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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 20.02.2004
Aktenzeichen: 10 A 4840/01
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 2 Abs. 4
BauGB § 3
BauGB § 4
BauGB § 13
BauGB § 30 Abs. 1
BauGB § 31 Abs. 2
BauGB § 31 Abs. 2 Nr. 2
Ein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB für ein Wohnbauvorhaben auf einer als "Öffentliche Grünfläche/Parkanlage" festgesetzten Fläche scheidet aus, wenn sich der Plangeber im Planaufstellungsverfahren aufgrund von entsprechenden Anregungen mit der Frage einer Bebauung des fraglichen Grundstücks befasst und sich unter Abwägung der widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen bewusst gegen eine Ausweisung als Bauland entschieden hat.
Tatbestand:

Der Kläger begehrte von der Beklagten die Erteilung eines baurechtlichen Vorbescheides für die Errichtung eines Wohnhauses. Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, der die Fläche als "Öffentliche Grünfläche/Parkanlage" festsetzt. Im Planaufstellungsverfahren hatte der Kläger seinerzeit die Ausweisung seines Grundstücks als Wohnbaufläche angeregt. Dies wurde vom Rat der Stadt ausdrücklich abgelehnt, um dem öffentlichen Interesse an der Realisierung eines sodann zum Planinhalt gewordenen durchgehenden Grünzuges Rechnung zu tragen.

Das VG hat der Klage stattgegeben und ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von der entgegenstehenden Planfestsetzung zu. Auf die Berufung der Beklagten hat das OVG das Urteil geändert und die Klage abgewiesen.

Gründe:

Dem Vorhaben des Klägers stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften des Bauplanungsrechts entgegen (§ 71 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW). Das geplante Wohnhaus darf nicht auf der dafür vorgesehenen Fläche errichtet werden, weil es dort nach § 30 Abs. 1 BauGB unzulässig ist. Es widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans, da es außerhalb der festgesetzten überbaubaren Grundstücksflächen und teilweise in einem Bereich errichtet werden soll, für den die Festsetzung "Öffentliche Grünfläche-Parkanlage" gilt. Ein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB steht dem Kläger für sein Vorhaben nicht zu.

Bei der Frage, ob ein planerischen Festsetzungen widersprechendes Vorhaben im Wege der Befreiung zugelassen werden kann, ist der Rechtsnormcharakter des als Satzung zu beschließenden Bebauungsplans zu beachten. Die Festsetzungen sind für das Baugenehmigungsverfahren grundsätzlich strikt verbindlich. Der Gesetzgeber stellt mit § 31 Abs. 2 BauGB ein Instrument zur Verfügung, das trotz dieser Rechtsbindung im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit und der Wahrung der Verhältnismäßigkeit für Vorhaben, die den Festsetzungen zwar widersprechen, sich mit den planerischen Vorstellungen aber gleichwohl in Einklang bringen lassen, ein Mindestmaß an Flexibilität schafft.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5.3.1999 - 4 B 5.99 -, BRS 62 Nr. 99.

§ 31 Abs. 2 BauGB erfasst Fallgestaltungen, für die der Ortsgesetzgeber sich regelmäßig keine oder jedenfalls keine genauen Vorstellungen darüber gemacht hat, ob trotz der bauplanerischen Festsetzungen zur sachgemäßen Verfolgung der städtebaulichen Ziele im Sinne gebotener Einzelfallgerechtigkeit ein Abweichen von den Festsetzungen sachnäher ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.11.1989 - 4 B 163.89 -, BayVBl. 1990, 313.

Demgemäß rechtfertigen nur Planfestsetzungen, die - wie regelmäßig - ein Mindestmaß an Abstraktion oder Verallgemeinerungen enthalten, die Erteilung einer Befreiung. Hat der Plangeber hingegen eine Festsetzung "im Angesicht des Falles" für diesen Fall so und nicht anders gewollt, ist für eine Befreiung kein Raum.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.7.1972 - IV C 69.70 -, BRS 25 Nr. 163; Nds. OVG, Urteil vom 12.10.1994 - 1 L 555/93 -, NVwZ 1995, 914; Söfker, in: Ernst-Zinkhahn-Bielenberg-Krautzberger, BauGB, Stand: 1.5.2003, § 31 Rdn. 57 (Unvereinbarkeit mit öffentlichen Belangen).

Ausgehend von diesen Grundsätzen scheidet die Erteilung einer Befreiung hier aus. Wie sich aus der Entstehungsgeschichte des Bebauungsplans mit hinreichender Deutlichkeit ergibt, hat sich der Rat u.a. auf Anregung des Klägers und seines Vaters mit der Frage der Bebaubarkeit gerade des Flurstücks auseinandergesetzt. Aus den im Tatbestand im Einzelnen wiedergegebenen Erwägungen hat er sich indes in Abwägung der widerstreitenden Interessen bewusst und gewollt gegen die Ausweisung als Bauland und für die Festsetzung einer öffentlichen Grünfläche entschieden, um dem öffentlichen Interesse an einem durchgehenden Grünzug längs des Baches und an einer Realisierung einer "nahtlosen Durchführung" des Grünzuges mit Anbindung an die sich östlich der A. Straße anschließenden Waldflächen Rechnung zu tragen. Der Wille des Rates beschränkte sich dabei nicht - wie der Kläger meint - auf die Ablehnung seines damaligen konkreten Vorhabens, sondern war - wie sich aus den Gründen seiner ablehnenden Entscheidung klar ergibt - auf die generelle Ablehnung der Ausweisung eines Baugrundstücks an dieser Stelle gerichtet. Dass das nunmehr streitige Vorhaben des Klägers in Form eines Anbaus an das Wohnhaus vom damaligen Vorhaben eines auf dem Flurstück freistehenden Gebäudes abweicht, ist daher ohne Belang. Dieser eindeutig geäußerte Wille der Gemeinde darf nicht durch eine Befreiung unterlaufen werden. Darauf, ob die fragliche Festsetzung Grundzüge der Planung betrifft - dazu sogleich - oder die Abweichung städtebaulich vertretbar ist - allein diese Voraussetzung nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB kommt hier ernsthaft in Betracht - kommt es nicht einmal an. Die baurechtliche Zulassung des begehrten Vorhabens bedarf der vorherigen Planänderung; sie würde anderenfalls einen Eingriff in die Planungshoheit der Gemeinde darstellen, die ihre abweichenden Zielvorstellungen für das fragliche Grundstück in der Planung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat.

Vgl. Nds. OVG, Urteil vom 12.10.1994 - 1 L 555/93 -, a.a.O.

Ungeachtet der vorstehenden Erwägungen kommt eine Befreiung auch deshalb nicht in Betracht, weil sie die Grundzüge der Planung berühren würde. Durch das Erfordernis der Wahrung der Grundzüge der Planung stellt der Gesetzgeber sicher, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht beliebig durch Verwaltungsakt außer Kraft gesetzt werden. Die Änderung eines Bebauungsplans obliegt nach § 2 Abs. 4 BauGB unverändert der Gemeinde und nicht der Bauaufsichtsbehörde. Hierfür ist in den §§ 3 und 4 BauGB ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange vorgeschrieben, von dem nur unter den in § 13 BauGB genannten Voraussetzungen abgesehen werden kann. Diese Regelung darf nicht durch eine großzügige Befreiungspraxis aus den Angeln gehoben werden. Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwider läuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist. Die Befreiung kann nicht als Vehikel dafür herhalten, die von der Gemeinde getroffene planerische Regelung beiseite zu schieben.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5.3.1999 - 4 B 5.99 -, a.a.O.

Das aus dem Bebauungsplan in Gestalt der Festsetzung einer öffentlichen Grünfläche/Parkanlage und aus den Einzelheiten des Planaufstellungsverfahrens ablesbare Konzept des Plangebers ist getragen von der Absicht, einen durchgehenden bachbegleitenden Grünzug mit Anbindung an die im Osten liegende Waldfläche zu erhalten bzw. herzustellen. In der Planbegründung wird der R. Bach als "wichtiger Bestandteil der Landschaft" gesehen, der aus dem im Osten liegenden Wald bis zur R. Kirche in einem Grünzug verläuft. Nach Nr. 1.2 der Begründung dient der Plan u.a. der Schaffung einer öffentlichen Grünverbindung durch R. Wie sich weiter aus den Erwägungen zum Ratsbeschluss vom 25.6.1984 ergibt, an denen ausweislich des Satzungsbeschlusses vom 14.5.1985 (vgl. dort unter a) a.E.) der Rat festgehalten hat, hat der Rat die den R. Bach begleitende Grünfläche als "ohnehin beengt" angesehen. Die dem Satzungsbeschluss zugrunde liegende Stellungnahme der Verwaltung (vgl. S. 10 der Drucksache 5791/6) betont die Funktion des Grünzuges zur Stützung des typisch dörflichen Charakters von R. und zur "weitestgehenden" Einbettung des R. Bachs in die Grünfläche.

Diese Erwägungen dokumentieren mit der notwendigen Klarheit, dass es dem Rat darum ging, die hier fragliche Fläche in ihrer Gesamtheit auch deshalb von jeglicher Bebauung freizuhalten, um einen möglichst breiten Grünstreifen zu erhalten und so seine Funktion als Anbindung an die östliche Waldfläche zu stärken. Diese konzeptionellen Vorstellungen des Plangebers erhielten umso mehr Gewicht, als die in diesem Bereich angrenzenden Grundstücke nördlich bzw. südlich des R. Baches bereits zum Zeitpunkt der Planaufstellung bebaut waren (A. Straße 266-268, 270, 270a-c, 274) und dadurch den Raum, der für die Zweckbestimmung Grünfläche mit Verbindungsfunktion zur bewaldeten Fläche im Osten zur Verfügung stand, bereits deutlich einengten. Dieses Plankonzept ist - wie oben ausgeführt - weder durch ihm widersprechendes tatsächliches Baugeschehen im Plangebiet überholt noch wird es durch bauliche Entwicklungen in Frage gestellt, die sich außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans vollziehen. Die ihr zugedachte Funktion kann die auf der Antragsfläche festgesetzte Grünfläche nach wie vor erfüllen.

Diesem klar hervorgehobenen Ziel des Bebauungsplans widerspräche es, wenn dem Kläger die Bebauung seines Grundstücks erlaubt würde. Eine dem ausdrücklich verlautbarten Plankonzept zuwiderlaufende Entwicklung des Plangebietes bedarf einer neuen planerischen Entscheidung des dafür zuständigen Gemeindeorgans und kann nicht von der Baugenehmigungsbehörde durch Erteilung einer Baugenehmigung vorgenommen werden.

Ende der Entscheidung

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