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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 20.06.2006
Aktenzeichen: 10 A 80/04
Rechtsgebiete: BauO NRW


Vorschriften:

BauO NRW § 6 Abs. 11
BauO NRW § 51 Abs. 7
1. Ob eine Garage im Sinne der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vorliegt, hängt grundsätzlich nicht von der Auswahl der Bauprodukte und der architektonischen Gestaltung ab (hier: Gebäude neben einer Terrasse mit Wänden bzw. Türen aus einer Glas- und Stahlkonstruktion).

2. Zu einer im Einzelfall über das zumutbare Maß hinaus gehenden Störung im Sinne des § 51 Abs. 7 BauO NRW durch die Anordnung einer Garage im rückwärtigen Grundstücksbereich.


Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten für die Errichtung einer Grenzgarage. Das VG gab der Klage statt. Die Berufung des Beigeladenen hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Die Baugenehmigung verstößt allerdings nicht gegen die Abstandflächenvorschrift des § 6 BauO NRW. Nach § 6 Abs. 11 Nr. 1 BauO NRW sind in den Abstandflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandfläche u.a. zulässig an der Nachbargrenze gebaute Garagen bis zu einer Länge von 9,0 m. Die mittlere Wandhöhe darf nicht mehr als 3,0 m über der Geländeoberfläche an der Grenze betragen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Bei dem streitigen Gebäude handelt es sich um eine Garage im Sinne des § 6 Abs. 11 BauO NRW, weil es zum Abstellen eines Kraftfahrzeuges bestimmt und objektiv geeignet ist. Maßgebend ist insoweit eine funktionale Betrachtungsweise. Die Abstandfläche dient der ausreichenden Belichtung und Belüftung, dem Feuerschutz und der Brandbekämpfung, aber auch dem störungsfreien Wohnen. Sie darf nach der Entscheidung des Gesetzgebers ausnahmsweise für Nutzungen mit mindestens gleichrangiger Funktion in Anspruch genommen werden, vornehmlich, um zur Entlastung des öffentlichen Verkehrsraums Kraftfahrzeuge unterzubringen. Dieser gleichrangigen Funktion wegen muss der Nachbar ein Bauen in der Abstandfläche als ihm zumutbar grundsätzlich hinnehmen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5.2.1996 - 10 A 3662/92 -, BRS 58 Nr. 113.

Jede darüber hinaus gehende Nutzung eines Gebäudes lässt jedenfalls die Eigenschaft als privilegierte Grenzgarage entfallen, selbst wenn ein derartiges Gebäude alltagssprachlich als Garage bezeichnet werden mag.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.4.2004 - 10 B 828/04 -, m.w.N.; Boeddinghaus/Hahn/ Schulte, BauO NRW, § 6 Rn. 280 ff.

Hiervon ausgehend bestehen nach dem Bauantrag und den zur Genehmigung gestellten Bauvorlagen keine Zweifel daran, dass das als Garage genehmigte Gebäude eine Garage im Sinne des § 6 Abs. 11 Nr. 1 BauO NRW ist.

Soweit in der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts für die Ausfüllung des gesetzlichen Garagenbegriffs zudem verlangt wird, dass das Gebäude in seinem optischen und technischen Erscheinungsbild bei natürlicher Betrachtung durch seine Funktion, ein Kraftfahrzeug aufzunehmen, bestimmt ist, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24.10.2000 - 7 B 1265/00 -, BRS 63 Nr. 156, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Das Gericht hat in dieser, vom VG herangezogenen Entscheidung das Vorliegen einer Garage verneint, weil das konkrete technische und optische Erscheinungsbild des Gebäudes - namentlich Maßstäbe, Proportionen, Linienverläufe und Sockelhöhe - jeglichen Bezug zu einer Garage im allgemeinen Wortverständnis erkennen ließ, sondern der vorgeblichen Funktion des Bauwerks diametral entgegen stand.

Eine vergleichbare Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Nach dem konkreten Erscheinungsbild des Gebäudes - insbesondere hinsichtlich der Maßstäbe und Proportionen - kann, wie es sich aus den vorliegenden Lichtbildern und Bauzeichnungen ergibt, die Garagenfunktion nicht zweifelhaft sein. Soweit das VG darauf abstellt, dass eine Garage regelmäßig ein geschlossenes Gebäude aus Mauerwerk oder Stahl ohne oder allenfalls mit kleinen Fenstern sei, ist festzuhalten, dass es weder nach dem Gesetz noch nach der zitierten Rechtsprechung darauf ankommt, aus welchen Bauprodukten das Gebäude hergestellt ist. Die Glas- und Stahlkonstruktion einschließlich der vom VG hervorgehobenen Schiebetür an der seitlichen, zur Terrasse ausgerichteten Wand sind für die ohne Weiteres gegebene - und nach außen erkennbare - mögliche Nutzung zum Abstellen eines Kraftfahrzeuges in dem Gebäude ohne Belang. Nichts anderes gilt für die Lage der Garage unmittelbar neben der Terrasse. Diese Lage ist ebenfalls für die mögliche Funktion des Gebäudes nicht relevant und im Übrigen auch nicht - etwa bei kleineren Grundstücken - unüblich.

Auch die bislang unbefestigte Zufahrt über die Rasenfläche spricht hier nicht gegen die Annahme, dass es sich bei dem Gebäude um eine Garage handelt. Es mag grundsätzlich ein gewichtiges Indiz für eine anderweitige Nutzungsabsicht sein, wenn die vorgesehene Zufahrt - wie im vorliegenden Verfahren - über eine Rasenfläche führen soll. Im vorliegenden Verfahren sind jedoch die Angaben des Beigeladenen, dass er bislang nur wegen des vorliegenden Streits über die Genehmigung der Garage von einer Pflasterung abgesehen habe, nicht zu widerlegen.

Einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Garage steht schließlich nicht - wie der Kläger meint - entgegen, dass der Beigeladene nach den sich aus den Verwaltungsvorgängen ergebenden Umständen offenbar zunächst eine andere Nutzung an dem jetzigen Standort beabsichtigt und ohne Genehmigung mit der Bauausführung begonnen hatte. Die streitige Baugenehmigung lässt als Nutzung des Gebäudes lediglich das Abstellen eines Kraftfahrzeuges zu. Die Nutzung eines als Garage genehmigten Gebäudes zu anderen Zwecken stellt nicht die Rechtmäßigkeit der Genehmigung in Frage, sondern rechtfertigt nach den oben dargelegten Grundsätzen ein ordnungsbehördliches Einschreiten.

Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verstößt jedoch gegen § 51 Abs. 7 BauO NRW. Nach dieser Vorschrift müssen Stellplätze und Garagen so angeordnet werden, dass ihre Benutzung die Gesundheit nicht schädigt und Lärm oder Gerüche das Arbeiten und Wohnen, die Ruhe und die Erholung in der Umgebung nicht über das zumutbare Maß hinaus stören. Dabei ist das Kriterium der Unzumutbarkeit nicht im enteignungsrechtlichen Sinne zu verstehen, sondern meint unterhalb dieser Schwelle liegende Belästigungen durch Lärm oder Gerüche, die der Umgebung, insbesondere der Nachbarschaft billigerweise nicht zugemutet werden können. Die Frage, wann die Benutzung von Garagen oder Stellplätzen die Umgebung unzumutbar stört, lässt sich nicht abstrakt und generell nach festen Merkmalen beurteilen. Vielmehr kommt es entscheidend auf die konkrete Situation an, in der sich die Belästigungen auswirken. Dem entsprechend ist von Bedeutung, an welchem Standort die Garagen oder Stellplätze angeordnet werden sollen und in welcher Lage sich dieser Standort zu dem Grundstück, dem Wohnhaus und ggf. gegenüber den Wohnräumen des betroffenen Nachbarn befindet. Entscheidend ist weiter der Umstand, wie der Bereich, in dem die Stellplätze oder Garagen errichtet werden sollen bzw. in dem sie sich auswirken werden, zu qualifizieren ist und welche Einwirkungen die Bewohner dort bereits hinzunehmen haben. Dabei ist von dem Grundsatz auszugehen, dass die durch die Nutzung von Stellplätzen oder Garagen verursachten Belästigungen nur selten zu unzumutbaren Beeinträchtigungen der Umgebung führen, wenn die Stellplätze oder Garagen wie üblich und in der Regel durch die Konzeption der Bebauung vorgegeben, nahe der Straße untergebracht werden. Andererseits werden Lärm- und Geruchsbelästigungen von Stellplätzen oder Garagen in rückwärtigen Grundstücksbereichen eher die Grenze des Zumutbaren überschreiten. Die Grenze ist umso niedriger anzusetzen, je empfindlicher und schutzwürdiger der Bereich, in dem die Stellplätze errichtet werden sollen, hinsichtlich der in § 51 Abs. 7 BauO NRW genannten Schutzgüter ist. Technisch-rechnerisch ermittelte Emissionswerte - seien es Einzelwerte, Wirk- oder Beurteilungspegel - sind dabei für die Beurteilung nicht ausschlaggebend.

Nach der gesetzgeberischen Entscheidung des § 6 Abs. 11 Nr. 1 BauO NRW sind Garagen nebst deren erforderlichen Zuwegung an der Nachbargrenze grundsätzlich hinzunehmen, und zwar gemäß § 12 Abs. 1 BauNVO in allen Baugebieten. Dies bedeutet zugleich, dass auch die mit der Benutzung der Garage notwendigerweise verbundenen Geräusche (Öffnen und Schließen des Garagentores, Motorengeräusch des ein- und ausfahrenden PKW, Türenschlagen, Gespräche vor der Garage etc.) und die von dem PKW bei der Zu- und Abfahrt zur Garage verursachten Abgase nach der gesetzgeberischen Wertung auch und gerade an der Nachbargrenze grundsätzlich als zumutbar anzusehen sind.

Vgl. zum Ganzen Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 51 Rdnr. 205 ff.; zu § 12 BauNVO: BVerwG, Beschluss vom 20.3.2003 - 4 B 59.02 -, NVwZ 2003, 1516.

In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die den Beigeladenen grenzständig zum Grundstück der Kläger genehmigte Garage aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles gegenüber dem Kläger als unzumutbar. Durch die mit der Benutzung der Garage verbundenen Geräusche und die von dem PKW bei der Zu- und Abfahrt zur Garage verursachten Abgase wird ein zusätzliches - bisher nicht vorhandenes - Störpotenzial in den rückwärtigen Grundstücksbereich des Klägers hineingetragen, mit dem der Kläger nicht rechnen musste. Unerheblich ist dabei, dass der Beigeladene nach seinen Angaben die Garage nur in den Wintermonaten zum Unterstellen seines Cabriolets nutzen will. Maßgebend ist eine typisierende Betrachtung. Nach ihren Abmessungen ermöglicht die Garage, deren Benutzung ausschließlich dem Wohnhaus des Beigeladenen zuzuordnen ist, im Normalfall das Unterstellen eines PKW, so dass im Durchschnitt mit etwa vier Fahrbewegungen täglich zu rechnen ist. Entscheidend in Rechnung zu stellen ist bei der erforderlichen Interessenabwägung allerdings, dass die Garage hier nicht - wie im Regelfall üblich - straßennah, sondern um etwa 37 Meter von der Straßenbegrenzungslinie zurückversetzt im rückwärtigen Bereich des Grundstücks des Beigeladenen zugelassen worden ist und die Zufahrt entlang des Wohnhauses und der Terrasse des Klägers erfolgt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der unmittelbare Garagenzugang in Höhe des Teils des Grundstücks des Klägers liegt, den dieser an der Rückseite seines Wohnhauses als Terrasse und damit als Ruhezone nutzt. Dem Schutz der Gebäuderückseiten kommt aufgrund des Ruhebedürfnisses der Bewohner grundsätzlich besondere Bedeutung zu.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 8.8.1997 - 7 A 3730/96 -; vgl. auch Schl.-H. OVG, Urteil vom 9.12.1991 - 1 L 28/91 - , BRS 54 Nr. 101, zu einer Garage mit einer etwa 40 m langen Auffahrt.

Der Senat hat zudem nach den sich aus den Verwaltungsvorgängen ergebenden Umständen die Überzeugung gewonnen, dass der Beigeladene die Genehmigung des Gebäudes als Garage an dem streitigen Standort vor allem deshalb beantragt hat, weil die von ihm zunächst vorgesehene und teilweise ins Werk gesetzte Pergola bzw. überdachte Terrasse - der Beigeladene hatte mit der Bauausführung ohne Genehmigung begonnen - sich als nicht genehmigungsfähig herausgestellt und der Beklagte den Bau daraufhin stillgelegt hatte. Es drängt sich auf, dass der Beigeladene an dem zur Genehmigung gestellten Standort, der besonderen Fahraufwand bei der S-förmigen Ein- bzw. Ausfahrt erfordert, den Bau einer Garage nicht beabsichtigt hätte, wenn er sein ursprüngliches Vorhaben hätte realisieren können. Denn es bestehen auf dem Grundstück des Beigeladenen mehrere nahe liegende Möglichkeiten, die Garage im vorderen Grundstücksbereich - an der westlichen oder östlichen Grundstücksgrenze bzw. im Bereich der vorhandenen Stellplätze - zu errichten. Allein das Interesse des Beigeladenen, die vorhandene Bausubstanz nunmehr für eine Garage zu nutzen, rechtfertigt es bei der nach § 51 Abs. 7 BauO NRW vorzunehmenden Interessenabwägung billigerweise nicht, dem Kläger die von der Nutzung der Garage und der Zufahrt ausgehenden Belästigungen in seinem rückwärtigen Ruhebereich zuzumuten.

Ende der Entscheidung

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