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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 09.09.2003
Aktenzeichen: 10 B 1593/03
Rechtsgebiete: BauO NRW, BauGB
Vorschriften:
BauO NRW § 71 | |
BauO NRW § 80 | |
BauGB § 37 Abs. 1 |
Tatbestand:
Der Antragsteller wandte sich gegen die bauaufsichtliche Zustimmung der Antragsgegnerin gemäß § 80 BauO NRW zur Errichtung einer Übergangseinrichtung für die Unterbringung von 90 Maßregelvollzugspatienten auf dem Grundstück Gemarkung A. Das Grundstück liegt im Außenbereich von A. und wurde früher als Kaserne genutzt. Der Antragsteller ist Eigentümer eines hiervon ca. 70 m entfernten, ebenfalls im Außenbereich gelegenen Grundstücks, auf dem er einen genehmigten Pferdezucht- und Pferdepensionsbetrieb führt.
Der Beigeladene beantragte gemäß §§ 80, 71 BauO NRW die Erteilung eines Vorbescheides für die befristete Nutzung der Kaserne als psychiatrische Klinik für die Unterbringung von Maßregelvollzugspatienten.
Daraufhin entschied die Antragsgegnerin gemäß § 37 Abs. 1 BauGB, dass das Vorhaben es erforderlich mache, von den Vorschriften der §§ 35 und 36 BauGB abzuweichen. Auf dieser Grundlage werde die Zustimmung gemäß § 80 BauO NRW zu dem Antrag auf Vorbescheid hinsichtlich der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens erteilt. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein. Später erteilte die Antragsgegnerin gemäß § 80 BauO NRW i.V.m. § 63 Abs. 1 BauO NRW die Zustimmung zur Errichtung der Übergangseinrichtung für die Unterbringung von 90 Maßregelvollzugspatienten.
Der hiergegen gerichtete Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.
Gründe:
Zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung hat das VG zutreffend darauf abgestellt, ob die Verfügung der Antragsgegnerin das in § 35 Abs. 3 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Eine solche Rechtsverletzung hat das VG verneint. Es hat ferner ausgeführt, § 37 BauGB vermittle dem Antragsteller keinen weitergehenden Nachbarschutz. Weil die Zustimmungsentscheidung des Antragsgegners nach § 37 Abs. 1 BauGB eine Abweichung von den Vorschriften der §§ 35 und 36 BauGB ermögliche, sei zunächst nach der nachbarschützenden Wirkung dieser Vorschriften zu fragen. Da diese Vorschriften allein über das Gebot der Rücksichtnahme Nachbarschutz entfalteten, könne durch die Entscheidung nach § 37 BauGB jedenfalls nicht ein weitergehender nachbarrechtlicher Abwehranspruch entstehen als die Norm ohne die entsprechende Abweichung vermittele.
Hiergegen wendet sich das Beschwerdevorbringen mit der Begründung, der Antragsteller könne sich nicht nur auf eine Rücksichtslosigkeit des Vorhabens berufen, vielmehr erstrecke sich der Prüfungsrahmen bei einer Entscheidung nach § 37 BauGB auch auf eine gerechte Abwägung der Nachbarrechte. Der Prüfungsrahmen entspreche daher dem der Überprüfung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans im Wege einer Normenkontrolle nach § 47 VwGO. Dieser Einwand greift nicht durch.
Welche Abwehrrechte ein Nachbar gegen ein im Außenbereich ausgeführtes Bauvorhaben hat, bestimmt sich nach § 35 BauGB. Aus § 1 Abs. 6 BauGB lässt sich in einem solchen Falle eine Abwehrposition nicht herleiten. Regelungsadressat des § 1 Abs. 6 BauGB ist nicht der Bauherr, der ein Vorhaben im Außenbereich verwirklicht. Die Pflichten, die durch § 1 Abs. 6 BauGB begründet werden, treffen die Gemeinde, die einen Bebauungsplan aufstellt. Ob die Gemeinde ein Vorhaben im Außenbereich zum Anlass dafür nehmen muss, ein Bauleitplanverfahren einzuleiten, richtet sich nach § 1 Abs. 3 BauGB. Danach bedarf es der Aufstellung eines Bebauungsplans nur unter der Voraussetzung, dass die städtebauliche Entwicklung und Ordnung dies erfordert. Das ist nicht stets schon der Fall, wenn der Außenbereich unter Verstoß gegen § 35 BauGB baulich genutzt wird. Selbst wenn die Gemeinde mit Rücksicht auf städtebauliche Erfordernisse gute Gründe dafür hat, planerisch tätig zu werden, bietet das Recht einem Nachbarn, der sich gegen ein Vorhaben im Außenbereich zur Wehr setzt, keine Handhabe, auf die Aufstellung eines Bebauungsplans hinzuwirken, der sich seiner Belange annimmt. § 2 Abs. 3 BauGB schließt insoweit jeden Rechtsanspruch aus. Kann der Nachbar kein Bauleitplanverfahren erzwingen, so ist ihm auch die Möglichkeit verschlossen, die Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit des § 1 Abs. 6 BauGB zu seinen Gunsten herbeizuführen.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.4.1997 - 4 B 65.97 -, BRS 59 Nr.179.
Ein Anspruch des Antragstellers auf gerechte Abwägung seiner Belange lässt sich entgegen dessen Ansicht auch nicht aus § 37 Abs. 1 BauGB herleiten. § 37 BauGB ermöglicht es, im Interesse einer besonderen öffentlichen Zweckbestimmung baulicher Anlagen des Bundes und des Landes von den materiellen Vorschriften des BauGB abzuweichen. Durch § 37 BauGB soll die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit solcher Anlagen im Einzelfall erleichtert werden. Mit dieser Zweckrichtung der Norm wäre eine Auslegung nicht vereinbar, nach der einem Nachbarn gegenüber einem auf der Grundlage von § 37 BauGB zugelassenen Vorhaben unter Abweichung von Vorschriften des Baugesetzbuches weitergehende Rechte zustünden als gegen die Zulassung eines Vorhabens ohne eine dementsprechende Abweichungsentscheidung. Da § 37 Abs. 1 BauGB materiell-rechtlich eine Befreiungsvorschrift ist, gelten insoweit dieselben Grundsätze wie bei § 31 Abs. 2 BauGB.
Vgl. Dürr, in Brügelmann, BauGB, Loseblatt-Kommentar, Stand: Dezember 2002, § 37 Rn. 35.
Der Nachbar kann sich deshalb nur auf die Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme berufen, wenn von einer nicht nachbarschützenden Norm des Baugesetzbuchs abgewichen wird.
Vgl. Dürr, a.a.O., § 37 Rn. 35; BVerwG, Beschluss vom 8.7.1998 - 4 B 64.98 -, BRS 60 Nr. 183.
Um eine solche Abweichung von nicht nachbarschützenden Anforderungen des § 35 Abs. 2 BauGB geht es hier, weil das nicht privilegierte Vorhaben - ohne Abweichung - wegen Beeinträchtigung öffentlicher Belange unzulässig wäre. Denn das Vorhaben widerspricht den Darstellungen des Flächennutzungsplans. Aus einem solchen Rechtsverstoß kann ein Nachbar jedoch keine Abwehrrechte herleiten. Nichts anderes gilt hinsichtlich eines etwaigen Verstoßes gegen die Darstellungen des Gebietsentwicklungsplans. Weil sich danach im vorliegenden Fall aus § 37 Abs. 1 BauGB keine Nachbarrechte des Antragstellers herleiten lassen, braucht der Senat nicht zu prüfen, ob die angefochtene Zustimmungsentscheidung überhaupt auf der Grundlage des § 37 Abs. 1 BauGB ergangen ist.
Ende der Entscheidung
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