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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 15.12.2005
Aktenzeichen: 10 B 1668/05.NE
Rechtsgebiete: BauGB, BauO NRW 1970, BauO NRW, BImSchG, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 6
BauGB § 1 Abs. 5 S. 2
BauGB § 34
BauO NRW 1970 § 89
BauO NRW § 65 Abs. 1 Nr. 8
BauO NRW § 67 Abs. 1 S. 1
BauO NRW § 67 Abs. 8 S. 2
BImSchG § 3 Abs. 1
BImSchG § 17 Abs. 1
BImSchG § 24 S. 1
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
VwGO § 47 Abs. 6
Ist in einem Bebauungsplanverfahren die prognostische Abschätzung der zu erwartenden Immissionen durch vorhandene landwirtschaftliche Betriebe oder gewerbliche Mastbetriebe erforderlich, ist bei der Immissionsberechnung der durch die Baugenehmigung oder immissionsschutzrechtliche Genehmigung legalisierte (Tier)Bestand zu Grunde zu legen.
Tatbestand:

Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Kälbermastbetriebs mit einem legalisierten Tierbestand vom 276 Mastkälbern. Der Betrieb befindet sich etwa 140 m nordwestlich des Planbereichs des streitgegenständlichen Bebauungsplans. Im Plangebiet werden bislang landwirtschaftlich genutzte Flächen als allgemeine Wohngebiete festgesetzt. Dem Antrag, den Vollzug des Bebauungsplans vorläufig auszusetzen, gab das OVG statt.

Gründe:

Der Antrag ist zulässig.

Insbesondere ist die Antragstellerin antragsbefugt. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag stellen, wer geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Diese Anforderungen gelten gleichermaßen für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO.

Nach dem tatsächlichen Vorbringen der Antragstellerin ist es möglich, dass sie durch die Festsetzungen des angegriffenen Bebauungsplans in einem ihrer Rechte verletzt wird. In Betracht kommt insoweit eine Verletzung des ihr zustehenden Rechts auf gerechte Abwägung ihrer privaten Interessen. Das in § 1 Abs. 6 BauGB a.F., jetzt § 1 Abs. 7 BauGB, verankerte Abwägungsgebot hat drittschützenden Charakter hinsichtlich solcher privater Belange, die für die Abwägung erheblich sind, und kann deshalb ein "Recht" im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sein. Das Interesse der Antragstellerin an einer im Rahmen der genehmigten Variationsbreite ungehinderten Ausübung ihres vorhandenen, auf Kälbermast spezialisierten Betriebs war in die Abwägung der durch die Planung berührten öffentlichen und privaten Interessen einzustellen. Der Bebauungsplan ermöglicht eine zusammenhängende Bebauung von bisher im Außenbereich gelegenen unbebauten Grundstücken östlich und südöstlich des emittierenden Betriebs der Antragstellerin. Das Näherrücken der Bebauung an den Betrieb kann Nutzungskonflikte hervorrufen und unter Umständen Betriebseinschränkungen zum Nachteil der Antragstellerin zur Folge haben. Dem steht nicht entgegen, dass das vorhandene Betriebsgebäude vom Plangebiet 140 m entfernt liegt. Die auf der Hofstelle der Antragstellerin betriebene Kälberhaltung kann - auch wenn diese gegenüber der Haltung anderer Nutztierarten regelmäßig weniger immissionsträchtig ist - erfahrungsgemäß Geruchsimmissionen auch auf weiter entfernt liegenden Flächen verursachen. Nach Nr. 4.4.2 der Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL), die Regelungen für die Feststellung und Beurteilung von Geruchsimmissionen trifft, besteht das Beurteilungsgebiet aus den gemäß Nr. 4.4.3 GIRL gebildeten quadratischen Beurteilungsflächen, die sich vollständig innerhalb eines Kreises um den Emissionsschwerpunkt befinden, dessen Radius mindestens 600 m beträgt.

Der Antragsbefugnis steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin den Betrieb möglicherweise nicht selbst führt, sondern - wie die Antragsgegnerin vorträgt - derzeit an einen anderen Landwirt verpachtet hat. Das Recht auf Berücksichtigung ihrer Interessen im Abwägungsvorgang steht der Antragstellerin als Eigentümerin des emittierenden Betriebs zu, dessen Nutzungsmöglichkeiten - und damit auch Verpachtungsmöglichkeiten - durch die Bebauungsplanung möglicherweise eingeschränkt werden. Unerheblich für die Antragsbefugnis ist es schließlich, ob der Betrieb der Antragstellerin als landwirtschaftlicher oder - wegen des geringen Anteils an eigenen landwirtschaftlichen Flächen - als gewerblicher Mastbetrieb anzusehen ist. Denn der emittierende Betrieb der Antragstellerin ist bauaufsichtlich zugelassen und als gewerblicher Mastbetrieb ebenso auf die Inanspruchnahme des Außenbereichs angewiesen wie ein landwirtschaftlicher Betrieb.

Der Antrag ist auch begründet.

Gemäß § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Die Entscheidung über den Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO setzt eine Gewichtung der widerstreitenden Interessen voraus, bei der insbesondere auf die Folgen für den Antragsteller abzustellen ist, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag in der Hauptsache jedoch Erfolg hätte.

Nach diesen Maßstäben ist es dringend geboten, die Vollziehung des angegriffenen Bebauungsplans bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag im Hauptsacheverfahren auszusetzen, um schwere Nachteile zu Lasten der Antragstellerin abzuwehren.

Es besteht die Gefahr, dass ohne die einstweilige Anordnung - auch wenn der Normenkontrollantrag in der Hauptsache Erfolg hätte - der Betrieb der Antragstellerin betrieblichen Einschränkungen unterworfen würde. Zu derartigen Beschränkungen könnte es kommen, wenn die durch die Planung ermöglichte Wohnbebauung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Normenkontrollhauptsacheverfahrens weitgehend fertiggestellt würde und insbesondere die den Betriebsgebäuden am nächsten gelegenen Wohnhäuser im nordwestlichen Planbereich entgegen der Annahmen des Rates der Antragsgegnerin im Planaufstellungsverfahren Geruchsemissionen des Betriebs ausgesetzt wären, die den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen gemäß § 3 Abs. 1 BImSchG erfüllen. In einem solchen Fall könnte die zuständige Behörde - unabhängig davon, ob es sich um einen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftigen Betrieb handelt oder nicht - entweder nach § 17 Abs. 1 BImSchG oder nach § 24 Satz 1 BImSchG die erforderlichen Anordnungen nachträglich treffen und den Betrieb einschränken.

Als planbedingte Behinderungen der gegenwärtigen Betriebsausübung kommen hier (nachträgliche) zusätzliche behördliche Auflagen und Anordnungen zum Schutz der geplanten neuen Wohnbebauung in Betracht.

Dies gilt auch vor dem Hintergrund der von der Antragsgegnerin im Rahmen des Aufstellungsverfahrens in Auftrag gegebenen Immissionsprognose vom 4.4.2005. Ist in einem Bebauungsplanverfahren eine prognostische Abschätzung von zu erwartenden Immissionen erforderlich, kann diese zwar - je nach den Umständen des Falles - mehr oder weniger grob sein, doch muss sie im Ergebnis hinreichend aussagekräftig sein, um die Wahrung der Zumutbarkeitsschwelle abwägungsgerecht beurteilen zu können. Diesen Anforderungen entspricht die von der Antragstellerin angegriffene Geruchsimmissionsprognose nicht. Sie lässt nicht ausreichend sicher vermuten, dass das Plangebiet durch die bestehenden (landwirtschaftlichen) Betriebe keinen unzumutbaren Geruchsimmissionen ausgesetzt sein wird und deshalb nachteilige Eingriffe in die vorhandenen Betriebe auszuschließen sind.

Der Geruchsimmissionsprognose fehlt es bereits an einer zutreffenden Prognosebasis, denn der ihr zu Grunde gelegte Sachverhalt erfasst das tatsächlich zu berücksichtigende Emissionspotenzial nur unvollkommen.

Das Geruchsgutachten gelangt zu dem Ergebnis, der in der Tabelle 1 der Nr. 3.1 GIRL genannte Immissionswert von 0,10 für Wohngebiete werde im überwiegenden Bereich des Plangebiets nicht überschritten. Lediglich für eine kleine Teilfläche im Westen unmittelbar an der C.-Straße wurde ein Immissionswert von 0,11 errechnet. Die Immissionswerte beschreiben die Geruchshäufigkeit, indem sie prozentual die Zahl der Jahresstunden angeben, in denen es zu Geruchswahrnehmungen auf den jeweiligen Beurteilungsflächen kommt. Das Gutachten berücksichtigt zwei in der Umgebung des Plangebiets angesiedelte (landwirtschaftliche) Betriebe. In die Berechnung geht neben dem etwa 140 m westlich bzw. nordwestlich des Plangebiets gelegenen Betrieb der Antragstellerin mit 200 Mastkälbern und einem Güllehochbehälter auch die landwirtschaftliche Nebenerwerbsstelle "C." mit 30 Sauen, 10 Abferkelplätzen, 50 Mastschweinen und 1.000 Legehennen ein.

Maßgeblich für die im Plangebiet zu erwartenden Immissionen ist der durch Genehmigung legalisierte (Tier-)Bestand. Bei dieser kann es sich um eine Baugenehmigung - bzw. wie hier eine Bauanzeige mit Zustimmung der Bauaufsichtsbehörde - oder um eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung handeln. Hinsichtlich des Betriebs der Antragstellerin wird unter Ziffer 2. des Gutachtens ausgeführt, die Angaben über die "vorhandenen bzw. genehmigten" Tierbestände seien vom Ehemann der Antragstellerin auf dem Vor-Ort-Termin am 15.1.2001 mitgeteilt worden. Die Zahlen seien auch im Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens noch aktuell. Im damaligen Termin hatte der Ehemann der Antragstellerin eine Zahl von 276 Mastkälbern angegeben. In die Immissionsprognose wird jedoch nur eine Zahl von 200 Kälbern eingestellt. Unter Ziffer 1. des Gutachtens wird dazu ausgeführt, der Betrieb der Antragstellerin könne bei einem genehmigten Tierbestand von 276 Kälbern aufgrund der geänderten Tierhaltungsverordnung derzeit in dem bestehenden Gebäude nur 200 Kälber halten. Für die seinerzeit genehmigten 276 Kälbermastplätze seien bauliche Erweiterungen über ein Genehmigungsverfahren zu beantragen. Diese dem Gutachten zu Grunde liegende Annahme ist unzutreffend.

Die Antragstellerin kann sich auf die Bauanzeige aus dem Jahr 1983 zur Errichtung eines Kälbermaststalls mit 267 Kälbern berufen, der der Oberkreisdirektor am 28.2.1984 die Zustimmung erteilt hat. Bei der Immissionsberechnung ist der danach erlaubte Tierbestand von 276 Kälbern zu Grunde zu legen. Eine verwertbare Immissionsprognose kann nur aufgrund des tatsächlich zulässigen Emissionspotenzials erstellt werden, wie es sich aus den erteilten Baugenehmigungen bzw. immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen ergibt. Nur auf dieser Grundlage ist die Prognose hinreichend aussagekräftig, um die in die Abwägung einzustellenden widerstreitenden Belange von Wohnnutzung und Landwirtschaft richtig gewichten und zu einem gerechten Ausgleich bringen zu können.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist der Bestandsschutz für den Kälbermastbetrieb mit 267 Kälbern nicht durch die Kälberhaltungsverordnung vom 22.12.1997 entfallen, weil die Antragstellerin danach in ihrem Stallgebäude nur noch höchstens 198 Kälber ohne genehmigungspflichtige Änderungen legal halten dürfte. Damit verkennt die Antragsgegnerin die Legalisierungswirkung der Baugenehmigung bzw. - wie hier - der Bauanzeige nach Ablauf der Untersagungsfrist oder Erteilung der Zustimmung. Zur Errichtung des Kälbermaststalls ist Ende 1983/Anfang 1984 das seinerzeit nach § 89 BauO NRW 1970 vorgesehene Anzeigeverfahren durchgeführt worden. Das damalige Anzeigeverfahren beinhaltete eine vollständige bauaufsichtliche Überprüfung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften und führte nach Ablauf der Monatsfrist des § 89 Abs. 3 BauO NW 1970 ("fingierte Bauerlaubnis") oder - wie hier - bei förmlicher Zustimmung zur formellen Legalisierung des Vorhabens.

Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 12.11.1964 - I C 58.64 -, BVerwGE 20, 12; OVG NRW, Urteil vom 19.12.1968 - X A 820/67 -, BRS 20 Nr. 154, Beschluss vom 13.8.2004 - 7 B 1121/04 -; Gädtke/Temme, Kommentar zur Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, 6. Auflage 1979, Anm. zu § 89 Abs. 3.

Dies hat zur Folge, dass im Umfang der Baugenehmigung bzw. Bauanzeige die Legalität des Vorhabens nicht in Frage steht, solange die erteilte Genehmigung bzw. Zustimmung nicht aufgehoben oder eine förmliche Untersagung des anzeigepflichtigen Vorhabens nicht erfolgt ist.

Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 7.11.1997 - 4 C 7.97 -, BRS 59 Nr. 109; BGH Urteil vom 3.2.2000 - III ZR 296/98 -, NVwZ 2000, 1206, 1207; OVG NRW, Urteile vom 19.12.1968 - X A 820/67 -, BRS 20 Nr. 154 und vom 11.9.2003 - 10 A 4694/01 -, BRS 66 Nr. 159 sowie Beschluss vom 13.8.2004 - 7 B 1121/04 -; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Loseblatt, Stand: Mai 2005, § 75 Rdnr. 38.

Ein anderer als der legalisierte Tierbestand könnte allenfalls dann in die Immissionsprognose eingestellt werden, wenn in dem Stall, der Gegenstand der Bauanzeige war, unter keinem Gesichtspunkt eine den Tierschutzanforderungen genügende Unterbringung einer größeren Tierzahl möglich wäre. Dies ist hier jedenfalls hinsichtlich der in der Immissionsprognose zu Grunde gelegten Zahl von 200 Kälbern nicht der Fall. Dabei verkennt der Senat nicht, dass aufgrund der Bauanzeige im Stallgebäude ausweislich des mit Zugehörigkeitsvermerk zur Zustimmung versehenen Erdgeschoss-Grundrisses (nur) zehn vollständige und zwei kürzere Boxengänge, ein Krankenstall für Kälber sowie ein Pferdestall mit drei Boxen errichtet worden sind. Die anderslautende Darstellung der Antragstellerin - es seien zwölf vollständige Gänge vorhanden - steht im Widerspruch zu den Bauzeichnungen. Daraus folgt jedoch nicht zwingend, dass höchstens 200 Kälber tierschutzgerecht untergebracht werden können, ohne die Variationsbreite des legalisierten Vorhabens zu verlassen oder ohne genehmigungsbedürftige bauliche Änderungen vornehmen zu müssen. Denn weder läge die Einrichtung von weiteren Boxengängen im Krankenstall für Kälber und im Pferdestall jenseits der Variationsbreite der legalisierten Nutzung noch bedürfte es für die Entfernung oder Änderung nichttragender oder nichtaussteifender Bauteile innerhalb der baulichen Anlage einer Baugenehmigung (vgl. § 65 Abs. 1 Nr. 8 BauO NRW).

Auch hinsichtlich des weiteren Betriebs C. ist unsicher, ob das Immissionsgutachten von einer zutreffenden Prognosebasis ausgeht. Das Ingenieurbüro hat sich bei der Berechnung der im Plangebiet zu erwartenden Geruchsimmissionen ausschließlich am vorhandenen Tierbestand des landwirtschaftlichen Betriebs C. orientiert. Er hat diesen Bestand durch Befragung des Herrn C. beim Ortstermin ermittelt, der bereits im Rahmen eines früheren Gutachtens stattgefunden hatte. Im hier maßgeblichen Gutachten vom 4.4.2005 wird insoweit ausgeführt, die Zahlen seien auch im Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens noch aktuell. Dieser erhobene tatsächliche zahlenmäßige Bestand wäre allerdings nur dann als Prognosebasis geeignet, wenn feststünde, dass er mit dem nach der Genehmigungslage zulässigen Bestand im Wesentlichen übereinstimmt. Ob das so ist, lässt sich jedoch anhand der dem Senat zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht feststellen. Auch die Antragsgegnerin hat ausweislich der Aufstellungsvorgänge zum Bebauungsplan keinen Abgleich der vom Betreiber C. angegebenen Zahlen mit dem genehmigten Tierbestand vorgenommen. Soweit die Antragsgegnerin nun vorträgt, hinsichtlich des Betriebs C. seien die genehmigten Großvieheinheiten zu Grunde gelegt, beseitigt sie damit die bestehenden Unsicherheiten nicht. Mit dem pauschalen Hinweis auf die genehmigten Großvieheinheiten legt die Antragsgegnerin nach wie vor nicht dar, welche Tierbestände nach Art und Zahl konkret genehmigt sind und damit in die Berechnung hätten einfließen müssen. Aber auch für den Fall, dass man die Bedenken hinsichtlich der Beurteilungsgrundlage für den Betrieb C. zurückstellen sollte, verbliebe es wegen der oben dargestellten Unzulänglichkeiten bei der Ermittlung des Emissionspotenzials des Betriebs der Antragstellerin bei der Fehlerhaftigkeit der Immissionsprognose.

Im Hinblick auf mögliche Lärmemissionen ihres Betriebs hat die Antragstellerin hingegen nicht substanziiert dargelegt, dass es durch das "Blöken" der Kälber sowie den An- und Abtransport der Tiere zu Beurteilungspegeln oder kurzzeitigen Geräuschspitzen kommen kann, die Betriebseinschränkungen nach sich ziehen und damit einen schweren Nachteil begründen könnten. Angesichts einer Entfernung des Stallgebäudes von mindestens 140 m zum Plangebiet sieht der Senat auch keinerlei Anhaltspunkte für mit der geplanten Wohnnutzung unvereinbare Lärmimmissionen.

Sollte die durch den Bebauungsplan ermöglichte Wohnbebauung bis zum Abschluss des Normenkontrollhauptsacheverfahrens weitgehend verwirklicht sein, würde der Antragstellerin der spätere Erfolg in jenem Verfahren möglicherweise nichts nützen. Die Eigentümer genehmigter Bauvorhaben im Plangebiet könnten sich, sofern die Antragstellerin nicht jede einzelne Baugenehmigung mit Widerspruch und Anfechtungsklage angreifen würde, auf die Legalisierungswirkung der Baugenehmigungen berufen. Ob die Antragstellerin bei einer späteren Feststellung der Unwirksamkeit des Bebauungsplans die Beseitigung von nach § 67 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW genehmigungsfrei errichteten Vorhaben erreichen könnte, ist zweifelhaft. Nach § 67 Abs. 8 Satz 2 BauO NRW darf die Beseitigung eines Vorhabens wegen eines Verstoßes gegen planungsrechtliche Vorschriften, der auf der Nichtigkeit des Bebauungsplans beruht, nur dann verlangt werden, wenn eine Beeinträchtigung von Rechten Dritter dies erfordert. Die Reichweite dieser Vorschrift, die das ordnungsbehördliche Einschreiten der Bauaufsichtsbehörden regeln soll, ist ungeklärt. Das BVerwG hat in der Vergangenheit mehrfach deutlich gemacht, dass die Beachtung und Durchsetzung des materiellen Bauplanungsrechts im Rahmen landesrechtlich geregelter Verfahren grundsätzlich nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers steht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.1985 - 7 C 65.82 -, BVerwGE 72, 300, Beschluss vom 17.4.1998 - 4 B 144.97 -, BRS 60 Nr. 169 und Beschluss vom 9.2.2000 - 4 B 11.00 -, BauR 2000, 1318.

Ob - abgesehen davon - die Voraussetzungen des § 67 Abs. 8 Satz 2 BauO NRW auch dann erfüllt sein können, wenn die durch den Bebauungsplan ermöglichte Wohnbebauung nach ihrer Fertigstellung - sollte der Bebauungsplan im Normenkontrollhauptsacheverfahren für unwirksam erklärt werden - bauplanungsrechtlich als ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil im Sinne des § 34 BauGB zu beurteilen wäre, bedarf letztlich keiner Entscheidung. In jedem Fall würde die Antragstellerin bei einer weitgehenden Fertigstellung der geplanten Wohnbebauung einer unüberschaubaren prozessualen Situation ausgesetzt sein, die für sich genommen einen schweren Nachteil im Sinne des § 47 Abs. 6 VwGO begründen würde.

Nach allem überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das Interesse der Eigentümer der im Plangebiet gelegenen Grundstücke, von den ihnen durch den Bebauungsplan eingeräumten Bebauungsmöglichkeiten noch vor der rechtskräftigen Entscheidung im Normenkontrollhauptsacheverfahren Gebrauch machen zu können.

Unabhängig von einer Außervollzugsetzung wegen drohender schwerer Nachteile für den Antragsteller, können auch Gesichtspunkte, die für die Unwirksamkeit des Bebauungsplans vorgebracht werden, gegebenenfalls eine einstweilige Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO rechtfertigen, wenn der Normenkontrollantrag auf Grund dieser Gesichtspunkte im Hauptsacheverfahren offensichtlich Erfolg haben wird. Bei summarischer Prüfung spricht Überwiegendes für die Unwirksamkeit des Bebauungsplans, weil er den Anforderungen des § 1 Abs. 6 BauGB a.F., wonach bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind, nicht genügen dürfte. Der Rat der Antragsgegnerin hatte bei der Abwägung neben dem öffentlichen Interesse an der Schaffung weiterer Wohnbauflächen (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BauGB a.F.) auch das Interesse der in der Nähe des Plangebiets angesiedelten landwirtschaftlichen oder auch gewerblichen (Mast-)Betriebe an der Beibehaltung ihrer betrieblichen Situation (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 8 BauGB a.F.) zu berücksichtigen und etwaige planbedingte Konflikte zwischen diesen Belangen zu lösen. Der vom Rat gefundenen Lösung liegen die auf die oben erwähnte Geruchsimmissionsprognose gestützten Annahmen zu Grunde, dass ein Nutzungskonflikt bezogen auf den vorgefundenen Bestand nicht auftrete, weil die errechneten Wahrnehmungshäufigkeiten im Wesentlichen unter 10 % der Jahresstunden lägen. Die Geruchsimmissionsprognose trägt diese Annahmen jedoch nicht, da - wie oben dargestellt - die grundlegenden Ausgangsdaten unzutreffend bzw. unsicher sind.

Das Vorbringen der Antragstellerin nimmt der Senat zum Anlass für den Hinweis, dass allein die Überschreitung der in der GIRL genannten Werte nicht zwingend zur Folge haben muss, dass in dem fraglichen Bereich keine Flächen für Wohnnutzung ausgewiesen werden können. Denn der GIRL kommt keine rechtssatzmäßige Bindungswirkung zu. Die dort vorgesehenen Immissionswerte von 0,10 für Wohn-/ Mischgebiete bzw. 0,15 für Gewerbe-/Industriegebiete sind keine Grenz-, sondern nur Orientierungswerte für die Abwägung. In gleicher Weise hat die Zuordnung dieser Werte zu bestimmten Gebietstypen für die Abwägung keine abschließende Bedeutung. Vielmehr kann in begründeten Einzelfällen - ggfls. auch im Übergang zum Außenbereich - eine Überschreitung der Immissionswerte oder eine Festlegung von Zwischenwerten abwägungsgerecht sein, zumal die Bildung eines Mittelwertes auch bei Geruchsbelästigungen in der Rechtsprechung durchaus anerkannt ist. Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.9.1993 - 4 B 151.93 -, BRS 55 Nr. 165; OVG NRW, Urteile vom 25.9.2000 - 10a D 8/00.NE -, BRS 63 Nr. 7 und vom 19.2.2002 - 10a D 133/00.NE -.

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