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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 22.01.2007
Aktenzeichen: 10 B 2456/06
Rechtsgebiete: VwGO, BauO NRW


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
BauO NRW § 2 Abs. 2
BauO NRW § 6
BauO NRW § 6 Abs. 5 Satz 1 1. Spiegelstrich
BauO NRW § 6 Abs. 6
BauO NRW § 6 Abs. 6 Satz 4 a.F.
BauO NRW § 31 Abs. 1
BauO NRW § 31 Abs. 1 Nr. 1
BauO NRW § 17
BauO NRW § 17 Abs. 3 Satz 2
1. Im Rahmen einer Nachbarklage müssen inzwischen ergangene Rechtsänderungen zugunsten des Bauherrn berücksichtigt werden. Ein Erfolg im vorläufigen Rechtsschutzverfahren scheidet von vornherein aus, wenn die begehrte Baugenehmigung unter Anwendung neuen Rechts sofort wieder erteilt werden müsste.

2. Die Regelung über das Schmalseitenprivileg und dessen Inanspruchnahme vor nur zwei Außenwänden ist mit dem 2. Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12.12.2006, GV. NRW. S. 614, ersatzlos entfallen.


Tatbestand:

Die Antragsteller begehrten die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gegen die für das Nachbargrundstück erteilten Baugenehmigungen zur Errichtung zweier Doppelhaushälften und eines Mehrfamilienhauses. Sie machten u.a. geltend, die Vorhaben verstießen gegen Abstandflächenvorschriften. Antrag und Beschwerde blieben erfolglos.

Gründe:

Aus den mit der Beschwerde dargelegten Gründen, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass der Beschluss des VG zu ändern ist.

(........)

Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen (L.-Platz 7a, L.-Platz 7b und L.-Platz 7) mit Vorschriften des Bauordnungs- oder Bauplanungsrechts unvereinbar sind, die auch dem Schutz der Antragsteller zu dienen bestimmt sind.

Die mit der Beschwerde nochmals geltend gemachte Verletzung von Abstandflächenvorschriften des § 6 BauO NRW führt jedenfalls nicht mehr zum Erfolg der Beschwerde.

Die Doppelhaushälften L.-Platz 7a und 7b sind entgegen den Ausführungen der Antragsteller nicht als ein einheitliches Gebäude anzusehen. Entscheidend für die Qualifizierung eines Gebäudes als eine bauliche Anlage im Sinne des § 2 Abs. 2 BauO NRW ist die selbständige Benutzbarkeit der baulichen Anlage.

Vgl. hierzu Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Landesbauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Loseblatt, Stand: Oktober 2006, § 2 Rdnr. 34.

Es handelt sich um zwei selbständige Doppelhaushälften, die lediglich seitlich aneinander gebaut sind und auf selbständigen Grundstücken liegen.

Davon ausgehend ist weder bezüglich des Gebäudes L.-Platz 7a noch bezüglich des Gebäudes L.-Platz 7b und des Gebäudes L.-Platz 7 eine zum Erfolg der Beschwerde führende Verletzung von Abstandflächenvorschriften festzustellen. Eine Verletzung der genannten Vorschriften hinsichtlich des Gebäudes L.-Platz 7a scheidet schon deshalb aus, weil die Abstandflächen nicht gegenüber dem Grundstück der Antragsteller liegen.

Zweifel bestehen allerdings dahingehend, ob der nach Süden ausgerichtete Zwerchgiebel des Hauses L.-Platz 7b die erforderliche seitliche Abstandfläche nach Westen einhält mit der Folge, dass das Schmalseitenprivileg entgegen § 6 Abs. 6 Satz 4 BauO NRW a.F. gegenüber dem Nachbargebäude L.-Platz 7a zweimal in Anspruch genommen werden müsste. Bei einer rechtswidrigen Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs stehen allen betroffenen Nachbarn nach der bisherigen Rechtslage Abwehrrechte zu.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 24.3.1998 - 7 B 328/98 -, BRS 60 Nr. 114; Gädtke/Temme/ Heintz, Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 10. Auflage, § 6 Rdnr. 240.

Darauf können sich die Antragsteller jedoch nicht berufen, da § 6 BauO NRW mit dem 2. Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12.12.2006, GV. NRW. S. 614, geändert worden ist. Zwar wurden die Anträge auf Erteilung der Baugenehmigungen vor Inkrafttreten des vorgenannten Gesetzes gestellt und beschieden, so dass die Vorhaben grundsätzlich nach der bisherigen Rechtslage zu beurteilen sind. Auch aus Art. II Nr. 2 des Änderungsgesetzes folgt nichts anderes. Danach kann der Antragsteller, der vor Inkrafttreten des Gesetzes einen Antrag auf Erlass eines nach der Landesbauordnung vorgesehenen Verwaltungsakts gestellt hat, verlangen, dass § 6 BauO NRW in der zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung angewandt wird.

Unabhängig von der jeweiligen landesrechtlichen Übergangsvorschrift ist in der Rechtsprechung des BVerwG geklärt, dass im Rahmen einer Nachbarklage inzwischen ergangene Rechtsänderungen zugunsten des Bauherrn berücksichtigt werden müssen. Es wäre nämlich nicht sinnvoll und mit der verfassungsmäßigen Garantie des Eigentums nicht vereinbar, eine (bei ihrem Erlass fehlerhafte) Baugenehmigung aufzuheben, obwohl sie sogleich nach der Aufhebung wieder erteilt werden müsste.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 5.10.1965 - 4 C 3.65 -, BVerwGE 22, 129 (133) = BRS 16 Nr. 97, und Beschluss vom 22.4.1996 - 4 B 54.96 -, BRS 58 Nr. 157 = NVwZ-RR 1996, 628.

Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes scheidet somit mangels Erfolgsaussichten in der Hauptsache von vornherein aus, wenn die begehrte Baugenehmigung unter Anwendung des neuen Rechts sofort wieder erteilt werden müsste.

Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 8.12.1998 - 10 B 2255/98 -, BRS 60 Nr. 208.

So liegt der Fall hier. Zwar beträgt die Tiefe der Abstandfläche nach § 6 Abs. 5 Satz 1, erster Spiegelstrich BauO NRW wie bisher 0,8 H. Nach der Änderung des § 6 Abs. 6 BauO NRW genügt aber auf einer Länge der Außenwände und von Teilen der Außenwände von nicht mehr als 16 m gegenüber jeder Grundstücksgrenze und gegenüber jedem Gebäude als Tiefe der Abstandfläche 0,4 H. Die Regelung über das Schmalseitenprivileg und dessen Inanspruchnahme vor höchstens zwei Außenwänden ist entfallen. Der Gesetzgeber hat diese Änderung wie folgt begründet (LT-Drs. 14/2433):

"... Die Regelung des Absatzes 6 darf zwar wie bisher je Grundstücksgrenze nur einmal angewandt werden. Es entfällt aber die Beschränkung, dass sie nur gegenüber höchstens zwei Grundstücksgrenzen in Ansatz gebracht werden darf. Aus diesem Grund wird auch der Begriff des Schmalseitenprivilegs aufgegeben.

Diese Vereinfachung und Erleichterung erscheint sachgerecht. Die Betroffenheit jedes einzelnen Nachbargrundstücks bleibt nach dieser Regelung unverändert. Auch hinsichtlich der weiteren, von den Abstandflächenvorschriften geschützten Belangen, z.B. die Belichtung, hat diese Änderung keine Auswirkungen, da auch schon bisher Nutzungseinheiten, z.B. Wohnungen, ausschließlich zu der "Schmalseite" eines Gebäudes orientiert sein konnten. Allerdings lässt sich in den Fällen, in denen zu allen Grundstücksgrenzen ein Abstand eingehalten wird, anders als bisher, nun kein nachbarlicher Anspruch auf Einhaltung eines Abstands von 0,8 der Wandhöhe alleine daraus herleiten, dass dieses Privileg bereits zu Lasten eines anderen Nachbargrundstücks ausgeschöpft wurde.

Die Regelung des Absatzes 6 ist nun nicht mehr auf eine Wand je Grundstücksgrenze beschränkt. Vielmehr kann sie auch vor mehreren Wänden in Anspruch genommen werden, wenn die Längen dieser Wände zusammengenommen je Grundstücksgrenze die unverändert geltende Obergrenze von 16 m Länge nicht überschreiten. Einerseits bleibt gesichert, dass das Nachbargrundstück wie bisher Wände, die bis auf 0,4 der Wandhöhe an die Grenze heranrücken, nur auf einer Länge von nicht mehr als 16 m hinnehmen muss. Andererseits wird es damit im Ergebnis unerheblich, ob dieses Maß von 16 m durch eine Wand oder durch mehrere, versetzt angeordnete Außenwände (z.B. Staffelgeschosse) ausgeschöpft wird. Eine Aufteilung der reduzierten Abstandfläche gegenüber einer Grundstücksgrenze in mehrere verschiedene Abschnitte ist jedoch nicht möglich. ..."

Da sich der vorgenannte Abstandflächenverstoß auf der dem Grundstück der Antragsteller abgewandten Seite befindet, hat sich die Rechtslage zugunsten der Beigeladenen geändert.

Die Antragsteller haben keine weitere Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift des Bauordnungsrechts dargelegt. Die mit den Baugenehmigungen (L.-Platz 7a und 7b) zugelassenen Abweichungen von § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW können, wie das VG zutreffend ausgeführt hat, eine Verletzung von Rechten, die auch dem Schutz der Antragsteller zu dienen bestimmt sind, nicht begründen. Angesichts der Entfernung des Wohngebäudes der Antragsteller zu dem Vorhaben L.-Platz 7b scheidet hier die Annahme einer drittschützenden Wirkung des § 31 Abs. 1 BauO NRW, der ein Übergreifen von Feuer auf angrenzende Grundstücke verhindern soll, aus. Entsprechendes gilt für die mit der Beschwerde angeführte Verletzung des § 17 BauO NRW. Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, dass bezüglich der Gebäude L.-Platz 7a und 7b die genannte Vorschrift verletzt ist. So ist insbesondere der vorgesehene zweite Rettungsweg des Hauses L.-Platz 7b über ein Fenster im Dachgeschoss für die Feuerwehr im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 2 BauO NRW erreichbar.

Die Antragsteller können auch in bauplanungsrechtlicher Hinsicht keine Verletzung nachbarschützender Vorschriften geltend machen. Eine Verletzung des Gebietsgewährleistungsanspruchs scheidet aus den zutreffenden Gründen des Beschlusses des VG aus. Dem sind die Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten. Der Gebietsgewährleistungsanspruch, vgl. hierzu grundlegend: BVerwG, Urteil vom 16.9.1993 - 4 C 28.91 -, BRS 55 Nr. 110, bezieht sich ausschließlich auf die - hier nicht problematische - Art der baulichen Nutzung. Einen Anspruch auf Einhaltung der aus der Umgebung ableitbaren Vorgaben hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche - etwa im Sinne eines Gebietsgewährleistungsanspruchs - gibt es nicht. Im Übrigen befindet sich das Wohngebäude der Antragsteller selbst im rückwärtigen Bereich des Grundstücks. Schließlich nennt die Beschwerdebegründung auch keine neuen Aspekte, die entgegen den Ausführungen des VG die Annahme einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme rechtfertigten.

Ende der Entscheidung

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