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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 30.09.2009
Aktenzeichen: 1 B 1412/09
Rechtsgebiete: LRiG, GG, AGG, Richtlinie 2000/78/EG


Vorschriften:

LRiG § 3 Abs. 1
LRiG § 3 Abs. 2 Satz 1
LRiG § 3 Abs. 2 Satz 2
GG Art. 3 Abs. 3 Satz 1
GG Art. 3 Abs. 1
AGG § 10 Satz 1
AGG § 10 Satz 2
Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a
Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 Art. 3 Abs. 1
Die Regelung in § 3 Abs. 2 Satz 2 LRiG in der seit dem 1.7.2009 geltenden Fassung, wonach Richter, die vor dem 1.1.1947 geboren sind, die Altersgrenze mit Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahres erreichen, ist wirksam; sie verstößt namentlich nicht gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 1 GG oder § 10 Sätze 1 und 2 AGG.
Gründe:

Die dem Senat am 30.9.2009 vorgelegte Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die Beschwerdegründe rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss abzuändern und - wie schon erstinstanzlich begehrt - den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller über den 30.9.2009 hinaus bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem zugehörigen Klageverfahren längstens bis zum 30.9.2011 als Richter am Xgericht zu beschäftigen.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist vielmehr ungeachtet aller weiteren Zweifelsfragen jedenfalls deshalb abzulehnen, weil der Antragsteller - wie schon das VG im Ergebnis zu Recht ausgeführt hat - keinen Anordnungsanspruch i. S. d. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft gemacht hat.

Der Antrag ist auf ein rechtlich nicht durchsetzbares Ziel gerichtet. Dem Antragsgegner ist es von Rechts wegen nicht möglich, den Antragsteller bis zum 30.9.2011 als Richter am Xgericht zu beschäftigen. Zwar ist gemäß § 3 des Richtergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29.3.1966 (GV. NRW. S. 217), zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung des Landesrichtergesetzes vom 9.6.2009 (GV. NRW. S. 341) - LRiG - für den Richter regelmäßig das vollendete siebenundsechzigste Lebensjahr die Altersgrenze (Abs. 1), mit der Folge, dass ein Richter auf Lebenszeit wie der Antragsteller mit dem Ende des Monats, in welchem er diese Altersgrenze erreicht, in den Ruhestand tritt (Abs. 2 Satz 1), ohne dass dieser Eintritt in den Ruhestand hinausgeschoben werden kann (Abs. 3). Diese Regelaltersgrenze gilt aber nicht für den Antragssteller, sondern nur für Richter, die am 1.1.1964 oder später geboren sind. Dies ergibt sich zum einen aus der - im Falle des Antragstellers einschlägigen - Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 LRiG, nach welcher Richter, die - wie der 1944 geborene Antragsteller - vor dem 1.1.1947 geboren sind, die Altersgrenze mit Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahres erreichen. Zum anderen folgt die abweichende Altersgrenze aus der die Geburtsjahrgänge 1947 bis 1963 erfassenden Staffelungsregelung des § 3 Abs. 2 Satz 3 LRiG, nach welcher sich die Altersgrenze jahrgangsabhängig zwischen 65 Jahren plus einem Monat und 66 Jahren plus 10 Monaten bewegt. An diese Regelungen ist der Antragsgegner gebunden. Er hat namentlich keine Handhabe, die gesetzliche Anordnung des Eintritts in den Ruhestand zu dem jeweiligen gesetzlich vorgesehenen Zeitpunkt zu ändern.

Diese Regelungen des § 3 LRiG sind auch wirksam. Insbesondere verstößt die hier in Rede stehende Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 2 Satz 2 LRiG, die die bis zum 30.6.2009 für sämtliche Richter geltende Regelaltersgrenze des § 3 Abs. 1 LRiG a. F. für die Geburtsjahrgänge vor 1947 beibehalten hat, nicht gegen höherrangiges Recht. Entgegen der Ansicht des Antragstellers war der Gesetzgeber namentlich nicht aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 GG) gezwungen, Richter der soeben angeführten Geburtsjahrgänge mit weiteren zwei Jahren Dienstleistungspflicht zu belasten. Er konnte vielmehr in Anknüpfung an die der Regelaltersgrenze des § 3 Abs. 1 LRiG a. F. zugrunde liegenden Erwägungen davon ausgehen, dass eine Verschonung dieses Personenkreises mit einer Verlängerung der Dienstleistungspflicht über das Ende des Monats der Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahres hinaus in Ansehung entsprechend seit Jahrzehnten bestehender (als schutzwürdig bewerteter) Erwartungen der Betroffenen dem durch Fürsorge und gegenseitige Rücksichtnahme geprägten Dienstverhältnis entspricht, und gleichgerichteten schutzwürdigen Erwartungen der Geburtsjahrgänge 1947 bis 1963 durch die in § 3 Abs. 2 Satz 3 LRiG normierte Staffelungsregelung zumindest in zunehmend abgeschwächter Form Rechnung tragen. Zudem beruht die in § 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 LRiG enthaltene Staffelung der Dienstzeitverlängerung ersichtlich auf dem Bestreben, die Folgen der von dem Gesetzgeber vor dem Hintergrund der weiter steigenden Lebenserwartung und sinkender Geburtszahlen grundsätzlich für notwendig erachteten Dienstzeitverlängerung abzufedern - vgl. insoweit die Gesetzesbegründung, LT-Drs. 14/8903, S. 5 -, und zwar auch zugunsten der parallel laufenden Möglichkeit, weiteres (junges) Personal einzustellen bzw. zu befördern. Den gleichen Zwecken dient damit aber auch die Bestimmung einer Altersgrenze durch die hier einschlägige Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 LRiG, nach der es generell bei der Regelaltersgrenze des § 3 Abs. 1 LRiG a. F. verbleibt. Die Differenzierung nach dem Alter ist im gegebenen Zusammenhang also durch Sachgründe gerechtfertigt, die das - grundsätzlich anzuerkennende - Bestreben des Antragstellers, weiterhin in seinem bisherigen Beruf tätig sein zu können, nicht unangemessen zurückstellen, sich insoweit ganz offensichtlich innerhalb des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums halten und damit zugleich den Anforderungen des § 10 Sätze 1 und 2 AGG genügen.

Der Antragsteller kann sich schon deswegen nicht mit Erfolg auf die mit der Beschwerde herangezogenen Regelungen der §§ 3 Abs. 1, 10 Sätze 1 und 2 sowie Satz 3 Nr. 5 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG - bzw. der Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a, Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. Nr. L 303 vom 2.12.2000, S. 16, in der Weise berufen, dass die Anwendung des § 3 Abs. 1 LRiG oder eine modifizierte Anwendung des § 3 Abs. 2 LRiG geboten wäre.

Es ist darüber hinaus schon vom Grundsatz her nicht ersichtlich, dass die zitierten Regelungen der Richtlinie (und die in Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht geschaffenen, oben zitierten und gesetzliche Regelaltersgrenzen für Beamte und Richter nicht einmal ansatzweise erwähnenden Vorschriften des AGG) einzelstaatliche Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand erfassen. Das ergibt sich mit aller Deutlichkeit aus der - bei der Auslegung maßgeblich einzubeziehenden - Begründungserwägung (14) der Richtlinie, nach der die Richtlinie die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand gerade nicht berührt. Begründungserwägungen in Befolgung von Art. 253 EGV stellen nicht etwa unbeachtliche Programmsätze dar, sondern sind wesentlicher Bestandteil der Richtlinie, geben für die Auslegung der in der Richtlinie getroffenen Regelungen entscheidende Hinweise und stehen insoweit gleichberechtigt neben Wortlaut, Systematik und dem teleologischen Gebot der praktischen Wirksamkeit.

Vgl. etwa Krajewski/Rösslein, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Band III, Stand: Juli 2009, Art. 253 Rn. 36 f., und Redeker/Karpenstein, Über Nutzen und Notwendigkeiten, Gesetze zu begründen, NJW 2001, 2825 ff. (2830), jeweils m. w. N.; vgl. insoweit auch das Urteil des EuGH vom 16.10.2007 - Rechtssache C 411/05 - (Félix Palacios de la Villa ./. Cortefiel Servicios SA), Abdruck Rn. 44, ZBR 2008, 31 ff. (32).

Unabhängig von dem Vorstehenden folgt aus den obigen Ausführungen zu Art. 3 GG zugleich, dass die von dem Antragsteller ins Feld geführten Regelungen des AGG und der Richtlinie sein Begehren auch inhaltlich nicht stützen könnten. Der Gesetzgeber war angesichts der unterschiedlichen Interessen entweder an einem Fortbestehen aller gleichgelagerten Statusverhältnisse oder an deren Beendigung - auch in Ansehung des Verbotes der Altersdiskriminierung - aufgerufen, aus der Gesamtheit der Interessen und Belange Schwerpunkte auszuwählen und zur Grundlage seiner Regelung zu machen. Dies macht den Kern des Gestaltungsauftrages aus, in dem der Gesetzgeber nicht deshalb in Richtung auf ein bestimmtes Ergebnis eingeengt war, weil die Bevorzugung der gewählten Interessen zwangsläufig zu einer Benachteiligung jener Interessen führen musste, die der Antragsteller geltend macht. Das Ergebnis der gesetzlichen Abwägung könnte nur dann fehlerhaft sein, wenn eine an strikte Grenzen stoßende Gestaltung gewählt worden wäre. Dafür aber spricht auch nach den Darlegungen des Antragstellers nichts. Ist demnach eine sachlich vertretbare Regelung geschaffen worden, so ist ohne Belang, dass der Gesetzgeber sich vertretbar anders hätte entscheiden können.

Ende der Entscheidung

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