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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 25.04.2005
Aktenzeichen: 10 A 773/03
Rechtsgebiete: BauNVO, BauO NRW, BauGB


Vorschriften:

BauNVO §§ 2 bis 13
BauNVO § 14 Abs. 1 Satz 1
BauNVO § 14
BauO NRW § 63
BauO NRW § 65 Abs. 1 Nr. 13
BauGB § 29
BauGB §§ 30 bis 37
BauGB § 34 Abs. 2
1. Eine über 4 m hohe und ca. 16 m lange Mauer mit einem Grenzabstand von gut 3 m zum Nachbargrundstück stellt in einem reinen Wohngebiet mit festgesetzter eingeschossiger Bauweise keine zulässige Nebenanlage nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO dar.

2. § 14 BauNVO gewährt als Vorschrift zur Art der baulichen Nutzung gegen die rechtswidrige Zulassung einer Nebenanlage in gleicher Weise Nachbarschutz wie die Baugebietsvorschriften und § 12 BauNVO. Der Nachbar kann einen nachbarlichen Abwehranspruch insoweit auf die Grundsätze stützen, die das Bundesverwaltungsgericht zum sogenannten Gebietserhaltungsanspruch entwickelt hat (im Abschluss an: BVerwG, Urteil vom 28.4.2004 - 4 C 10/03 -, NVwZ 2004, 1244).


Tatbestand:

Der Kläger wandte sich gegen eine den Beigeladenen in der Nähe der gemeinsamen Grundstücksgrenze genehmigte Mauer, die über 4 m hoch und ca. 16 m lang ist. Beide Grundstücke liegen in einem durch Bebauungsplan festgesetzten reinen Wohngebiet, für das der Plan eingeschossige Bauweise vorsieht. Das Gebiet zeichnete sich durch einen villenartigen und großzügigen Zuschnitt der in offener Bauweise bebauten Grundstücke aus. Das VG wies die Klage ab. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hatte Erfolg.

Gründe:

(...).

Die Baugenehmigungen hätten nicht erteilt werden dürfen, weil der Errichtung der Mauer öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen (§ 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW).

Die streitbefangene "Ziermauer" ist nach § 63 BauO NRW baugenehmigungspflichtig, weil sie nicht genehmigungsfrei gestellt ist.

Eine Genehmigungsfreiheit folgt nicht aus § 65 Abs. 1 Nr. 13 BauO NRW. Danach bedürfen Einfriedungen, soweit sie nicht zu öffentlichen Verkehrsflächen hin errichtet werden, bis zu einer Höhe von 2,00 m über der Geländeoberfläche keiner Baugenehmigung.

Der Zweck einer Einfriedung im Sinne dieser Vorschrift besteht darin, bebaute oder unbebaute Grundstücke oder ihre Teile von Verkehrsflächen, Nachbargrundstücken oder auch Bereichen desselben Grundstücks abzuschirmen, um Witterungs- oder Immissionseinflüsse (Wind, Lärm, Straßenschmutz) abzuwehren oder das Grundstück oder seine Teile gegen unbefugtes Betreten oder Einsichtnahme zu schützen.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Stand: November 2004, § 65 Rn 89.

Die Genehmigungsfreistellung einer Einfriedung ist auf eine maximale Höhe von 2,00 m begrenzt.

Die hier streitgegenständliche Mauer, die ihren Standort nicht an der Grundstücksgrenze, sondern gut 3 m davon abgerückt hat, ist keine Einfriedung im beschriebenen Sinne. Ihr Zweck erschöpft sich darin, das Nachbargrundstück und insbesondere das Haus des Klägers abzumauern. Jedenfalls unter Berücksichtigung ihrer genehmigten Höhenmaße (mindestens 2,67 m, maximal 4,04 m), die den Richtwert von 2,00 m deutlich überschreiten, ist die sogenannte Ziermauer keine (genehmigungsfreie) Einfriedung im Sinne von § 65 Abs. 1 Nr. 13 BauO NRW.

Die baugenehmigungspflichtige Mauer ist bauplanungsrechtlich unzulässig.

Bei ihr handelt es sich um ein Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB. Ihre Errichtung ist schon allein wegen ihrer Ausmaße (ca. 16 m Länge und über 4 m Höhe) bauplanungsrechtlich relevant, so dass für sie die §§ 30 bis 37 BauGB gelten.

Die Errichtung der Mauer entspricht nicht § 30 BauGB i.V.m. § 14 BauNVO bzw. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m § 14 BauNVO. Sie widerspricht der Baugebietsfestsetzung des Bebauungsplans zur Art der baulichen Nutzung. Der Bebauungsplan weist die Grundstücke als reines Wohngebiet im Sinne von § 3 BauNVO aus. Von der Verbindlichkeit des Bebauungsplans ist hier auszugehen, da Anhaltspunkte für seine Ungültigkeit weder dargetan noch ersichtlich sind. Ungeachtet dessen wäre für den Fall der Unwirksamkeit des Bebauungsplans auf § 34 Abs. 2 BauGB abzustellen, weil die nähere Umgebung auch faktisch einem reinen Wohngebiet im Sinne von § 3 BauNVO entspricht.

In einem reinen Wohngebiet sind - soweit hier erörterungsbedürftig - Wohngebäude und Nebenanlagen gem. § 14 BauNVO zulässig. Die streitbefangene Mauer ist danach nicht zulässig. Sie ist nicht Teil eines Wohngebäudes und stellt auch keine zulässige Nebenanlage gem. § 14 BauNVO dar.

Nach § 14 BauNVO sind außer den in §§ 2 bis 13 BauNVO genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke dienen und die seiner Eigenart nach nicht widersprechen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO). Im Bebauungsplan kann die Zulässigkeit der Nebenanlagen und Einrichtungen einschränkt oder ausgeschlossen werden. Der Bebauungsplan beinhaltet zwar keine für die Frage der Zulässigkeit der hier streitigen Nebenanlage einschränkenden oder ausschließenden Festsetzungen. Die textlichen Festsetzungen in Ziffer 5 enthalten lediglich Vorgaben für den Abstand und die bauliche Ausbildung von Einfriedigungen zur Straßenbegrenzungslinie hin. Darunter fällt die streitbefangene Mauer, die ihren Standort zwischen zwei Grundstücken im rückwärtigen Grundstücksbereich hat, nicht.

Die Mauer erfüllt aber die Anforderungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO an eine zulässige Nebenanlage nicht, weil sie sich nicht unterordnet und der Eigenart des Baugebiets widerspricht. Zu den Wesensmerkmalen einer Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO gehört, dass die Anlage sowohl in ihrer Funktion als auch räumlich-gegenständlich dem primären Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke sowie der diesem Nutzungszweck entsprechenden Bebauung dienend zu- und untergeordnet ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.1976 - IV C 6.75 -, BRS 30 Nr. 117.

Eine dem Nutzungszweck dienende Nebenanlage hat im Hinblick auf die Hauptnutzung eine Hilfsfunktion. Die "nebensächliche" Bedeutung muss einmal funktional durch den der Hauptnutzung dienenden Zweck, zum anderen optisch im Hinblick auf die räumliche Unterordnung gegeben sein.

Vgl. König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, 2. Aufl. 2003, § 14 Rn 12 m.w.N.

Möglicherweise ist zwar eine Unterordnung der Mauer in funktionaler Hinsicht zu bejahen. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt es allerdings in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob sich die Anlage "neben" der Hauptanlage, hier also dem Wohngebäude befindet, sondern ausschließlich darauf, dass es sich um eine selbständige Anlage handeln muss, die ihre "Daseinsberechtigung" aus der Existenz einer anderen Anlage, nämlich der Hauptanlage, bezieht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5.1.1999 - 4 B 131.98 -, BRS 62 Nr. 84.

So könnte es sein, wenn sich der Nutzungszweck der streitbefangenen Mauer in der Abschirmung des Wohnanwesens der Beigeladenen erschöpft.

Jedenfalls ist eine nebensächliche Bedeutung der Mauer im Hinblick auf ihre räumlich-gegenständliche ("optische") Unterordnung gegenüber der Hauptanlage zu verneinen. Die Abmessungen der Mauer mit einer genehmigten Länge von bis zu über 16 m und einer Höhe von über 4 m im mittleren Bereich - über einen Längenabschnitt von über 11 m - sind derart groß, dass von einem geringfügigen Ausmaß der Anlage nicht mehr ausgegangen werden kann.

Auch unter Berücksichtigung der Verhältnisse auf dem Grundstück der Beigeladenen ordnet sich die hier streitbefangene Mauer nicht mehr unter. Zwar ist das streitige Vorhaben im Verhältnis zum Flächenmaß des Gesamtgrundstücks (ca. 3.500m²) möglicherweise von untergeordneter Bedeutung. Vergleicht man aber die Höhenmaße der Mauer mit der Höhe der übrigen Baukörper, ergibt sich, dass das im Einklang mit dem Bebauungsplan eingeschossig errichtete Wohngebäude der Beigeladenen bis zur Traufenoberkante mit einer Höhe von maximal 3,90 m unterhalb der Höhe der Mauer (4,04 m) in ihrem mittleren Bereich liegt. Allein die obere Giebelfläche des Wohngebäudes überragt die Mauer mit einem kleinen Ausschnitt. Bei dieser Sachlage kommt der Mauer im Verhältnis zur Hauptnutzung eine nicht nur nebensächliche, sondern eine im Erscheinungsbild und in der optischen Wahrnehmung und Wirkung gleichwertige Bedeutung zu.

Vgl. zur Frage der Unterordnung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30.9.1976 - III 780/75 -, BRS 30 Nr. 99 (Stützmauer von 1 m Höhe im Garten eine Wohnhauses - Unterordnung bejaht); OVG Saarl., Urteil vom 26. 11.1996 - 2 R 20/95 -, BRS 58 Nr. 175 (Brennholzstapel 7 m lang, 2 m tief, 1,30 m hoch - Unterordnung bejaht).

Die Mauer widerspricht darüber hinaus auch der Eigenart des Baugebiets. Hierbei kommt es außer der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets - hier Reines Wohngebiet nach § 3 BauNVO - vor allem auf die tatsächlich vorhandene Bebauung der Umgebung an. Es muss sich stets um eine Nutzung handeln, die ihrem Umfang nach nicht über das hinaus geht, was nach der Verkehrsanschauung in dem jeweiligen Baugebiet üblich ist. Die Eigenart des Gebiets wird durch Lage, Größe und Zuschnitt des Baugrundstücks sowie Weiträumigkeit oder Dichte der Bebauung ebenso bestimmt wie durch Siedlungsweise und konkrete Art der Nutzung der Grundstücke.

Die Eigenart des hier maßgeblichen Baugebiets wird durch einen villenartigen und großzügigen Zuschnitt der in offener Bauweise bebauten Grundstücke geprägt. Im Falle straßennah errichteter Wohngrundstücke erfüllen die Baukörper selbst eine das restliche Grundstück abschirmende Funktion, ansonsten sind die Grundstücke durch Hecken oder sonstige im Sinne der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans maßvoll gestaltete Einfriedigungen umgrenzt. Größere Hecken sind die Ausnahme. Aufgrund der topographischen Verhältnisse (hängiges Gelände) sind vereinzelt höhere Stützmauern errichtet worden. Kompakte Einfriedungen in Gestalt von Mauern oder blickdichten Einfriedungen finden sich nur ganz vereinzelt. Diesen Eindruck, den die Berichterstatterin an Ort und Stelle gewonnen hat, hat sie dem Senat in der mündlichen Verhandlung anhand von Plänen und Lichtbildern vermittelt.

Dem beschriebenen Erscheinungsbild des Baugebiets widerspricht zwar keine Einfriedung. Anders liegt es indes bei der streitbefangenen Mauer auf dem Grundstück der Beigeladenen, die gerade keine Einfriedung im vorgenannten Sinne, sondern eine allein zum Zwecke der Abschirmung errichtete bauliche Anlage darstellt. Sie wirkt unter Berücksichtigung ihrer Baumaße (über 16 m lang und über einen Bereich von 11,18 m über 4 m hoch) wie die fensterlose ungegliederte Rückseite einer Hauswand und ist in dieser Ausführung in dem hier maßgeblichen Baugebiet ohne Vorbild. Mit den genehmigten Baumaßen trägt die Mauer zu einer erheblichen Veränderung der ansonsten offenen Siedlungsstruktur und der durch Weiträumigkeit und durch maßvolle Einfriedigungen geprägten Siedlungsweise bei. Der Charakter einer aufgelockerten Bebauung und offenen Siedlungsweise wird durch das streitige Vorhaben vollständig aufgehoben.

Der Kläger wird durch die somit rechtswidrigen Baugenehmigungen auch in eigenen Rechten verletzt. Insbesondere gewährt § 14 BauNVO als Vorschrift zur Art der baulichen Nutzung gegen die rechtswidrige Zulassung einer vermeintlichen Nebenanlage in gleicher Weise Nachbarschutz wie die Baugebietsvorschriften und § 12 BauNVO. Der Kläger kann einen nachbarlichen Abwehranspruch insoweit auf die Grundsätze stützen, die das BVerwG zum sogenannten Gebietserhaltungsanspruch entwickelt hat.

Vgl. zum Gebietserhaltungsanspruch grundsätzlich: BVerwG, Urteil vom 16.9.1993 - 4 C 28/91 -, BRS 55 Nr. 110; vgl. zum Nachbarschutz bei Unvereinbarkeit des Vorhabens mit § 14 BauNVO: BVerwG, Urteil vom 28.4.2004 - 4 C 10/03 -, NVwZ 2004, 1244 (1246).

Danach wird ein Nachbar in seinen Rechten verletzt, wenn in einem durch Bebauungsplan festgesetzten oder in einem faktischen Baugebiet ein seiner Art nach gebietsuntypisches Vorhaben zugelassen wird. Der sogenannte Gebietserhaltungsanspruch beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. An diesem Nachbarschutz nimmt der Kläger, dessen Grundstück sich unmittelbar neben demjenigen des Beigeladenen befindet, teil. Auf irgendwelche tatsächlichen Beeinträchtigungen kommt es nicht an. (...)

Ende der Entscheidung

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