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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 14.02.2006
Aktenzeichen: 10 B 2119/05
Rechtsgebiete: DSchG NRW, VwVfG NRW


Vorschriften:

DSchG NRW § 4
DSchG NRW § 9 Abs. 3
VwVfG NRW § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
1. Das Vorliegen einer bestandskräftigen Abbruchgenehmigung (§§ 63 Abs. 1, 75 BauO NRW) steht einer denkmalrechtlichen vorläufigen Unterschutzstellung (§ 4 DSchG NRW) des von der Abbruchgenehmigung erfassten mutmaßlichen Denkmals nicht grundsätzlich entgegen.

2. Die Voraussetzungen für eine Anordnung, dass das mutmaßliche Denkmal vorläufig als eingetragen gilt (§ 4 Abs. 1 DSchG NRW), sind im Interesse einer effektiven Sicherung gefährdeter Denkmäler großzügig zu handhaben.


Tatbestand:

Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Grundstücks in D.-K.---, das u.a. mit der so genannten X-Villa bebaut ist, bestehend aus einem 1921 errichteten und 1938 erweiterten Haupthaus und einem 1960 nach Plänen des Architekten F. ausgeführten Anbau. Im Februar 2001 besichtigten Mitarbeiter der Unteren Denkmalbehörde und des beigeladenen Rheinischen Amtes für Denkmalpflege das Gebäude von innen und außen und kamen zu dem Ergebnis, dass die Villen mit den Hausnummern 6 und 8-10 denkmalwert seien.

Im November 2003 wies die Untere Denkmalbehörde darauf hin, dass die Denkmaleigenschaft der X-Villa ungeklärt sei; der Beigeladene verweigerte durch Schreiben vom 26.11.2003 das Benehmen für die Absicht des Antragsgegners, von einer Unterschutzstellung abzusehen, und verlangte weiterhin, dass die Henle-Villa als Denkmal in die Denkmalliste einzutragen sei.

Am 8.1.2004 erteilte der Antragsgegner der Antragstellerin die beantragte Abbruchgenehmigung. Am 19.5.2004 beantragte der Beigeladene förmlich die Eintragung in die Denkmalliste und reichte im Dezember eine sich auf eine neuerliche Innenbesichtigung stützende gutachterliche Stellungnahme nach.

Am 26.9.2005 stellte der Antragsgegner fest, dass auf dem Grundstück vorbereitende Arbeiten für den Abbruch des Gebäudes durchgeführt wurden. Mit Datum vom 27.9.2005 sprach er durch gesonderte, jeweils für sofort vollziehbar erklärte Bescheide die vorläufige Unterschutzstellung der X-Villa aus und widerrief die erteilte Abbruchgenehmigung. Die Antragstellerin erhob gegen beide Bescheide Widerspruch und begehrte Eilrechtsschutz im Hinblick auf den Widerruf der Abbruchgenehmigung. Das VG lehnte den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Widerruf der Abbruchgenehmigung ab. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Gründe:

§ 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG NRW ist auf eine erteilte Abbruchgenehmigung anwendbar. Der Senat teilt die hiergegen erhobenen Bedenken der Beschwerde nicht, weil dem Interesse des von dem widerrufenen Verwaltungsakt Begünstigten durch das Erfordernis einer Gefährdung öffentlicher Interessen für den Fall, dass ein Widerruf unterbleibt (vgl. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 am Ende), sowie durch die Entschädigungsvorschrift des § 49 Abs. 6 VwVfG NRW Rechnung getragen ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.1998 - 4 C 9.97 -, BRS 60 Nr. 68, in der die Anwendbarkeit des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG zu Grunde gelegt wird. Die von der Beschwerde angeführte Kommentierung von Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 49 Rz 42, stützt sich zu Unrecht auf OVG NRW, Urteil vom 2.12.1987 - 11 A 408/86 -, BRS 48 Nr. 145. In jener Entscheidung ist vielmehr ausdrücklich ausgeführt, dass § 49 VwVfG auf Baugenehmigungen Anwendung findet; im entschiedenen Fall lag indes eine rechtswidrige Baugenehmigung vor. Vgl. auch Boeddinghaus / Hahn / Schulte, BauO NRW, Stand Oktober 2005, § 75 Rn. 155 ff.

Ob die vorläufige Unterschutzstellung der X-Villa eine den Widerruf der Abbruchgenehmigung rechtfertigende Tatsache darstellt - wie das VG ausgeführt hat und wofür Überwiegendes spricht - oder ob es sich lediglich um die Neubewertung bekannter Tatsachen handelt, kann im Ergebnis offen bleiben. Denn die vorläufige Unterschutzstellung wird in nicht unerheblichem Umfang auf Erkenntnisse gestützt, die anlässlich einer Begutachtung des Gebäudeinneren gewonnen und dem Antragsgegner Anfang September 2005 in Form eines ausführlichen ergänzenden Gutachtens mitgeteilt worden sind, insbesondere bezogen auf den Umstand, dass das ursprüngliche Raumprogramm des Bauwerks noch weitgehend im Originalzustand erhalten ist. Bei diesen Erkenntnissen handelt es sich um nach Erlass der Abbruchgenehmigung eingetretene Tatsachen im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG NRW; Probleme der Jahresfrist (§ 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG NRW) stellen sich daher nicht.

Auch die Ausführungen der Beschwerde zum öffentlichen Widerrufsinteresse führen nicht zu einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Widerrufsentscheidung. Die Beschwerde sieht ein öffentliches Interesse, das ohne den Widerruf gefährdet wäre, nicht als gegeben, weil die X-Villa nicht als Denkmal im Sinne des § 2 DSchG NRW einzustufen sei. Dieser Ansatz wird der Bedeutung des § 4 DSchG NRW nicht gerecht. Das ohne einen Widerruf der Abbruchgenehmigung im vorliegenden Fall gefährdete öffentliche Interesse liegt nicht darin, dass ein Denkmal zerstört würde, sondern darin, dass ein Gebäude beseitigt würde, mit dessen Eintragung als Denkmal zu rechnen ist. In diesem Zusammenhang muss noch nicht abschließend entschieden werden, ob die X-Villa als Denkmal in die Denkmalliste einzutragen ist. Auch wenn hierfür angesichts der bisher vorliegenden Erkenntnisse Vieles sprechen mag, ist im Hinblick auf den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens lediglich maßgeblich, ob ohne den Widerruf das öffentliche Interesse an einer vorläufigen Unterschutzstellung nach § 4 DSchG NRW gefährdet wäre. Denn die vorläufige Unterschutzstellung als Sicherungsmaßnahme soll den Behörden die Möglichkeit eröffnen, das Verfahren der endgültigen Unterschutzstellung vorzubereiten und über seine Einleitung zu entscheiden. In der vorliegenden Verfahrenskonstellation ist im Kern also lediglich über die Richtigkeit der Prognose zu entscheiden, ob die X-Villa nach bisherigem Erkenntnisstand mutmaßlich als Denkmal einzustufen sein wird. Daran bestehen, entgegen der Annahme der Beschwerde, im Hinblick auf die fachkundigen Stellungnahmen des Beigeladenen keine Zweifel.

Die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 DSchG NRW, die im Interesse einer effektiven Sicherung gefährdeter mutmaßlicher Denkmäler großzügig zu handhaben sind vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.12.1985 - 11 A 1588/83 -, und Beschluss vom 22.11.2002 - 8 B 1852/02 -, m.w.N., Eberl / Kapteina / Kleeberg / Martin, Entscheidungen zum Denkmalrecht, 2.2.4 Nr. 8; liegen vor. Die Annahme der Beschwerde, die X-Villa habe "keinerlei Aussagewert" für die historische Entwicklung von A., sondern dokumentiere lediglich den Wunsch einer Einzelperson mit "besonderer Vorliebe für gesellige Veranstaltungen" nach repräsentativer Unterbringung einer Gemäldesammlung und sei zudem auch wissenschaftsgeschichtlich ohne Belang, ist durch die Stellungnahmen des Beigeladenen widerlegt. Auch geht der Einwand der Antragstellerin fehl, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 DSchG NRW lägen im Hinblick auf die Bindungswirkung der bestandskräftigen Abbruchgenehmigung nicht vor; dasselbe gilt für den Einwand, das Widerrufsermessen sei nicht hinreichend bzw. nicht rechtmäßig ausgeübt worden. Der Umstand, dass das Grundstück am 26.9.2005 in einem Teilbereich von Strauchwerk gesäubert worden war, musste den Antragsgegner nicht an dem Widerruf der Abbruchgenehmigung hindern. Denn diese auf den Gebäudebestand bezogene Genehmigung war von der Antragstellerin gerade noch nicht ausgenutzt worden. Schließlich ist die Widerrufsentscheidung auch nicht unverhältnismäßig. Zwar ist nicht zu verkennen, dass sie der Antragstellerin eine erhebliche wirtschaftliche Belastung auferlegt. Dieser Aspekt ist jedoch im Rahmen der Entscheidung nach § 49 Abs. 6 VwVfG NRW und im Rahmen eines - auch bei nur vorläufiger Unterschutzstellung bereits möglichen - Übernahmeverlangens nach § 31 DSchG NRW und nicht bei der Entscheidung über die Richtigkeit der für § 4 DSchG NRW zu treffenden Prognose über die Denkmaleigenschaft zu berücksichtigen; er zwingt allerdings dazu, die Entscheidungen über das weitere Schicksal der X-Villa erheblich zügiger zu treffen als dies in der Vergangenheit geschehen ist.

Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen bleibt die Beschwerde der Antragstellerin auch deshalb erfolglos, weil ihr Interesse an der sofortigen Inanspruchnahme der erteilten Abbruchgenehmigung gegenüber dem Interesse an der vorläufigen Erhaltung der X-Villa zurückstehen muss. Würde der Senat im vorliegenden Fall die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Widerrufsverfügung und damit im Ergebnis die Vollziehbarkeit der Abbruchgenehmigung zu Unrecht wiederherstellen, wäre das Gebäude - und damit ein mutmaßliches Denkmal - nach Durchführung des Abbruchs unwiederbringlich verloren; eine im öffentlichen Interesse stehende Erhaltung der Villa als Denkmal wäre nicht mehr zu verwirklichen. Würde sich hingegen die Bestätigung der sofortigen Vollziehbarkeit der Widerrufsverfügung als fehlerhaft herausstellen, könnte die Antragstellerin zwar von der Abbruchgenehmigung Gebrauch machen, allerdings erst nach abschließender Klärung der Denkmaleigenschaft. Der Senat verkennt nicht, dass dies der Antragstellerin erhebliche wirtschaftliche Lasten auferlegt, weil sie das von ihr erworbene Grundstück bis zur abschließenden Klärung zwar finanzieren muss, aber wirtschaftlich möglicherweise nicht nutzen kann. Dennoch ist dieses private wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin im vorliegenden Fall von geringerem Gewicht als das öffentliche Interesse daran, die Zerstörung eines mutmaßlichen Denkmals vor der abschließenden Klärung seiner Denkmalwürdigkeit zu verhindern.

Im Übrigen ist weder die Frage einer Entschädigung nach § 49 Abs. 6 VwVfG NRW noch eines denkbaren Übernahmeanspruchs nach § 31 DSchG NRW Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die Verfahrensbeteiligten werden jedoch unverzüglich zu klären haben, ob die X-Villa dauerhaft unter Schutz gestellt werden soll und ob dies ggf. auch den gesamten Gartenbereich erfassen darf, der von dem erteilten Bauvorbescheid für die Bebauung mit Wohnhäusern vorgesehen ist, von der Villa selbst hingegen nicht in Anspruch genommen wird. Auch wird zu klären sein, ob ein Übernahmeanspruch der Antragstellerin - ggf. neben dem Anspruch aus § 49 Abs. 6 VwVfG NRW - besteht und wie für den Fall verfahren werden soll, dass dem Antragsgegner eine Übernahme des Denkmals aus wirtschaftlichen Gründen unmöglich sein sollte.

Ende der Entscheidung

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