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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 17.10.2007
Aktenzeichen: 10 A 3914/04
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 3
1. Die durch Bebauungsplan erfolgte Festsetzung einer betriebsunabhängigen absoluten Verkaufsflächenobergrenze zur Einzelhandelssteuerung in einem Gewerbegebiet ist mangels Rechtsgrundlage unzulässig.

2. Ob von einem Einzelhandelsvorhaben schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche zu erwarten sind, kann nur unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände der konkreten städtebaulichen Situation prognostiziert werden. Neben der Verkaufsfläche können dabei auch ein qualitativer Vergleich des vorhandenen mit dem geplanten Angebot und - insbesondere wenn es um die Zulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetriebe geht - die zu erwartende Umsatzumverteilung von Bedeutung sein.

3. Falls an dem Vorhabenstandort bereits andere Einzelhandelsbetriebe vorhanden sind, müssen auch diese in die Prognose einbezogen werden. Zu prüfen ist, ob die gegebene städtebauliche Situation gerade durch das Hinzutreten des streitgegenständlichen Vorhabens in eine unzulässige beachtliche Schädigung der Funktionsfähigkeit des Versorgungsbereichs umschlägt oder eine bereits vorhandene derartige Schädigung vertieft wird.


Tatbestand:

Die Klägerin begehrte einen bauplanungsrechtlichen Vorbescheid für die Errichtung eines Lebensmittelmarktes mit Bäckereifiliale (Verkaufsfläche 699 m²). Das Vorhabengrundstück liegt in einer Entfernung von ca. 600 m vom Geschäftszentrum des Stadtteils R., in dem Einzelhandelsbetriebe aller Branchen mit einer Verkaufsfläche von insgesamt ca. 20.000 m² angesiedelt sind.

Nachdem die Klägerin einen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids gestellt hatte, leitete der Beklagte das Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans ein; als Planungsziel war u.a. die "Beschränkung von zentren- und nahversorgungsrelevantem Einzelhandel auf 700 m² Verkaufsfläche für das gesamte Gebiet" genannt. Das Plangebiet sollte das Vorhabengrundstück sowie drei nördlich anschließende Grundstücke (Freifläche, Autoteilehandel mit Werkstattbetrieb sowie Lebensmitteldiscount) erfassen. Zusätzlich wurde eine Veränderungssperre erlassen und später mehrfach verlängert. Nach Ablehnung ihres Vorbescheidsantrags erhob die Klägerin Klage, die vom VG unter Hinweis auf die Veränderungssperre abgewiesen wurde.

Nach der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils trat der Bebauungsplan mit den vorgesehenen Festsetzungen in Kraft. Nachdem der Berichterstatter des Senats in einem Ortstermin auf Zweifel an der Wirksamkeit des Plans hingewiesen hatte, hob der Beklagte im Wege des Dringlichkeitsbeschlusses unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung den Satzungsbeschluss zu dem Bebauungsplan auf und fasste zugleich einen Aufstellungsbeschluss (§ 2 Abs. 1 BauGB) für die Einleitung eines ergänzenden Verfahrens zur rückwirkenden Heilung der Mängel nach § 214 BauGB. Damit wurde der Erlass einer neuerlichen Veränderungssperre verbunden.

Die vom OVG zugelassene Berufung der Klägerin hatte Erfolg.

Gründe:

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung des beantragten Bauvorbescheids zur Errichtung eines Lebensmittelmarktes mit Bäckereifiliale auf dem Vorhabengrundstück.

Der Anspruch der Klägerin folgt aus § 34 Abs. 1 BauGB. Ihr Grundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, da der Bebauungsplan des Beklagten Nr. 5581/35 unwirksam ist (dazu 1.). Die am 13.10.2007 öffentlich bekannt gemachte Veränderungssperre für den Planbereich des Bebauungsplans Nr. 5581/35 steht dem Anspruch nicht entgegen (dazu 2.). Das geplante Vorhaben fügt sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung ein; seine Erschließung ist gesichert (dazu 3.). Der Zulässigkeit des klägerischen Vorhabens steht auch § 34 Abs. 3 BauGB nicht entgegen (dazu 4.).

1. Das Vorhabengrundstück ist Bestandteil des unbeplanten Innenbereichs von D.-R.. Der am 20.12.2005 bekannt gemachte Bebauungsplan des Beklagten Nr. 5581/35, in dessen Geltungsbereich das Grundstück liegt, ist unwirksam. Der Senat lässt offen, ob dies schon daraus folgt, dass der Beklagte im Wege des § 60 Abs. 1 Satz 2 GO NW den am 13.10.2007 veröffentlichten Beschluss gefasst hat, den Satzungsbeschluss aufzuheben. Denn hiervon unabhängig ist der Bebauungsplan jedenfalls deshalb unwirksam, weil seine textlichen Festsetzungen teilweise der Rechtsgrundlage und der städtebaulichen Rechtfertigung entbehren bzw. nicht hinreichend bestimmt sind; im Übrigen ist der Plan abwägungsfehlerhaft. Diese Fehler führen zur Unwirksamkeit des Plans insgesamt.

Die textliche Festsetzung 1.1

- "Einzelhandelsbetriebe sind nur im GE-1-Gebiet zulässig. Die Verkaufsfläche darf hier maximal 700 m² betragen." -

ist dahin zu verstehen, dass eine betriebsunabhängige Obergrenze der Verkaufsfläche von 700 m² für das GE-1-Gebiet festgesetzt ist. Hätte der Plangeber lediglich einen bestimmten Betriebstyp, insbesondere nicht großflächige Einzelhandelsbetriebe mit einer Verkaufsfläche von bis zu 700 m², als zulässig festsetzen wollen, wäre eine eindeutige Formulierung erforderlich und auch ohne weiteres möglich gewesen. Dass eine absolute Verkaufsflächenobergrenze gewollt war, ergibt sich auch aus der Planbegründung. Planerische Absicht war nicht ein bloßer Ausschluss großflächiger Betriebe, da dies nicht als ausreichend angesehen wurde, das nahe gelegene Versorgungszentrum R. hinreichend zu schützen. Vielmehr heißt es in der Planbegründung ausdrücklich, der vorhandene Betrieb mit seiner Verkaufsfläche von 700 m² decke "den Bedarf in den benachbarten Wohngebieten gut und voll ab", so dass eine weitere Ansiedlung ähnlicher Betriebe verhindert werden solle. Auch der Umstand, dass die Ansiedlung weiterer Betriebe im GE-1-Gebiet wegen seiner geringen Größe und wegen des bereits vorhandenen Lebensmittelmarktes derzeit nicht absehbar sein mag, ändert an dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt der Festsetzung nichts. Denn der Bebauungsplan Nr. 5581/35 stellt eine Angebotsplanung dar, so dass sich die Nutzung der überplanten Flächen jederzeit ändern kann; es ist auch ersichtlich, dass im Bereich der etwa 7.000 m² großen Fläche und unter Berücksichtigung der festgesetzten Baugrenzen deutlich mehr als 700 m² Verkaufsfläche möglich wären.

Mit dem so festgestellten Inhalt ist die zitierte Festsetzung mangels Rechtsgrundlage unwirksam. § 9 Abs. 1 Nr. 10 BauGB kommt als Rechtsgrundlage nicht in Frage, da die Verkaufsflächenbegrenzung unabhängig vom Standort der sie ausschöpfenden Nutzung und unabhängig von der Grundfläche der Gebäude, die eine Einzelhandelsnutzung aufnehmen sollen, gilt; zudem sind Baugrenzen festgesetzt, die eine weitgehende Überbauung der Fläche ermöglichen. Die Festsetzung stellt auch keine zulässige Gliederung und Feindifferenzierung des GE-1-Gebiets nach der Nutzungsart dar (§ 1 Abs. 5 und 9 BauNVO) dar. Denn - wie ausgeführt - wird nicht eine bestimmte, in der Wirklichkeit vorhandene Nutzungsart bzw. Art von baulichen Anlagen (§ 1 Abs. 5, 9 BauNVO) als zulässig festgesetzt und mit dem Ausschluss anderer Betriebstypen verbunden, sondern unabhängig vom Betriebstyp eine absolute Obergrenze für jeglichen Einzelhandel geschaffen. Die Festsetzung führt dazu, dass zum einen kein großflächiger Einzelhandel zulässig ist, zum anderen aber auch nicht mehrere kleinflächige Betriebe genehmigt werden dürfen, wenn ihre Verkaufsfläche zusammengenommen über 700 m² liegt. Schließlich kann die Festsetzung nicht als Regelung nach § 1 Abs. 10 BauNVO verstanden werden, da sie den vorhandenen Betrieb nicht einmal erwähnt; der Hinweis in der Planbegründung reicht insofern nicht aus. Auch würde eine als Regelung nach § 1 Abs. 10 BauNVO verstandene Festsetzung im vorliegenden Fall gegen § 1 Abs. 10 Satz 3 BauNVO verstoßen, da der vorhandene Betrieb in seiner derzeitigen Gestalt - also einschließlich Stellplatzanlage - das GE-1-Gebiet vollständig ausfüllt, so dass für die Erhaltung der allgemeinen Zweckbestimmung dieses Baugebiets kein Raum mehr bliebe.

Die textliche Festsetzung 1.2 ist unbestimmt, soweit sie ihren Anwendungsbereich mit dem Begriff des "Gewerbe- oder Handwerksbetriebes der produzierenden, reparierenden bzw. installierenden Sparte" bezeichnet. Ein klar erkennbarer und von anderen gewerblichen oder handwerklichen Nutzungen abgrenzbarer Norminhalt ist mit dieser Formulierung nicht benannt. Auch bleibt unklar, ob unter der Betriebsfläche als der für die Festsetzung maßgeblichen Bezugsgröße die überbaute Fläche eines Betriebes, die Geschossfläche oder das gesamte Betriebsgrundstück zu verstehen ist. Hiervon unabhängig fehlt es der Festsetzung auch an der erforderlichen städtebaulichen Rechtfertigung, weil nicht erkennbar ist, warum zwar Handwerksbetriebe "der reparierenden, produzierenden und installierenden Sparte" mit Einzelhandel ausnahmsweise zugelassen werden können, nicht aber solche, die im reinen Dienstleistungsbereich angesiedelt sind, wie etwa Friseure (Nr. 38 Anlage A zu dem Gesetz zur Ordnung des Handwerks), obwohl diese möglicherweise deutlich weniger nahversorgungs- oder zentrenrelevante Produkte zum Verkauf anbieten als produzierende Handwerksbetriebe. Der Umstand, dass die Formulierung der textlichen Festsetzung Nr. 1.2 auf den zum Zeitpunkt des Aufstellungsbeschlusses bereits vorhandenen Autoteilehandel und Werkstattbetrieb zugeschnitten sein dürfte und dass von diesem Betrieb eine Gefährdung des Nahversorgungszentrums R. tatsächlich nicht zu befürchten sein mag, ändert an diesen Feststellungen nichts. Denn die Formulierung ermöglicht auf Grund ihrer Abstraktheit und Weite die Zulassung zahlreicher anderer Einzelhandelsnutzungen, so dass ihr Anwendungsbereich gerade nicht auf den vorhandenen Betrieb eingeschränkt ist.

Der Bebauungsplan Nr. 5581/35 ist zudem abwägungsfehlerhaft (§ 1 Abs. 7 BauGB). Ziel des Planes ist es, ein Gewerbegebiet auszuweisen und seine Nutzung zugleich so zu beschränken, dass das nahe gelegene Versorgungszentrum R. nicht gefährdet wird. Beide Bestandteile der mit diesem Ziel geschaffenen textlichen Festsetzung (Ziffern 1.1 und 1.2) verletzen das Gebot einer gerechten Abwägung aller relevanten privaten und öffentlichen Belange. Hinsichtlich der Ziffer 1.1 und unter Berücksichtigung des Umstands, dass Grundstücksteilungen im GE-1-Gebiet jederzeit denkbar sind, folgt dies daraus, dass die Möglichkeit eines Grundstückseigentümers in diesem Teil des Plangebiets, sein Grundstück für Einzelhandelszwecke zu nutzen, davon abhängt, ob andere Eigentümer bereits vor ihm das zur Verfügung stehende Kontingent von 700 m² in Anspruch genommen haben.

Vgl. hierzu die Rechtsprechung zu der vergleichbaren Problematik unzulässiger "Zaunwerte": BVerwG, Beschlüsse vom 10.8.1993 - 4 NB 2.93 -, BRS 55 Nr. 11, und vom 7.3.1997 - 4 NB 38.96 -, BRS 59 Nr. 25, Urteil vom 16.12.1999 - 4 CN 7.98 -, BRS 62 Nr. 44.

Einen interessengerechten Mechanismus, dieses Kontingent auf alle Eigentümer zu verteilen, sieht die Festsetzung nicht vor, so dass die Wertigkeit und Nutzbarkeit der Plangebietsflächen ohne sachlichen Grund je nach Ausnutzung des Kontingents an anderer Stelle unterschiedlich ist. Im Übrigen gilt für die Festsetzungen in Ziffer 1.1 und 1.2, dass die in der Einzelhandelssteuerung liegende Einschränkung der Eigentümerbefugnisse auch deshalb unverhältnismäßig ist, weil sie nicht geeignet ist, das Planziel zu erreichen. Eine Beschränkung der Verkaufsfläche auf 700 m² im GE-1-Gebiet lässt sich nicht rechtfertigen, weil - wie im folgenden unter Ziffer 3. auszuführen sein wird - nicht ersichtlich ist, dass das Nahversorgungszentrum R. schon durch Einzelhandelsflächen gefährdet werden könnte, deren Umfang in der Größenordnung oberhalb der festgesetzten 700 m² liegt. In dieses - schon für sich genommen abwägungsfehlerhafte - Konzept lässt sich die Festsetzung zu Ziffer 1.2 erst recht nicht einfügen. Durch sie sollen im übrigen Plangebiet, mithin auf einer Fläche von über 12.000 m², nämlich Verkaufsflächen auch für nahversorgungsrelevante und zentrenrelevante Sortimente einschließlich Lebensmittel im Umfang von bis zu 45% der Gesamtbetriebsfläche zugelassen werden können, falls sie in räumlichem und funktionalem Zusammenhang mit einem Gewerbe- oder Handwerksbetrieb der produzierenden, reparierenden und installierenden Sparte errichtet werden. Die darin liegende denkbare Gefährdung des Planziels "Schutz des Nahversorgungszentrums R." liegt auf der Hand, zumal durch das Erfordernis eines "funktionalen" Zusammenhangs mit dem (installierenden oder reparierenden) Handwerksbetrieb gerade auch solche Produkte angeboten werden dürfen, die in dem Gewerbebetrieb selbst nicht hergestellt worden sind. Abwägungsfehlerhaft ist schließlich auch, dass der Plan im GE-2-Gebiet die Möglichkeit von Einzelhandelsnutzungen zwar der Art nach einschränkt, quantitativ aber in erheblichem Umfang ermöglicht, während im GE-1-Gebiet zwar der Art nach jeglicher Einzelhandel zulässig ist, aber beschränkt auf nur 700 m² Verkaufsfläche. Die darin liegende unterschiedliche Behandlung der Flächen eines insgesamt nur kleinen Plangebiets lässt sich mit den vom Plangeber formulierten Planzielen nicht rechtfertigen; die einzige für das Planziel sinnvolle Beschränkung des Warenangebots auf zentren- oder nahversorgungsunschädliche Waren ist gerade nicht festgesetzt worden.

Die aufgezeigten Mängel führen zur Unwirksamkeit des Plans insgesamt, da sie offensichtlich sind und die für den Erlass des Plans schlechthin maßgeblichen Festsetzungen betreffen, also auch ergebnisrelevant sind.

2. Der Zulässigkeit des klägerischen Vorhabens steht auch die am 13.10.2007 öffentlich bekannt gemachte Veränderungssperre für den Planbereich des Bebauungsplans Nr. 5581/35 nicht entgegen. Denn diese Veränderungssperre - ihre Wirksamkeit unterstellt - kann der Klägerin nicht entgegengehalten werden, weil der Antrag der Klägerin auf Erteilung des Vorbescheids seit März 2002, mithin seit mehr als 5 1/2 Jahren, einer anrechnungsfähigen faktischen Zurückstellung ausgesetzt ist. (wird ausgeführt)

3. Das Vorhaben der Klägerin ist nach § 34 Abs. 1 BauGB zulässig. ...

4. § 34 Abs. 3 BauGB steht dem Vorhaben der Klägerin nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift dürfen von Vorhaben nach § 34 Absatz 1 oder 2 BauGB keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein. Zwar handelt es sich bei dem von der Klägerin geplanten Lebensmittelmarkt um ein Vorhaben im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB; auch ist das Nahversorgungszentrum R. als ein zentraler Versorgungsbereich der beklagten Stadt anzusehen (nachfolgend 4.1). Es sind jedoch keine schädlichen Auswirkungen des Vorhabens auf diesen Versorgungsbereich zu befürchten (unten 4.2).

4.1 § 34 Abs. 3 BauGB ist anwendbar, auch wenn die Klägerin den streitgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids vor dem Inkrafttreten der Vorschrift (20.7.2004) gestellt hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist derjenige der mündlichen Verhandlung vor dem Senat; aus den Überleitungsvorschriften der §§ 233 Abs. 1, 238 Satz 2 und 244 BauGB folgt nichts anderes.

OVG NRW, Urteil vom 13.6.2007 - 10 A 2439/06 -, juris, Rz. 34 ff.

Der von der Klägerin geplante Lebensmitteldiscounter ist trotz seiner Verkaufsfläche von nur etwa 700 m² ein Vorhaben im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB, da dieser Begriff nicht auf großflächige Einzelhandelsbetriebe beschränkt ist. Auch wenn die Vorschrift nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/2250, S. 54) "insbesondere Vorhaben des großflächigen Einzelhandels, deren städtebauliche Auswirkungen über die nähere Umgebung hinausgehen", betreffen mag, geht die Begründung davon aus, dass "bei entsprechender Fallkonstellation" die Regelung des § 34 Abs. 3 BauGB auch für andere Vorhaben als großflächigen Einzelhandel Bedeutung erlangen kann.

Ebenso m.w.N. OVG NRW, a.a.O., juris, Rz. 41 ff., und Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, 2007, Rz. 326.

Das Nahversorgungszentrum von R. stellt auch einen zentralen Versorgungsbereich im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB dar. Zentrale Versorgungsbereiche sind räumlich abgrenzbare Bereiche einer Gemeinde, denen auf Grund vorhandener Einzelhandelsnutzungen - häufig ergänzt durch diverse Dienstleistungen und gastronomische Angebote - eine bestimmte Versorgungsfunktion für die Gemeinde zukommt. Ein "Versorgungsbereich" bietet Nutzungen, die für die Versorgung der Einwohner der Gemeinde - ggf. auch nur eines Teils des Gemeindegebiets - insbesondere mit Waren aller Art von Bedeutung sind. "Zentral" sind Versorgungsbereiche, wenn die Gesamtheit der auf eine Versorgung der Bevölkerung ausgerichteten baulichen Nutzungen in dem betreffenden Bereich auf Grund der verkehrsmäßigen Erschließung und verkehrlichen Anbindung die Funktion eines Zentrums mit einem bestimmten Einzugsbereich hat. Diese Funktion besteht darin, die Versorgung des Gemeindegebiets oder eines Teilbereichs mit einem auf den Einzugsbereich abgestimmten Spektrum an Waren des kurz-, mittel oder langfristigen Bedarfs funktionsgerecht sicherzustellen. Zentrale Versorgungsbereiche können sowohl einen umfassenden als auch einen hinsichtlich des Warenangebots oder des örtlichen Einzugsbereichs eingeschränkten Versorgungsbedarf abdecken.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 13.6.2007 - 10 A 2439/06 -, juris, Rz. 46 ff., m.w.N., und vom 11.12.2006 - 7 A 964/05 -, BauR 2007, 845.

Das Nahversorgungszentrum R. ist unzweifelhaft ein zentraler Versorgungsbereich in diesem Sinne. (wird ausgeführt)

4.2 Von dem Vorhaben der Klägerin sind jedoch schädliche Auswirkungen i.S.d. § 34 Abs. 3 BauGB auf das Nahversorgungszentrum R. nicht zu erwarten.

"Schädliche Auswirkungen" in diesem Sinne gehen von einem Vorhaben dann aus, wenn die städtebauliche Funktion des Versorgungsbereichs beeinträchtigt wird; die Störung der Funktionsfähigkeit muss dabei, um als schädlich qualifiziert werden zu können, von beachtlichem Gewicht sein. Dem Gesetzgeber kam es mit der Einfügung des Absatzes 3 in § 34 BauGB maßgeblich darauf an, bei Zulassungsentscheidungen nach § 34 BauGB über die nähere Umgebung hinausgehende Fernwirkungen namentlich im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO zu berücksichtigen; um die Gewährung von Schutz vor Konkurrenz geht es dagegen nicht.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 13.6.2007, a.a.O., Rz. 59 ff., vom 6.6.2005 - 10 D 145/04.NE -, und vom 11.12.2006, a.a.O.; Berkemann/Halama, Erstkommentierung zum BauGB, 1. Auflage 2005, § 34 Rn. 26.

Das Gericht hat bei der Anwendung des § 34 Abs. 3 BauGB eine Prognoseentscheidung zu treffen. In diesem Rahmen sind alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls in den Blick zu nehmen. Dazu zählt insbesondere die Größe des Vorhabens, d.h. seine Verkaufsfläche, deren Auswirkungen auf die im Versorgungsbereich vorhandene Verkaufsfläche derselben Branchen zu ermitteln sind. Daneben kann - insbesondere wenn es um die Zulassung großflächiger Einzelhandelsvorhaben geht - der voraussichtlichen Umsatzumverteilung Bedeutung zukommen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6.6.2005 - 10 D 145/04.NE -, BRS 69 Nr. 2.

Weiter spielen bei der Ermittlung der Auswirkungen des in Rede stehenden Vorhabens auf den von ihm beeinflussten zentralen Versorgungsbereich die räumliche Entfernung des Vorhabens von dem Versorgungsbereich sowie alle weiteren im Einzelfall relevanten Umstände der konkreten städtebaulichen Situation eine Rolle. Von Bedeutung sein kann etwa, ob der außerhalb des zentralen Versorgungsbereich anzusiedelnde Einzelhandelsbetrieb gerade auf solche Sortimente abzielt, die in dem Versorgungsbereich von einem "Magnetbetrieb" angeboten werden, dessen unbeeinträchtigter Bestand maßgebliche Bedeutung für die weitere Funktionsfähigkeit des zentralen Versorgungsbereichs hat. Zu berücksichtigen ist auch, ob in der unmittelbaren Umgebung des Vorhabens bereits weitere Einzelhandelsangebote vorhanden sind, deren Auswirkungen auf den Versorgungsbereich durch die Auswirkungen des zu prüfenden Vorhabens gesteigert werden könnten. Zwar ist Prüfungsgegenstand des § 34 Abs. 3 BauGB nur das streitgegenständliche Vorhaben: Nur wenn dieses Vorhaben eine beachtliche Schädigung der Funktionsfähigkeit des Versorgungsbereichs befürchten lässt, ist der Tatbestand der Norm erfüllt. Eine solche Schädigung kann sich jedoch auch daraus ergeben, dass ein gerade noch unbedenkliches Nebeneinander von Einzelhandelsangeboten an einem nicht integrierten Standort und Versorgungsbereich durch das neu hinzukommende Vorhaben in eine unzulässige beachtliche Schädigung der Funktionsfähigkeit des Versorgungsbereichs umschlägt. Insbesondere dann, wenn an dem nicht integrierten Standort die Grenze zur Großflächigkeit gleichartiger Angebote durch das hinzu kommende Vorhaben überschritten wird, besteht Anlass zu kritischer Prüfung, ob nunmehr die Schwelle des § 34 Abs. 3 BauGB erreicht wird. Denn die Vorschrift lässt sich nach ihrer Zielsetzung auch solchen Vorhaben entgegen halten, die ein noch vorhandenes städtebaulich vertretbares Gleichgewicht unterschiedlicher Einzelhandelsangebote durch die Verstärkung des nicht integrierten Standortes zerstört.

Nach diesen Grundsätzen sind von dem Vorhaben der Klägerin keine schädlichen Auswirkungen auf das Nahversorgungszentrum R. zu erwarten. Das Vorhaben wird auch unter Berücksichtigung des in seiner unmittelbaren Nachbarschaft bestehenden Lebensmittelmarktes (ca. 700 m²) voraussichtlich nicht zu einer beachtlichen Funktionsstörung des Versorgungsbereichs führen.

Das streitige Vorhaben liegt weniger als 1 km westlich des Nahversorgungszentrums R. an einer Straße mit innerstädtischer Verbindungsfunktion. Die unmittelbare Umgebung ist überwiegend von gewerblicher Nutzung geprägt, während in dem zwischen dem Vorhabenstandort und dem Versorgungsbereich liegenden Abschnitt der Straße Wohnnutzung neben vereinzelter gewerblicher Nutzung stattfindet. Es ist nicht zu verkennen, dass die Verwirklichung des Vorhabens das Plangebiet des (unwirksamen) Bebauungsplans Nr. 5581/35 insgesamt als kleineren Einzelhandelsstandort aufwerten dürfte. Denn neben dem Autoteilehandel mit Werkstattbetrieb werden dann zwei Lebensmitteldiscounter mit großzügig bemessenen Parkplätzen sowie ein weiteres noch unbebautes Grundstück vorhanden sein und dem Standort Gewicht verleihen. Das dann vorhandene Einzelhandelsangebot wird sich gleichermaßen an "Autokundschaft" und an die umliegend lebende Wohnbevölkerung richten. Der Einzugsbereich des Vorhabens wird sich nicht vollständig, aber jedenfalls teilweise mit dem des Nahversorgungszentrums überschneiden. Denn jedenfalls die entlang des R. Wegs angesiedelte Wohnbevölkerung kann sich für die Versorgung mit Gütern des kurzfristigen Bedarfs ebenso in das Nahversorgungszentrum als auch an den Standort des klägerischen Vorhabens richten, weil die zurückzulegenden Entfernungen in beiden Fällen etwa gleich wären. Andererseits steht nicht zu befürchten, dass Kunden allein deshalb von dem Nahversorgungszentrum in das Umfeld des klägerischen Vorhabens abwandern könnten, weil die Versorgung mit Parkraum dort besser wäre als im Nahversorgungszentrum. Denn insbesondere im Umfeld des Fachmarktzentrums "I." und des benachbarten "W.-Centers" sind leicht anzufahrende Parkplätze in großer Zahl vorhanden, durch die sowohl Lebensmitteldiscounter als auch Lebensmittelvollversorger und die Standorte mehrerer Bekleidungsgeschäfte und -discounter erschlossen werden. Auch mag der Standort des Vorhabens die jenseits der Kleingartenanlagen wohnende Bevölkerung anziehen, weil sich für sie die Versorgung im unmittelbaren Nahbereich verbessert.

Mag es demnach zu gewissen Auswirkungen des nach Errichtung des klägerischen Vorhabens an diesem Standort dann vorhandenen Angebots an Verkaufsfläche für Lebensmittel im Discountbereich auf das Nahversorgungszentrum kommen, so werden diese nach Einschätzung des Senats die Grenze der Schädlichkeit keinesfalls erreichen oder gar überschreiten. Maßgeblich für diese Einschätzung ist der Vergleich der an beiden Standorten jeweils vorhandenen Verkaufsflächen in qualitativer und quantitativer Hinsicht. Die Inaugenscheinnahme durch den Berichterstatter des Senats hat ergeben, dass das Lebensmittelangebot im Nahversorgungszentrum qualitativ deutlich dasjenige am Standort des Vorhabens übersteigt. Neben Lebensmitteldiscountern sind auch Vollversorger vorhanden sowie zusätzlich ein breites Angebot an Fachgeschäften und Anbietern internationaler Lebensmittel. Schon diese deutlich stärkere Diversifizierung des Angebots lässt es als nahezu ausgeschlossen erscheinen, dass die Ergänzung des vorhandenen durch einen weiteren Discounter am Vorhabenstandort die Attraktivität des Nahversorgungszentrums gefährden könnte. Erst recht ergibt sich dies aus dem Vergleich der jeweils vorhandenen bzw. geplanten Größe der Verkaufsflächen. Schon die vom Beklagten vorgelegte Zusammenstellung von Verkaufsflächen im Bereich Lebensmittel weist ein Angebot in der Größenordnung von fast 4.000 m² Verkaufsfläche aus; die Klägerin kommt in ihrer zu den Akten gereichten Aufstellung auf ca. 6.600 m², etwa weil sie - zu Recht - auch Betriebe einbezogen hat, die entlang der M.-Straße unweit der W.-Straße liegen. Hinzuzurechnen sind jeweils noch weitere Verkaufsflächen, die ebenfalls durch das Vorhaben der Klägerin Konkurrenz erfahren könnten, etwa Drogerie- und Haushaltswaren sowie Tiernahrung, und die im Nahversorgungszentrum vorhanden sind. Die Klägerin hat hierzu plausibel weitere etwa 3.200 m² ermittelt - im gerichtlichen Ortstermin war insbesondere die Häufung des Angebots von Drogerie- und Haushaltswaren auffällig -, während die Aufstellung des Beklagten insoweit wenig aussagekräftig ist, da sie auf den unmittelbaren Bereich der Westfalenstraße beschränkt ist. Unabhängig davon, welche dieser Aufstellungen der Wirklichkeit näher kommt, ist jedenfalls festzustellen, dass das begrenzte Angebot zweier Lebensmittel-Discountmärkte mit Verkaufsflächen von zusammen 1.400 m² und dem dort üblichen Non-Food-Programm das qualitativ breit gefächerte und quantitativ mit mindestens 7.000 m² zu bemessende Verkaufsflächenangebot des Nahversorgungszentrums nicht spürbar gefährden kann. Einer weiteren Aufklärung, insbesondere durch gutachtliche Ermittlung voraussichtlicher Umsatzverteilungen, bedurfte es vor diesem Hintergrund nicht.

Ende der Entscheidung

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