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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 01.03.2006
Aktenzeichen: 1 B 1843/05
Rechtsgebiete: SG


Vorschriften:

SG § 55 Abs. 5
Erfolgloser Aussetzungsantrag eines nach § 55 Abs. 5 SG fristlos entlassenen Zeitsoldaten, der u.a. CDs der Musikgruppen "Landser" und "Neue Werte" mit menschenverachtendem und volksverhetzendem Inhalt für Dritte hörbar im privaten Bereich abgespielt hat.
Tatbestand:

Der Antragsteller war Zeitsoldat der Bundeswehr. Er wurde mit Verfügung der Antragsgegnerin (Bundesrepublik Deutschland) vom 17.5.2005 aus der Bundeswehr entlassen. Wesentlicher Entlassungsgrund war, dass der Antragsteller auf einer privaten Feier CDs von Musikgruppen mit menschenverachtendem und volksverhetzendem Inhalt für Dritte hörbar abgespielt hatte. Dem Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entlassungsverfügung wiederherzustellen, gab das VG statt. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin hatte Erfolg.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache Erfolg. (...)

Dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist nicht schon wegen etwaiger Mängel der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu entsprechen (1.). Weiter fällt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung auf der Grundlage einer Bewertung der Erfolgsaussichten der Hauptsache im Ergebnis zu Lasten des Antragstellers aus (2.). Schließlich ist hier selbst bei einer die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens aussparenden (allgemeinen) Interessen- und Folgenabwägung dem öffentlichen Vollziehungsinteresse der Vorrang vor dem privaten Aufschubinteresse des Antragstellers einzuräumen (3.).

1. Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ihrem Beschwerdebescheid den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechend begründet. Die insoweit vom Antragsteller bereits erstinstanzlich geäußerten und im Beschwerdeverfahren aufrecht erhaltenen Bedenken teilt der Senat nicht. Die in Rede stehende Begründung ist nicht inhaltsleer oder formelhaft, sondern erstreckt sich in angemessenem Umfang auf die wesentlichen Aspekte, die aus der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Sicht der Antragsgegnerin eine besondere Dringlichkeit der Angelegenheit stützen. Darauf, ob die angeführten Gründe in der Sache zutreffen, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Im Übrigen kann den Ausführungen zur allgemeinen Interessen- und Folgenabwägung (unten 3.) entnommen werden, dass ein besonderes Vollziehungsinteresse nicht nur formal ausreichend begründet worden ist, sondern auch tatsächlich besteht.

2. Die Entlassungsverfügung der Antragsgegnerin in der Gestalt des (ihre Begründung ergänzenden und vertiefenden) Beschwerdebescheides ist aller Voraussicht nach rechtmäßig; schon dies verleiht dem öffentlichen Vollziehungsinteresse ein besonderes, die Interessen des Antragstellers an der begehrten Aussetzung überwiegendes Gewicht. Eine "offensichtliche" Rechtswidrigkeit der Entlassungsverfügung und des Beschwerdebescheides, wie sie das VG seiner hiervon abweichenden Interessenabwägung zugrundegelegt hat, lässt sich nicht feststellen. Das gilt unbeschadet dessen, dass das VG lediglich eine "summarische Prüfung" der Rechtslage vorgenommen hat.

a) Gemäß § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift, welche der Entlassungsbehörde einen der gerichtlichen Überprüfung entzogenen Beurteilungsspielraum nicht eröffnen, vgl. BVerwG, Urteile vom 26.9.1963 - VIII C 123.63 -, BVerwGE 17, 5, und vom 31.1.1980 - 2 C 16.78 -, BVerwGE 59, 361, sind nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand erfüllt.

Die fristlose Entlassung des Antragstellers wurde unstreitig noch innerhalb der Vier-Jahres-Frist des § 55 Abs. 5 SG verfügt. Dass die - hier mit der Vier-Jahres-Frist zusammenfallende - reguläre Dienstzeit des Antragstellers wenige Monate nach dem Entlassungszeitpunkt endete, ist in diesem Zusammenhang bedeutungslos.

Davon, dass der Antragsteller durch das ihm in der Entlassungsverfügung angelastete Verhalten seine Dienstpflichten verletzt hat, geht auch das VG in dem angefochtenen Beschluss - zu Recht - aus. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die insoweit einschlägigen Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug. Lediglich bekräftigend ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, dass es entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht darauf ankommt, dass sich der Vorfall vom 4.3.2005 - das Abspielen zweier gebrannter CDs der Musikgruppen "Landser" und "Neue Werte" mit menschenverachtendem und volksverhetzendem Inhalt - im privaten Bereich, nämlich auf einer Geburtstagsfeier seines Bruders, zugetragen hat. Denn die Pflichtenstellung des Soldaten beschränkt sich nicht auf den dienstlichen Bereich. Dies gilt namentlich für die in § 17 Abs. 2 SG bestimmte Pflicht des Soldaten zur Achtungs- und Vertrauenswahrung; Satz 2 stellt insoweit ausdrücklich klar, dass sich diese Pflicht auch auf den außerdienstlichen Bereich erstreckt. Die Pflicht des Soldaten, die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anzuerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten (§ 8 SG), endet ebenfalls nicht "am Kasernentor". Die Pflichtwidrigkeit des angesprochenen Verhaltens entfällt schließlich auch nicht dadurch, dass Angehörige der Bundeswehr keine unmittelbare Kenntnis von dem Vorfall erlangt haben und die Texte der fraglichen CDs nur bruchstückhaft von Außenstehenden zu vernehmen gewesen sein mögen. Die vom Antragsteller vermisste "Bezugswirkung" zur Ordnung in der bzw. zum Ansehen der Bundeswehr hängt hiervon nicht ab. Im Übrigen steht auf der Grundlage der polizeilichen Ermittlungen fest, dass die Lautstärke, mit der die CDs abgespielt wurden, so erheblich war, dass Anwohner sich beschwert fühlten und deswegen die Polizei riefen. Außerdem waren jedenfalls einzelne Texte ("Nigger und Juden müssen alle getötet werden" und "Nicht alle Menschen sind gut und haben reines Blut") u.a. für eine türkische Nachbarin deutlich vernehmbar.

Ob es sich - etwa nach disziplinarrechtlichen Maßstäben - um einen "schweren" oder nur "leichten" Fall einer Dienstpflichtverletzung handelt und ob in dem jeweils zu beurteilenden Einzelfall ggf. verschärfende oder mildernde Umstände hinzutreten, ist im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal der Verletzung von Dienstpflichten in § 55 Abs. 5 SG ohne Belang.

Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 24.9.1992 - 2 C 17.91 -, BVerwGE 91, 62; OVG NRW, Beschluss vom 20.1.2005 - 1 B 2009/04 -, ZBR 2005, 350.

Der Antragsteller hat seine Dienstpflichten auch schuldhaft verletzt. Aufgrund vorangegangener Belehrung über die Treuepflicht zum Grundgesetz war ihm bewusst, dass er durch das Besitzen und Abspielen von CDs mit Liedgut, welches - wie er anhand der Cover der Hüllen erkannt hat - den Grundprinzipien des Grundgesetzes erkennbar widerspricht, gegen seine Pflicht zur Verfassungstreue verstößt. Auch wegen der weiteren ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen in Gestalt der Missachtung von Befehlen hat er schuldhaft, und zwar in der Schuldform des Vorsatzes, gehandelt.

Die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen für die seitens der Antragsgegnerin verfügte fristlose Entlassung liegen ebenfalls vor. Das weitere Verbleiben des Antragstellers in der Bundeswehr hätte nämlich aller Voraussicht nach sowohl die militärische Ordnung als auch das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährdet. Ob dies jeweils der Fall ist, haben die Verwaltungsgerichte in einer "objektiv nachträglichen Prognose" (selbst) nachzuvollziehen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 20.1.2005 - 1 B 2009/04 -, a.a.O., und vom 7.2.2006 - 1 B 1659/05 -, jeweils m.w.N.

Eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung ist regelmäßig zu bejahen, wenn die Einsatzbereitschaft der Soldaten erheblich vermindert und im Gefolge dessen die Verteidigungsbereitschaft der Truppe, d. h. der einzelnen betroffenen Einheit bzw. letztlich auch der Bundeswehr im Ganzen, in Frage gestellt wird. Die Beurteilung, ob eine ernstliche Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr vorliegt, hängt wesentlich von dem Bild ab, welches bezogen auf die Bundeswehr und ihre Soldaten durch das in Rede stehende Verhalten in der Öffentlichkeit entsteht. Dabei kommt namentlich dem Charakter der Bundeswehr als einer die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Verteidigung prägenden Institution - und infolgedessen gerade auch der Pflicht zur Verfassungstreue nach § 8 SG - eine hohe Bedeutung zu. Der Senat folgt in diesem Zusammenhang im Kern der Bewertung in den angefochtenen Bescheiden, namentlich in dem ausführlich begründeten Beschwerdebescheid vom 15.7.2005: Insbesondere bei dem Besitzen und Abspielen von als verfassungsfeindlich einzustufendem Liedgut durch einen Soldaten der Bundeswehr handelt es sich - unabhängig von der Einstellung des betreffenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Antragsteller nach § 153 a StPO - mit Blick auf die Ziel- und Schutzrichtung des § 55 Abs. 5 SG, künftigen Schaden von der Bundeswehr abzuwenden, nicht um eine "Bagatelle", sondern um ein Verhalten, welches von einer insoweit sensibilisierten Öffentlichkeit aufmerksam registriert und keinesfalls toleriert wird. Ein solches Verhalten ist demgemäß in besonderer Weise geeignet, zu einem erheblichen Ansehensverlust der Bundeswehr zu führen. Zugleich begründet es durchgreifende Zweifel an der Zuverlässigkeit des betroffenen Soldaten, dem Einsatzauftrag der Bundeswehr im Rahmen der bestehenden Verfassung hinreichend Rechnung zu tragen. Im Gefolge dessen können leicht Spannungen in den inneren Dienstbetrieb der Bundeswehr hineingetragen werden, welche sich negativ auf den Zusammenhalt innerhalb der Truppe, auf ein reibungsloses Zusammenspiel der Einsatzkräfte im Rahmen des Prinzips von Befehl und Gehorsam und damit letztlich auf die Einsatzfähigkeit im Ganzen auswirken. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Prognose gerechtfertigt ist, dass gerade von dem Antragsteller auch künftig weitere einschlägige Dienstpflichtverletzungen zu erwarten gewesen sind. Es bedarf deshalb auch keiner Klärung der Frage, ob dieser sich inzwischen - wie von ihm bei seiner Vernehmung angegeben - endgültig von der sog. Skinheadszene getrennt hatte. Worauf der Beschwerdebescheid ohne weiteres nachvollziehbar hinweist, handelt es sich nämlich bei rassistischen, rechtsextremen Aktivitäten von Soldaten um ein - von dem jeweiligen Einzelfall losgelöstes - allgemeines Problem, welches, um eine ansonsten drohende Festsetzung dieses Problems in den Streitkräften zu verhindern, schon im Anfangsstadium mit der gebotenen Härte bekämpft werden muss. Dies schließt es ein, bereits dem durch objektive Tatsachen - hier das Besitzen und Abspielen einschlägiger CDs - begründeten Anschein des Fortbestehens einer derartigen Gesinnung und inneren Einstellung wirksam entgegenzutreten. Dafür, dass hier eine ggf. zu vernachlässigende (einmalige) "Affekthandlung" vorgelegen hätte, vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 24.9.1992 - 2 C 17.91 -, a.a.O., liegen unbeschadet der Alkoholisierung des Antragstellers bei dem Vorfall am 4.3.2005 konkrete Anhaltspunkte nicht vor. An einer Vorbildwirkung hat es bei jenem Vorfall ebenfalls nicht grundlegend gefehlt; angesichts der Lautstärke des Abspielens waren die Liedtexte jedenfalls in der unmittelbaren Nachbarschaft deutlich vernehmbar. Schließlich durfte die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung über die Entlassung mitberücksichtigen, dass der Antragsteller auch im Übrigen - wie die ihm vorgehaltenen weiteren, bereits durch Verhängung einer einfachen Disziplinarmaßnahme (Disziplinarbuße) geahndeten Dienstpflichtverletzungen bestätigen - ein gestörtes Verhältnis zur Wahrung von Disziplin und Gehorsam in der Bundeswehr gezeigt hat. Dass die anderen Pflichtverletzungen jeweils für sich genommen schwerlich ausgereicht hätten, die streitige fristlose Entlassung maßgeblich zu tragen, ist hierfür bedeutungslos.

b) Beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG steht die Entscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der für die Entlassung zuständigen Behörde. Dieses Ermessen ist hier fehlerfrei ausgeübt worden.

Zwar wird das Wort "kann" im vorliegenden Zusammenhang - soweit ersichtlich - als (echte) Ermessenseinräumung und damit nicht nur als Verdeutlichung der Übertragung einer Kompetenz angesehen.

So zumindest im Ergebnis etwa BVerwG, Urteil vom 24.9.1992 - 2 C 17.91 -, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 26.8.1999 - 12 A 2849/96 -, IÖD 2000, 101, und Juris.

Gleichwohl handelt es sich hierbei nicht um die Einräumung eines "umfassenden" Ermessens dergestalt, dass die Entlassungsbehörde gewissermaßen - ähnlich wie in einem Disziplinarverfahren - alle für und gegen den Verbleib des Zeitsoldaten im Dienst sprechenden Gesichtspunkte im Rahmen einer Gesamtwürdigung zusammentragen, gewichten und gegeneinander abwägen müsste. Dem stünde nämlich die besondere Zielrichtung bzw. Zweckbestimmung der in Rede stehenden Vorschrift entgegen.

Alleiniger Zweck der fristlosen Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG ist es, eine - sich im Grunde bereits aus der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift ergebende - drohende Gefahr für die Bundeswehr abzuwenden. Die fristlose Entlassung soll künftigen Schaden verhindern und dient in diesem Zusammenhang ausschließlich dem Schutz der Bundeswehr. Demgegenüber handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme (bzw. eine vergleichbare Maßnahme). Sonach finden auf sie auch nicht die für Disziplinarmaßnahmen geltenden Grundsätze Anwendung und ist (auch im Übrigen) im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG kein Raum für Erwägungen darüber, ob die Sanktion der dienstlichen Verfehlung angemessen ist und ob der Soldat im Hinblick auf die Art und Schwere der Dienstpflichtverletzung noch tragbar oder untragbar ist. Die Frage der Angemessenheit des Eingriffs im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck ist hier in Gestalt einer Vorabbewertung durch den Gesetzgeber jedenfalls im Wesentlichen bereits durch die Vorschrift selbst - und zwar auf der Tatbestandsebene - konkretisiert worden. So setzt § 55 Abs. 5 SG mit der Begrenzung der Rechtsfolge auf Fälle einer "ernstlichen" Gefährdung einen besonderen Gefährdungsgrad voraus; außerdem grenzt er in zeitlicher Hinsicht die Entlassungsmöglichkeit auf die ersten vier Dienstjahre ein. Für zusätzliche Erwägungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist somit nach der Gesetzeskonzeption im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG (grundsätzlich) kein Raum.

Vgl. zum Ganzen: BVerwG, z. B. Urteile vom 31.1.1980 - 2 C 16.78 -, BVerwGE 59, 361, und vom 24.9.1992 - 2 C 17.91 -, a.a.O.

Dies zugrunde gelegt, ist das Ermessen der zuständigen Behörde, beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG vom Ausspruch der fristlosen Entlassung absehen zu können, trotz des Wortlauts "kann" (und nicht "soll") im Sinne einer sog. "intendierten Entscheidung" auf besondere (Ausnahme-)Fälle zu beschränken, vgl. insbesondere OVG NRW, Beschluss vom 20.1.2005 - 1 B 2009/04 -, a.a.O.; dazu auch OVG NRW, Urteil vom 26.8.1999 - 12 A 2849/96 -, a.a.O.; Bay. VGH, Urteil vom 25.7.2001 - 3 B 96.1876 -, Juris; VG Stade, Urteil vom 18.3.2004 - 3 A 1563/03 -, a.a.O., und zwar solche, die der Gesetzgeber in seine vorweggenommene Verhältnismäßigkeitsabwägung nicht schon einbezogen hat bzw. einbeziehen konnte, weil sie beispielsweise gerade den jeweils in Rede stehenden Fall völlig "atypisch" prägen. In Konsequenz dessen gibt es auch keine generelle Verpflichtung der Behörde, in jedem einzelnen Falle im Rahmen der Begründung der Entlassungsverfügung bzw. des Beschwerdebescheides (zusätzliche) Ermessenserwägungen ausdrücklich anzustellen.

Ebenso OVG NRW, Beschlüsse vom 6.11.1996 - 12 B 1525/96 - und vom 14.11.1996 - 12 B 1647/96 -.

Es reicht vielmehr aus, dass sich die Behörde den Umständen nach des in atypischen Fällen gesetzlich eingeräumten Ermessens bewusst gewesen ist und sie etwa bestehende Besonderheiten (im obigen Sinne) - an denen es hier im Übrigen fehlt - zutreffend geprüft und verneint hat. Insoweit vermag der Senat indes keine durchgreifenden (erheblichen) Mängel der in Rede stehenden Bescheide zu erkennen. Solche werden insbesondere auch vom VG in dem angefochtenen Beschluss nicht aufgezeigt.

Das VG hat demgegenüber bemängelt, dass der Ermessensausübung ein Sachverhalt zugrunde gelegt worden sei, der wegen §§ 63 Abs. 4, 51 Abs. 1 BZRG nicht mehr hätte berücksichtigt werden dürfen. Dies wird indes der dargelegten Normstruktur des § 55 Abs. 5 SG nicht gerecht. Die danach geforderte rechtliche Bewertung hat zwischen den für die Entlassung angeführten Gründen auf der Tatbestandsseite der Norm und dem nur noch für Ausnahmefälle eröffneten Ermessen zu unterscheiden. Hinsichtlich der vom VG beanstandeten Berücksichtigung einer Vorverurteilung des Antragstellers gilt unter Beachtung dessen im Einzelnen folgendes:

Die Begründung der Entlassungsverfügung vom 17.5.2005 lässt an keiner Stelle hervortreten, dass die Verurteilung des Antragstellers wegen Volksverhetzung bzw. die ihr zugrunde liegende Tat für die Entscheidung der Antragsgegnerin, den Antragsteller nach § 55 Abs. 5 SG zu entlassen, irgendeine Bedeutung gehabt hat.

Bei dem Vorlagebericht des Kommandeurs Heerestruppenkommando vom 11.7.2005 betreffend die Nichtabhilfe der Beschwerde handelt es sich um ein rein verwaltungsinternes Schreiben, dem im Außenverhältnis keine maßgebliche Bedeutung zukommt. Auf den Text dieses Schreibens kann es daher jedenfalls dann nicht ankommen, wenn - wie hier - bereits der Inhalt der Bescheide selbst in Verbindung mit dem gerichtlichen Vorbringen der Antragsgegnerin hinreichenden Aufschluss über das tatsächlich Gewollte gibt.

Im Rahmen der Begründung des Beschwerdebescheides vom 15.7.2005 ist zwar folgende Formulierung enthalten:

"Außerdem besteht bei Ihnen aufgrund der Tatsache, dass Sie bereits wegen Volksverhetzung verurteilt wurden, die begründete Befürchtung, Sie werden weitere Dienstpflichtverletzungen begehen. ..."

Diese Formulierung führt indes nicht auf einen Ermessensfehler. Sie ist als einzelne Textpassage nicht isoliert zu verstehen. Sie ist vielmehr im Gesamtzusammenhang der Begründung der Beschwerdeentscheidung zu würdigen. Danach ist vor allem zu bedenken, dass sie sich in einem Absatz befindet, welcher sich ausdrücklich damit befasst, ob der Antragsteller das Tatbestandsmerkmal der ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung erfüllt. Der besagte Satz bezeichnet insofern einen Teilaspekt jener Rechtsprüfung, welcher selbstständig ("außerdem") neben anderen in dem fraglichen Zusammenhang noch erwähnten Begründungsbestandteilen steht. Es geht folglich nicht um Fragen der Rechtsfolgenebene (Ermessen), sondern um solche des Tatbestands der Norm. Das steht in Einklang mit den obigen Ausführungen des Senats, denen zufolge die Verhältnismäßigkeitsprüfung weitestgehend durch die Subsumtion unter das hier in Rede stehende Tatbestandsmerkmal der ernstlichen Gefährdung vorweggenommen und für (weitere) Ermessenserwägungen nur ganz beschränkt Raum ist. Ob eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung oder des Ansehens der Bundeswehr besteht, unterliegt dabei der vollen Überprüfung durch die Gerichte. Wenn in den Bescheiden in diesem Zusammenhang auf (zusätzliche) Aspekte mit abgestellt wird, welche die Entscheidung ggf. nicht zu tragen vermögen, so bleibt dies im Ergebnis folgenlos, wenn - wie hier - das Tatbestandsmerkmal schon aus anderen Gründen erfüllt ist. Der auf diese Weise ausgeschiedene Aspekt wird hierdurch auch nicht zum Bestandteil von Erwägungen auf der Ermessensebene; er behält vielmehr die Zuordnung bei, die ihm die Behörde gegeben hat.

Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdebegründung vom 18.10.2005 keinen Zweifel daran gelassen hat, dass die strafrechtliche Verurteilung des Antragstellers wegen Volksverhetzung weder für die Bejahung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG noch überhaupt für die Frage, ob in diesem konkreten Fall eine Entlassung ausgesprochen werden soll, rechtserheblich gewesen ist. Zugleich hat sie klargestellt, dass hier ein "atypischer Fall" nicht vorliege und es dementsprechend einer Verhältnismäßigkeitsprüfung und -abwägung jenseits des Tatbestandsmerkmals der "ernstlichen" Gefährdung gar nicht bedurft habe.

3. Die weitere, unabhängig von den Erfolgsaussichten der Hauptsache vorzunehmende allgemeine Interessen- und Folgenabwägung fällt ebenfalls zum Nachteil des Antragstellers aus. Das öffentliche, von der Antragsgegnerin vertretene Interesse, den Antragsteller möglichst ohne Aufschub aus dem Soldatenverhältnis zu entfernen, überwiegt deutlich die privaten Interessen des Antragstellers daran, vorläufig so gestellt zu bleiben, als habe sein aktives Soldatenverhältnis auf Zeit nicht durch eine fristlose Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG geendet.

Der Senat anerkennt in Fällen fristloser Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG grundsätzlich ein erhebliches öffentliches Interesse daran, (begründet) befürchteten Auswirkungen auf die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr möglichst umgehend entgegenzutreten.

Vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 7.2.2006 - 1 B 1659/05 -.

Dies gilt zumal dann, wenn - wie hier - angesichts eines kurz bevorstehenden Endes der Dienstzeit im Zeitpunkt des Ausspruchs der Entlassung ein (regelmäßig länger dauerndes) Hauptsacheverfahren nur sehr begrenzt bewirken kann, dass effektiv und sofort sichtbar ein Zeichen in die Richtung gesetzt wird, etwaige Nachahmungstäter abzuschrecken und hierdurch festgestellte negative Entwicklungen in Bezug auf das Verhalten der Bundeswehrsoldaten zu stoppen oder wenigstens zu begrenzen. Namentlich bei Verstößen gegen die Pflicht zur Verfassungstreue wäre es äußerst schädlich, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entstünde, die Bundeswehr würde sich bei der Lösung von den betroffenen Soldaten zögerlich verhalten.

Demgegenüber wiegen die Folgen einer sofortigen Vollziehung der Entlassungsverfügung für den Antragsteller deutlich geringer. Insbesondere drohen ihm keine endgültigen finanziellen Nachteile, wenn sich im Hauptsacheverfahren herausstellen sollte, dass die Entlassung rechtswidrig verfügt wurde. Dazu, dass er bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens vorläufig in eine außergewöhnliche, existenziell bedrohliche wirtschaftliche Lage geraten würde, hat der Antragsteller Ausreichendes nicht dargetan. Der Zwang, sich schon vor dem Ende der regulären Dienstzeit beruflich neu orientieren zu müssen und dabei zugleich das Risiko zu tragen, ggf. nicht sofort eine (dauerhafte) Beschäftigung zu erlangen, vermag jedenfalls hier das Gewicht der gegenüberstehenden öffentlichen Interessen bei weitem nicht zu erreichen. Die Entlassung erfolgte nämlich gerade einmal ca. 3 1/2 Monate vor dem regulären Dienstzeitende. Schließlich kann bei der Bewertung des Gewichts der privaten Interessen des Antragstellers auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Entlassung hier entscheidend auf einem bewussten und in seinen persönlichen Verantwortungsbereich fallenden Verhalten beruht, über dessen mögliche Konsequenzen er sich - u.a. mit Blick auf die erteilte Belehrung über die Pflicht zur Verfassungstreue - hätte im Klaren sein müssen.

Ende der Entscheidung

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