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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 27.08.2002
Aktenzeichen: 10 B 1233/02
Rechtsgebiete: BauO NRW, OBG NRW


Vorschriften:

BauO NRW § 61 Abs. 1 Satz 2
BauO NRW § 69
OBG NRW § 20 Abs. 2 Satz 1
Weder § 69 noch § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW oder eine sonstige Vorschrift der nordrhein-westfälischen Bauordnung bieten eine Ermächtigung, dem Bauherrn bei formell baurechtswidrig durchgeführten Bauvorhaben aufzugeben, für das Vorhaben einen Bauantrag zu stellen, um auf diese Weise ein förmliches Bauantragsverfahren zu erzwingen, oder Erklärungen abzugeben, die einem Bauantrag gleichkämen. Wird die Handlung nicht beantragt, kann die Behörde lediglich über die allgemeine Ermächtigungsnorm, im Baurecht über § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW, insoweit Bauvorlagen für ein formell illegal erstelltes Vorhaben anfordern, als dies zur Beurteilung einer konkret zu prüfenden Gefährdungssituation notwendig ist, die - über die Stilllegung oder Nutzungsuntersagung hinaus - ein Einschreiten erfordern könnte.
Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Regelungen der Ordnungsverfügung das Interesse des Antragstellers, von deren Vollziehung vorerst verschont zu bleiben. Aus den in der Beschwerdeschrift dargelegten Gründen, die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, ergibt sich nicht, dass die angefochtenen Regelungen der Ordnungsverfügung entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung rechtswidrig sind.

Die Anordnung, die in der Grenzwand zum östlichen und nördlichen Nachbarn vorhandenen Fensteröffnungen in der Feuerwiderstandsklasse F 90 mit nicht brennbaren Baustoffen zu schließen, stützt sich nach der zutreffenden Auffassung des VG auf § 61 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 31 Abs. 4 BauO NRW. Dies gilt entgegen dem Vorbringen in der Beschwerdebegründung auch dann, wenn die Fensteröffnungen bereits mindestens seit 1950 und damit schon vor Inkrafttreten des § 31 Abs. 4 BauO NRW vorhanden gewesen sein sollten. Insoweit braucht auch nicht entschieden zu werden, welche Brandschutzanforderungen nach den baurechtlichen Vorschriften bestanden, die bei Herstellung der in Rede stehenden Fensteröffnungen galten. Denn auch wenn man unterstellen wollte, die Fenster hätten ursprünglich den bauordnungsrechtlichen Vorschriften entsprochen, könnte sich der Antragsteller auf Bestandsschutz, bei dessen Vorliegen eine Anpassung vorhandener baulicher Anlagen an die Anforderungen der Bauordnung NRW nur unter den Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 BauO NRW verlangt werden könnte, nicht berufen. Abgesehen davon, dass er schon nicht dargelegt hat, dass das in Rede stehende Gebäude - mit den beanstandeten Fensteröffnungen - formell oder wenigstens für einen namhaften Zeitpunkt mateeriell rechtmäßig gewesen ist, vgl. dazu: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW - Loseblatt-Kommentar, § 87 Rn. 2, wäre ein vorher etwa gegebener Bestandsschutz jedenfalls durch den nicht genehmigten Neueinbau der Stahlbetondecke über dem Erdgeschoss des östlichen Gebäudetraktes erloschen. Bestandsschutz setzt die Identität des errichteten Gebäudes mit dem ursprünglichen voraus.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 63 Rn. 79.

Die Identität fehlt, wenn sich in Bezug auf baurechtlich relevante Kriterien beide Vorhaben baurechtlich unterscheiden, und zwar unabhängig davon, ob die Zulässigkeit des abgewandelten Bauobjektes als solche anders zu beurteilen ist. Eine unterschiedliche baurechtliche Beurteilung beider Vorhaben ist dann möglich, wenn sich die Frage der Genehmigungsfähigkeit des veränderten Vorhabens wegen im Verhältnis zum bestandsgeschützten Vorhaben geänderter tatsächlicher oder rechtlicher Voraussetzungen neu stellt, d.h. diese geänderten Voraussetzungen eine erneute Überprüfung der materiellen Zulässigkeitskriterien erfordern. Ein aliud liegt in der Regel vor, wenn konstruktive Teile geändert werden, insbesondere bei Änderung solcher Bauteile, die für die Standsicherheit von Bedeutung sind.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 75 Rn. 26 f.

Danach ist das Gebäude nach dem ungenehmigten Einbau der Stahlbetondecke über dem Erdgeschoss ein "aliud" gegenüber dem zuvor vorhandenen Gebäude. Die Änderung der Deckenkonstruktion wirkt sich auf die Standsicherheit des Gebäudes aus und erfordert in bauordnungsrechtlicher Hinsicht eine erneute Überprüfung der Statik. Infolgedessen ist ein etwa zuvor gegebener Bestandsschutz jedenfalls erloschen.

Hiervon ausgehend durfte der Antragsgegner mit der Regelung zu 3. der Ordnungsverfügung auch das Verbot der Nutzung von Teilen des Gebäudes anordnen und damit auch ein Vermietungsverbot verbinden.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 61 Rn. 79a.

Nach ständiger Rechtsprechung der Bausenate des beschließenden Gerichts ist eine - für sofort vollziehbar erklärte - Nutzungsuntersagung nur dann unverhältnismäßig, wenn die beanstandete Nutzung in dem Sinne offensichtlich genehmigungsfähig ist, dass der erforderliche Bauantrag gestellt ist, dieser auch nach der Rechtsauffassung der Behörde genehmigungsfähig ist sowie der Erteilung der Baugenehmigung auch sonst nichts im Wege steht. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. In diesem Zusammenhang ist die Behörde nicht etwa verpflichtet, vor der Entscheidung über eine Nutzungsuntersagung dem Betroffenen die Stellung eines Bauantrages nebst zugehöriger Bauvorlagen aufzugeben. Dies folgt schon daraus, dass die Bauaufsichtsbehörde weder nach § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW noch nach speziellen Vorschriften berechtigt ist, von dem Bauherrn einen Bauantrag oder eine einem solchen Bauantrag gleichzustellende Eingabe zu verlangen. Weder § 69 noch § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW oder eine sonstige Vorschrift der Nordrhein-Westfälischen Bauordnung bieten - anders als etwa Art. 67 Abs. 2, 82 Satz 3 BayBO; § 78 Satz 2 LBauORP - eine Ermächtigung, dem Bauherrn bei formell baurechtswidrig durchgeführten Bauvorhaben aufzugeben, für das Vorhaben einen Bauantrag zu stellen, um auf diese Weise ein förmliches Bauantragsverfahren zu erzwingen, oder Erklärungen abzugeben, die einem Bauantrag gleichkämen. Eine derartige Ermächtigung besteht auch nicht aus allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht. Vielmehr widerspricht sie allgemeinen Grundsätzen, da selbst bei Herstellung einer erlaubnispflichtigen Sachlage die Stellung eines Antrages als verwaltungsrechtlicher Willenserklärung in das Belieben des Erklärenden gestellt ist. Damit ist allerdings für diesen das Risiko verbunden, dass die Behörde genehmigungspflichtige Handlungen so lange unterbinden kann, bis zur Prüfung ihrer materiellen Rechtmäßigkeit ein (Bau-)Antrag vorgelegt wird. Wird die Handlung nicht beantragt, kann die Behörde lediglich über die allgemeine Ermächtigungsnorm, im Baurecht über § 61 BauO NRW, die Unterlagen anfordern, die sie notwendig braucht, um Gefahren ermitteln zu können, die von dem stillgelegten bzw. von der Nutzungsuntersagung betroffenen Objekt ausgehen und die sie anderweitig nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermitteln könnte. Dabei kann es grundsätzlich nur um Unterlagen gehen, die den formell baurechtswidrig geschaffenen - und stillgelegten bzw. von der Nutzungsuntersagung betroffenen - Baubestand, nicht aber ein noch weitergehend herzustellendes Bauvorhaben betreffen. Denn die Anforderung von Bauvorlagen für ein noch zu erstellendes bzw. fertigzustellendes Bauvorhaben würde den Bauherrn dazu zwingen, die bisherigen Baumaßnahmen in ein möglicherweise (noch) gar nicht bestehendes sinnvolles Konzept eines genehmigungsfähigen Bauvorhabens zu integrieren. Darauf hinzuwirken, ist nicht Aufgabe der Bauaufsicht.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 4.9.1970 - X A 870/66 -, BRS 23 Nr. 136, vom 6.10.1987 - 7 A 2402/85 - und vom 13.3.1995 - 10 A 5578/94 - sowie Beschluss vom 10.10.1991 - 7 B 1787/91 -. A.A. Mampel, BauR 2000, 996. Vgl. weiter VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.2.1980 - III 1998/79 -, BRS 36 Nr. 174; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 61 Rn. 79 und § 69 Rn. 31 ff.; zur anderen Rechtslage beim bundesrechtlichen Baugebot des § 39c Abs. 7 BBauG und § 176 BauGB vgl. BVerwG, Urteile vom 15.2.1990 - 4 C 41.87 -, BRS 50 Nr. 204, und - 4 C 45.87 -, BRS 50 Nr. 205 (vgl. auch § 176 Abs. 7 BauGB), und zur Rechtslage in anderen Bundesländern Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd. 2, 3. Aufl. 1994, S. 81, 82; allgemein vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG-Kommentar, 6. Aufl. 2001, § 22 Rn. 26 ff., 37 m.w.N.

Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 OBG NRW dürfen bauaufsichtliche Verfügungen nicht nur den Zweck haben, die der Bauaufsichtsbehörde obliegenden Aufgaben zu erleichtern. Daher darf diese nur insoweit und in der Anzahl Bauvorlagen für ein formell illegal erstelltes Vorhaben anfordern, als dies zur Beurteilung der konkret zu prüfenden Gefährdungssituation notwendig ist, die - über die Stilllegung oder Nutzungsuntersagung hinaus - ein Einschreiten erfordern könnte.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 4.9.1970 und vom 13.3.1995, a.a.O., und den zitierten Beschluss vom 10.10.1991.

Die vorgenommene Interessenabwägung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Treppenraumanbau entgegen der ursprünglichen Annahme des Antragsgegners nicht erweitert worden ist. Jedenfalls fehlt nämlich die - vom Antragsgegner bereits in der angefochtenen Ordnungsverfügung beanstandete - Statik für das tatsächlich errichtete Treppenhaus. Denn die Treppe ist als Holzkonstruktion ausgeführt, während die vorgelegte Statik eine Betontreppe zugrundelegt.



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