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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 10.11.2005
Aktenzeichen: 1 A 5076/04.PVL
Rechtsgebiete: LPVG NRW


Vorschriften:

LPVG NRW § 21 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2
1. Ob eine gegen die guten Sitten verstoßende Wahlbeeinflussung i.S.d. § 21 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 LPVG NRW vorliegt, ist in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und unter sorgfältiger Abwägung der Entscheidungsfreiheit der Wähler und des grundsätzlichen Rechts der Wahlbewerber, auf die Entscheidung der Wähler einzuwirken, zu entscheiden.

2. Zur Frage, ob es eine gegen die gute Sitten verstoßende Wahlbeeinflussung darstellt, wenn Wahlbewerber gegen das vom Dienststellenleiter ausgesprochene Verbot verstoßen, Wahlzeitungen über das dienststelleninterne Intranet zu verbreiten, bzw. wenn der Dienststellenleiter einen solchen Verstoß duldet.

3. Die Beobachtung einer Personalratswahl durch wahlberechtigte Bedienstete oder Beauftragte der in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften ist grundsätzlich zulässig.


Tatbestand:

Die Antragsteller fochten die Wahl zum örtlichen Peronalrat an. Der Antrag bliebt sowohl vor dem VG als auch vor dem OVG ohne Erfolg.

Gründe:

Der Wahlanfechtungsantrag ist unbegründet, da kein Verstoß i.S.d. § 22 Abs. 1 LPVG NRW vorliegt. Namentlich haben weder die Beteiligte zu 2. noch die Liste X gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen. Diesbezüglich steht im Vordergrund der Vorwurf der Antragsteller, die Beteiligte zu 2. habe die Liste X bevorzugt, indem sie ihr im Gegensatz zur Antragstellerin zu 1. das hausinterne Intranet, insbesondere das E-Mail-Programm, für Zwecke der Wahlwerbung zur Verfügung gestellt habe. Insoweit kommt ein Verstoß des Beteiligten - aber auch der Liste X - gegen § 21 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 LPVG NRW (sittenwidrige Wahlbeeinflussung) in Betracht, der aber im Ergebnis nicht vorliegt (1. und 2.). Ein Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren ist ferner auch mit Blick auf die von den Antragstellern gerügte Wahlbeobachtung zu verneinen (3).

1. Die Beteiligte zu 2. hat durch ihr Verhalten nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Einfluss auf die Wahl genommen. § 21 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 LPVG NRW schützt die Willensbildung und Entscheidungsfreiheit der an der Wahl beteiligten Personen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.8.2000 - 6 P 7.99 -, BVerwGE 112, 12.

Durch diese Norm soll eine Beeinflussung des Wahlergebnisses in einer nicht von der Rechtsordnung gebilligten Weise ausgeschlossen werden. Während die Wahlbehinderung uneingeschränkt unzulässig ist, ist die Wahlbeeinflussung nur verboten, sofern sie gegen die guten Sitten verstößt. Danach ist Wahlwerbung grundsätzlich zulässig. Gegen die guten Sitten verstößt eine Wahlbeeinflussung nur dann, wenn eine Maßnahme unter Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dabei ist in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und unter sorgfältiger Abwägung der Entscheidungsfreiheit der Betroffenen und des grundsätzlichen Rechts, auf ihre Entscheidung einzuwirken, zu entscheiden, ob eine gegen die guten Sitten verstoßende Wahlbeeinflussung gegeben ist.

Vgl. Cecior/Vallendar/Lechtermann/Klein, Personalvertretungsrecht NRW, § 21 Rn. 8 und 9; Schlatmann, in: Lorenzen u.a., BPersVG, Stand: September 2005, § 24 Rn. 7 ff.

In diese Abwägung ist insbesondere auch die Erheblichkeit des beanstandeten Verhaltens in Bezug auf eine Gefährdung des durch § 21 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 LPVG NRW geschützten Rechtsguts einzustellen.

Dem Vorwurf der Antragsteller, die Beteiligte zu 2. habe durch ihr Verhalten die Wahl des Personalrats in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise beeinflusst, indem sie der Liste X die Nutzung des E-Mail-Programms zum Zwecke der Wahlwerbung zur Verfügung gestellt habe, nicht aber der Antragstellerin zu 1., liegt die zutreffende Rechtsauffassung zugrunde, dass die Dienststellenleitung sich in Bezug auf Personalratswahlen grundsätzlich neutral zu verhalten hat, sie insbesondere nicht einer Gruppierung Vorteile gewähren darf, die sie (einer) anderen Gruppierung(en) versagt.

Zur § 22 Abs. 1 LPVG NRW entsprechenden Norm des § 20 BetrVG: BAG, Beschluss vom 4.12.1986 - 6 ABR 48/85 -, BAGE 53, 385; Hamb. LAG, Beschluss vom 12.3.1998 - 2 TaBV 2/98 -, juris.

Die Beteiligte zu 2. hat indes durch ihr Verhalten vor der Wahl nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise gegen ihre Neutralitätspflicht verstoßen. ...

Entgegen den Vorwürfen der Antragsteller liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beteiligte zu 2. der Liste X erlaubt hat, das E-Mail-Programm zum Zwecke der Wahlwerbung zu nutzen. Gemäß Ziff. 1.6 der Dienstanweisung ... war die Nutzung des E-Mail- Programms weder der Antragstellerin zu 1. noch der Liste X noch anderen vergleichbaren Gruppierungen gestattet. Daraus, dass die Liste X dieses Verbot missachtet und zusätzlich in einer ihrer Publikationen die dienstliche E-Mail-Adresse eines ihrer Mitglieder angegeben hat, kann entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht geschlossen werden, dass der Liste X seitens der Beteiligten zu 2. eine entsprechende Erlaubnis erteilt worden ist.

Allerdings ist die Beteiligte zu 2. nicht unverzüglich gegen die Nutzung des E-Mail-Programms durch die Liste X eingeschritten, obwohl ihr diese Nutzung spätestens seit dem Beschwerdeschreiben der Antragstellerin zu 1. vom 6.5.2004 bekannt war. Unstreitig hat die Beteiligte zu 2. der Liste X die Nutzung des E-Mail-Programms erst am 4.6.2004 mündlich untersagt und diese Untersagung am 8.6.2004 nochmals per E-Mail bestätigt.

Eine Wahl kann nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch Unterlassen sittenwidrig beeinflusst werden.

Vgl. Cecior/Vallendar/Lechtermann/Klein, a.a.O., § 21 Rn. 7.

Jedoch liegt in der Verhaltensweise der Beteiligten zu 2. (noch) keine sittenwidrige Beeinflussung der Wahl i.S.d. § 21 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 LPVG NRW. Das ergibt die nach den einleitenden Ausführungen vorzunehmende Abwägung der Umstände des Einzelfalles: Die von der Liste X vor der Wahl über das E-Mail-Programm verbreiteten Inhalte (Wahlzeitung, Einladung zur Wahlparty) sind inhaltlich als Wahlwerbung zu qualifizieren und damit grundsätzlich zulässig. Die Nutzung des E-Mail-Programms durch die Liste X diente der erleichterten Verbreitung ihrer grundsätzlich zulässigen Wahlwerbung. Zu diesem Zweck hat die Liste X das E-Mail-Programm in einem relativ geringen Umfang genutzt. Seit Januar 2003 wurden neun Zeitungen und eine Einladung zur Wahlparty über dieses Programm verbreitet. Also hat die Liste X das E-Mail-Programm in 17 Monaten insgesamt zehn Mal genutzt, davon vier Mal in den letzten drei Monaten vor der Wahl (drei Wahlzeitungen sowie die Einladung zur Wahlparty). Außerdem wurden mit der Versendung über das E-Mail-Programm längst nicht alle Mitarbeiter erreicht, da - wie die Antragstellerin zu 2. im Anhörungstermin vor dem Fachsenat vorgetragen hat - bei weitem nicht alle Mitarbeiter über einen Computer verfügen. Hinzu kommt - und das ist entscheidend -, dass die Zeitungen und die Einladung auch ohne die Nutzung des E-Mail-Programms zulässigerweise an die Bediensteten hätten verteilt werden können. Diese Gesichtspunkte, insbesondere aber der letzte, zeigen, dass sich die nach den dienststelleninternen Vorschriften untersagte Nutzung des E-Mail-Programms allenfalls geringfügig auf die durch § 21 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 LPVG NRW geschützte inhaltliche Wahlentscheidung der Wähler ausgewirkt haben kann. Denn die Wähler hätten von der Wahlwerbung der Liste X auch dann Kenntnis genommen, wenn diese nicht über das E-Mail-Programm verbreitet, sondern - wie vor der Einführung des dienststelleninternen Intranets üblich - an jeden einzelnen Wähler verteilt worden wäre. Insgesamt gesehen handelt es sich bei der unzulässigen Nutzung des E-Mail-Programms also um einen im Ergebnis relativ unerheblichen Verstoß. Die Duldung eines derart unerheblichen Verstoßes einer an der Wahl beteiligten Gruppierung durch die Beteiligte zu 2. verstößt nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden.

Zusätzlich haben die Antragsteller moniert, die Liste X habe die Beschäftigten unter Nutzung des E-Mail-Programms über den Wahlausgang informiert. Insofern scheidet eine sittenwidrige Wahlbeeinflussung aber schon deswegen aus, weil diese Information erst nach Abschluss der Wahl erfolgte.

Ein anderes Abwägungsergebnis ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beteiligte zu 2. die Nutzung des E-Mail-Programms durch ein Mitglied der Antragstellerin zu 1. (in einem Fall) sowie die Verteilung von Flugblättern durch dasselbe Mitglied (in zwei Fällen) beanstandet hat. Diese Beanstandungen betrafen Fälle, die mit der Nutzung des E-Mail-Programms durch die Liste X nicht vergleichbar sind. Bezüglich der beanstandeten Nutzung des E-Mail-Programms fehlt es sowohl an einem zeitlichen als auch an einem thematischen (Irak-Krieg) Bezug zum Wahlkampf. Die beiden anderen Fälle betrafen das Verkleben von Türen innerhalb der Dienststelle mit Flugblättern, die in erster Linie gewerkschaftlichen Zwecken (Einladung zur Mitgliederversammlung, Werbung neuer Mitglieder) dienten.

2. Die Liste X hat durch ihr Verhalten ebenfalls nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Einfluss auf die Wahl genommen. § 21 Abs. 1 Satz 1 LPVG NRW richtet sich nicht nur gegen die Dienststellenleitung und andere nicht an der Wahl beteiligte Gruppierungen bzw. Personen, sondern gegen jedermann, also auch gegen Gruppierungen bzw. Personen, die an der Wahl teilnehmen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.11.1969 - 7 P 2.69 -, BVerwGE 34, 177; OVG NRW, Beschluss vom 16.12.1968 - CL 5/68 -, ZBR 1969, 253; Cecior/ Vallendar/Lechtermann/Klein, a.a.O., § 21 Rn. 7.

Die Liste X hat zwar vor der Wahl entgegen dienstlichen Weisungen das E-Mail-Programm zur Verbreitung ihrer Zeitung sowie einer Einladung zur Wahlparty benutzt. Dadurch hat sie jedoch aus den vorstehend dargelegten Gründen (noch) keinen sittenwidrigen Einfluss auf die Wahl ausgeübt. Das vorstehend gefundene Abwägungsergebnis trifft in Bezug auf die durch die Liste X begangenen Verstöße in gleicher Weise zu.

3. Die Beobachtung der Wahl durch Dienststellenangehörige ist nicht vorschriftswidrig. Personalratswahlen sind dienststellenöffentlich. Zwar ergibt sich dies nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Jedoch gehört das Prinzip der Öffentlichkeit der Wahl zu den wichtigsten Sicherungen freier demokratischer Wahlen, da es eine effektive Kontrolle der ordnungsgemäßen Durchführung von Wahlen gewährleistet. Namentlich aufgrund der Tatsache, dass das nordrhein-westfälische Landespersonalvertretungsgesetz weder die einseitige Besetzung des Wahlvorstandes mit Mitgliedern einer Gewerkschaft - unter Ausschluss der in der Dienststelle vertretenen Konkurrenzgewerkschaften - noch die Kandidatur von Wahlvorstandsmitgliedern für die Personalvertretung verbietet, kommt dem Grundsatz der dienststellenbezogenen Öffentlichkeit der Wahlhandlung große Bedeutung zu. Dementsprechend ist die Wahl für jeden wahlberechtigten Bediensteten sowie Beauftragte der in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften öffentlich.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3.6.1980 - CB 12/79 -, RiA 1981, 178; Altvater u.a., BPersVG, 5. Aufl. 2004, § 16 WO Rn. 8; Schlatmann, a.a.O., § 16 WO Rn.14; Orth/Welkoborsky, LPVG NRW, 5. Aufl. 1993, § 15 WO Rn. 3.

Aus der Entscheidung des BVerwG vom 21.7.1980

- 6 P 13.80 -, PersV 1981, 501,

folgt nichts Gegenteiliges: Zwar hat das BVerwG in dieser Entscheidung die Verweisung von Wahlbeobachtern aus dem Wahllokal gebilligt, jedoch geschah dies in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall, um eine Kontrolle der Wähler bei der Stimmabgabe selbst zu verhindern. Im vorliegenden Fall lässt sich dem Wahlprotokoll indes nicht entnehmen, dass die Wahlbeobachter entsprechende Versuche unternommen oder gar versucht hätten, Wähler zu beeinflussen. Die Antragsteller haben im Laufe des vorliegenden Verfahrens ebenfalls keine entsprechenden Vorwürfe erhoben.

Der von den Antragstellern behauptete Verstoß der Zulassung von Wahlbeobachtern gegen den Grundsatz der geheimen Wahl ist nicht nachvollziehbar. Die Teilnahme an der Wahl lässt sich schon deswegen nicht geheim halten, weil im Wahllokal andere Personen (Wahlhelfer, Wähler) anwesend sind. Dass die Wahlbeobachter Einsicht in das durch den Grundsatz der geheimen Wahl geschützte Wahlverhalten des Einzelnen, d.h. die Stimmabgabe nehmen konnten, haben die Antragsteller - wie schon gesagt - weder selbst behauptet noch ergeben sich entsprechende Hinweise aus dem Wahlprotokoll.



Ende der Entscheidung

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