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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 06.11.2008
Aktenzeichen: 10 A 1512/07
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 6 Nr. 11
BauGB § 9 Abs. 2a
BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 3
BauNVO § 11 Abs. 3
Bei der Anwendung des § 34 Abs. 3 BauGB kommt einem vom Rat der Gemeinde beschlossenen Einzelhandelskonzept als informelle Planung keine bindende Rechtswirkung zu.

Die räumliche Abgrenzung eines zentralen Versorgungsbereiches unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle und richtet sich nach den tatsächlich vorhandenen örtlichen Gegebenheiten.


Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Vorbescheides für die Erweiterung eines Lebensmittelmarktes. Das Baugrundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Im Nahversorgungs- und Zentrenkonzept der Stadt ist das benachbarte Stadtbezirkszentrum als zentraler Versorgungsbereich darstellt und das Grundstück der Klägerin als Teil eines nicht-zentralen Standorts. Der Antrag der Klägerin wurde vom Beklagten mit der Begründung abgelehnt, das Vorhaben lasse schädliche Auswirkungen auf den zentralen Versorgungsbereich erwarten.

Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage wies das VG ab. Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg.

Gründe:

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung des begehrten bauplanungsrechtlichen Vorbescheides für die Erweiterung des Lebensmittelmarktes (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dem Vorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegen, § 71 Abs. 2 i. V. m. § 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW.

Die beantragte Erweiterung des Lebensmittelmarktes ist baugenehmigungspflichtig. Nach § 63 Abs. 1 BauO NRW bedürfen u.a. die Errichtung, die Änderung, die Nutzungsänderung und der Abbruch baulicher Anlagen der Baugenehmigung, soweit in der Bauordnung nichts anderes bestimmt ist. Die im Gesetz nicht geregelte Erweiterung einer baulichen Anlagen ist einer der Vorhabenskategorien zuzuordnen.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Loseblattkommentar, Stand: 1.7.2008, § 63 Rn. 68.

Bei der von der Klägerin zur Genehmigung gestellten Erweiterung handelt es sich um ein Vorhaben im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB, das eine Änderung zum Inhalt hat, für die die §§ 30 bis 37 BauGB gelten. Durch die geplante Erweiterung wird in den vorhandenen Baubestand eingegriffen, der verändert wird und in der neuen Gesamtanlage aufgeht. Eine isolierte Betrachtung ist daher nicht möglich. Bei der Änderung einer baulichen Anlage muss das Gesamtvorhaben in seiner durch die Erweiterung geänderten Gestalt geprüft werden; das vom Bauherrn angestrebte Ergebnis der Baumaßnahme muss den zu prüfenden bauplanungsrechtlichen Vorschriften entsprechen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.11.2005 - 4 C 72.05 -, BRS 69 Nr. 77; Urteil vom 17.6.1993 - 4 C 17.91 -, BRS 55 Nr. 72.

Das Grundstück der Klägerin liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans aber innerhalb eines Bebauungszusammenhangs, so dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 29 Abs. 1 i. V. m. § 34 BauGB richtet. Das Vorhaben erfüllt die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 BauGB (1.). Ihm steht § 34 Abs. 3 BauGB nicht entgegen (2.).

1. Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach dieser Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre, § 34 Abs. 2 BauGB.

Die nähere Umgebung wird dadurch ermittelt, dass sowohl in Richtung vom Vorhaben auf die Umgebung als auch in Richtung von der Umgebung auf das Vorhaben geprüft wird, wie weit die jeweiligen Auswirkungen reichen. Zu berücksichtigen ist die Umgebung einmal insoweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und zweitens insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.5.1978 - 4 C 9.77 -, BRS 33 Nr. 36.

Die nähere Umgebung des Vorhabens weist hier hinsichtlich der Nutzungsstrukturen einen diffusen Charakter auf. Nach dem vorliegenden Luftbild- und Kartenmaterial sowie dem Ergebnis der Ortsbesichtigung, das der Berichterstatter dem Senat vermittelt hat, ist auf den Bereich südlich der XB.- Straße und östlich der C.- Straße abzustellen. Dieses Gebiet wird zum einen durch das umgebaute ehemalige Verwaltungsgebäude mit zahlreichen Wohnungen in den oberen Geschossen sowie freiberuflichen und gewerblichen Nutzungen im Erdgeschoss, zum anderen durch einen Gastronomiebetrieb, den vorhandenen großflächigen Lebensmittel- und Getränkemarkt sowie einen Lebensmitteldiscountmarkt und eine Veranstaltungshalle geprägt.

Die Eigenart der näheren Umgebung entspricht damit keinem der in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebiete. Einer Einstufung als Gewerbe- oder Industriegebiet (§ 8 bzw. 9 BauNVO) steht der hohe Anteil an Wohnnutzung entgegen. Eine Einordnung als Mischgebiet (§ 6 BauNVO) kommt wegen der überwiegenden gewerblichen Nutzungen nicht in Betracht. Angesichts der Vielzahl der unterschiedlichen Nutzungen kann auch nicht von einem faktischen Sondergebiet für großflächige Einzelhandelsbetriebe (§ 11 Abs. 3 BauNVO) ausgegangen werden.

Die allgemeine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich daher seiner Art nach nicht nach § 34 Abs. 2 BauGB, sondern nach § 34 Abs. 1 BauGB.

Das Vorhaben der Klägerin fügt sich als großflächiger Einzelhandelsbetrieb nach § 34 Abs. 1 BauGB ein, da es sich innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält. Bei der Prüfung ist hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung bei der Ermittlung des Rahmens grundsätzlich auf die Nutzungstypen abzustellen, die die Baunutzungsverordnung umschreibt. Sind in der näheren Umgebung bestimmte, den Begriffsbestimmungen der Baunutzungsverordnung entsprechende Nutzungsarten vorhanden, so hält ein Vorhaben, das die Merkmale einer solchen Nutzungsart aufweist, ohne weiteres den Rahmen ein.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.4.1987 - 4 C 41.84 -, BRS 47 Nr. 63.

Dies ist hier der Fall. Das Vorhaben der Klägerin findet sein Vorbild in dem auf dem Grundstück bereits vorhandenen Lebensmittelmarkt, der mit einer Verkaufsfläche von 958 m² großflächig ist. Der Markt kann nicht als ein die Eigenart nicht prägender Fremdkörper außer Betracht bleiben, da er als zentrale Anlage das Gebiet maßgeblich beeinflusst. Zudem ist mit dem B.-Markt auf dem Nachbargrundstück ein weiterer größerer Einzelhandelsbetrieb vorhanden.

Vgl. zum Fremdkörper BVerwG, Urteil vom 15.2.1990 - 4 C 23.86 -, BRS 50 Nr. 75.

Für die Frage, ob sich ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, kommt es nicht auf die in § 11 Abs. 3 BauNVO umschriebenen etwaigen negativen städtebaulichen Auswirkungen an. Die in § 11 Abs. 3 BauNVO bezeichneten Fernwirkungen gehören nicht zu den nach dieser Vorschrift maßgeblichen Tatbestandsmerkmalen. § 34 Abs. 1 BauGB stellt beim Einfügenserfordernis allein auf Nutzungsart, Nutzungsmaß, Bauweise und Grundstücksüberbauung ab.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.4.2000 - 4 B 25.00 -, BRS 63 Nr. 103; Urteile vom 11.2.1993 - 4 C 15.92 -, BRS 55 Nr. 174, und vom 22.5.1987 - 4 C 6 und 7.85 -, BRS 47 Nr. 67; OVG NRW, Urteil vom 11.12.2006 - 7 A 964/05 -, BRS 70, Nr. 90.

In den durch die Umgebungsbebauung vorgegebenen Rahmen fügt sich das Vorhaben der Klägerin seiner Art nach ein. Auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich das Vorhaben nicht innerhalb des sich aus der näheren Umgebung hervorgehenden Rahmens hält. Ebenso ist ein Verstoß gegen das in § 34 Abs. 1 BauGB im Begriff des "Einfügens" enthaltene Gebot der Rücksichtnahme nicht ersichtlich.

2. Das Vorhaben der Klägerin verstößt nicht gegen § 34 Abs. 3 BauGB. Nach dieser Vorschrift dürfen von Vorhaben nach § 34 Abs. 1 oder 2 BauGB keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein. Das ist hier bereits deshalb nicht der Fall, weil das Vorhabensgrundstück der Klägerin entgegen der Auffassung des Beklagten noch dem zentralen Versorgungsbereich X.-Mitte zuzurechnen ist.

Zentrale Versorgungsbereiche im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB sind räumlich abgrenzbare Bereiche einer Gemeinde, denen auf Grund vorhandener Einzelhandelsnutzungen - häufig ergänzt durch diverse Dienstleistungen und gastronomische Angebote - eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus zukommt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.10.2007 - 4 C 7.07 -, BauR 2008, 315 = NVwZ 2008, 308 = ZfBR 2008, 49 = BVerwGE 129, 307; OVG NRW, Urteil vom 11.12.2006, a. a. O.

Ein "Versorgungsbereich" bietet Nutzungen, die für die Versorgung der Einwohner der Gemeinde - gegebenenfalls auch nur eines Teils des Gemeindegebiets - insbesondere mit Waren aller Art von Bedeutung sind. "Zentral" sind Versorgungsbereiche, wenn die Gesamtheit der auf eine Versorgung der Bevölkerung ausgerichteten baulichen Nutzungen in dem betreffenden Bereich auf Grund der verkehrsmäßigen Erschließung und verkehrlichen Anbindung die Funktion eines Zentrums mit einem bestimmten Einzugsbereich hat. Diese Funktion besteht darin, die Versorgung des Gemeindegebiets oder eines Teilbereichs mit einem auf den Einzugsbereich abgestimmten Spektrum an Waren des kurz-, mittel oder langfristigen Bedarfs funktionsgerecht sicherzustellen. Zentrale Versorgungsbereiche können sowohl einen umfassenden als auch einen hinsichtlich des Warenangebots oder des örtlichen Einzugsbereichs eingeschränkten Versorgungsbedarf abdecken.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 17.12.2007 - 10 A 3914/04 -, BauR 2008, 320; vom 13.6.2007 - 10 A 2439/06 -, BauR 2007, 2012; und vom 11.12.2006, a. a. O.; siehe auch Bay. VGH, Urteil vom 5.2.2007 - 2 BV 05.1571 -, juris, Rz. 35; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 5.11.2007 - 1 A 10351/07 -, juris, Rz. 29; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, Loseblattkommentar, Stand: 1.6.2008, § 34 Rn. 85.

Zu den zentralen Versorgungsbereichen können auch Bereiche für die Grund- und Nahversorgung gehören. Diese versorgen in der Regel nur bestimmte Stadtteile größerer Städte bzw. gesamte kleinere Orte mit Waren des kurzfristigen und mittelfristigen Bedarfs. In größeren und mittleren Städten dienen sie der Versorgung der Bevölkerung verschiedener Quartiere von zumeist einigen tausend Einwohnern vornehmlich mit Waren des kurzfristigen Bedarfs, die regelmäßig auch durch beschränkte Angebote von einzelnen Waren des mittelfristigen Bedarfs wie z.B. Bekleidung sowie von Dienstleistungen (Bank, Lottoannahmestellen, Friseur etc.) ergänzt werden. Häufig sind solche Grund- und Nahversorgungszentren dadurch gekennzeichnet, dass in ihnen ein größerer Frequenzbringer - zumeist ein Vollsortimenter des Lebensmittelbereichs - vorhanden ist.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 13.6.2007 und 11.12.2006, jeweils a. a. O. und vom 19.6.2008 - 7 A 1392/07 -, juris; siehe auch Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, 1. Aufl. 2007, Rn. 155 ff.

Nach diesen Grundsätzen ist das Stadtbezirkszentrum X.-Mitte als zentraler Versorgungsbereich im Sinne eines Grund- oder Nahversorgungszentrums anzusehen. Allerdings ist dieser zentrale Versorgungsbereich durch das Nahversorgungs- und Zentrenkonzept der Stadt N. räumlich zu eng und damit zu Lasten der Klägerin unrichtig festgelegt worden. Zur Bestimmung und räumlichen Abgrenzung des Stadtbezirkszentrums X.-Mitte hat sich der Rat nicht des Mittels der verbindlichen Bauleitplanung bedient. Er hat das Konzept zwar förmlich beschlossen, er hat es aber nicht im Rahmen einer Bauleitplanung nach den §§ 10 oder 12 BauGB umgesetzt.

Bei der Anwendung des § 34 Abs. 3 BauGB kommt einem vom Rat der Gemeinde beschlossenen Einzelhandelskonzept als informelle Planung keine bindende Rechtswirkung zu. Die räumliche Abgrenzung eines zentralen Versorgungsbereiches unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle und richtet sich nach den tatsächlich vorhandenen örtlichen Gegebenheiten. Entgegen der Ansicht des Beklagten und anders als dies die Ausführungen in der amtlichen Begründung zu § 34 Abs. 3 BauGB nahe legen, vgl. BT-Drucks. 15/2250 S. 54, können informelle Planungen die aus den tatsächlichen Gegebenheiten ableitbaren Schlussfolgerungen insoweit lediglich bestätigen und gegebenenfalls präzisieren. Dagegen sind bei der Bauleitplanung gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB städtebauliche Entwicklungskonzepte zu berücksichtigen. Insbesondere bei der Aufstellung von (einfachen) Bebauungsplänen nach § 9 Abs. 2 a BauGB ist nach dessen Satz 2 ein hierauf bezogenes städtebauliches Entwicklungskonzept zu beachten, das Aussagen über die zu erhaltenden oder zu entwickelnden zentralen Versorgungsbereiche der Gemeinde oder eines Gemeindeteils enthält. Ohne die Umsetzung durch eine planerische Abwägungsentscheidung kann ein Konzept jedoch keine Außenwirkung entfalten. Die Feststellung des Vorliegens eines zentralen Versorgungsbereiches und seine örtliche Abgrenzung haben insbesondere auch für außerhalb gelegene Vorhaben unmittelbar eigentumsgestaltende Wirkung, da sie zur Unzulässigkeit einer sonst bauplanungsrechtlich zulässigen Nutzung führen können. Eine solche anspruchsvernichtende Wirkung kann informellen Planungen nicht zukommen, da sie nicht die nach Art. 14 Abs. 1 GG an eine Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums zu stellenden Anforderungen wahren.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.12.2006, a. a. O.; Kuschnerus, a. a. O., Rn. 161 f, 175 f., 329 ff.; Dürr, in: Brügelmann, Kommentar zum BauGB, Stand: August 2008, § 34 Rn. 106 e; siehe auch Reidt, "Zentrale Versorgungsbereiche auf Grund von (informellen) Planungen ...", NVwZ 2007, 664 ff.; a. A. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 5.11.2007 - 1 A 10351/07 -, juris, Rz. 30; Söfker, a. a. O.

Der in Rede stehende Bereich dient der Versorgung der Bevölkerung des Stadtbezirks X. mit insgesamt etwa 17.000 Einwohnern. Im Ortskern der bis 1975 selbstständigen Gemeinde X. sind entlang der als Fußgängerzone ausgebauten R.-straße und den angrenzenden Teilen der Q.-straße im Norden und der C.- Straße bzw. I.-straße im Süden eine Vielzahl von Einzelhandels- und Dienstleistungsbetrieben vorhanden, die den täglichen und teilweise auch mittelfristigen Bedarf der Bevölkerung decken. Nach der von dem Beklagten vorgelegten Bestandsaufnahme, die im Wesentlichen auch der Entwicklung des Nahversorgungs- und Zentrenkonzepts zugrunde gelegen hat sind in der R.-straße u. a. vorhanden ein Haushaltswarendiscounter, ein Drogeriediscounter, zahlreiche kleinere Damen- und Herrenmodegeschäfte, ein Schuhgeschäft, eine Apotheke sowie weitere kleine Geschäfte für Nahrungs- und Genussmittel, Blumen, Zeitschriften und Tabakwaren, Foto, Optik und Zubehör. In dem nördlich angrenzenden Teil der Q.-straße befinden sich u. a. ein L.-Lebensmittelmarkt mit einer Verkaufsfläche von ca. 950 m², ein größeres Haushaltsgerätegeschäft (ca. 460 m² Verkaufsfläche), ein Computerfachgeschäft sowie einige kleinere Geschäfte und eine Apotheke. Sowohl in der R.-straße als auch an der Q.-straße sind zudem zahlreiche Gastronomie- und kleinere Dienstleistungsbetriebe, aber auch Gebäude mit reiner Wohnnutzung vorhanden. Entsprechendes gilt für den Bereich südlich der Fußgängerzone entlang der C.- Straße und der I.-straße bis zur U.-allee. Auch hier sind kleine Geschäfte mit einem vielfältigen Angebot (u. a. Feinkost, Bekleidung, Foto und Optik, Unterhaltungselektronik, Schreibwaren, Zeitschriften, Bücher, Geschenkartikel, Blumen, Schmuck, Kosmetik), sowie Gastronomie- und Dienstleistungsbetriebe zu finden.

Nach dem Luftbild- und Kartenmaterial, das dem Senat vorliegt, und dem Ergebnis der Ortsbesichtigung endet der zentrale Versorgungsbereich nach den tatsächlichen Gegebenheiten im Süden nicht schon - wie im Nahversorgungs- und Zentrenkonzept dargestellt - mit dem Sparkassengebäude und dem gegenüberliegenden Haus C.- Straße 13 a (mit einem Telefonladen im Erdgeschoss), sondern erstreckt sich in südlicher Richtung noch bis zum B.-Markt (C.- Straße 65) und der Veranstaltungshalle. Auch außerhalb der dargestellten Grenze und in unmittelbarem Anschluss an die Einmündung der L.-straße befinden sich auf der westlichen Seite der C.- Straße bis zur Kreuzung mit der XB.- Straße in fast allen Gebäuden gastronomische bzw. andere gewerbliche Nutzungen. An ein zum Zeitpunkt der gerichtlichen Ortsbesichtigung leer stehendes Ladenlokal schließen sich eine Gaststätte, eine Pizzeria, ein kleines Hotel, ein Restaurant mit einem Festsaal und eine Anwaltskanzlei an. Hierbei handelt es sich um Nutzungen, wie sie typischerweise in zentralen Versorgungsbereichen als Ergänzung zu Einzelhandelsbetrieben vorhanden sind und zur Attraktivität beitragen. Auch bei Betrachtung der östlichen Seite der Straße entsteht in der Örtlichkeit nicht der Eindruck, dass südlich der L.-straße der zentrale Versorgungsbereich endet. In einer Entfernung von lediglich ca. 60 m von der L.-straße befindet sich auf dem Eckgrundstück an der Kreuzung ein U.-Modemarkt. Zwar werden die dazwischen liegenden Gebäude C.- Straße 15 bis 23 lediglich zu Wohnzwecken genutzt, doch steht dies einer Einbeziehung des Bereichs aufgrund der Klammerwirkung der gewerblichen Nutzungen und des geringen Abstandes nicht entgegen.

Im weiteren Verlauf der C.- Straße kann auch nicht festgestellt werden, dass die XB.- Straße den zentralen Versorgungsbereich nach Süden abschließt. Unmittelbar südlich des Parkplatzes des Modemarktes befinden sich auf der anderen Straßenseite der Gastronomiebetrieb "Brauhaus" sowie die Einfahrt zum Parkplatz des S.-Marktes und der Zugang zu dem ehemaligen Verwaltungsgebäude mit den oben dargestellten freiberuflichen bzw. gewerblichen Nutzungen. Hieran schließen sich dann der S.-Markt und der B.-Markt sowie die dahinter gelegene Veranstaltungshalle unmittelbar an.

Insgesamt betrachtet erstreckt sich der zentrale Versorgungsbereich X.-Mitte ohne wesentliche Unterbrechungen mit einer breiten Palette von Einzelhandels- und Dienstleistungsangeboten von der Q.-straße über die R.-straße und den X.- Markt entlang der C.- Straße bis zum B.-Markt. Die im Nahversorgungs- und Zentrenkonzept dargestellte Zäsur zwischen dem B-Zentrum X.-Mitte und dem "nicht-zentralen Versorgungsstandort M.-fabrik X." mit einem Abstand von lediglich 50 m findet in der Örtlichkeit keine Bestätigung. Vielmehr besteht durch die vorhandenen Nutzungen eine unmittelbare Verknüpfung.

Ist das Grundstück der Klägerin somit Teil des zentralen Versorgungsbereiches, so darf dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden, es werde schädliche Auswirkungen im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB auf eben diesen Bereich haben.

Diese können auch nicht damit begründet werden, dass die Erweiterung nach der Auswirkungsanalyse vom September 2006 zu Umsatzumverteilungen zu Lasten des L.-Marktes von ca. 14 % führe. § 34 Abs. 3 BauGB dient nicht dem Konkurrentenschutz. Das Bauplanungsrecht hat nicht die Wahrung von Wettbewerbsinteressen im Blick, sondern verhält sich in dieser Hinsicht neutral. Mit der Vorschrift soll die Funktionalität des gesamten Versorgungsbereiches geschützt werden, nicht jedoch der einzelne Betrieb.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.3.2007 - 10 B 2675/06 -, BauR 2007, 1550; Urteil vom 13.6.2007, a. a. O.

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