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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 05.09.2005
Aktenzeichen: 10 A 3511/03
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO
Vorschriften:
BauGB § 34 Abs. 2 | |
BauNVO § 3 | |
BauNVO § 13 | |
BauNVO § 15 Abs. 1 |
Tatbestand:
Die Kläger wandten sich mit ihrer Klage gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für eine Arztpraxis mit chirotherapeutischer Ausrichtung im Kellergeschoss seines Wohnhauses, das innerhalb eines faktischen reinen Wohngebiets liegt. Sie vertraten die Auffassung, das Vorhaben sei wegen des damit verbundenen Kraftfahrzeugaufkommens mit dem Gebietscharakter eines reinen Wohngebiets unvereinbar und im Übrigen auch nach § 15 Abs. 1 BauNVO unzulässig. Das VG wies die Klage ab. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.
Gründe:
Die Auffassung des VG, wonach die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Einrichtung einer Arztpraxis im Kellergeschoss des in S. gelegenen Wohnhauses L.-Straße 30 nicht gegen öffentliche-rechtliche Vorschriften des Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts verstößt, die auch dem Schutz der Kläger zu dienen bestimmt sind, ist nicht zu beanstanden.
Insbesondere können die Kläger nicht mit Erfolg geltend machen, die Genehmigung der Arztpraxis sei unter dem Gesichtspunkt einer drohenden Veränderung des Gebietscharakters nicht mit den nachbarschützenden Regelungen des § 13 BauNVO in Verbindung mit § 3 BauNVO vereinbar. Nach diesen Vorschriften sind auch in reinen Wohngebieten Räume für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender, die ihren Beruf in ähnlicher Weise ausüben, ihrer Art nach zulässig. Die genehmigten Flächen für freiberufliche Nutzung halten sich hier innerhalb des von § 13 BauNVO vorgegebenen Rahmens. Das VG hat die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zutreffend angewandt.
Nach diesen Grundsätzen können in einem Wohnhaus, das in einem der Baugebiete nach den §§ 2 bis 4 BauNVO liegt, sogar eine oder auch mehrere Wohnungen ausschließlich für freie oder ähnliche Berufe genutzt werden, solange das Wohnhaus nicht durch überwiegende berufliche Nutzung dem Wohnen entfremdet wird. Deshalb darf die freiberufliche Nutzung in Mehrfamilienhäusern, die in einem der genannten Baugebiete liegen, nicht mehr als die halbe Anzahl der Wohnungen und nicht mehr als 50 % der Wohnfläche in Anspruch nehmen, wobei es entscheidend darauf ankommt, dass der spezifische Gebietscharakter auch für das einzelne Gebäude gewahrt bleibt (vgl. BVerwG, Urteile vom 20.1.1984 - 4 C 56.80 -, BVerwGE 68, 324, 328-330 = BRS 42 Nr. 56, vom 25.1.1985 - 4 C 34.81 -, BRS 44 Nr. 47, und vom 18.5.2001 - 4 C 8/00 -, NVwZ 2001, 1284, 1285.
Für die teilweise freiberufliche Nutzung eines Einfamilienwohnhauses gelten diese Grundsätze - abgestellt auf die jeweiligen Nutzflächenanteile - entsprechend.
Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass entgegen der Bewertung durch das VG die Voraussetzungen des § 13 BauNVO, bezogen auf ein reines Wohngebiet, nicht erfüllt wären. Dass - wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen - die Grundstücke der Kläger und des Beigeladenen innerhalb eines faktischen reinen Wohngebiets im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 3 BauNVO liegen, bezweifelt der Senat nach Auswertung des bei den Akten befindlichen Karten- und Lichtbildmaterials nicht. Die im Gebäude L.-Straße 30 genehmigte Nutzungseinheit für freiberufliche Tätigkeit besteht aus mehreren Räumen im Kellergeschoss des Hauses und weist nach der zur Baugenehmigung gehörenden Flächenzusammenstellung eine Grundfläche von etwas mehr als 70 qm auf, während die darüber hinaus im Gebäude vorhandene und ausschließlich Wohnzwecken dienende Nutzfläche nach den unwidersprochen gebliebenen Schätzungen des Beigeladenen etwa 180 qm umfasst. Damit beansprucht die Nutzungseinheit für die freiberufliche Tätigkeit deutlich weniger Raum als die im Gebäude vorhandene Wohnung. Sie lässt, zumal sie im Kellergeschoss untergebracht ist, das Gebäude insgesamt nicht als gewerblich genutztes Gebäude erscheinen, sodass der spezifische Gebietscharakter auch unter Berücksichtigung des dem Beigeladenen genehmigten Vorhabens gewahrt bleibt.
Der Umstand, dass mit dem Betrieb der Arztpraxis ein gewisser Kraftfahrzeugverkehr verbunden ist, schließt die grundsätzliche Verträglichkeit einer solchen Arztpraxis im reinen Wohngebiet nicht aus. Auch im Rahmen des § 13 BauNVO ist - was die in der Vorschrift beschriebenen Nutzungsarten angeht - eine typisierende Betrachtungsweise geboten, die den üblicherweise mit derartigen Nutzungen einhergehenden Kraftfahrzeugverkehr bereits berücksichtigt. Durch die Zuordnung von Nutzungen zu Baugebieten will der Verordnungsgeber die Anforderungen bestimmter Vorhaben an ein Gebiet, ihre Auswirkungen auf das Gebiet und die Erfüllung eines spezifischen Gebietsbedarfs zu einem schonenden Ausgleich bringen. Zum Ausgleich dieser oft gegenläufigen Ziele - zu diesen Zielen gehört auch die Vermeidung eines für das jeweilige Gebiet unverträglichen Kraftfahrzeugverkehrs - trifft § 13 BauNVO eine sachgerechte Regelung (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.12.1996 - 4 C 17.95 -, BRS 58 Nr. 59).
Die für die Baugebiete nach den §§ 2 bis 4 BauNVO geltende Beschränkung freiberuflicher oder vergleichbarer Nutzungen auf "Räume" gewährleistet, dass diese Nutzungen dort nur in einem Umfang zugelassen werden können, bei dem typischerweise keine gebietsunverträglichen Störungen durch vorhabenbezogenen Kraftfahrzeugverkehr eintreten.
Bei konkreter Betrachtung führt der durch das genehmigte Vorhaben tatsächlich ausgelöste Kraftfahrzeugverkehr ebenfalls nicht zu einer Gebietsunverträglichkeit dieses Vorhabens. Insbesondere gehen von der Arztpraxis im Zusammenhang mit dem Kraftfahrzeugverkehr keine Belästigungen oder Störungen aus, die nach der Eigenart des Baugebiets dort selbst oder in seiner Umgebung § 15 Abs. 1 BauNVO unzumutbar sind. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass in einem allgemeinen Wohngebiet grundsätzlich mehr Kraftfahrzeugverkehr zumutbar ist als in einem reinen Wohngebiet und dass die Umgebung eines an einer stärker befahrenen Straße gelegenen Vorhabens grundsätzlich mehr an Belästigungen oder Störungen durch Kraftfahrzeugverkehr hinnehmen muss als die Umgebung eines in einer ruhigen Stichstraße befindlichen Vorhabens, hält der Senat die genehmigte Arztpraxis an ihrem Standort noch für gebietsverträglich. Es mag zwar sein, dass sie wegen ihrer chirotherapeutischen Ausrichtung auch Patienten aus einem größeren räumlichen Umfeld anzieht, doch ist die Gesamtzahl der täglich zu behandelnden Patienten im Hinblick auf die für die Behandlung zur Verfügung stehenden Praxisräume und die sich aus der Betriebsbeschreibung ergebende personelle Beschränkung der Praxis stark begrenzt. Dass es trotz dieser beschränkten Patientenzahl zu einem vorhabenbedingten Kraftfahrzeugverkehr kommt, der den im Rahmen des § 13 BauNVO vom Verordnungsgeber bereits berücksichtigten typischen An- und Abfahrtsverkehr in einem die Zumutbarkeitsschwelle überschreitenden Maß übersteigt, steht nicht zu erwarten. Die von den Antragstellern vorgelegten und mit Lichtbildern belegten Aufstellungen, die dokumentieren, welche Kraftfahrzeuge zu welchen Zeiten in der L.-Straße abgestellt waren, rechtfertigen keine andere Beurteilung. Die Lichtbilder zeigen keine Ansammlungen abgestellter Fahrzeuge im Bereich der L.-Straße, die in einem reinen Wohngebiet von vornherein unüblich wären und Rückschlüsse auf einen gebietsunverträglichen Kraftfahrzeugverkehr zuließen. Zudem sind auf den meisten Lichtbildern auch Fahrzeuge abgebildet, die offensichtlich anderen Anliegern zuzuordnen sind. Der Beklagte hat demgegenüber eigene Beobachtungen zum ruhenden Verkehr in der L.-Straße dokumentiert. Diese Beobachtungen - an deren Richtigkeit der Senat ebensowenig Anlass zu zweifeln hat wie an der Richtigkeit der von den Klägern vorgelegten Aufstellungen - fanden an zehn Werktagen in der Zeit vom 3. bis 20.2.2003 zwischen 10.05 und 15.50 Uhr statt und wurden mit Lichtbildern festgehalten. Diese Lichtbilder zeigen jeweils nur wenige Fahrzeuge die dem Grundstück des Beigeladenen zugeordnet werden können. Es spricht daher alles dafür, dass die von den Klägern für verschiedene Zeitpunkte belegten - ohnehin gebietsverträglichen - Häufungen von abgestellten Kraftfahrzeugen im Bereich der L.-Straße sowie die daraus zu schließenden Verkehrsvorgänge lediglich Momentaufnahmen darstellen und keine unzumutbaren Belästigungen oder Störungen im Sinne des § 15 Abs. 1 BauNVO hervorzurufen vermögen, zumal sich die Wirkungen des Kraftfahrzeugverkehrs vornehmlich auf den öffentlichen Straßenraum der Stichstraße beschränken. Anhaltspunkte dafür, dass der mit dem Vorhaben zusammenhängende Zu- und Abfahrtsverkehr zu Behinderungen und Gefährdungen des Verkehrs in der L.-Straße im Übrigen führen könnte, sind - abgesehen von der Relevanz solcher Behinderungen und Gefährdungen im Rahmen des § 15 Abs. 1 BauNVO - nicht ersichtlich. Die von den Beteiligten vorgelegten Lichtbilder geben dafür angesichts der Breite und Übersichtlichkeit der Stichstraße sowie der Zahl der gleichzeitig zu erwartenden Verkehrsvorgänge nichts her.
Ende der Entscheidung
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