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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 20.02.2006
Aktenzeichen: 10 B 1490/05
Rechtsgebiete: BauNVO, BauGB


Vorschriften:

BauNVO § 16 Abs. 2 Nr. 4
BauGB § 29
1. Die Festsetzung einer maximalen Höhe baulicher Anlagen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, § 16 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO) durch Angabe einer höchstzulässigen Hauptgesimshöhe im Bebauungsplan ist unbestimmt, weil sich diesem Begriff ein handhabbarer Normgehalt nicht entnehmen lässt.

2. Der Begriff des "Hauptbaukörpers" ist baurechtlich irrelevant; für die Aufteilung einer baulichen Anlage in "Hauptbaukörper" und "Nebenbaukörper" bietet weder das Bauplanungs- noch das Bauordnungsrecht brauchbare Maßstäbe oder sinnvolle Anwendungsfälle.


Tatbestand:

Die Antragsteller wenden sich gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Aufstockung seines Wohnhauses durch ein Staffelgeschoss mit Flachdach. Sie beziehen sich zur Begründung auf die Festsetzungen des zu Grunde liegenden Bebauungsplans, der eine Beschränkung der Wohngebäude auf ein Vollgeschoss und eine Hauptgesimshöhe von 36,5m über NN festsetzt. Antrag und Beschwerde blieben erfolglos.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg. Das Vorhaben des Beigeladenen liegt im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans des Antragsgegners Nr. 5278/42. Danach bestehen für das Baugrundstück neben der zeichnerischen Festsetzung von Baugrenzen folgende weitere Festsetzungen: Reines Wohngebiet, Begrenzung auf ein Vollgeschoss, GRZ 0,4, GFZ 0,5, Flachdach, Hauptgesimshöhe maximal 36,5 m über NN bei einer nachrichtlich angegebenen durchschnittlichen Geländehöhe von 33 m über NN. Soweit diese Festsetzungen auf das Vorhaben anwendbar sind, widerspricht es ihnen nicht, da die Erweiterung des Wohnhauses des Beigeladenen nicht zur Errichtung eines Vollgeschosses führt, die maßgebliche Grund- und Geschossflächenzahl nicht überschreitet und ein Flachdach aufweist. Die Festsetzung einer maximalen Hauptgesimshöhe von 36,5 m über NN hingegen ist unbestimmt und damit unwirksam; sie kann dem Vorhaben des Beigeladenen nicht entgegengehalten werden, so dass offen bleiben kann, ob das Vorhaben die genannte Hauptgesimshöhe überschreitet.

Die Festsetzung einer maximalen Hauptgesimshöhe in dem Bebauungsplan Nr. 5278/42 ist unbestimmt, weil sich ihr auch unter Einbeziehung der Planbegründung und der Planaufstellungsvorgänge ein eindeutiger Regelungsgehalt nicht entnehmen lässt. Dem vom Plangeber verwendeten Begriff der Hauptgesimshöhe kann ein handhabbarer Normgehalt nicht entnommen werden. Unklar ist bereits, ob mit dem Begriff an den bauordnungsrechtlichen Begriff des "Gesimses" oder - wie das VG ohne weiteres angenommen hat - an bautechnische, architektur- oder baustilkundliche Begrifflichkeiten angeknüpft werden soll. Ein Gesims im Sinne des Landesbaurechts ist ein Sonderfall eines vor die Außenwand vortretenden Bauteils, vgl. § 6 Abs. 7 BauO NRW, aber auch § 35 Abs. 6 BauO NRW mit dem Begriff Dachgesims, das ebenfalls durch das Hervortreten vor die Außenwand charakterisiert ist, während in anderen Rechtstexten der Begriff der Hauptgesimshöhe zur Bezeichnung der Gebäudehöhe verwendet wird.

vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 9 der Anordnung über Bauvorlagen, bautechnische Prüfung und Überwachung vom 13.8.1990 mit Geltung für die neuen Bundesländer. In der BauPrüfVO NRW wird lediglich der Begriff der Wandhöhe verwendet (§ 3 Abs. 1 Nr. 6 und 12, § 4 Abs. 3 Nr. 5 BauPrüfVO NRW mit dem "Maß H je Außenwand").

Demgegenüber wird mit einem Gesims als baustilkundlichem bzw. architekturkundlichem Begriff ein architektonisches Element zur horizontalen Gliederung eines Baukörpers verstanden, das häufig, möglicherweise aber nicht notwendig, profiliert ist. In diesem Zusammenhang ist der Begriff des Haupt- oder Dachgesimses allerdings in mehrfacher Hinsicht nicht eindeutig, wie die von dem VG und den Beteiligten in das Verfahren eingeführten Begriffsbestimmungen zeigen. Insbesondere lässt sich - soweit dies im vorliegenden Eilverfahren möglich ist - der von den Beteiligten eingeführten und der vom Senat ergänzend herangezogenen Literatur über die bautechnische und baustilkundliche Fachsprache zwar möglicherweise entnehmen, dass das Vorhandensein weiterer Bauteile oberhalb des Hauptgesimses, etwa einer Attika oder eines Attikageschosses, begrifflich ohne weiteres möglich ist. Unklar ist indes, ob dies auch für Teile des Gebäudes wie ein Staffelgeschoss gilt, die ihrerseits mit einem Dach abschließen, so dass sich die Frage stellt, ob ein derartiges Gebäude möglicherweise über mehrere Hauptgesimse verfügt.

Vgl. etwa Koch, Baustilkunde, 24. Auflage 2003, S. 449; Lexikon Bautechnik der Verkehrswerkstatt Berlin, Stand 29.10.2003 (Gesims bzw. Dach- oder Hauptgesims als waagerechter, oft profilierter Streifen, der ein Gebäude nach oben hin abschließt), www.bics.be.schule.de; Fachhochschule Hildesheim/ Holzminden/Göttingen, Architektur-Glossar (Hauptgesims: gebäudeabschließendes Gesims), www.fh-hhg.de.

Unklar und für den vorliegenden Fall entscheidend bleibt bei der Verwendung des Begriffs "Hauptgesimshöhe" nach alledem nicht nur, ob der Begriff der Rechtssprache oder einer technischen Fachsprache entnommen ist, sondern auch seine genaue Bedeutung im letztgenannten Fall. Hinzu kommt, dass dem Begriff möglicherweise eine Regelungskraft für den - naheliegenden - Fall vollkommen fehlt, dass ein Gebäude im Plangebiet ohne jegliches "Gesims" errichtet wird, also beispielsweise mit vollständig verputzten und in keiner Weise untergliederten Außenwänden. Auch dies bestätigt die Annahme, dass die betroffene Festsetzung unbestimmt ist. Denn auch wenn der Plangeber selbstverständlich Begriffe der Fachsprache verwenden darf, vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 8.4.2005 - 10 B 2730/04 - (fremdsprachige Fachsprache), so müssen diese doch eindeutig als solche erkennbar sein und einen zweifelsfrei bestimmbaren Inhalt haben. Daran fehlt es hier, auch wenn viel dafür sprechen mag, dass der Plangeber eine Festsetzung der höchstzulässigen Gebäudehöhe auf 36,5 m über NN erreichen und diese auch nachbarschützend ausgestalten wollte. Denn nach der Planbegründung sollten "mit Rücksicht auf die Nachbarn die äußeren Abmessungen der Häuser durch Festsetzung des Flachdaches und der Bauhöhe beschränkt" werden. Dennoch lassen sich durch den Rückgriff auf die Planbegründung die genannten Unklarheiten nicht vollständig beseitigen; insbesondere bleibt offen, ob und in welchem Umfang oberhalb des Hauptgesimses der eigentliche Dachaufbau des Flachdachs oder untergeordnete Dachaufbauten angeordnet sein dürfen. Die begrifflichen Grenzen der Festsetzung wären jedenfalls überschritten, wenn sie als gleichbedeutend mit der absoluten Gebäudehöhe - also der Oberkante der Dachfläche verstanden würde. Denn mit dieser - vom Plangeber möglicherweise angestrebten - Auslegung wären die Grenzen des in der Festsetzung verwendeten Wortlauts jedenfalls verlassen; dies gilt schon deshalb, weil dem Plangeber für das so definierte Regelungsziel einfache und gebräuchliche Formulierungen für eine eindeutige Festsetzung zur Verfügung gestanden hätten.

Die Unbestimmtheit der Festsetzung einer höchstzulässigen Hauptgesimshöhe lässt sich auch durch eine Auslegung im Zusammenhang mit der Festsetzung von Flachdächern als zwingender Dachform nicht beseitigen. Denn - wie der vorliegende Fall zeigt - sind ohne weiteres Gebäude mit mehreren Flachdächern unterschiedlicher Höhe denkbar, so dass die weitere Frage beantwortet werden müsste, welche Dachfläche als Bezugspunkt der festgesetzten Hauptgesimshöhe zu dienen hätte. Diese Frage lässt sich jedenfalls nicht mit Hilfe des Begriffs "Hauptbaukörper" klären, da es sich hierbei um einen baurechtlich irrelevanten und zudem unbestimmten und damit nicht handhabbaren Begriff handelt, der lediglich weitere Probleme aufwirft. Zu klären wäre etwa die Frage, ob ein Staffelgeschoss über ein - ggf. weiteres - Hauptgesims verfügen kann, auch wenn das Staffelgeschoss selbst nicht zum "Hauptbaukörper" zählen sollte. Im Übrigen dürfte es sich im hier betroffenen Zusammenhang verbieten, ein Gebäude (§ 2 Abs. 2 BauO NRW) in "Hauptbaukörper" und "Nebenbaukörper" aufzuteilen; weder das Bauplanungs- noch das Bauordnungsrecht geben hierfür brauchbare Maßstäbe oder sinnvolle Anwendungsfälle her.

Vgl. demgegenüber die baurechtlich eingeführten Begriffe Haupt- und Nebenanlage, BVerwG, Beschluss vom 13. 6.2005 - 4 B 27.05 -, BauR 2005, 1755. Unbedenklich ist auch die Verwendung des Begriffs Baukörper als Synonym für bauliche Anlage.

Mangels wirksamer Festsetzung einer höchstzulässigen Gebäudehöhe bedarf die vom VG und den Beteiligten erörterte Frage, ob das Vorhaben des Beigeladenen eine Hauptgesimshöhe von bis zu 36,5 m über NN oder unter Einbeziehung des Staffelgeschosses von etwa 40 m über NN aufweist, keiner Entscheidung. Denn jedenfalls widerspricht es hinsichtlich seiner Gesamthöhe dem Bebauungsplan nicht. Eine ergänzende Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB kommt nicht in Betracht, da der Bebauungsplan auch ohne eine wirksame Festsetzung zur Gebäudehöhe als qualifizierter Bebauungsplan im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB für die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens allein maßgeblich bleibt.

Ende der Entscheidung

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