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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 12.12.2005
Aktenzeichen: 10 D 27/03.NE
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 47 Abs. 2 Satz 1
1. Das Rechtsschutzinteresse für die Durchführung eines Normenkontrollverfahrens kann entfallen, wenn der Antragsteller durch Grunderwerb bewusst die Nähe einer seit Jahren in Betrieb befindlichen emissionsträchtigen Anlage sucht und in diesem Zeitpunkt zudem mit einer Ausweitung des Betriebs rechnen muss.

2. Zu Streitgegenstand, Zulässigkeit und Prüfungsumfang der gerichtlichen Normenkontrolle bei der Überprüfung eines Änderungsplans, insbesondere im Hinblick auf den Ursprungsplan und frühere Änderungspläne (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 16.12.1999 - 4 CN 7.98 -, BRS 62 Nr. 44)

3. Wird ein im Wege der Normenkontrolle angegriffener Bebauungsplan im Laufe des gerichtlichen Verfahrens durch einen Änderungsplan modifziert, so kann dieser nur durch einen eigenständigen Normenkontrollantrag oder im Wege der Klageänderung unter Beachtung aller prozessualen Anforderungen einschließlich der Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO der Normenkontrolle unterzogen werden.


Tatbestand:

Die Antragsteller wenden sich gegen mehrere Bebauungspläne, die die planerische Grundlage für einen Freizeitpark in C.- zwischen 1996 und der Saison 2004/2005 als "W." betrieben, seither "M." - bilden. Ihr Grundstück liegt im Außenbereich östlich des Freizeitparkgeländes. Die westliche Grundstücksgrenze ist etwa 125 m, die gartenseitige Hausfassade etwa 160 m von der östlichen Grenze des Plangebiets entfernt. Das Gelände des Freizeitparks ist identisch mit den aneinander grenzenden Plangebieten zweier Bebauungspläne der Antragsgegnerin - Nr. 67 und Nr. 67/1 -. Es weist eine Ausdehnung von bis zu 1.200 m in nord-südlicher und von bis zu 450 m in west-östlicher Richtung und eine Fläche von insgesamt etwa 38 ha auf. Im westlichen Teil der Plangebiete liegen ausgedehnte Stellplatzflächen von insgesamt etwa 8 ha. Daran schließen sich zahlreiche Einrichtungen und Attraktionen des Freizeitparks an; neben Fahrgeschäften, insbesondere mehreren Achterbahnen, und einem so genannten Free-Fall-Tower handelt es sich um Kinos, Gaststätten, Schauplätze für Shows und museumsähnliche Präsentationen sowie Restaurants und Freiflächen.

Die Entwicklung der bauplanerischen Grundlage für die durch Baugenehmigung jeweils legalisierten Einrichtungen des Parks vollzog sich dergestalt, dass das ursprüngliche, etwa 32 ha umfassende Plangebiet (Bebauungsplan Nr. 67) durch einen weiteren Bebauungsplan (Nr. 67/1) um etwa 5 ha erweitert wurde; außerdem wurden diese Pläne je nach den Vorstellungen der Antragsgegnerin und der Betreiber des Freizeitparks mehrfach geändert, um zusätzliche Attraktionen im Park zu ermöglichen, die auf der Grundlage der zunächst in Kraft getretenen Festsetzungen der Ursprungsbebauungspläne nicht zu realisieren gewesen wären. Die Antragsteller wenden sich sowohl gegen die beiden Ursprungsbebauungspläne Nr. 67 und 67/1 als auch gegen alle seither erlassenen Änderungssatzungen. Sie haben ihren Normenkontrollantrag gestellt, nachdem die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 hinsichtlich der Ursprungsbebauungspläne sowie der meisten Änderungspläne verstrichen war.

Gründe:

Die Normenkontrollanträge sind überwiegend unzulässig, im Übrigen unbegründet.

Der Hauptantrag der Antragsteller sowie die Hilfsanträge zu den Ziffern 2) und 4) bis 6) sind unzulässig, weil die Antragsteller die hierfür geltende Antragsfrist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) nicht eingehalten haben.

Der Streitgegenstand des ersten Hauptantrages umfasst sowohl die Ursprungspläne als auch fünf Änderungspläne zum Bebauungsplan Nr. 67 und zwei Änderungspläne zum Bebauungsplan Nr. 67/1, die in den Jahren 1994, 1998, 2001, 2002 und 2003 in Kraft getreten sind. Allerdings ist es dem Senat verwehrt, über eine Inzidentprüfung hinaus in eine materielle Prüfung der Ursprungspläne sowie der 1. bis 3. und 5. Änderungssatzung zum Bebauungsplan Nr. 67 sowie der 1. und 2. Änderungssatzung zum Bebauungsplan Nr. 67/1 einzutreten, weil die Antragsteller hinsichtlich dieser Satzungen die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO versäumt haben. Diese Antragsfrist muss für jede zur Überprüfung im Normenkontrollverfahren gestellte Satzung gesondert berechnet und eingehalten werden. Für Bauvorhaben im Planbereich bilden zwar alle genannten Satzungen in materieller Hinsicht "einen Bebauungsplan" im Sinne des § 30 Abs. 1 bzw. Abs. 3 BauGB, so dass die durch sie getroffenen Festsetzungen kumulativ zu beachten sind. Dies ändert indes nichts daran, dass sowohl der Ursprungsplan als auch alle Änderungspläne formal selbstständige Satzungen darstellen, die jeweils für sich und unter Wahrung aller Zulässigkeitsvoraussetzungen angefochten werden müssen, um eine Überprüfung durch das Normenkontrollgericht mit dem Ziel der Unwirksamkeitserklärung zu erreichen.

BVerwG, Urteil vom 16.12.1999 - 4 CN 7.98 -, BRS 62 Nr. 44.

Die Annahme, die Ursprungspläne würden mit dem Inkrafttreten jedes Änderungsplans unabhängig von Zulässigkeitsschranken wieder in vollem Umfang einer Normenkontrolle im Rahmen des gegen den Änderungsplan gestellten Normenkontrollantrags zugänglich, ist in der hier vorliegenden Konstellation verfehlt. Sie wird dem Willen des Plangebers nicht gerecht, durch Änderungssatzungen nur punktuelle Änderungen vorzunehmen und den Bestand der in Kraft befindlichen städtebaulichen Ordnung im Übrigen nicht in Frage zu stellen. Dass der Plangeber bei allen hier in Rede stehenden Änderungsplänen auf diese Regelungstechnik zurückgegriffen hat, ergibt sich aus den Planbegründungen der Änderungspläne, die sich jeweils auf die durch die Änderungsplanung aufgeworfenen Belange und die mit ihnen ggf. zusammenhängenden Aspekte des Ursprungsplans beschränkt haben.

Von den vorstehenden Ausführungen unabhängig ist der Hauptantrag jedenfalls auch insoweit wegen mangelnden Rechtsschutzinteresses unzulässig, als er sich gegen die beiden Ursprungsbebauungspläne Nr. 67 und Nr. 67/1 sowie gegen die erste Änderung des Bebauungsplans Nr. 67 richtet. Denn die Antragsteller sind in voller Kenntnis des auf dem Freizeitparkgelände auf der Grundlage dieser Pläne geführten bzw. geplanten Betriebs zu einem Zeitpunkt bewusst in die unmittelbare Nähe des Plangebiets gezogen und haben dort Eigentum erworben, als auch die Umsetzung des Konzeptwechsels vom B. hin zu der W. bereits als Satzung in Kraft getreten und durch Baumaßnahmen weitgehend verwirklicht war. Sie haben den notariellen Kaufvertrag für ihr Grundstück am 9.5.1996 abgeschlossen. Am 30.6.1996 eröffnete die W. den Betrieb auf der Grundlage von Bebauungsplänen, die am 8.8.1994 in Kraft getreten waren. Zu dieser Zeit lebten die Antragsteller in F. und damit im Bereich desjenigen Ortsteils von C., der am stärksten von dem Park betroffen und deshalb in besonderer Weise während der Planaufstellung im Blickpunkt der Antragsgegnerin war. Beide Antragsteller hatten sich auch intensiv mit den geplanten Vorhaben beschäftigt, wie ihre Einwendungen aus den Jahren 1990 und 1994 zeigen. Insbesondere rechneten sie mit einer Ausweitung des Betriebs und mit erheblichen Immissionsproblemen. Dass diese Befürchtungen berechtigt sein würden, war - wie der Senat in der mündlichen Verhandlung mit Hilfe von Luftbildern der Großbaustelle auf dem Parkgelände aus dem Jahr 1995 eindrucksvoll feststellen konnte - in der Örtlichkeit auch ohne weiteres erkennbar. Wenn die Antragsteller gleichwohl aus einer Entfernung von immerhin etwa 800 m zwischen ihrem bisherigen Wohnsitz und der südlichen Grenze des Freizeitparks in eine Entfernung von nur noch etwa 125 m zur östlichen Gebietsgrenze - und zwar in besonderer Weise exponiert mittig zum Gesamtgelände gelegen - gezogen sind und damit die Nähe einer stark emissionsträchtigen Anlage gesucht haben, mussten sie mit einer ganz erheblichen Zunahme der Belästigungen durch den Parkbetrieb rechnen. Deshalb fehlt ihnen das Rechtsschutzinteresse dafür, die bei Grundstückserwerb bereits in Kraft befindlichen Bebauungspläne im Wege der Normenkontrolle anzugreifen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13.3.1996 - 11 A 3344/91 -, BRS 58 Nr. 187.

Der äußerst hilfsweise gestellte Antrag, den Bebauungsplan zur 4. Änderung des Bebauungsplans Nr. 67 für unwirksam zu erklären, ist zulässig, aber unbegründet.

Gegenstand des Normenkontrollantrags ist ausschließlich der am 30.4.2002 als Satzung beschlossene und am 15.5.2002 ortsüblich bekanntgemachte Bebauungsplan zur 4. Änderung des Bebauungsplans Nr. 67 der Antragsgegnerin. Im Rahmen des Normenkontrollverfahrens prüft der Senat deshalb nur die Festsetzungen dieses Plans und nicht sämtliche Festsetzungen des Ursprungsplans und der bisherigen Änderungspläne. Die Wirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 67 und der 1. bis 3. Änderungssatzung ist allerdings als Vorfrage für die Gültigkeit des mit dem Normenkontrollantrag angegriffenen Änderungsplans zu prüfen. Denn die bloße Änderung eines unwirksamen Bebauungsplans ohne vollständigen Neuerlass des gesamten Regelungswerks geht ins Leere, wenn sie nicht auf einer wirksamen Grundlage beruht; insoweit besteht ein Rechtmäßigkeitszusammenhang zwischen den Plänen.

BVerwG, Urteil vom 16.12.1999 - 4 CN 7.98 -, BRS 62 Nr. 44.

Das Normenkontrollgericht hat deshalb inzident zu prüfen, ob der geänderte Ursprungsplan taugliche Grundlage des streitgegenständlichen Änderungsplans sein kann. Daran fehlt es, wenn der Ursprungsplan an Mängeln leidet, die auch in Ansehung des Grundsatzes der Planerhaltung zu seiner Gesamtunwirksamkeit führen; in einem solchen Fall ist der Änderungsplan mangels zureichender Grundlage unwirksam, es sei denn, er schafft schon für sich genommen unabhängig vom Ursprungsplan eine vollständige städtebauliche Ordnung.

Darüber hinausgehend muss das Normenkontrollgericht prüfen, ob der Plangeber bei Erlass des Änderungsplans die Auswirkungen der Änderungen auf die Festsetzungen des zu ändernden - wirksamen - Ursprungsplans, seine Erforderlichkeit, sein Verhältnis zu Vorgaben der Raumordnung und die ihm zu Grunde liegende Abwägung bedacht und daraus ggf. die erforderlichen Schlussfolgerungen für die Änderungsplanung gezogen hat. Fehlt es daran, kann der Änderungsplan unwirksam sein, insbesondere wenn er dazu führt, dass das im Zusammenwirken von Ursprungs- und Änderungsplan neu entstehende Bauplanungsrecht rechtsfehlerhaft ist.

Die Antragsteller sind antragsbefugt, weil das in ihrem Eigentum stehende Grundstück im unmittelbaren Einwirkungsbereich des Freizeitparks liegt und weil deshalb ihr privates Interesse, von den Emissionen des Parkbetriebes nicht beeinträchtigt zu werden, zum relevanten Abwägungsmaterial für den Rat der Antragsgegnerin zählt. Der Antrag ist fristgerecht gestellt. Der Senat geht trotz erheblicher Bedenken im Ergebnis davon aus, dass die Antragsteller ein Rechtsschutzinteresse an der materiellen Prüfung des 4. Änderungsplanes zum Bebauungsplan Nr. 67 haben. Denn auch wenn die Antragsteller 1996 wissen mussten - und wussten -, dass sie sich in unmittelbarer Nähe einer emissionsträchtigen Freizeitanlage niederließen, kann dies lediglich dazu führen, ein Rechtsschutzinteresse an der materiellen Überprüfung der planungsrechtlichen Grundlage des Freizeitparks insoweit zu verneinen, als Art und Umfang der Nutzung über den 1996 schon vorhandenen bzw. planerisch abgesicherten Bestand nicht wesentlich hinausgingen. Im vorliegenden Fall betrifft dies lediglich die Ursprungspläne Nr. 67 und 67/1 sowie die erste Änderungssatzung zum Bebauungsplan Nr. 67, nicht aber die späteren Änderungen dieser Pläne. Denn erst mit den 1998, 2001 und 2002 in Kraft getretenen Bebauungsplänen hat der Plangeber die Möglichkeit geschaffen, die bis dahin in den Bebauungsplänen festgesetzte Höhenbeschränkung von 18 m auf zunächst 32 m für zwei Flächen und schließlich mit dem hier streitgegenständlichen 4. Änderungsplan auf 70 m für die Fläche des Free-Fall-Tower auszuweiten. Auch wenn die Antragsteller mit lärmträchtigen Nutzungen eines Freizeitparks rechnen mussten, führt dies nicht dazu, dass sie Ausweitungen der Nutzungen im Plangebiet in jedem beliebigen Ausmaß hinzunehmen hätten, ohne im Normenkontrollverfahren dagegen vorgehen zu können. Aus diesem Grunde geht der Senat davon aus, dass den Antragstellern das Rechtsschutzinteresse an der Überprüfung der hier betroffenen 4. Änderungssatzung mit der Festsetzung einer Höhenbegrenzung von 70 m für ein optisch besonders auffälliges und emissionsträchtiges Vorhaben nicht abgesprochen werden kann.

Der Normenkontrollantrag ist jedoch unbegründet. Der angegriffene Bebauungsplan ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden und ist auch materiell rechtmäßig. (Wird ausgeführt.)

Ende der Entscheidung

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