verständnis des Tenors unter 2. der Entscheidung des BVerfG nicht entgegen.

Der in Rede stehende Ausspruch unter 2. der Entscheidung des BVerfG ist bezogen auf den hier streitgegenständlichen Zeitraum auch nicht erledigt. Zwar gilt er nur so lange, wie der Gesetzgeber es unterlässt, Maßstäbe zu bilden und Parameter festzulegen, nach denen die Besoldung der kinderreichen Beamten bemessen und der Bedarf eines dritten und jedes weiteren Kindes zutreffend ermittelt wird. Im Falle einer solchen Gesetzgebung entfällt die sich aus dem Beschluss vom 24.11.1998 ergebende Befugnis der Verwaltungsgerichte.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.6.2004 - 2 C 34.02 -, BVerwGE 121, 91 (Leitsatz und S. 97 f.).

Jedoch ist der Gesetzgeber dieser Verpflichtung für die hier in Rede stehenden Jahre 1999 bis 2004 nicht nachgekommen, und zwar auch nicht in Ansehung der von dem Beklagten geltend gemachten Änderungen des Besoldungs-, Kindergeld- und Steuerrechts.

Vgl. dazu auch die Übersicht bei Schaller, Kein weiterer Familienzuschlag für dritte und weitere Kinder, RiA 2005, 112, sowie die Erwiderung von Repkewitz, RiA 2005, 273.

Es ist nicht dargetan und nicht ersichtlich, dass mit diesen Maßnahmen überhaupt ein spezifischer Beitrag zur Deckung des kindbezogenen Mehrbedarfs von Familien mit drei und mehr Kindern eingetreten ist. Auf der Grundlage der anzustellenden Durchschnittsbetrachtung, wie sie das BVerfG vorgegeben hat, lässt sich keine signifikante Verbesserung der Mehrbedarfsdeckung erkennen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6.10.2006 - 1 A 1927/05 -, a.a.O.

Vor allem aber steht der unmittelbar anspruchsbegründende Teil der Entscheidungsformel zu 2. des Beschlusses des BVerfG nicht unter dem Vorbehalt, dass der Gesetzgeber "irgendwelche" besoldungs-, sozial- und steuerpolitischen Maßnahmen getroffen hat, die (auch) der Förderung von Beamten mit mehr als zwei Kindern dienen. Das BVerfG ist ersichtlich davon ausgegangen, dass unzureichende gesetzliche Verbesserungen nicht dem Gebot entsprachen, die als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage für sämtliche Besoldungsempfänger mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Selbst quantitativ beachtliche Anstrengungen des Gesetzgebers führen daher nicht ohne weiteres dazu, dass die Entscheidungsformel zu 2. obsolet wird. Verbleibt trotz der Bemühungen um eine Verbesserung der finanziellen Situation kinderreicher Beamter/Richter weiterhin ein verfassungswidriges Besoldungsdefizit, so haben die Benachteiligten einen formell legitimierten und seit dem 1.1.2000 durchsetzungsfähigen Anspruch auf erhöhte familienbezogene Besoldung.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.6.2004 - 2 C 34.02 -, a.a.O., S. 97.

Hiervon ausgehend führt nicht jede Änderung des Besoldungs-, Kindergeld- und Steuerrechts als solche, auch in Kombinationen, dazu, dass eine Nichtanwendung des Entscheidungsausspruchs zu 2. erwogen werden muss - mit der Folge einer etwaigen Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 GG. Erforderlich ist vielmehr, dass der Gesetzgeber ausdrücklich Maßstäbe und Parameter bildet, nach denen die Besoldung der kinderreichen Beamten oder Richter bemessen und der (Mehr-) Bedarf eines dritten und jeden weiteren Kindes ermittelt wird. Wesentlicher Anlass dafür könnte etwa sein, dass die Berechnungsmethode des BVerfG nicht oder nicht mehr sinnvoll angewendet werden kann. Dafür fehlt aber jedenfalls für die hier streitigen Jahre jeglicher Anhaltspunkt. Etwa nötige geringfügige "Anpassungen" von Einzelheiten der Berechnungsparameter an zwischenzeitliche Änderungen sind insofern ohne Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr, dass sich die im Berufungsverfahren vorgetragenen Maßnahmen nach wie vor innerhalb jenes Alimentationssystems halten, das der Entscheidung des BVerfG zugrunde gelegen hat. Gemessen daran beschränken sich die gesetzlichen Maßnahmen im Wesentlichen auf die Anhebung von Beträgen, die schon bislang zur Abdeckung des Bedarfs gezahlt worden sind. Es ist auch nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber das bisherige, als hergebrachter Grundsatz im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG anerkannte Alimentationsprinzip entscheidend verändert hat. Im Einzelfall etwa bestehende zivilrechtliche Unterhaltsansprüche gegen den Ehegatten des Beamten sind ohnehin grundsätzlich außer Betracht zu lassen, da das BVerfG in seiner Entscheidung vom 28.11.1998 die Untergrenze einer der Alimentationspflicht noch entsprechenden Besoldung im Hinblick auf das dritte Kind und weitere Kinder im Rahmen einer pauschalierenden und typisierenden Berechnung verbindlich definiert hat.

Dementsprechend kann auch die Berechnungsmethode des BVerfG auf den hier zu betrachtenden Zeitraum insgesamt angewendet werden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6.10.2006 - 1 A 1927/05 -, a.a.O.

Fehlt es aber an systemverändernden Neuregelungen, so kann sich der Entscheidungsausspruch zu 2. nur durch Erfüllung erledigen. In diese Richtung geht letztlich auch der Hinweis des Beklagten auf die zahlreichen gesetzlichen Änderungen des Besoldungs-, Kindergeld- und Steuerrechts. Jedoch übersieht der Beklagte, dass - wie oben im Anschluss an das BVerwG ausgeführt - selbst beträchtliche Bemühungen um eine Verbesserung der finanziellen Situation kinderreicher Beamter oder Richter unzureichend sind, solange ein verfassungswidriges Besoldungsdefizit verbleibt. Dies ist, solange das Alimentationssystem mit seinen überkommenen Elementen fortgeschrieben wird, allein durch Anwendung der vom BVerfG zwingend vorgegebenen Berechnungsmethode zu entscheiden, wobei wegen der anzulegenden Durchschnittsbetrachtung letztlich diejenige Beamten- oder Richtergruppe maßgeblich ist, welcher der kinderreiche Bedienstete angehört.

Bei Zugrundelegung dieses Ansatzes ergibt sich, dass der Gesetzgeber für den hier zu betrachtenden Zeitraum der ihm aufgegebenen Verpflichtung, verfassungskonforme Verhältnisse herzustellen, nicht ausreichend nachgekommen ist.

Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 6.10.2006 - 1 A 1927/05 -, a.a.O., m.w.N.

Beim Kläger verbleibt in Anwendung des seinerzeit geltenden Rechts - unter Berücksichtigung der erfolgten Nachzahlung - ein nicht gedeckter Bedarf für den Unterhalt des dritten und vierten Kindes bezogen auf die Jahre 1999, 2002, 2003 und 2004.

Um die Höhe der Unteralimentation festzustellen sind nach der Anordnung des BVerfG im Beschluss vom 24.11.1998 (a.a.O., S. 323) 115 v.H. des - vom BVerfG so bezeichneten - sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs mit dem monatlichen Mehrbetrag des Nettoeinkommens zu vergleichen, den ein Beamter/Richter der jeweiligen Besoldungsgruppe (hier R 2) mit vier Kindern gegenüber einem solchen mit zwei Kindern erzielt. Um die Unteralimentation des dritten und vierten Kindes festzustellen, ist die Differenz der pauschalierend und typisierend bezogen auf ein Kalenderjahr ermittelten Nettoeinkommen zu halbieren und sodann mit dem um 15 v.H. erhöhten sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf zu vergleichen.

Für diesen Einkommensvergleich zwischen der Familie mit zwei Kindern und der Familie mit vier Kindern ist auf das jeweilige Jahresnettoeinkommen abzustellen. Das Bruttogrundgehalt der Besoldungsgruppe R 2 (Endstufe) ergibt sich aus dem Bundesbesoldungsgesetz in der jeweils geltenden Fassung. Dem hinzuzurechnen sind gegebenenfalls erfolgte Einmalzahlungen, Urlaubsgeld und die Sonderzuwendungen, letztere auf der Grundlage der jeweils einschlägigen bundes- und ab 2003 auch landesrechtlichen Regelungen.

Die Nettobezüge ergeben sich nach Abzug der Lohn- bzw. Einkommenssteuer, des Solidaritätszuschlags (soweit dieser im maßgeblichen Jahr erhoben wurde) und der Kirchensteuer. Letztere ist mit einem pauschalen Kirchensteuersatz von 8 v.H. anzusetzen, ohne Rücksicht darauf, ob der Beamte in einem Bundesland mit einem abweichenden Steuersatz wohnt.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6.10.2006 - 1 A 1927/05 -, a.a.O., m.w.N.

Die Kinderfreibeträge (§ 32 Abs. 6 EStG) in der für das jeweilige Jahr anzusetzenden Höhe sind nur bei der Berechnung der Kirchensteuer und des Solidaritätszuschlags zu berücksichtigen, weil sie sich nur dort auswirken. Hinzuzurechnen ist letztlich, weil nicht der Lohn- bzw. Einkommenssteuer unterworfen, das Kindergeld. Individuelle Gehaltsbestandteile sind ebenso wie individuelle Umstände und Steuerfreibeträge - etwa individuell auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Freibeträge oder an besondere, einzelfallbezogene Voraussetzungen anknüpfende Freibeträge -, die zu einer Verringerung des Brutto- oder Nettoeinkommens führen, außer Betracht zu lassen.

 Einkommen199920002001200220032004
2 Kinder      
Jahresbrutto 133.809,65 DM134.977,80 DM137.229,23 DM71.595,87 €70.633,09 €71.894,83 €
Abzüge (Steuern)-34.827,95 DM-34.620,48 DM-33.194,74 DM-17.341,56 €-16.955,44 €-16.362,63 €
Kindergeld6.000,00 DM6.480,00 DM6.480,00 DM3.696,00 €3.696,00 €3.696,00 €
Jahresnetto104.981,70 DM106.837,32 DM110.514,49 DM57.950,31 €57.373,65 €59.228,20 €
Monatsnetto8.748,48 DM8.903,11 DM9.209,54 DM4.829,19 €4.781,14 €4.935,68 €
4 Kinder      
Jahresbrutto144.553,28 DM145.782,03 DM148.212,80 DM77.325,79 €76.271,61 €77.664,97 €
Abzüge (Steuern)-38.609,88 DM-38.603,76 DM-37.123,74 DM-19.222,20 €-18.793,00 €-18.204,88 €
Kindergeld13.800,00 DM14.280,00 DM14.280,00 DM7.692,00 €7.692,00 €7.692,00 €
Jahresnetto119.743,40 DM121.458,27 DM125.369,06 DM65.795,59 €65.170,61 €67.152,09 €
Monatsnetto9.978,62 DM10.121,52 DM10.447,42 DM5.482,97 €5.430,88 €5.596,01 €

Nach diesen Grundsätzen ergibt sich in den Jahren 1999 bis 2004 die aus der nachfolgenden Tabelle abzulesende Einkommenssituation für Richter der Besoldungsgruppe R 2 mit zwei und mit vier Kindern:

Es ist in diesem Zusammenhang besonders auf die für den Regelfall begründete Erwartung hinzuweisen, dass der Dienstherr die notwendigen Berechnungen nicht nur des Nettogehalts - gegebenenfalls nach Vorgaben des Gerichts - selbst oder unter Inanspruchnahme sachkundiger Behörden zutreffend vornimmt und unter genauer Angabe der Rechtsgrundlagen, der angesetzten Beträge und des Rechenweges im Einzelnen offen legt. Dies entspricht nicht nur dem Rechtsgedanken des § 113 Abs. 2 VwGO. Die beklagten Dienstherren erfüllen damit einen Teil ihrer - ebenfalls unmittelbar aus der Entscheidung des BVerfG (a.a.O., S. 332) folgenden und damit unter Einhalt rechtsstaatlicher "Spielregeln" ohne weiteres zu befolgenden - Pflicht, eine genügende Alimentation entsprechend den Vorgaben des BVerfG selbst zu gewähren. Ein irgendwie gearteter Beurteilungs- oder sonstiger Spielraum steht ihnen nicht zu. Inwieweit ihren Berechnungen zu folgen ist, entscheiden gegebenenfalls die Fachgerichte, welche im Prozess auch die Letztverantwortung für die Berechnung trifft. Den Verwaltungsgerichten ist es daher ebenso gestattet, die Berechnungen selbständig vorzunehmen.

Der so berechneten monatlichen Einkommensdifferenz - dem tatsächlich gezahlten Mehrbetrag der Besoldung für das dritte und vierte Kind - ist der alimentationsrechtliche Gesamtbedarf dieser Kinder gegenüberzustellen. Er errechnet sich auf der Grundlage des durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes, der um 15 v.H. zu erhöhen ist. Zu berechnen ist danach, getrennt für die Vergleichsjahre und bezogen auf die alten Bundesländer, der bundes- und jahresdurchschnittliche Regelsatz für Minderjährige, die mit beiden Elternteilen zusammenleben, im Alter ab der Geburt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Unberücksichtigt bleiben - entsprechend der Berechnung der Dienstbezüge - die (ebenfalls abgesenkten) Regelsätze in den neuen Bundesländern. Hinzuzurechnen ist ein Zuschlag von 20 v.H. zur Abgeltung einmaliger Leistungen, ein weiterer Zuschlag für die Kosten der Unterkunft ausgehend von einem Wohnbedarf von 11 m² für das Kind sowie ein Zuschlag von 20 v.H. der anteiligen Durchschnittsmiete (durchschnittliche Netto-Kaltmiete) zur Abgeltung der auf das Kind entfallenden Energiekosten.

Hinsichtlich dieser Gegenüberstellung der Einkommensdifferenz für das dritte und vierte Kind des Klägers mit dem sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf für das Jahr 2003 legt der Senat der Gesamtbedarfsberechnung nicht mehr die in dem Urteil vom 6.10.2006 enthaltenen Werte zugrunde. Jene Beträge haben sich bei erneuter Überprüfung als nicht tragfähig erwiesen (wird ausgeführt). Für die Jahre 1999 bis 2004 legt der Senat der Berechnung die von dem VG Karlsruhe ermittelten Beträge für den gewichteten Regelsatz, VG Karlsruhe, Urteil vom 26.1.2005 - 11 K 3674/04 -, Juris, zugrunde. Hinsichtlich des anteiligen Mietanteils geht der Senat als Basiswert für die Jahre 1999 bis 2001 von dem Mietenbericht 1998 aus, BT-Drucks. 14/3070, dessen Wert mit den jährlichen Steigerungsraten der Verbraucherpreisindizes, welche in dem Mietenbericht 2002, BT Drucks. 15/220, wiedergegeben sind, fortzuschreiben ist. Ab dem Jahr 2002 wird der Mietwert aus dem Mietenbericht 2002 mit den durch das statistische Bundesamt ermittelten Steigerungsraten der Netto-Kaltmiete fortgeschrieben.

Vgl. Mietenbericht 2002, a.a.O., und Verbraucherpreisindizes für Deutschland - Monatsbericht - November 2006.

Die Berechnungen sind - entsprechend der allgemeinen amtlichen Praxis bei der Euro-Umstellung - für die Jahre 1999 bis 2001 insgesamt in Deutscher Mark durchzuführen und erst im Ergebnis in Euro-Beträge umzurechnen. Soweit erforderlich, werden die Beträge nach der klassischen kaufmännischen Rundung auf zwei Nachkommastellen gerundet.

Unter Berücksichtigung dessen ergeben sich für den Gesamtbedarf eines Kindes in den Jahren 1999 bis 2004 die in der nachfolgenden Tabelle dargestellten Werte:

 Sozialhilfebedarf Kind199920002001200220032004
Gewichteter Durchschnittsregelsatz351,04 DM354,32 DM358,83 DM187,32 €190,19 €191,04 €
Zuschlag 20% Einmalleistungen70,21 DM70,86 DM71,77 DM37,46 €38,04 €38,21 €
Anteilige Mietkosten für 11 m²123,31 DM124,79 DM126,16 DM66,99 €67,76 €68,42 €
Anteilige Energiekosten 24,66 DM24,96 DM25,23 DM13,40 €13,55 €13,68 €
Gesamtbedarf569,22 DM574,93 DM581,99 DM305,17 €309,54 €311,35 €
115% des Gesamtbedarfs654,60 DM661,17 DM669,29 DM350,95 €355,97 €358,05 €

Die Vergleichsberechnung des Gesamtbedarfs mit der Besoldungsdifferenz führt zu folgendem Ergebnis:

 Vergleichsberechnung199920002001200220032004Summe
monatliche Besoldungsdifferenz 4. Kind615,07 DM609,21 DM618,94 DM326,89 €324,87 €330,16 € 
Abstand zu 115% Gesamtbedarf (Monat)-39,53 DM-51,96 DM-50,35 DM-24,06 €-31,10 €-27,89 € 
Abstand zu 115% Gesamtbedarf (Jahr/ DM)-474,36 DM-623,52 DM-604,20 DM    
Abstand zu 115% Gesamtbedarf (Jahr/€)-242,54 €-318,80 €-308,92 €-288,72 €-373,20 €-334,68 €-1.866,86 €
Wert 4. Kind x 2-485,08 €-637,60 €-617,84 €-577,44 €-746,40 €-669,36 €-3.733,72 €
Nachzahlung 2006 688,71 €693,31 €    
Besoldungsdifferenz nach Nachzahlung-485,08 €0,00 €0,00 €-577,44 €-746,40 €-669,36 €-2.478,28 €

Unter Berücksichtigung der Nachzahlung hat der Gesetzgeber nach alledem den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum bei der Besoldung von Richtern der Besoldungsgruppe R 2 in den noch streitgegenständlichen Jahren 1999, 2002, 2003 und 2004 überschritten. Er ist mit den zur Prüfung vorgelegten Regelungen unterhalb der Grenze geblieben, welche die den Beamten/Richtern der jeweiligen Besoldungsgruppen mit mehr als zwei Kindern geschuldete Alimentation nicht unterschreiten darf. Auf die Größenordnung der Unterschreitung kommt es nicht an. Der um 15 v.H. erhöhte sozialhilferechtliche Gesamtbedarf ist das Minimum des dem Beamten/ Richter (und seiner Familie) verfassungsrechtlich geschuldeten Unterhalts. Nur bei Wahrung dieser Untergrenze besteht eine Befugnis des Gesetzgebers zu Pauschalierung und Typisierung. Jede Unterschreitung hingegen ist verfassungswidrig.

Ebenso schon BVerwG, Urteil vom 17.6.2004, a.a.O., S. 102 f.

Übrigens zeigen der vorliegende und die in dem Urteil des Senats vom 6.10.2006 zitierten Fälle mit gleich gelagerter Problematik, dass es sich keineswegs nur um Einzelfälle handelt. Es ist vielmehr eine systematische Unteralimentierung im Hinblick auf dritte und weitere Kinder festzustellen.

Der Anspruch auf Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 291, 288 BGB. Dabei bildet der dem Kläger für das jeweilige Jahr zuzusprechende - ihm tatsächlich zustehende - Betrag die maßgebliche Grundlage, nicht aber der von ihm bei Klageerhebung oder später (auf Anregung des Gerichts) bezifferte Betrag. Für den Zinsanspruch ist grundsätzlich nicht erheblich, ob und wie ein Kläger die Höhe seines Anspruchs auf Alimentation selbst angibt, es sei denn, er beschränkt seinen Anspruch ausdrücklich, was hier aber nicht anzunehmen ist. In dem vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess (§ 86 Abs. 1 VwGO) hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen; es ist nicht an das Vorbringen der Beteiligten gebunden. Dies gilt auch und insbesondere für die Nachzeichnung und Konkretisierung der komplexen Anforderungen rechtlicher und tatsächlicher Art an die Alimentierung der Beamten mit drei und mehr Kindern, wie sie in Vollzug der Entscheidung des BVerfG vorzunehmen ist. Einem Kläger ist daher nicht abzuverlangen, die Höhe des Anspruchs von vornherein in rechtsfehlerfreier Weise zu berechnen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.6.2004, a.a.O. S. 98.

Da es sich um eine Zahlungs- und nicht um eine Feststellungsklage als Vorstufe von Zahlungsansprüchen handelt, vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 21.4.2005 - 1 A 3099/03 -, Juris, ist ein der Höhe nach nicht zutreffend oder gar nicht bezifferter Klageantrag auch nicht zu unbestimmt, um als Grundlage für Prozesszinsen dienen zu können. Denn der Anspruch lässt sich jederzeit rechnerisch unzweifelhaft ermitteln. Die erforderlichen Berechnungen vorzunehmen ist indes - wie gesagt - Aufgabe des Beklagten bzw. der Fachgerichte.

Ende der Entscheidung

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