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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 29.04.2002
Aktenzeichen: 10 B 78/02
Rechtsgebiete: VwGO, BauO NRW


Vorschriften:

VwGO § 123
VwGO § 123 Abs. 1 Satz 2
VwGO § 80
VwGO § 80a
BauO NRW § 63 Abs. 1
BauO NRW § 65 Abs. 1 Nr. 18
Zur Baugenehmigungspflicht der Errichtung einer Mobilfunkantennenanlage eines gewerblichen Netzbetreibers auf einem Gebäude.
Tatbestand:

Der Antragsteller wendet sich gegen die Errichtung einer ungenehmigten Mobilfunkantennenanlage auf einem benachbarten Wohngebäude. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Antragsgegners entspricht die nähere Umgebung einem allgemeinen Wohngebiet. Das VG lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsteller die Stilllegung der Bauarbeiten begehrte, ab. Die dagegen erhobene Beschwerde hatte Erfolg.

Gründe:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO ist zulässig und begründet. Die vom Antragsteller begehrte Regelung ist i.S.d. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis notwendig, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Dies folgt daraus, dass im Rahmen einer Beurteilung und Abwägung der je nach Ausgang dieses Verfahrens eintretenden Folgen das Interesse an der begehrten einstweiligen Anordnung das gegenläufige Interesse der Beigeladenen an der weiteren Errichtung und Inbetriebnahme der Mobilfunkanlage überwiegt.

Eine reine Folgenabwägung ist vorzunehmen, wenn es untunlich ist, die aufgeworfenen Rechtsfragen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vertiefend zu behandeln und die Entscheidung an der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen auszurichten.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.7.1996 - 1 BvR 638/96 -, DVBl 1996, 1367 f.

So liegt der Fall hier. Die maßgebliche materielle Rechtsfrage, ob der Antragsteller einen Anspruch gegen den Antragsgegner auf bauaufsichtliches Einschreiten gegenüber der Beigeladenen hat, hängt davon ab, ob das Bauvorhaben Nachbarrechte des Antragstellers verletzt. Die Klärung der maßgeblichen Rechtsfrage wäre mit einer umfangreichen Sachverhaltsermittlung durch den Senat - gegebenenfalls mit einer Ortsbesichtigung durch den Berichterstatter - verbunden. Dies ist untunlich, da die Beigeladene zwischenzeitlich eine Baugenehmigung für die umstrittene Anlage beantragt hat. Es ist nunmehr Aufgabe des Antragsgegners, anhand des Bauantrags und der Bauvorlagen die Zulässigkeit des Vorhabens in eigener Zuständigkeit zu prüfen und darüber zu entscheiden. Ansonsten würde die Entscheidung des Senats an die Stelle der Entscheidung des Antragsgegners treten. Die Baugenehmigung und die zugehörigen genehmigten Bauvorlagen bieten dann dem VG eine formalisierte Entscheidungsgrundlage - auch für die Feststellung etwaiger Nachbarrechtsverstöße - und tragen dadurch zu einem effektiven und zeitnahen Rechtsschutz im Rahmen der §§ 80, 80a VwGO bei.

Das Bauvorhaben der Beigeladenen bedarf einer Baugenehmigung. Die Genehmigungsbedürftigkeit des Bauvorhabens folgt - worauf bereits der Berichterstatter in seiner Verfügung vom 4.3.2002 hingewiesen hat - aus § 63 Abs. 1 BauO NRW. § 65 Abs. 1 Nr. 18 BauO NRW führt nicht zur Freistellung der Mobilfunkanlage von der Baugenehmigungspflicht. Zwar erfüllt die Antennenanlage für sich genommen die Voraussetzungen dieser Vorschrift, sie ist aber dennoch baugenehmigungspflichtig, weil mit ihr gleichzeitig eine Nutzungsänderung des Gebäudes verbunden ist, auf dem sie errichtet wird. Die neue gewerbliche Nutzung wird von der bisherigen genehmigten Nutzung des Gebäudes nicht mit umfasst und bedarf deshalb nach § 63 Abs. 1 BauO NRW der Genehmigung.

Vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 19.12.2000 - 4 TG 3639/00 -, BRS 63 Nr. 174; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.10.1998 - 8 S 1848/98 -, BRS 62 Nr. 164; VG Stuttgart, Urteil vom 24.10.2001 - 16 K 735/01 -, BauR 2002, 299.

Nichts anderes folgt aus § 65 Abs. 2 Nr. 3 BauO NRW, wonach Nutzungsänderungen keiner Baugenehmigung bedürfen, wenn die Errichtung oder Änderung der Anlage für die neue Nutzung genehmigungsfrei wäre. Bezugspunkt dieser Bestimmung ist die neue Nutzung. Nur dann, wenn eine Anlage mit der neuen Nutzung im Falle der Neuerrichtung baugenehmigungsfrei wäre, so ist auch die Nutzungsänderung genehmigungsfrei.

Vgl. Gädtke/Böckenförde/Temme/Heintz, BauO NRW, 9. Aufl. 1998, § 65 Rn. 59.

Danach ist die Nutzungsänderung nicht genehmigungsfrei, denn die Neuerrichtung des Gebäudes mit aufstehender Mobilfunkanlage unterläge der Genehmigungspflicht nach § 63 Abs. 1 BauO NRW.

Die nach alledem vorzunehmende Folgenabwägung geht zu Lasten der Beigeladenen und damit auch des Antragsgegners aus. Es ist dem Antragsteller nicht zuzumuten, durch die Errichtung und Inbetriebnahme der Mobilfunkanlage vor vollendete Tatsachen gestellt und u. U. in seinen Nachbarrechten verletzt zu werden. Dem gegenüber hat die Beigeladene kein vorrangiges berechtigtes Interesse an dem ungehinderten Fortgang der Bauarbeiten, zumal das Bauvorhaben aus den genannten Gründen ohnehin formell illegal ist und die Beigeladene sich damit bei einer Weiterführung der Bauarbeiten vor Erteilung der Baugenehmigung jedenfalls objektiv rechtswidrig verhält.

Ende der Entscheidung

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