Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 10.07.2006
Aktenzeichen: 1 B 523/06
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 33 Abs. 2
Zum notwendigen Begründungsumfang von Beurteilungen bei einem Quervergleich im einstufigen Beurteilungsverfahren. (Im Anschluss an OVG NRW, Urteil vom 11.2.2004 - 1 A 2138/01 -, und Beschlüsse vom 25.5.2004 - 1 A 1732/03 - sowie vom 5.5.2006 - 1 B 41/06 -).
Tatbestand:

Der Antragsteller erstrebt einstweiligen Rechtsschutz dagegen, dass die Antragsgegnerin die im Ministerium (M) möglichen Übertragungen des Amtes eines Amtsinspektors bzw. einer Amtsinspektorin mit Amtszulage an die Beigeladenen beabsichtigte, er hingegen hierbei unberücksichtigt bleiben sollte. Das VG lehnte seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Mit seiner Beschwerde machte der Antragsteller geltend, seine der Auswahlentscheidung zugrunde liegende Beurteilung sei fehlerhaft, das Beurteilungsergebnis läge bei richtiger tatsächlicher Würdigung über den erreichten 47 Punkten zumindest im Notenbereich "sehr gut im mittleren Bereich". Die von dem Antragsteller angefochtene dienstliche Beurteilung wurde aufgrund der "Richtlinien über die Beurteilung der Beamtinnen und Beamten im M" (Beurteilungsrichtlinien -BRL-), erstellt. Danach werden die Beamten des mittleren Dienstes, die - wie der Antragsteller - das höchste Amt ihrer Laufbahn (A 9 BBesO) erreicht haben, nicht mehr regelmäßig, sondern nur noch aus besonderem Anlass, wie insbesondere bei Beförderungen bzw. Auswahlverfahren, beurteilt. Für die Anlassbeurteilung gelten die Bestimmungen für das allgemeine Beurteilungsverfahren, denen zufolge neben dem Abteilungsleiter als Beurteiler der Referatsleiter als Berichterstatter und der Leiter der Projekteinheit als Mitbeurteiler am Beurteilungsverfahren mitwirken. Das Gesamturteil wird vom Beurteiler nach Erörterung in einer Abteilungsleiterbesprechung unter Vorsitz des Staatssekretärs bzw. des von ihm bestimmten Vertreters festgesetzt. Ausscheidende Berichterstatter haben Beurteilungsbeiträge für alle Beamten zu erstellen, die im laufenden Beurteilungszeitraum mindestens sechs Monate in ihrem Bereich eingesetzt waren. Dieser Beurteilungsbeitrag ist bei der nächsten Beurteilung angemessen zu berücksichtigen. Die Beschwerde hatte Erfolg.

Gründe:

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, denn sowohl das Beschwerdevorbringen als auch sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren und in der Antragsbegründung machen glaubhaft, dass die Entscheidung der Antragsgegnerin, die beiden noch unbesetzten Planstellen der Besoldungsgruppe A 9 BBesO mit Zulage unter Nichtberücksichtigung des Antragstellers mit den Beigeladenen zu besetzen, mit einem für das Auswahlergebnis kausalen Rechtsfehler behaftet ist und die Möglichkeit besteht, dass die noch zu treffende rechtmäßige Auswahlentscheidung zur - beförderungsgleichen - Übertragung des Amtes an den Antragsteller führen kann.

Fehler im Beurteilungsverfahren können auf den Bewerbungsverfahrensanspruch eines im Auswahlverfahren über ein Beförderungsamt oder einen Beförderungsdienstposten unberücksichtigt gebliebenen Bewerbers nur dann zu dessen Gunsten durchschlagen, wenn sie ihrer Art nach die Annahme stützen, dass der Auswahlentscheidung - und zwar gerade den in Rede stehenden Bewerber betreffend - eine hinreichende Orientierung an den materiellen Kriterien der Bestenauslese ( Art. 33 Abs 2 GG) fehlt.

Vgl. etwa OVG NRW Beschlüsse vom 8.7.2003 - 1 B 349/03 -, JURIS; vom 10.2.2005 - 1 B 2403/04 - und vom 3.3.2005 - 1 B 2128/04 -.

Dementsprechende Fehler hat der Antragsteller in der Beschwerdebegründung -ausgehend von den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen über die nur eingeschränkte gerichtliche Nachprüfbarkeit dienstlicher Beurteilungen - nachvollziehbar aufgezeigt und es erscheint auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass er nach Beseitigung der Beurteilungsmängel den Vorzug vor den Beigeladenen erhalten könnte. Das rechtfertigt den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zur Sicherung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs in Bezug auf beide Beigeladenen und die beiden noch möglichen Übertragungen des Amtes eines Amtsinspektors bzw. einer Amtsinspektorin mit Amtszulage. Anders könnte nicht sichergestellt werden, dass der Antragsteller - wie es das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG fordert - in einem neuen Auswahlverfahren gerade den Mitbewerbern vorgezogen wird, die sich - gemessen an einwandfreien Kriterien - ihm gegenüber als nachrangig erweisen.

Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 24.8.2005 - 1 B 1402/05 - betreffend die Freihaltung von 10 Stellen im Wege der Zwischenregelung.

Die von dem Antragsteller angefochtene Beurteilung stellt sich nicht als verfahrensfehlerhaft dar. [Wird ausgeführt.]

Die dienstliche Beurteilung ist auch nicht deshalb mit einem Verfahrensfehler behaftet, weil der Beurteilungsbeitrag inzwischen vernichtet worden ist. Er stellt - ebenso wie der Beurteilungsentwurf des Berichterstatters - lediglich eine (interne) Entscheidungshilfe für den - wie noch darzulegen ist - allein zuständigen Beurteiler dar. Die Aufbewahrung dieser Beiträge ist in den über Art. 3 Abs. 1 GG außenwirksamen Beurteilungsrichtlinien nicht vorgesehen. Dies verletzt auch im Übrigen keine Rechtsvorschriften.

Die Beurteilung leidet jedoch an dem Mangel der fehlenden Nachvollziehbarkeit ihrer Begründung.

Dieser Mangel ergibt sich allerdings nicht schon allein daraus, dass der Beurteiler sowohl von dem Notenvorschlag des Beurteilungsbeitrags als auch von dem Beurteilungsentwurf des Berichterstatters zu Lasten des Antragstellers abgewichen ist. Nach der Ausgestaltung des anzuwendenden Beurteilungssystems sind weder der Berichterstatter noch der (etwaige) Mitbeurteiler in der Weise selbst "Beurteiler", dass sie eigenständig für das festgesetzte Gesamturteil Verantwortung tragen. Das geht hier eindeutig aus der Beurteilungsrichtlinie hervor, welche die entsprechende Kompetenz - nach Erörterung in der Abteilungsleiterkonferenz - allein dem Fachabteilungsleiter als zuständigem "Beurteiler" zuweist. Anders als in einem (echten) zweistufigen Beurteilungsverfahren obliegt in Fällen dieser Art die Festlegung des Gesamturteils allein dem bestimmungsgemäß tätig werdenden Beurteiler. Der Berichterstatter ist an dessen Urteil gebunden und trifft insoweit keine eigene Beurteilung; er wird nach dem Inhalt der Beurteilungsrichtlinie lediglich wie ein Gehilfe des Beurteilers tätig und hat vielmehr die Entscheidung des Beurteilers (schlüssig) "umzusetzen", gerade auch, was die Beurteilung der Einzelmerkmale angeht.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.6.2003 - 1 A 482/01 -, IÖD 2003, 269 = BWV 2004, 10, und zu den hier streitentscheidenden Beurteilungsrichtlinien Beschluss vom 3.3.2005 - 1 B 2128/04 -.

Der Beurteiler ist deshalb weder an den Beurteilungsvorschlag des Berichterstatters noch an Beurteilungsbeiträge ausgeschiedener Referatsleiter in der Weise gebunden, dass er sie "fortschreibend" in die Beurteilung übernehmen müsste.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.2.2004 - 2 B 41.03 -, Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 24, Urteil vom 5.11.1998 - 2 A 3.97 -, BVerwGE 107, 360.

Der Beurteiler hat die Einschätzungen, die ihm die Berichterstatter in dem Beurteilungsentwurf oder in Beurteilungsbeiträgen über Eignung und Leistung des zu Beurteilenden in einzelnen Teilzeiträumen des Beurteilungszeitraumes vermitteln, zu würdigen und sie insbesondere in Beziehung zu dem von ihm selbst aufgrund eigener Anschauung gewonnenen Bild und zu den Erkenntnissen zu setzen, die er in der nach Ziff. 5.1.4.1. BRL abteilungsweise durchzuführenden Beurteilerbesprechung und der Abteilungsleiterbesprechung nach Ziff. 5.1.5 BRL gewonnen hat.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.8.2001 - 6 A 3374/00 -; Schütz, BeamtR ES/D I 2 Nr 59.

Er kann bei dieser Würdigung - insbesondere unter Berücksichtigung der Leistungen anderer Beamter der Vergleichsgruppe im Rahmen eines sogenannten Quervergleichs - von diesen Vorschlägen abweichen. Aufgrund der Ausgestaltung des Beurteilungssystems ist nach der Abteilungsleiterbesprechung gerade dem Abteilungsleiter als Beurteiler und nicht dem Referatsleiter als Berichterstatter ein vergleichender Überblick über die Tätigkeiten und Leistungen der Beamten der Vergleichsgruppe - nicht nur in seiner eigenen, sondern auch in den anderen Abteilungen - möglich.

Die Frage, welchen Inhalt der von dem seinerzeitigen Referatsleiter erstellte Beurteilungsbeitrag gehabt hat, ist daher nur insoweit von Bedeutung, als die Leistungsbewertung des Beurteilers auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage beruhen könnte, wenn er ohne nachvollziehbare sachliche Gründe von einem anderen Leistungsstand des Antragstellers ausgegangen ist. Eine derartige "Abweichung" des Beurteilers von den Vorschlägen bzw. Beurteilungsbeiträgen bedarf in der Regel keiner besonderen Begründung. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass sich Umfang und Intensität einer Begründung im Beurteilungsverfahren daran auszurichten haben, was angesichts des vorgesehenen Beurteilungsverfahrens überhaupt möglich und zulässig ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13.12.1999 - 6 A 3593/98 -, DÖD 2000, 266.

In dem von der Antragsgegnerin geschaffenen Beurteilungssystem sind besondere Begründungspflichten, insbesondere für die Abweichung von dem Berichterstattervorschlag, nicht vorgesehen. Dies entbindet den Beurteiler jedoch nicht davon, seine Beurteilung gegebenenfalls im weiteren (Gerichts)Verfahren - auf substantiierte Einwände des Betroffenen hin - den in der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen entsprechend zu plausibilisieren.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.2.2004 - 1 A 2138/01 -; m.w.N., Schütz, BeamtR, ES/D I 2 Nr. 68.

Der Umfang der im Einzelfall gebotenen (nachgeschobenen) Begründung ist dabei von dem Umfang und der Substanz der gegen die Beurteilung erhobenen Einwendungen abhängig. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass das Werturteil des Beurteilers keine formelhafte Behauptung bleibt, sondern dass es für den Beamten einsichtig und für außenstehende Dritte nachvollziehbar wird, dass der Beamte die Gründe und Argumente des Dienstherrn erfährt und für ihn der Weg, der zu dem Urteil geführt hat, sichtbar wird,

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.6.1980 - 2 C 8.78 -, BVerwGE 60, 245, Beschluss vom 17.3.1993 - 2 B 25.93 -, DÖD 1993, 179 = ZBR 1993, 245, und Urteil vom 11.11.1999 - 2 A 6.98 -, DÖD 2000, 108 = ZBR 2000, 269.

Die hier von der Antragsgegnerin im Widerspruchsverfahren und im Rahmen des anhängigen Verfahrens abgegebene Begründung, die Endnote beruhe auf dem Quervergleich in der Vergleichsgruppe und der Beurteilungsmaßstab sei für alle Mitarbeiter des M gleich, genügt diesen Anforderungen nicht. Der Antragsteller hat bereits mit seinem Widerspruch geltend gemacht, im Vergleich zu den besser beurteilten Beamten seiner Vergleichsgruppe nicht sachgerecht beurteilt zu sein. In der Antragsbegründung hat er diesen Vortrag dahingehend konkretisiert, dass er die Einhaltung eines gleichmäßigen Beurteilungsmaßstabs über die Abteilungen hinweg unter Angabe von Tätigkeitsbeispielen substantiiert angezweifelt hat. Darüber hinaus hat er substantiiert dargelegt, dass sowohl der nunmehr zuständige als auch der ausgeschiedene Berichterstatter ihm im Rahmen des Beurteilungsgesprächs bzw. anlässlich anderer Gespräche eindeutig zu verstehen gegeben hätten, dass sie eine - hinsichtlich des Beurteilungsbeitrags sogar um 9 Punkte - höhere Gesamtnote vorschlagen würden. Diesen Vortrag hat er auch im Beschwerdeverfahren aufrecht erhalten. Ihm ist die Antragsgegnerin nicht substantiiert entgegengetreten. Als solcher bietet er deswegen jedoch hinreichenden Anlass, die Beurteilung nachträglich über die hier gegebene pauschale Begründung hinaus nachvollziehbar zu begründen. Die inhaltlichen Anforderungen an diese Plausibilisierung müssen sich dabei - jedenfalls im Ausgangspunkt - an den Gründen orientieren, die den Beurteiler zu einer abweichenden Beurteilung veranlasst haben. Liegt der maßgebliche Grund in der Bewertung des individuellen Leistungs- und Befähigungsprofils des Beamten, so müssen die entsprechenden Wertungen durch Angabe von Tatsachen oder zumindest von weiteren (Teil-) Werturteilen plausibel gemacht werden, die sich auf die individuellen Besonderheiten des Einzelfalles beziehen. Erfolgt die Bewertung indes aus einzelfallübergreifenden Erwägungen, wie es hier geschehen ist, so muss die Plausibilisierung mit Blick auf diesen Aspekt, z.B. durch die Angabe der maßstabbildenden Kriterien, erfolgen.

Zu den Anforderungen an die Plausibilisierung dienstlicher Beurteilungen (auch im hier nicht einschlägigen "zweistufigen" Beurteilungsverfahren) vgl. OVG NRW Beschluss vom 5.5.2006 - 1 B 41/06 -, m.w.N., JURIS.

Das oben dargestellte, aus den konkreten Einwendungen des Antragstellers folgende Begründungserfordernis, ist für die - aufgrund des dem Dienstherrn einzuräumenden Beurteilungsspielraums inhaltlich beschränkte - gerichtliche Überprüfung der Beurteilung unerlässlich.

Der gravierende Begründungsmangel der dem Auswahlverfahren zugrunde gelegten dienstlichen Beurteilung führt dazu, dass der Auswahlentscheidung - und zwar gerade auch den Antragsteller betreffend - eine hinreichende Orientierung an den materiellen Kriterien der Bestenauslese fehlt. Dieser Mangel des Beurteilungsverfahrens schlägt zugleich im Sinne einer möglichen Fehlerkausalität auf den Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers durch. Zwar ist bei einem Qualifikationsvergleich hier ein im Wege zulässiger Binnendifferenzierung beachtlicher Unterschied im Gesamturteil der jeweils herangezogenen aktuellen Beurteilungen zu verzeichnen [wird ausgeführt]. Dennoch ist nach der in diesem Verfahren gebotenen eingehenden rechtlichen und tatsächlichen Prüfung des Bewerbungsverfahrensanspruchs im Umfang des Beschwerdevorbringens nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Antragsteller nach der Beseitigung des Beurteilungsmangels auszuwählen ist.

Ende der Entscheidung

Zurück